Die Zitadelle
Im Jahre 2211 n.Chr. erreichte die menschliche Zivilisation das Stadium des absoluten Friedens. Krieg und Unruhen waren vergessen und die Menschen begannen ihre Energien in die Erforschung neuer, nutzbarer Technologien und die Findung ihrer selbst zu legen.
Sehr schnell spezialisierten sich einzelne Bevölkerungsgruppen, auf die Wissenschaft und auf den Geist.
2290 n.Chr. traten die ersten Komplikationen auf. Die Geistigen fühlten sich durch die Anwesenheit der Technischen gestört und verlangten nach eigenen Gebieten, in denen sie ihren Forschungen ohne die Störungen der Außenwelt weiterverfolgen konnten.
Die Regierenden gestanden den Bittenden einige, kleine Gebiete zu, da sie das Problem erkannten. Doch die Gebiete wurden schnell zu klein, da immer mehr Menschen sich den Geistigen anschlossen.
2305 n.Chr. traten immer häufiger Konfliktsituationen auf, doch die Menschheit hatte vergessen wie man diese löst. Einzelne Eskalationen führten zu großen Unruhen und das friedliche Leben stand am Abgrund.
Einhundert Jahre später, als ein letztes Mal umfassendere Territorien gefordert wurden, brach der schon lange abzusehende Krieg zwischen den zwei neuen Völkern der Erde aus. Krieg hieß Isolation, denn die geografische Abgrenzung war nicht die früherer Grenzen, sondern die Gebiete beider, verteilten sich über den gesamten Erdball. Geistliche neben Technischen. Die großen Armeen vergangener Zeiten waren entschwunden, denn durch die kleinen Gebiete und die immer weiter fortlaufende Spezialisierung, bildeten sich selbst unter den Truppen Spezialisten heraus. Die Technischen bildeten ihre Krieger seit dem fünften Lebensjahr aus, so dass sie mit allen Möglichkeiten, die ihnen zu Verfügung standen, umgehen konnten. Die Geistlichen wiederum, brachten die sogenannten Kleriker hervor, die durch jahrzehntelanges mentales Training übersinnliche Fähigkeiten erworben haben. Kleriker und Krieger kämpften über viele Jahre hinweg um die einzelnen Territorien. Denn Land bedeutete Ruhe und Ruhe führte zu Fortschritt.
2440 n.Chr. galten die Geistlichen als Barbaren, da sie ihre Lebensumstände nicht weiter verbesserten. Im selben Jahr, waren es jedoch die Barbaren, die Gebiet 2.22.4 eroberten und so ein wichtiges, strategisches Gebiet für sich gewinnen konnten. Zur Stärkung ihrer Macht bauten sie inmitten dieses Landes eine große Zitadelle, ein Konstrukt, dass in der Lage war ihre mentale Macht zu bündeln und zu fokussieren. Seit dem ersten Stein brannte um dieses Territorium der heftigste Kampf seit Ausbruch des Krieges. Die Technischen schickten ihre Krieger von weit her, auch wenn sie beim durchqueren von feindlichen Gebieten mit herben Verlusten rechen mussten. Doch die Zitadelle hielt stand und ihre Macht wuchs weiter.
2450 n.Chr. hatten die technischen einen Grossteil ihrer besten Krieger verloren und ihr oberstes Gremium, das Triumvirat, beschloss die Grenzen um Gebiet 2.22.4 zu besetzten. Der Versuch der Eroberung wurde nicht länger verfolgt.
Zu Beginn des Jahres 2453 n.Chr. berichteten Spione, dass sich Kleriker der Zitadelle genähert hätten und von ihren eigenem Volk getötet wurden. Weitere Truppen der Geistlichen folgten und bei allen wurde gleich verfahren.
Ende Januar stellte das Triumvirat eine Truppe Krieger auf, die es zur Aufgabe hatten, das Rätsel der Zitadelle zu lösen. Unter den fünf Spezialisten befand sich auch Rassmus Loole, der stärkste Krieger, den die zivilisierte Gesellschaft jemals hervorgebracht hatte. Ebenfalls wurde für diese Mission der junge Arthur Troi ausgewählt, der erst kurz vor dieser Mission seine Reifeprüfung bestanden hatte.
