Was ist neu

Die Zeitmaschine

Mitglied
Beitritt
04.06.2017
Beiträge
6

Die Zeitmaschine

1. Akt

1. Szene
"In einer wahnsinnigen Welt sind nur noch die Wahnsinnigen normal." So lautet der Titel der heutigen Ausgabe des "Christiania Adresseblad". Wir befinden uns in Oslo, das Jahr 1895, der genaue Ort eine dunkle Taverne inmitten der Innenstadt. Dunkel nicht deshalb, weil die Beleuchtung zu schwach wäre, sondern weil dunkler, dichter Zigarettenrauch jeden Winkel des Raumes besetzt. Der Arzt Doktor Robert Utermohl sitzt mit seiner Frau Emily, dem Arzt und Politiker Max Nordau und dem Psychiater Johan Scharffenberg an einem Tisch. Alle rauchen. Doktor Utermohl ist derjenige unter ihnen, der zusätzlich zur Zigarette noch die Zeitung in der Hand hält und nach dem Titel nun auch noch den zugehörigen Artikel laut vorliest. Es geht um eine Serie von Morden, die immer weiter Fahrt aufnimmt. Wahnsinnige laufen durch die Straßen und bringen Menschen um.

Nordau: Die ganze Stadt wird wahnsinnig. Die Menschen degenerieren immer weiter, immer weiter. Es ist ein unaufhaltsamer Prozess. Schon die Luft, die wir atmen, die wir alle atmen, dieses dreckige, vergiftete Rauchgemisch, macht uns alle krank. Es ist wahrlich teuflisch, denn es lässt unsere Lungen auf gleiche Art und Weise verrotten, wie unseren Verstand.

Emily Utermohl: Also meinen Sie, die Zigaretten seien verantwortlich für diese Menge an Wahnsinnigen, die durch unsere Straßen laufen?

Scharffenberg: Mit Sicherheit sind sie der Ursprung des mentalen Zusammenbruchs unserer Zivilisation. Denn sie wirken auf eine viel komplexere Weise, als gerade beschrieben. Die Individuen unserer Gesellschaft stecken sie durch den Rauch an, das ist richtig. Die Gesellschaft selbst jedoch, und dies macht sie noch so viel bedrohlicher, die Gesellschaft als Ganzes stecken sie durch das Wirken ihrer Individuen in Politik, Journalismus und Kunst an. So bleibt niemand verschont. Auch ich gebe unserer Stadt, unserer Gesellschaft, unserer Zivilisation nicht mehr viel Zeit. Und auch ich habe die Hoffnung schon aufgegeben, dass sie sich ihrer selbst um den eigenen Hals gespannter Schlinge noch entziehen kann.

Robert Utermohl: Hoffnung, die habe ich noch. Ich habe Hoffnung, dass unsere Gesellschaft, bevor es zu spät ist, erkennen wird, dass diese Welle des Wahnsinns nicht durch die Zigaretten ausgelöst wird, sondern allein durch den Glauben, sie wären der Auslöser. Ab diesem Moment der Erkenntnis hätte sie sich ihrer Schlinge schon voll und ganz entzogen.

Nordau: Bei allem Respekt, Herr Doktor Utermohl. Sehen Sie sich um. Sie sitzen hier in einem Raum mit der intellektuellen Elite dieses Landes, Schriftstellern, Politikern, Ärzten, Wissenschaftlern. Jeder einzelne fühlt seine Existenz in höchstem Maße bedroht von einer Gefahr, von der Sie ernsthaft behaupten wollen, es gebe Sie gar nicht?

Robert Utermohl: Vielleicht ist dies einer der wahren Ursprünge unseres Versagens: Die Arroganz derer unter uns, die sich selbst als "intellektuelle Elite" bezeichnen, zu glauben, sie würden nie einem Hirngespinst nachjagen. Ist nicht gerade diese Arroganz prädestiniert dafür, tatsächlich einem Hirngespinst nachzujagen? Welcher Hase wird zuerst vom Fuchs gefressen? Derjenige, der ständig auf der Hut ist, oder der Unachtsame, der sich selbst für viel zu schnell hält, als dass er je gefangen werden könnte? Aber um Ihre Frage noch auf anderer Ebene zu beantworten, kann ich nur sagen, dass ich zur Urteilsbildung lieber meinen eigenen Verstand heranziehe, als mich auf den eines Kollektifs, welcher Art auch immer, zu verlassen. Und dieser, mein eigener Verstand, fühlt sich durchaus gesund und keineswegs so wahnsinnig, wie er laut Ihrer Theorie den Umständen nach sein müsste.


2. Szene
Robert und Emily Utermohl haben die Taverne verlassen und begeben sich auf einen nächtlichen Spaziergang durch die Straßen, bevor sie nach Hause gehen.

Emily: Wir sollten für immer von hier verschwinden.
Robert: Warum sollten wir das tun?
Emily: Weil wir hier und jetzt in diesem Moment das Schicksal geradezu herausfordern. Wie war das mit den Hasen? Wir laufen hier nachts auf einer Straße voller Wahnsinniger.
Robert: Wir sollten nicht verschwinden, sondern abwarten. Abwarten, bis sich der Pseudo-Wahn selbst erstickt. Bis dahin wird uns nichts passieren. Das verspreche ich dir.

Von hinten nähert sich ein Vermummter, der Emily Utermohl mit einem Messer den Rücken durchbohrt.