Der allgegenwärtige Nebel machte den Eindruck, als würde keine Macht auf dieser Welt ihn dazu bringen können, sein feines Geflecht aus Wasser und Kälte aufzugeben. Wie eine reine Flüssigkeit strömte er durch die Luft und vereinnahmte sämtliche Objekte und Lebewesen, die sich in ihm bewegten. Nässe und Kälte zehrte an den Männern, die im tiefen Wald vor der Zitadelle auf den geeigneten Zeitpunkt warteten. Die kahlen Bäume standen im trüben Licht des Winters und ihre Äste hingen, mit dicken Wassertropfen an ihren Enden, tief herab. Geneigt; von der Jahreszeit gezeichnet, als würde der Frühling nie wieder kehren. Jedes Mal, wenn ein Fuß den schlammigen Boden berührte, hörte man dieses schmatzende, saugende Geräusch, als wolle die Erde ihn verschlingen. Es roch an modrigem Holz und auch die Feuchtigkeit selbst, war in der Nase wahrzunehmen.
Als sie in die nähe des Waldrandes kamen und die Temperatur immer weiter sank, befahl Loole mit einer kurzen Geste seiner rechten Hand den anderen anzuhalten und sich tief in die Knie sinken zu lassen. Troi beobachtet jeden Schritt seines Führers genau, denn jede noch so kleine Unauffälligkeit wollte seinem Augen nicht entgehen, denn in jeder dieser Bewegungen steckte mehr Wissen und Erfahrung, als sie es ihm jemals hätten beibringen können. Die Augen ihres Führers streiften langsam umher, jeden Millimeter ihrer Umgebung abtastend. Ein schwacher Sichelmond ging am Himmel auf und vor seinem Licht fielen ein paar wenige Schneeflocken gen Erde. Ihre filigrane Kristallstruktur zerfiel auf den schwarzen Anzügen der Männer und lief in kleinen Tropfen an ihnen herab. Doch es war, als würden sie niemals am Boden ankommen, denn der Nebel sog sie zugleich auf und verdichtete so sein Netz, dass der Horizont alsbald direkt vor den Augen der Truppe lag. Das trübe Weiß von Looles Augen war eins mit der Umgebung; lediglich das blasse grün seiner Iris stach ein wenig aus dem Dunst hervor. Ein schwarzer Film, wie ein Schleier, legte sich darüber. Es war ein mattes, wenn auch glänzendes, gläsernes Material, dass sich von außen nach innen bewegte und eine Art Haut für das Auge bildete. Über die Steuerung in seinem Kopf, hatte er die direkte Kontrolle über ihre Funktionen. So konnte mit einem einzigen Gedanken die Welt im künstlichen Licht erstrahlen, oder weit entfernte Hügel direkt vor einem in den Himmel wachsen.
Eine unendlich erscheinende Weile hielt er inne, bevor er sich von der Gruppe entfernte.
Troi wusste nicht, warum man ihn ausgesucht hatte, an diesem Unternehmen teilzunehmen, denn die anderen drei Männer, die sich nun noch um ihn scharten, gehörten zu den besten. Sie alle stammten aus Elite Einheiten, während er gerade erst die Ausbildung zum Krieger beendet hatte. Von zwanzig Mann in seiner ehemaligen Klasse, besetzte er die dreizehnte Stelle in der Leistungsrangliste. Es gab also wahrlich keinen Grund, warum gerade er an dieser wichtigen und zugleich heiklen Mission teilnehmen sollte. Bevor Troi jedoch weiter seinen Gedanken nachhängen konnte, kehrte Loole zurück. Seine Bewegungen glichen der einer Katze und auch seine schwarzen Augen leuchteten wie jene dieser Tiere. Der lederähnliche Kampfanzug, den er wie eine zweite Haut am Körper trug, triefte vor Nässe und seine Wangen waren blass, gezeichnet von Feuchtigkeit und Kälte.
Rassmus Loole war bekannt für seine Gefühlsleere und die Unbarmherzigkeit, mit der er seine Ziele verfolgte. War erst einmal eine Sache begonnen, so konnte selbst das Triumvirat ihn nicht mehr stoppen. Als Junge war er ungehorsam und absolut auf sich selbst fixiert. Soziale Kontakte und Bedürfnisse waren ihm fremd und bereits nach dem ersten Ausbildungsjahr wollte ihn die Kammer aufgeben. Doch man entdeckte, wie man die augenscheinlichen Unzulänglichkeiten zum Vorteil nutzen konnte, und investierte noch mehr Zeit und Kraft in seine Erziehung und Ausbildung, so dass aus Loole bald das geworden war, was er heute ist. Der Beste.
Hinter Loole kam noch jemand durch das Unterholz. Eine auf den ersten Blick zierlich wirkende Person, definitiv eine Frau, aber in den gleichen Anzug wie sie alle gezwängt. Als sie einige Schritte näher gekommen war und ihre Konturen nicht länger vom Nebel überzeichnet wurden, erkannte man die ausgebildeten Muskel, die sich darunter verbargen und das entschlossene Gesicht, das trotz aller Härte einen grazilen, femininen Ausdruck besaß. Loole erhob einen Finger und deutete auf seine Augen. Das Zeichen für alle, nun ihre Augen hinter der schwarzen Haut zu verbergen. Ein weitere Vorteil dieser Linsen war die lautlose Kommunikation, denn Gedanken konnten in Form von Schrift direkt auf die Innenseite projiziert werden und von jedem, der diese Nachricht lesen sollte empfangen werden. Hinter Trois Augen, direkt in seinem Kopf, bildeten sich die Gedanken von Loole zu Buchstaben und es war, als müsse er diese nicht lesen, sondern als entsprangen sie seinem eigenen Geist.
Über den Wipfeln der nackten Bäume kreiste ein einzelner Rabe, der dir Menschen am Boden missfällig beobachtete. Bahn um Bahn schnitten seine Flügel die Luft entzwei und hinterließen dünne Streifen im Nebel, die wie Schaum wieder in sich zerfielen. Der Kopf des Vogels richtete sich auf, die Flügel verlangsamten ihren Schlag und die Füße strecken sich nach vorn. Harte Krallen griffen in das Holz eines Astes; eine letzte Bewegung der Flügel und der Raabe hockte sich nieder, während sich seine Zehen instinktiv schlossen und ihm einen sicheren Halt gaben. Eine dichte Nebelschwade zog heran und vergrub das Tier unter sich, so dass es aus Trois´ Sichtfeld verschwand; als wäre außer ihnen nie jemand da gewesen. Erst jetzt bemerkte er auch diese unheimliche Stille, die sich wie eine Krankheit über das Land gelegt hatte. Keine Tiere, die um Aufmerksamkeit bettelten, kein Rauschen eines Flusses, nur der eigene Atem, der rasselnd aus der kalten Lunge trieb. Er strich sich mit der linken Hand über seinen kahlen Kopf. Er spürte wie sich die unterkühlten Häute berührten, wie sie nicht in der Lage waren sich gegenseitig Wärme zu schenken und wie sie versuchten sich mit aller Macht dem Winter entgegenzuwerfen.
Es geht los, stand es hinter seinen Augen geschrieben. Miller und Burns bleiben hier. Dernot sichert die Front und Troi kommt mit uns. Dies hier ist unsere Kontaktperson. Van Sann. Sie ist bereits seit zwei Tagen hier und hat die Dinge um uns herum beobachtet. Los geht’s.
Die beiden, die zurückbleiben sollten stieben auseinander und bezogen Stellung hinter zwei Bäumen, die den massivsten Eindruck machten. Dernot eilte davon und verschwand wie ein Schatten im Nebel. Loole selbst trat einen Schritt zurück und spannte seinen Körper an. Steif, wie leblos, stand er im Nebel, als aus seinem Anzug, die gleiche Schicht wie zuvor aus seinen Augen, trat. Langsam überzog das Schwarz sämtliche, noch nackten Stellen seiner Haut und schmiegten sich an, bevor sie schließlich an Konsistenz und Volumen gewann. Vor ihnen stand nach nur wenige Sekunden ein komplett in schwarz gehüllter Mann, der mehr einem Gespenst glich, denn einem Menschen. Troi und van Sann taten es ihm gleich, bevor sie als Schemen wie Dernot im Dunst verschwanden. Die Augen des Raben schienen die trübe Wand zu durchdringen, denn er thronte noch immer auf seinem Ast und verfolgte die Ankömmlinge, die seinen Wald und seinen eigenen Weg kreuzten.
Tote Bäume, nur noch groteske Gerippe; Überreste ihrer einstigen Pracht, säumten ihren Weg. Dornige Sträucher stachen ihre Waffen in die vorbeilaufenden, doch ihre Rüstung war nicht zu durchbrechen. Selbst die ansonsten alles durchdringende Nässe kapitulierte vor der sonderbaren Haut der Schatten, an der das Wasser nun in kleinen Bächen hinunterlief.