Vermummter: Ha! Hahahahaha! Sieh mich an! Sieh Dir an, was ich getan habe! Kann eine größere Macht über Dich herrschen, als in diesem Moment? Ich bin Gott!

Der Vermummte verschwindet im Dunkel der Nacht, während Robert zu Emily auf den Boden sinkt. Er sagt nichts und tut nichts, weil er dazu nicht in der Lage ist. Er kann sie nur halten, in dem Wissen, dass es das letzte mal sein wird, dass er sie hält. Es ist ein lähmender Zustand der Verzweiflung und Angst, der es ihm verwehrt, ihr ein letztes mal diejenigen Worte zu sagen, die er ihr aus unerfindlichen Gründen schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesagt hatte, aber unbedingt noch ein mal sagen muss: "Ich liebe dich". Erst in dem Moment, in dem Emily stirbt, ist er wieder in der Lage zu sprechen. Aber alles, was aus ihm herausbricht, ist ein kurzer, lauter, in gewisser Weise verrückter Schrei des Schmerzes.


3. Szene
Im Polizeirevier.

Beamter: Was kann ich für Sie tun?
Utermohl: Meine Frau wurde gestern Nacht auf offener Straße erstochen.
Beamter: Können Sie den Täter beschreiben?
Utermohl: Er war vermummt. Das einzige, was ich über ihn sagen kann, ist, dass er relativ groß war. Er hat sich von hinten angeschlichen, den Rücken meiner Frau mit seinem Messer durchbohrt, laut gelacht und dann geschrien, dass er Gott wäre. Anschließend ist er davongelaufen.
Beamter: Gott? Also wieder einer, der völlig den Verstand verloren hat. Aber es hat was lustiges. Immerhin ist es ja nur logisch, sich den Schöpfer einer wahnsinnigen Welt auch als einen Wahnsinnigen vorzustellen, finden Sie nicht?
Utermohl: Sie fragen mich, ob ich den Tod meiner Frau genauso amüsant finde, wie Sie?
Beamter: Was haben Sie überhaupt bei Nacht auf offener Straße gemacht?
Utermohl: Einen kleinen Spaziergang.
Beamter: Trotz all dieser Verrückten?
Utermohl: Ja.
Beamter: Warum?
Utermohl: Was wollen Sie denn hören? Es gibt keinen Grund, wir haben es einfach getan. Können Sie jetzt endlich die Fahndung in die Wege leiten?
Beamter: Nein.
Utermohl: Was? Warum nicht?
Beamter: Sehen Sie, Herr Doktor. Hier laufen von Tag zu Tag mehr Wahnsinnige durch die Straßen. Tag auf Tag töten sie mehr Menschen. Wir haben einfach nicht mehr die Ressourcen, um dagegen anzugehen. Wozu auch? Es wäre doch völlig sinnlos. Wenn wir einen schnappen, sind wieder drei neue auf der Bildfläche. Diese Stadt geht unweigerlich vor die Hunde. Wenn Sie mich fragen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir alle vollkommen wahnsinnig werden.
Utermohl: Also glauben Sie auch an diesen Zigaretten-Schwachsinn?
Beamter: Sie etwa nicht? Sehen Sie nicht, wie degeneriert unsere Gesellschaft bereits ist?
Utermohl: Aber nicht dank der Zigaretten, sondern nur dank der Idioten, wie Ihnen, die glauben, die Zigaretten würden Ihren Verstand verrotten lassen.
Beamter: Und wie kommen Sie darauf?
Utermohl: Ich habe schon mehr als genug Zigarettenrauch eingeatmet, um geistig zu degenerieren. Sie wahrscheinlich auch. Trotzdem sind wir beide bei klarem Verstand, oder nicht?
Beamter: Sie gehen nachts mit Ihrer Frau völlig ohne Grund auf einer Straße spazieren, auf der dutzende Mörder ihr Unwesen treiben und wollen mir ernsthaft weismachen, dass Sie bei klarem Verstand sind?
Wollen Sie einen Rat von mir hören, Doktor Utermohl? Gehen Sie einfach nach Hause, trinken Sie einen Whiskey und warten Sie darauf, dass der Wahnsinn Sie und Ihren Verstand in Besitz nimmt, wenn Sie so sehr davon überzeugt sind, dass er dies nicht schon längst getan hat. Ich kann nichts für Sie tun und Sie können auch nichts mehr für sich selbst tun. Außer natürlich, Gottes Namen zu verfluchen, ganz egal, ob er der Mörder Ihrer Frau ist, oder nicht.


4. Szene
Robert Utermohl sitzt allein im Wohnzimmer seiner Wohnung und erwartet Besuch von Johan Scharffenberg. Vor ihm ein Tisch, auf dem sich fast leere Flasche Whiskey, ein leeres Glas und eine Schusswaffe befinden. Es klopft an der Tür und Utermohl lässt den Gast eintreten.

Scharffenberg: Mein herzliches Beileid.
Utermohl: Danke.
Scharffenberg: Was soll die Pistole?
Utermohl: Es war meine Aufgabe, meine Frau zu beschützen. Es hat sich nie zu einer sonderlich schweren Aufgabe entwickelt, aber es war die wichtigste von allen. Und obwohl sie immer leicht war, habe ich sie nicht erfüllt. Ohne diese wichtigste Aufgabe sehe ich in meiner Existenz keine Funktion mehr. Ich habe also darüber nachgedacht, mir das Leben zu nehmen. Und ich bin innerhalb dieser Überlegung mit mir selbst auf einen Konsens gekommen: Wenn ich geisteskrank bin, oder zum Zeitpunkt, als ich meine Frau habe sterben lassen war, dann werde ich mich nicht töten, wenn ich geistig gesund bin, dann schon. Und Sie als Psychiater sollen mir helfen, das zu entscheiden.
Scharffenberg: Ich soll Ihnen dabei helfen, sich zu entscheiden, ob sie sich umbringen sollen, oder nicht?
Utermohl: Ja.
Scharffenberg: Nun, allein diese Idee ist schon äußerst verrückt, aber ich denke, das wissen Sie selbst. Und das bringt mich zu der Vermutung, dass Sie von mir nur eine Schuldabsprechung für die Unachtsamkeit, die Ihnen unterlaufen ist, haben wollen. Sie wollen sich doch gar nicht das Leben nehmen, Sie sind doch gar nicht der Typ dafür. Aber ich muss Sie enttäuschen, denn Ihre Schuld kann Ihnen niemand abnehmen. Ich glaube auch nicht, dass es Ihrer Seele in irgendeiner Weise guttun würde, wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, dass Sie wahnsinnig wären, da Sie Ihre wahre Intention hinter diesem Wunsch ja kennen. Und praktisch macht es auch keinen Unterschied. Ihre Frau ist und bleibt tot, unabhängig vom Zustand Ihrer geistigen Gesundheit. Wahnsinn ist sowieso ein sehr abstrakter Gegenstand und schwer zu definieren.
Utermohl: Ich wünsche mir trotzdem, wahnsinnig zu sein, weil dies der einzige Zustand wäre, in dem ich vielleicht mit meiner Schuld leben könnte.
Scharffenberg: Ich weiß, Herr Doktor Utermohl, dies ist auch durchaus ein verständlicher Wunsch, nur können Sie Ihren Geist so leicht nicht austricksen. Sie können ihn genauer gesagt gar nicht austricksen.
Utermohl: Was soll ich also Ihrer Meinung nach tun?
Scharffenberg: Sie sind ein perspektivloser Mann in einer Stadt, die einem Zug gleicht, der ohne funktionstüchtige Bremsen dem Abgrund entgegen rast. Sie können den Zug nicht vor seinem Schicksal retten, niemand kann das, und genauso wenig können Sie sich selbst vor Ihrem Schicksal retten. Was Sie aber tun können, ist Vergeltung zu üben. Finden Sie den Mann, der Ihre Frau getötet hat.
Utermohl: Das ist unmöglich. Ich weiß über ihn nur, dass er leicht überdurchschnittlich groß ist und, dass er, nachdem er meine Frau getötet hat, geschrien hat, dass er Gott wäre. Es könnte so gut wie jeder sein.
Scharffenberg: Gott?
Utermohl: Ja, Gott.
Scharffenberg: Dann gehen Sie doch in eine Kirche und töten Sie einen Pfarrer.
Utermohl: Was?
Scharffenberg: Wir haben doch anarchische Zustände. Jeder kann tun, was ihm guttut. Und ich wette mit Ihnen, dass Vergeltung Ihre Seele entlasten wird, auch wenn Sie den direkten Mörder Ihrer Frau nicht finden. Ein Pfarrer steht in Verbindung mit Gott. Was auch immer Gott ist. Ist Gott, wenn er existiert und die Macht gehabt hat, den Tod deiner Frau zu verhindern, aber nicht eingegriffen hat, überhaupt besser, als wenn Gott selbst der Mörder ist?


5. Szene
Utermohl betritt eine nahe gelegene Kirche, verdeckt in seiner Tasche eine Schusswaffe. Es ist nur eine weitere Person anwesend, und zwar der Pfarrer.