Die letzten Bäume, die ihren Blick auf die Zitadelle noch hemmten, verschwanden langsam und bald erhoben sich die hohen Türme und Wände es Konstrukts in den verhangenen Himmel, der selbst den Mond verschluckte. Eine riesiges Gebäude, ein Konglomerat aus mittelalterlichen Gewölben und modernen architektonischen Möglichkeiten. Beeindruckend und verängstigend zugleich schraubte sich das Werk der Geistigen nach oben und zur Seite, als wolle es der Erde und dem Himmel ein Stück entreißen. Der beherrschende Nebel war hier anders. Er schimmerte wie eine Flamme, leuchtete wie der Schweif eines Kometen. Er war die Aura der Zitadelle. Ein Zeichen der Macht, die ihr innewohnte.
Erneut schrieben sich Worte in den Geist von Troi. Seid Vorsichtig. Sie können uns spüren, sie hören uns denken. Versucht euch zu lösen, euch zu beruhigen und konzentriert euch auf das Wesentliche.
Loole kniete sich nieder und löste das Gewehr, das er auf dem Rücken trug. Es klackte zweimal kurz und die Waffe lag schnell und sicher in seinen Händen. Er entfernte die Standartmunition und lud die Kammer mit IG - Projektilen. Intelligentes Gewebe, dass sich durch die Gedanken des Schützen steuern lässt. Es durchschlägt fast alle Arten von Material und lockert sich erst, wenn es den Befehl dazu erhält. Die Spitze geht auseinander und zerreist sein Opfer. Tödlich, präzise und sicher.
Pass auf Troi. Seine Worte gingen direkt an ihn.
Hinter dem großen Torbogen stehen zwei Wachen. Ich schalte sie aus und du betrittst die Zitadelle. In ihrem Eingangsbereich steht eine große, leuchtende Kugel. Befestige ein Sprengpack an ihrem Sockel und komm wieder hinaus.
Troi erschrak. Er sollte die Zitadelle allein betreten und das nachdem zwei der Geistigen mit Gewalt ausgeschaltet wurden. Er würde nicht einmal bis zum Tor kommen, geschweige denn eine Sprengladung an dieser Kugel platzieren.
Unbeabsichtigt übertrug er seine Gedanken und Loole quittierte diese Unachtsamkeit und dieses Zeichen seiner eigentlichen Inkompetenz mit einem drohenden Nicken seines Kopfes. Van Sann blieb ruhig. Entweder hatte sie ihn nicht gehört, oder ihr war es einfach egal. Es war ein Befehl und Troi musste ihn ausführen. Konsequenzen waren kein Teil der Überlegung und so schritt er voran, lud seine Handfeuerwaffe durch und aktivierte den J – Modus seines Anzuges. Einen kurzen Moment lang blinkte er kurz auf, bevor er, erst leicht verschwommen, dann komplett verschwand und die Unsichtbarkeit in aus der erkennbaren Welt riss. Verborgen und leise bewegte sich Troi langsam auf die Zitadelle zu, während links und rechts neben ihm zwei Projektile die Luft zerschnitten. Ein Pfeifen, dem eines Windes gleich, durchzog seine Ohren, gefolgt von brechendem Stein und Stahl, als die Geschosse die dunklen Wände des Konstrukts durchschlugen. Er stellte die Sicht seiner Linsen um, und sah wie zwei warme Umrisse dahinter zu Boden gingen und gleich an Temperatur verloren. Jetzt musste es schnell gehen, denn der Sturm auf die Festung des Feindes hatte begonnen.
Troi beschleunigte. Mit weit ausholenden Schritten rannte er zielstrebig auf das große Tor zu, dass wie ein Fels unverrückbar an seinem Ort stand. Eingelassen in die starken Wände war es nur durch eine große Apparatur in seinem eigenen Inneren beweglich. Durch einen einfachen Gedanken benutze Troi den Schlüssel in Form eines Impulses, der aus seiner Armstulpe am linken Unterarm abgeschossen wurde. Sie teilte sich und heraus trat ein ringförmiger Strahl, dem der Nebel bereits wich, bevor er angekommen war. Je länger der Impuls unterwegs war, desto größer wurde seine Kraft und als diese Kraft auf das Tor traf zersprang es wie Glas, ohne Widerstand, in unzählige Stücke und Splitter. Ein gewaltiger Knall begleitete das Schauspiel und untermalte die ehrfurchtgebietende Kraft, die er in der Lage war zu benutzen. Im Gemisch aus Qualm und Dunst überwand Troi die Schwelle und befand sich nun in dem Heiligtum der Geistigen, der Zitadelle. Er hielt kurz inne und musterte die Umgebung, nahm jedes Detail in sich auf und studierte Wege und Objekte. Die große Vorhalle sah aus wie das Hauptschiff alter Kirchen, nur mit dem Unterschied, dass Teile der Konstruktion von großen Stahlträgern gehalten wurden. Zu beiden Seiten führten zwei lange Treppen hinauf, die sich nach einem beschriebenen Halbkreis auf einer gewaltigen Empore trafen. Auf ihrer Mitte thronten zwei Skulpturen. Abbilder der ersten Kleriker. Die erste trug einen verschnörkelten Stab und zu ihren Füßen kauerten zwei steinerne Hunde, deren gemeißelter Blick mehr Lebendigkeit besaß, als bei so manch lebenden Exemplaren. Es musste Mahl VI sein, der zu Beginn der geistigen Lehre eine ganze Gruppe von Krieger im Alleingang bezwang. Die zweite Figur war das Abbild des sechsten Delekts. Dem Oberhaupt der Geistlichen. Er war nackt und nur sein Gesicht trug die Konturen eines Menschen. Der Rest war lebloser Stein, unbehauen und roh.
Mit großen Widerwillen entzog sich Troi dem imposanten Anblick dieser Kunstwerke und begann die von Loole beschriebene Kugel zu suchen. Schnell war der Fundort ausgemacht, denn die Kugel schien die einzigste Lichtquelle der Halle zu sein und befand sich direkt unterhalt der Empore. Von ihr ging ein deutlich spürbares Knistern aus, ein Gefühl wie bei einem Gewitter; diese Spannung; die Vorahnung des Sturms. Doch nicht nur was Troi fühlte, sondern auch der bloße Anblick dieser Kugel, mit ihrer perfekten, glatten Oberfläche riss eine tiefe Wunde in seine Gedanken. Eine Welle von Angst und Schmerz überflutete ihn und bei jedem weiteren Gedanken an sein Vorhaben, wurde diese Bedrängung noch stärker, noch intensiver. Troi trat an die Kugel und ihren Sockel heran und blickte tief hinein. Tief in das wabernde Licht, dass wie ein Ozean über die Welt floss. Einer Welt, bestehend aus Licht und Gefühlen.
Troi verlor die Kontrolle. Sein Körper und sein Geist wurden ausgeschaltet und er fiel in die Kugel; fiel in das Licht.
Bilder rauschten an ihm vorbei. Kinder spielten und schrieen, doch niemand von ihnen war ihm bekannt. Zwei Gesichter, das eines Mannes und das einer Frau blickten ihn lächelnd an, doch er kannte sie nicht.
Dann verschwanden die Bilder und er fühlte etwas nie da gewesenes. Die Zukunft selbst hatte sich in Empfindungen manifestiert und Troi ahnte und wusste von Dingen die noch nicht passiert waren, Dingen mit denen er zu tun hatte, Dingen....ein Ruck fuhr durch seinen Körper und er kehrte zur Oberfläche zurück. Linien und Punkte malten Wörter auf sein Auge. Beeil dich. Wieso? Was? Die Kugel.
Endgültig befreite sich Troi aus der Trance und sah die Kugel nur noch als Kugel, auch wenn ein Teil von ihm sich immer noch in ihrem inneren befand. Er befestigte das Sprengpack an ihrem Boden, während ihn zwei Augen, seine eigenen, unter der Oberfläche enttäuscht ansahen. Rote Dioden glimmten am Pack auf, das Zeichen für Troi zu verschwinden. Und das tat er. Desorientiert lief er zuerst in die falsche Richtung, bis der Nebel, der langsam durch das Loch, wo einst die Tür gestanden hatte ins innere lief, ihm den Weg nach draußen wieß. Er tauchte wieder ein, in diese Suppe aus Nässe und Minusgraden, als er die Gedanken Looles las. Er solle direkt stehen bleiben.
Zwei Männer kamen hinter ihm hergerannt, den Willen die Unruhestifter zu fassen, in ihre Augen geschrieben. Es waren nur normale Wachen, die ihn nicht sehen konnten, die blind und ziellos in den Nebel starrten, etwas suchten, dass in ihrer Welt nicht existierte. Troi musste sich nur ruhig verhalten und niemand würde ihn entdecken.