Pfarrer: Oh, welch eine freudige Überraschung! Wie kann ich Dir weiterhelfen?
Utermohl: Ich möchte Ihnen eine Frage stellen.
Pfarrer: Gut, setzen wir uns.
Sie setzen sich auf eine Kirchenbank.
Utermohl: Es ist eine sehr einfache Frage. Meine Frau wurde vor drei Tagen ermordet. Warum hat Gott das zugelassen?
Pfarrer: Mein herzliches Beileid für Deinen Verlust. Ich werde Dir diese Frage nicht zu deiner Zufriedenheit beantworten können, denn ich kenne Gottes Plan und Gottes Wege nicht. Niemand tut das. Sein Wirken ist für uns Menschen unergründlich, es geht über unser Fassungsvermögen und unsere Vortellungskraft hinaus. Das einzige und gleichzeitig beste, was wir Menschen tun können, ist zu vertrauen. Wir müssen Vertrauen darin haben, dass Gott gut ist und letztendlich das Beste für uns alle will.
Utermohl: Das Beste? Haben Sie schonmal einen Schritt aus Ihrer Kirche heraus gesetzt? Menschen schlachten sich gegenseitig ab, scheinbar völlig grundlos. Meine Frau ist scheinbar völlig grundlos gestorben, genauso wie Zig andere, die täglich ermordet werden! Und Sie wollen mir ernsthaft sagen, dass das alles zu Gottes "Plan" gehöre?
Pfarrer: Nun, wie gesagt, Gott ist für uns Menschen nicht begreifbar.
Utermohl: Oh doch! Ich begreife Gott genau! Entweder ist er ein absolut gefühlloses und kaltes Wesen, dem das Schicksal jeder einzelnen armen Seele auf Erden scheißegal ist, oder er ist ein kranker Sadist, der sich am Leid unserer Gesellschaft aufgeilt! Egal, was er nun von beidem ist, ich hasse ihn mit jeder Faser meines Wesens!
Pfarrer: Nein! Er ist nichts von beiden. Nichts von beiden! Und er liebt jeden einzelnen von uns Menschen, so auch Dich, auch wenn Du ihn gerade hassen magst!
Utermohl: Nein, er liebt mich nicht. Er hat mir das einzige auf der Welt genommen, das ich von ganzem Herzen liebe. Deshalb muss er mich genauso hassen, wie ich ihn! Gott ist mein Todfeind!
Pfarrer: Beruhige Dich!
Utermohl zieht die Schusswaffe aus seiner Tasche hervor.
Utermohl: Sie brauchen ja keine Angst haben, Pfarrer. Immerhin muss das hier ja Teil von Gottes großem Plan sein. Also schätzen Sie sich glücklich und danken Sie mir, dass ich Sie früher aus dieser Hölle hinausbefördere.
Utermohl erschießt den Pfarrer. In dem Moment, in dem er ihn tot auf dem Boden liegen sieht, legt sich sein Rausch wieder und er taumelt einige Sekunden umher, bevor er wieder anfängt, sich erneut in Rage zu reden.
Utermohl: Was habe ich getan? Ich habe einen Menschen getötet, einen Unschuldigen noch dazu. Bin ich jetzt noch besser als der Mörder meiner Frau? Nein, ich bin selbst ein Mörder geworden. Ich bin auf einer Ebene mit meinem Todfeind angelangt. Durch Scharffenberg, dieses Schwein! Dieses Monster, das mir geraten hat, einen Unschuldigen zu töten, nur um Vergeltung zu üben. Vergeltung? Was für Vergeltung? Es ist noch gar nichts vergolten. Es ist nur eine neue Rechnung ins Spiel bekommen, die ich zu begleichen habe.


6. Szene
Utermohl steht an der Eingangstür zu Scharffenbergs Wohnung, in seiner Tasche immer noch die Schusswaffe. Er klopft und der Herr des Hauses lässt ihn eintreten.

Scharffenberg: Herr Doktor Utermohl, guten Abend! Es freut mich, Sie zu sehen! Treten Sie nur ein.
Utermohl: Guten Abend.
Scharffenberg: Ich bin ja sehr gespannt, deshalb falle ich gleich mit der Tür ins Haus: Haben Sie meinen Ratschlag befolgt?
Utermohl: Ja.
Scharffenberg: Sehr schön! Und, fühlen Sie sich jetzt etwas besser? Konnten Sie wieder annähernd ein Gleichgewicht zwischen Ihnen selbst und dem Schicksal herstellen?
Utermohl: Nein. Wie könnte ich das auch jemals wieder herstellen, indem ich einem Unschuldigen das Leben nehme? Die einzige Konsequenz meines Handelns war oder ist, dass diesem Unschuldigen jetzt das Licht ausgeblasen ist. Es ist so unglaublich grotesk. Dieser Mann, den ich getötet habe, dieser Pfarrer, ist genauso grundlos gestorben, wie meine Frau, deren Tod mich dazu befähigt hat, so etwas grausames überhaupt tun zu können. Aber wie konnte ich nur so dumm sein und mich so leicht von Ihnen manipulieren lassen, ohne vorher die Konsequenzen zu bedenken? Und warum haben Sie mir überhaupt dazu geraten, diese abscheuliche Tat zu begehen? Steckt da irgendetwas hinter, oder sind Sie genauso dumm?
Scharffenberg: Jetzt beruhigen Sie sich erstmal, Herr Doktor Utermohl. Ich wollte, dass Sie Ihren Zorn an jemandem auslassen. Dies war aus meiner Sicht das einzig Gute, was Sie Ihrer Seele im jetzigen Moment tun konnten. Hinzu kommt die Süße der Vergeltung. Und ich wollte auch, dass Sie sich eben genau jene Groteske bewusst machen, von der Sie eben sprachen, die nunmal ein allgemein gültiges Naturgesetz ist: Dinge passieren nie ohne Grund, aber der Grund rechtfertigt in den seltensten Fällen die Konsequenz. Ja, er hat sogar in den seltensten auch nur die geringste Bedeutung für den von den Konsequenzen Betroffenen. Sehen Sie sich den armen Pfarrer an, den Sie getötet haben: Er hat den Grund für sein Ableben nicht einmal gekannt. Sie standen jetzt auf beiden Seiten, Utermohl. Und ob Sie wollen, oder nicht, ob Sie depressiv, wahnsinnig, paranoid werden, oder nicht, dies beschert Ihnen ein Verständnis für den Ablauf aller Dinge auf unserem Planeten, das außer Ihnen selbst nur noch ganz, ganz wenige haben.
Utermohl: Sie können mir das unglaubliche Leid, das ich durchmache, ja schönreden, wie Sie wollen, aber dank Ihnen unterscheidet mich jetzt nichts mehr vom Mörder meiner Frau. Dafür werden Sie büßen.
Utermohl zieht erneut die Schusswaffe hervor.
Scharffenberg: Nein, Utermohl! Legen Sie die Waffe weg!
Utermohl erschießt Scharffenberg.