Eine dritte Person trat aus der Zitadelle hinaus in den Winter. Eine Frau, gehüllt in eine lila Robe, bestickt mit zahlreichen Ornamenten und Verzierungen. Ihre blonden Haare wehten im kalten Wind und ihre grünen Augen tasteten die Welt um sie herum ab. Aber es war nicht der gleiche suchende Blick, wie bei den Männer, sonder in dem ihren lag etwas lauerndes, etwas wissendes. Diese Frau, die trotz des Nebels klar und deutlich zu erkennen war, war Klerikerin und damit das Ende des Versteckspiels. Sie ging direkt auf die Position, an der sich Troi befand zu. Er erinnerte sich an die Worte seines Führers. Konzentriere dich auf das Wesentlich, doch mit jedem Gedanken, dem er den Unternehmen widmete wurden die Bewegungen der Klerikerin zielgerichteter. Troi vertrieb alles aus seinem Kopf, doch es blieb nur bei einem Versuch, denn so sehr er sich auch anstrengte, er konnten seinen Kopf nicht einfach ausschalten. Das war nun die bittere Rache dafür, dass sie so jemand unerfahrenen mitgenommen hatten wie ihn. Warum war Loole nicht selbst gegangen. Ihn hätte man nicht so schnell entdeckt und er wäre den Verlockungen der Kugel nicht erlegen. Vielleicht war es gerade diese Kugel die ihn schließlich verraten hatte. Vielleicht hing ihre Energie an ihm, wie ein übler Geruch, den die Kleriker noch über Meilen riechen konnten. Er dachte an den Raben zurück, wie er über alles erhaben auf seinem Ast saß. Der Kopf der Klerikerin ging gen Himmel und suchte dort. Sie sah alles. Alles was in seinem Kopf vorging und bald würden ihre Augen auch ihn erspähen. Und gerade, als Troi sich mit diesem Gedanken abfinden wollte, spielte um die Lippen der Frau ein merkwürdiges Spiel. Falten zogen sich von Mund zu Nase und in ihren Zügen lag der sonderbare Ausdruck der Niederlage. Resignierend ging sie zurück, deutete aber noch mit einem Handzeichen an, dass die Wächter weitersuchen sollten. Sie hatte ihn nicht entdeckt. Wie konnte das nur möglich sein, aber es war bereits zu spät. Van Sann trat aus ihrer Tarnung heraus und tötete in einer eleganten Bewegung, einem Tanz ähnelnd die beiden Männer. Derweilen legte Loole sein Gewehr auf die Klerikerin an und drücke ab. Ein IG Geschoss bahnte sich seinen Weg, direkt in die Mitte des weiblichen Körpers, doch das Projektil zersprang einfach, bevor es überhaupt in ihrer Nähe war. Wie von einer unsichtbaren Hand geführt, wurde Loole hin und her geworfen. Sein Körper prallte immer wieder gegen dicke Baumstämme und auf den harten Felsboden, der sich um die Zitadelle ausbreitete. Auch van Sann riss es zu Boden. Wie eine Puppe lag sie bewegungsunfähig da und Troi war der letzte, der ihnen helfen konnte.
Die Tarnung entschwand und seine schwarze Gestalt tauchte mitten im trüben Nebel auf. Überrascht und erschrocken zugleich weiteten sich die Augen der Klerikerin, die auf sein Erscheinen nicht vorbeireitet war. Ein einzelner Schuss und die Kugel durchschlug sie wie Papier. Van Sann und Loole sackten in sich zusammen, genau wie die junge Frau, deren Lunge soeben ihren letzten Atemzug tat. Troi hatte eine Klerikerin getötet, doch anstatt Stolz, fühlte er nur Abscheu gegenüber seiner eigenen Person. Unfähig auch nur eine Bewegung zu vollführen, wurde der von seinen beiden Kollegen in die Zitadelle geschleppt, mit den Wörter; das ist der einzige Weg; hinter seinen Augen.
Die Kugel lag zertrümmert am Boden. Nur noch Glas, kein Licht, keine Energie.
Sie flüchteten in das innere der Zitadelle, durch ein großes, in die Wand eingelassenes Tor auf ihrer rechten Seite. Dahinter kauerten sie sich ein einer dunklen Nische nieder und überlegten das weitere vorgehen. Sie hatten keine Informationen gesammelt und eine Flucht lag in den Augen Trois außerhalb ihrer Möglichkeiten. Er dachte nach – an den Sinn ihrer Mission und er erkannte, dass es sich ab Anfang an um etwas anderes handeln musste.