2. Akt


7. Szene
Doktor Robert Utermohl und Max Nordau treffen sich in der Taverne inmitten der Innenstadt.

Nordau: Doktor Utermohl, wir sehen uns ja ziemlich oft in letzter Zeit.
Utermohl: Seit dem letzten mal, als wir beide uns gesehen haben, sind 2000 Menschen gestorben.
Nordau: Es ist nicht zu fassen.
Utermohl: Zwei davon habe ich getötet.
Nordau: Was?
Utermohl: Ich habe auf Johan Scharffenbergs Rat einen Pfarrer getötet, der nie einer Menschenseele etwas zu Leide getan hat. Danach habe ich auch Scharffenberg getötet, dafür, dass er mir diesen völlig verrückten Rat erteilt hat. Aber diese entsetzlichen Taten haben mich etwas erkennen lassen: Ich bin immer noch davon überzeugt, dass die Welle des Wahnsinns ihren Ursprung nicht im Rauch der Zigaretten hat. Der Anfang der Welle war ein Placebo. Aber eben nur der Anfang. Der Fortlauf der Welle wird einzig und allein durch die Groteske ihres Anfangs gewährleistet. Alles, was passiert, ist so sinnlos. Menschen sind sinnlos gestorben. Und Sinnlosigkeit ist Benzin im Feuer des Wahnsinns.
Nordau: Warum zur Hölle haben Sie denn einen unschuldigen Pfarrer getötet?
Utermohl: Scharffenberg meinte, das Vergeltung meiner Seele guttun würde.
Nordau: Warum dann ein Pfarrer und nicht der Mörder Ihrer Frau?
Utermohl: Diese Person würde ich nie mehr finden, ich weiß ja nicht einmal, wie sie aussieht. Aber der Mörder hat im Moment des Todes meiner Frau geschrien, dass er Gott wäre. Der Plan war also, über den Mord an einem Mann Gottes Vergeltung zu erlangen.
Nordau: Sind Sie völlig wahnsinnig, Doktor Utermohl? Hören Sie sich überhaupt selbst zu?
Utermohl: Ich weiß, dass der Mord an dem Pfarrer völlig verrückt war. Deshalb habe ich nachgedacht und eine andere Möglichkeit gefunden, die Dinge ins Reine zu bringen.
Nordau: Die da wäre?
Utermohl: Wenn das aktuelle Weltgeschehen nach Gottes Willen verläuft, dann kann man keinen Krieg mit Gott führen, indem man Menschen tötet. Denn viel eher erfreut er sich an ihrem Leid, als das ihm auch nur Leid einer einzigen armen Seele Kummer bereiten würde. Man kann auch Gott selbst nicht töten. Aber es gibt eine Möglichkeit, Gott dennoch zu besiegen. Wir leben doch in einem Universum, das nach bestimmten, unumgänglichen Naturgesetzen funktioniert. Da Gott, unser Schöpfer, ein Wesen ist, das in unserem Universum existiert, kann er sich diesen Gesetzen auch nicht widersetzen. So kann er auch beispielsweise die Eigenschaften der Raumzeit nicht verändern und nicht beeinflussen, wie wir uns in der Raumzeit bewegen. Also will ich eine Zeitmaschine bauen, die sich rückwärts durch die Zeit bewegen kann, um so das Leben meiner Frau zu retten und Gott zu besiegen.
Nordau: Sie machen doch Witze.
Utermohl: Nein.
Nordau: Es ist schon bemerkenswert, wie Ihr Verstand wie mit einem Fingerschnippen von absolut scharfsinnigen Gedankengängen ins vollauf Absurde abdriftet. Ich meine, glauben Sie ernsthaft, dass Gott Ihre Frau getötet hat, anstelle eines Verrückten, der einfach aus einem Gefühl der Macht und Überlegenheit heraus geschrien hat, er wäre Gott? Mal ganz zu schweigen von Ihrem Plan, eine Zeitmaschine zu bauen, der an Absurdität gar nicht mehr zu übertreffen ist.
Utermohl: Wenn der Mörder meiner Frau nicht Gott selbst war, der menschliche Gestalt angenommen hat, dann war er trotzdem in jenem Sinne beteiligt, dass er den Mörder gesteuert hat, oder ihn nicht gehindert hat. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich muss zur technischen Universität.


8. Szene
Ein Mann und eine Frau gehen am selben Abend irgendwo in der Innenstadt spazieren. Von hinten schleicht sich ein Vermummter an und tötet die Frau durch einen Messerstich in den Rücken. Laut schreit er den altbekannten Satz "Ich bin Gott!", während die Frau und mit ihr der Mann auf den Boden sinken. Als der Vermummte flüchten will, packt ihn der Mann am Bein und bringt ihn damit zu Fall.

Mann: Warum hast Du das getan?
Vermummter: Weil ich Gott bin. Weil ich die Dinge kontrollieren muss. Haha.
Mann: Kontrollieren? Das nennst Du kontrollieren? Du hast gerade wahllos meine unschuldige Frau umgebracht, wie kannst Du nur denken, das würde Dir auch nur einen Hauch von Kontrolle über irgendwas verleihen?
Vermummter: Hahaha. Schau Dich doch mal um. Wir befinden uns in einer Stadt voller "gebildeter", "intellektueller" Politiker, Künstler und (am abfälligsten betont:) Ärzte, die bis vor kurzem dachten, sie hätten alles unter Kontrolle. Haha. Aber das haben sie nicht, das hatten sie nie. Ha. Alles war und ist nur eine Illusion. Alles, was sie hatten, hatten sie nur dem Zufall zu verdanken, einer glücklichen Fügung der Umstände. Aber das sehen sie nicht, denn sie sind Idioten, die denken, sie hätten alles unter Kontrolle, dabei haben sie nichts unter Kontrolle. Und ich denke, das habe ich eindrucksvoll bewiesen. Wie? Indem ich eine kleine, heranwachsende Furcht innerhalb der Gesellschaft genutzt habe, um das Chaos, das schon immer geherrscht hat, offensichtlich zu machen. Ich bin der erste Mörder. Ich habe tausende Menschen zu Mördern gemacht, indem ich ihre Liebsten getötet und ihnen damit gezeigt habe, wie viel Kontrolle sie in Wirklichkeit haben, gar keine, und wie sinnlos damit ihre gesamten Existenzen sind. Der wahre Charakter des Wahnsinns besteht aus der Einsicht darüber, wie wahnsinnig es ist, zu denken, die eigene Existenz oder das Leben an sich bestünde aus irgendwas anderem als Chaos und hätte irgendeinen Sinn. Und die einzige wirkliche Form von Kontrolle besteht darin, das Chaos anzuheizen.

Der Vermummte sticht sein Messer in den Arm des Mannes und flüchtet anschließend.


9. Szene
Robert Utermohl trifft sich in der technischen Universität mit einem alten Freund, dem Professor für angewandte Physik Doktor Henrik Boehm.

Boehm: Ich habe von Deinem Verlust gehört. Herzliches Beileid, mein Freund.
Utermohl: Danke.
Boehm: Warum bist Du hier?
Utermohl: Stell mir ein Labor zur Verfügung.
Boehm: Was? Du bist doch kein Physiker.
Utermohl: Oh, ich habe die letzten sieben Nächte statt zu schlafen damit verbracht, jedes Physikbuch zu lesen, das ich mir unter den Nagel reißen konnte. Meine Kenntnisse dürften schon beachtlich sein.
Boehm: Wofür brauchst Du ein Labor?
Utermohl: Ich will eine Zeitmaschine bauen.
Boehm: Was?
Utermohl: Ich führe einen Krieg gegen Gott, der meine Frau ermordet hat, und will seine Pläne durchkreuzen, indem ich in der Zeit zurückreise und meine Frau rette. So werde ich diesen Krieg gewinnen, ohne jemandem Schaden zuzufügen, und gleichzeitig Gottes barbarische Taten ungeschehen machen. Elegant, nicht wahr?
Boehm: Hast Du Deinen Verstand verloren?
Utermohl: Na, ich hoffe nicht. Es ist doch immerhin möglich, eine Zeitmaschine zu bauen.
Boehm: Aber es ist ungefähr das Schwierigste, was ein Mensch je tun könnte.
Utermohl: Das Schwierigste, was ein Mensch je tun kann?
Boehm: Ja.
Utermohl: Wer wird der bedeutendste Mensch sein, der jemals gelebt hat? Der jenige, der die Zeitmaschine erfindet. Es würde doch seinen ganzen Reiz verlieren, wenn es nicht schwierig wäre.
Boehm: Warum glaubst Du, dass Gott deine Frau getötet hat?
Utermohl: Weil er es mir gesagt hat. Entweder hat er im Mörder meiner Frau menschliche Gestalt angenommen, oder er hat diesen Menschen gesteuert.
Boehm: Wie willst Du ihn dann besiegen, wenn er Dich auch einfach steuern, oder töten könnte?
Utermohl: Wenn ein König von einem seiner Diener zum Schwertkampf herausgefordert wird, lässt er diesen Diener dann hinrichten? Nein. Warum nicht? Weil es eines Königs unwürdig wäre. Er muss kämpfen. Ich will jetzt anfangen, zu forschen. Kriege ich jetzt ein verdammtes Labor?
Boehm: Du hast Glück. Durch die Krise, die unsere Stadt gerade durchlebt, sind nahezu alle Labors frei. Also kannst Du ruhig versuchen, Deine Zeitmaschine zu bauen.


10. Szene
Eine Frau geht nachts allein durch eine leere Gasse. Es schleicht sich ein Vermummter an, der ihr mit einem Messer den Rücken durchbohrt und ein weiteres mal den altbekannten Satz "Ich bin Gott!" schreit. Mit ihrem Tod schwindet sein Blutrausch. Er spricht zu der Leiche.