„Warum ich? Warum das alles hier?“
Benutze die Linsen. Sie werden uns suchen und jetzt sei still.
„Nein, ich bin nicht still. Ich will eine Erklärung, jetzt.“ Vor Trois Augen tanzten die beiden Gesichter, die er in der Kugel gesehen hatte.
Der schwarze Film verschwand aus Looles Gesicht. Er blickte sein Gegenüber an, ein tiefer Blick, indem mehr Worte steckten, als er jemals hätte sagen können.
„OK. Wir sollen keine Informationen sammeln, sondern das Herz der Zitadelle zerstören.“
„Warum ich.“
„Du wurdest gefunden. Du gehörtest zu den geistlichen und wir nahmen dich als Waisen auf, als einen Grenzgänger, der durch seine natürliche Signatur nicht durch die Gedanken der Kleriker aufgespürt werden kann. Die Kugel, die du zerstörtest, war eine Barriere, die jede Person, die nicht zum Konstrukt gehört, aufhält. Du konntest hindurchschreiten und uns so den Weg ebnen.“
Van Sann erhob sich ruckartig. „Loole! Was soll das? Seine Liquidierung steht bevor und du erzählst ihm noch seine Lebensgeschichte.“
„Mein..e was?“ Troi war immer noch nicht in der Lage deutlich zu sprechen und van Sanns Kommentar trug nicht gerade zur Besserung bei.
„Du bist zu gefährlich. Es steht in deiner Macht, die Stärken beider Welten zu besitzen und damit wirst du zu einem nicht kalkulierbaren Risiko. Unser Befehl ist es, dich nach Eintritt in die Zitadelle zu terminieren.“
In Trois Kopf hallte eine Stimme, doch es war nicht die seiner Begleiter, sondern eine fremde, aber zugleich auch vertraute. Fliehe, schrie sie ihn an und mit einem Mahl wurde sein Kopf wieder klar. Er sprang auf und ließ die beiden Kämpfer in ihrer dunklen Nische zurück.
„Ich wusste es,“ schrie van Sann, „sieh zu, dass du ihn kriegst.“
Loole rannte hinter ihm her. Er verfolgte ihn durch die breiten Gänge des Heiligtums, hinein in eine weitere große Halle, an deren südlichem Ende eine riesige, aus bunten Mosaiken zusammengesetzte Fensterscheibe, ihr Bild auf die Wände malte. Verzierte Säulen stützten wie in einem Tempel die hohe Decke und große, stählerne Tische trugen Kerzen und Bücher.
Runter! Schrie wieder eine Stimme in seinem Kopf und Troi warf sich ohne Widerrede auf den kalten Steinboden. Das bunte Fenster vor ihm zersprang und die farbigen Glassplitter schwammen wie Boote auf einer Feuerwelle, die sich in den Saal ergoss. So schnell das Feuer gekommen war, so schnell verschwand es auch wieder, aber drei Mann tauchten anstelle der Flammen auf. Kleriker, die sich strategisch im Raum verteilten. Loole lag von der Explosion benommen am Boden, aber van Sann hatte bereits ihr Gewehr auf einen der Eindringlinge angelegt. Sie kam nicht einmal dazu, einen Schuss abzufeuern, denn ein blendend weißer Strahl riss sie von den Füßen und löschte ihr Leben innerhalb eines einzelnen Herzschlages aus. Troi erhob sich und ging auf die Kleriker zu. Er musste herausfinden, was sie von ihm wollten, warum sie ihn gewarnt hatten, doch ein weiterer Lichtstrahl entsprang der Hand des linksstehenden Klerikers und stob in seine Richtung. Direkt vor seinen Augen, zerspaltete es das Licht in massenhaft winzige Strahlen, die dicht an seinem Körper vorbeigingen. Eine Frau hatte den Saal betreten, in den gleichen lila Stoff gehüllt, wie jene, die er vorhin getötet hatte. Sie hatte ihn gerettet, denn ihrer Kraft war es zu verdanken, dass Troi nicht von dem Licht erschlagen wurde. Das fühlte er.
Er richtete nun seinerseits seinen Arm auf den Angreifer und seine Armstulpe öffnete sich, um den tödlichen Impuls zu entlassen, der auch das Tor der Zitadelle gesprengt hatte. Dem Kleriker blieb keine Zeit zu reagieren und so zerriss es seinen Körper in ein Gemisch aus Blut und Fleisch. Nur noch eine weit verteilte, rote Lache zeugte von seiner Anwesenheit.