Vermummter: Hast Du auch nur den Hauch einer Ahnung, wie verrückt diese Welt ist, in der wir existieren, Emily? Ich wollte Dir niemals schaden. Ich hätte jeden aus dem Weg geräumt, der versucht hätte, Dir zu schaden. Dennoch bin ich derjenige, der Dich getötet hat. Ha. Warum konntest Du nicht mit mir zusammen sein? Warum hast Du diesen bescheuerten Arzt genommen? Lag es an seinen Leistungen? Lag es an seinem Aussehen? Lag es an seinem Charakter? Nein. Es lag an einer chemischen Reaktion, die in Deinem Gehirn stattgefunden hat, ausgelöst durch von bestimmten Reizen, die deine Sinne in dem Maße, dass sie jene chemische Reaktion hervorrufen konnten, zufällig aufgenommen haben. Selbst wenn es direkt beispielsweise mit seinem Charakter zu tun hätte, dann hätte es immer noch ebenso direkt mit dem Zufall zu tun. Wenn Du Dich wegen seines Charakters in ihn verliebt hättest, dann wäre deine Liebe letzten Endes auch nur einer Sache geschuldet, für die er nichts kann. Niemand kann etwas für irgendwas, allein schon, weil niemand mit Absicht existiert. Kannst Du mir also übel nehmen, dass ich dich getötet habe? Kannst Du mir übel nehmen, dass ich bin, wie ich bin, dass ich nicht so perfekt bin, wie Du? Kann ich etwas dafür, dass die Eigenschaften meines Gehirns so konzipiert sind, dass ich es nicht ertragen konnte, mit Dir zu existieren, ohne mit Dir zusammen zu sein?

In diesem Moment naht ein Polizei-Beamter, der vermutlich einen Kontrollgang durch die Gasse durchführt, so dass der Vermummte aufs Neue gezwungen ist, zu flüchten.


11. Szene
Einsteins Relativitätstheorie besagt, dass sehr hohe Masse und sehr hohe Geschwindigkeit in der Lage sind, die Raumzeit zu krümmen. Wenn ein Objekt also schnell genug beschleunigt wird, dann vergeht für jenes Objekt die Zeit langsamer. Nach diesem Prinzip hat Robert Utermohl über die letzten Monate hinweg eine Zentrifuge gebaut, die Objekte auf eine so hohe Geschwindigkeit beschleunigen soll, dass dabei eine messbare Krümmung der Raumzeit entsteht. Für den ersten Test seiner Maschine hat er Doktor Henrik Boehm eingeladen.

Boehm: Warum hast Du mich hergeholt?
Utermohl: Ich brauche ein größeres Labor. Um genau zu sein, Dein größtes.
Boehm: Warum?
Utermohl: Ich habe jetzt einen funktionierenden Prototypen, der aber viel größer sein muss, um einem Menschen zu erlauben, durch die Zeit zu reisen.
Boehm: Dieses Ding soll eine funktionierende Zeitmaschine darstellen?
Utermohl: Nein, aber sie ist in der Lage, die Raumzeit zu krümmen.
Boehm: Wie?
Utermohl: Es ist eine Zentrifuge, die sich in einem Vakuum befindet und von einer riesigen elektromagnetischen Spule angetrieben wird. Der Tatsache geschuldet, dass es keinen Luftwiderstand gibt, kann ich sie auf 300.000 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Ich habe ein Experiment vorbereitet. Hier sind zwei Uhren. Die eine behalten wir bei uns, die andere stecken wir in die Kapsel der Zentrifuge und lassen diese drei Minuten lang laufen.
Boehm: Es ist absolut unmöglich, dass Deine Maschine auf 300.000 Kilomter pro Stunde kommt.
Utermohl: Sieh zu.
Utermohl bereitet die Maschine vor, steckt die Uhr in die Kapsel, und startet schließlich die Zentrifuge. Nach drei Minuten sind auf der Uhr, die sich in der Kapsel befunden hat, drei Sekunden weniger vergangen, was beweist, dass die erreichte Geschwindigkeit mindestens 300.000 Kilometer pro Stunde betragen hat.
Boehm: Das ist beeindruckend.
Utermohl: Kriege ich jetzt mein Labor?
Boehm: Das ist trotzdem nicht annähernd die Geschwindigkeit, die Du erreichen musst. Außerdem ist es praktisch unmöglich, ein Lebewesen so zu isolieren, dass es bei der Beschleunigung nicht erdrückt wird.
Utermohl: Lass es mich doch versuchen.
Boehm: Das Labor steht leer, mach was Du willst. Aber Du wirst es nicht schaffen, Robert. Du willst etwas tun, was unmöglich ist.
Utermohl: Es ist nicht unmöglich.


3. Akt


12. Szene
Doktor Robert Utermohl hat in seinem neuen Labor eine wesentlich größere Zentrifuge gebaut, die auf viel höhere Geschwindigkeiten beschleunigen kann. Das größte Problem stellt die Isolation der Lebewesen von der Beschleunigung dar. Utermohl hat schon tausende Ratten zu Testzwecken getötet und befindet sich gerade inmitten eines Tests, als Boehm ihn besucht.