Troi drehte sich nun blitzschnell herum und das Material seines Anzuges formte sich am Ende seiner Hand zu einer langen Spitze, die sich in den Magen des zweiten Klerikers schob. Ein erstickter Schrei entsprang seiner Kehle, gefolgt von einem dumpfen Röcheln. Auch er war tot. Den dritten und letzten Angreifer erledigte die lilagewandete Frau, die mit ihren Gedanken den Körper des Feindes weit in die Luft hob und ihn auf die Scherben des Fensters warf. Rote und grüne Spitzen bohrte sich durch sein Fleisch und schnitten seine Knochen entzwei.
Sie schritt auf den vor Blut triefenden Troi zu, nahm ihn ohne ein Wort bei der Hand und führte ihn in das Innere der Zitadelle. Zu dem Herzen ihrer Macht. Der Nebel blieb währenddessen draußen, so als wäre das Fenster immer noch an seinem ursprünglichen Ort.
„Sieh. Dies ist das Herz!“
Eine Kugel, gleich der im Eingangsbereich offenbarte sich seinem Blick, als sie unter einem großen Steinbogen hindurchschritten. Ihre Oberfläche schien noch absoluter, noch reiner und noch tiefer. Von ihr ging eine enorme Macht aus und das Licht, das sie von sich strahlte war von nie dagewesener Intensität, doch ohne seine Augen zu blenden. Ein Mann stand hinter der Kugel und er erkannte sein Gesicht wieder. Er hatte es gesehen und auch die Frau kannte er. Das Bild in der Kugel, die Zukunft, die er gesehen hatte lag nun vor ihm und in der Kugel spiegelten sich seine eigenen, traurigen Augen.
„Wir wussten das du kommst.“
„Warum?“
„Nicht warum, ist die Frage, sonder Wann? Aber dies ist ja nun beantwortet.
Ich will es dir erklären.“
Ihre liebliche Stimme machte ein Pause und Troi trat dicht an das Herz heran.
„Wir sind ein Kult, der glaubt, dass es mehr gibt als Technik und den Geist.
Und wir haben es gefunden. Es gibt Götter, die über uns wachen und die ihre Macht vergrößern möchten. Sie sprachen von einem Wandler zwischen den Welten, der die Fähigkeiten beider Völker besitzt. Dieser Wandler würde uns anführen, sagten sie, und uns seinen Weg zugänglich machen. Du bist unser Erlöser.“
„Das kann doch alles nicht sein.“
„Denk nach. Es wurde dir selbst gesagt. Nur ausgenutzt wurdest du, denn selbst die Technischen wussten um dein Vermächtnis und auch die Geistlichen wussten um die Ernsthaftigkeit des Kultes.“
„Und dieses Herz ist der Weg zu den Göttern?“
„Nein. Aber ein Zeichen ihrer Macht.
Doch sie lassen dir die Entscheidung. Denke nach!“
Loole schleppte sich langsam voran, durch die Zitadelle hinaus in den Nebel. Dort wo der tote Dernot im fallenden Schnee sein letztes Ende gefunden hatte. Immerhin hatte er Recht gehabt. Eine Flucht in die Zitadelle war ihre einzige Chance, den Auftrag zu Ende zu bringen. Er würde wiederkommen und dieses Herz vernichten. Das war sein fester Wille.
Auf allen vieren kroch er dahin, als die Gestalt Trois neben ihm auftauchte. Er griff ihm unter die Arme und half ihm auf. Ihre Blicke trafen sich und das Gesicht Looles wurde zu einer nicht deutbaren Grimasse.
„Ich habe mich entschieden.“
“Entschieden?“
„Geh. Niemand von uns wird dich aufhalten.“
Loole wusste, was Troi meinte, denn von Beginn an wusste er genau über ihn Bescheid. Aber es konnte noch nicht verloren sein, denn er lies ihn gehen und so verschwand der Kämpfer voller Hoffnung im Nebel. Troi blieb zurück und konzentrierte sich auf seinen ehemaligen Führer.
Die Luft um Loole begann zu schimmern und in den Augen Millers und Burns kam ein Mann in lila Robe auf sie zu. Loole winkte, doch die beiden schossen und zurück blieb ein Loch im Nebel, dass sich nicht mehr schloss.
Troi ging zurück in die Zitadelle. Er war der Wandler zwischen den Völkern. Er würde der Erde ein neues Zeitalter bringen. Nicht länger schwarz und weiß...