Boehm: Robert?
Utermohl: EInen Moment!
Utermohl nimmt hektisch letzte Einstellungen am Zentralcomputer vor, während die Maschine schon längst in Gang ist, öffnet die Tür der Kapsel und sieht die zermatschte Ratte im Inneren. Der Anblick ist entsetzlich.
Utermohl: Nein, nein, nein, nein, nein!! Warum zur Hölle funktioniert es nicht? Es ist, als ob Gott sich über mich lustig machen würde! Vielleicht lässt er mich ja deshalb am Leben, weil er weiß, dass ich es sowieso nicht schaffen werde, dass all meine Anstrengungen sinnlos sind. (Er fährt sich durch die Haare und taumelt wild herum) Ich brauche mehr Ratten!
Boehm: Wozu denn? Damit Du die auch alle zur Hölle schicken kannst?
Utermohl: Wer wird der bedeutendste Mensch sein, der je gelebt hat?
Boehm: Ja, ja. Der, der die Zeitmaschine erfindet.
Utermohl: Ich!
Boehm: Darum geht es Dir also? Du willst unbedingt der bedeutendste Mensch sein, der je gelebt hat?
Utermohl: Ich will unbedingt Gott besiegen. Das wäre nur eine Folge daraus.
Boehm: Was ist mit Deiner Frau? Ich dachte, sie wäre die Motivation. Das war sie bestimmt auch, aber Dein Wirken hat sich in nichts als einen Machtkampf entwickelt. Viel mehr, als Deine Frau zurückzubekommen, willst Du Dir selbst beweisen, dass Du die Macht hast, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, dass Du die Dinge kontrollieren kannst. Du führst keinen Kampf gegen Gott, sondern gegen Deine eigene Unzulänglichkeit, dieser Kampf ist aber sinnlos, weil Du die Form der Kontrolle, die Du beanspruchst, nie besitzen wirst.
Utermohl: Meine gesamte Existenz ist sinnlos. Bis zu dem Moment, an dem ich meine Frau rette. Was ich tue, tue ich also nicht, um meinen eigenen Napoleon-Komplex zu befriedigen, sondern um sie zu retten. Dafür habe ich zwei Menschen und tausende Ratten getötet, dafür habe ich Gott den Krieg erklärt, dafür tue ich alles, was notwendig ist. Und mir ist auch durchaus klar, dass ich schon haufenweise moralische Grenzen überschritten habe. Aber auf der anderen Seite kann man auch nichts großartiges schaffen, ohne Grenzen zu überschreiten.
Boehm: Deine Maschine wird trotzdem nie ihren Zweck erfüllen können, wenn sie auch noch so beeindruckend ist.
Utermohl: Falsch! Es ist theoretisch möglich, also ist es auch möglich, dass ich es schaffe.
Boehm: Aber unwahrscheinlich.
Utermohl: Na und?
Boehm: Warum kannst Du sie nicht loslassen?
Utermohl: Warum sollte man jemals etwas loslassen, von dem man weiß, dass es einen für immer glücklich machen würde, solange die Chance besteht, dass man es schaffen kann? Und jetzt besorg mir meine verdammten Ratten!


13. Szene
Robert Utermohl trifft sich mit Max Nordau in der altbekannten Taverne inmitten der Innenstadt.

Nordau: Doktor Utermohl, wie läuft es mit Ihrer Zeitmaschine?
Utermohl: Es gibt ein Problem, deshalb wollte ich mich mit Ihnen treffen.
Nordau: Wie soll ich Ihnen denn helfen?
Utermohl: Sie haben doch einen guten Draht zu Erich Hopper, der Technologien zur Isolation lebendiger Körper vor hoher Geschwindigkeit entwickelt. Ich muss ihn unbedingt treffen.
Nordau: Hopper ist ein sehr gefragter Mann, der sogar für den Nobelpreis nominiert ist. Aber nächste Woche gibt es eine große Veranstaltung zu seinen Ehren, zu welcher ich eingeladen bin. Ich kann Sie da reinbringen, aber ich kann nicht garantieren, dass Sie ihn auch sprechen können.
Utermohl: Mehr brauche ich gar nicht. Vielen Dank!
Nordau: Ach, Herr Doktor Utermohl? Sie hatten Recht. Die Zigaretten lösen keinen Wahnsinn aus. Aber ist Ihnen schonmal aufgefallen, dass es nur Leute, wie Sie sind, die wahnsinnig werden?
Utermohl: Wie meinen Sie das?
Nordau: Leute, die nicht sehen wollen, wie machtlos sie in Wirklichkeit sind, obwohl man es ihnen bewiesen hat. Sie hätten diesen Kampf nicht anfangen dürfen, denn Sie können ihn nicht gewinnen. Jetzt, da Sie es aber getan haben, passen Sie auf, dass Sie sich nicht selbst zu Fall bringen.
Utermohl verlässt den Raum.
Nordau: Nicht, bevor es spannend wird.


14. Szene
Der Tag der großen Veranstaltung zur Ehrung von Erich Hopper ist gekommen. Hopper selbst befindet sich mitten in einem Gespräch mit namhaften Wissenschaftlern, als Robert Utermohl dieses unterbricht.

Utermohl: Doktor Hopper! Dürfte ich Sie kurz sprechen?
Hopper: Jetzt nicht.
Utermohl: Es ist äußerst wichtig! Ich muss sofort mit Ihnen reden!
Hopper schickt seine Kollegen weg.
Hopper: Was wollen Sie denn?
Utermohl: Ich baue eine Zeitmaschine und brauche Ihre Technologie zur Isolation lebendiger Körper von hoher Beschleunigung.
Hopper: Und jetzt im Ernst.
Utermohl: Das war mein Ernst.
Hopper: Gut. Dann verpissen Sie sich von meiner Feier, Sie Verrückter. Meine Technologie ist dazu nicht in der Lage, weil es absolut unmöglich ist, eine Zeitmaschine zu bauen.
Utermohl geht weg und trifft Nordau auf dem Weg nach draußen.
Nordau: Und? Haben Sie Ihr Gespräch bekommen?
Utermohl: Ja.
Nordau: Was hat er gesagt?
Utermohl: Er hat mich als Verrückten bezeichnet und mich aufgefordert, zu verschwinden.
Nordau: Als würde Gott sich über Sie lustig machen, nicht wahr?
Nordau begleitet Utermohl zur Ausgangstür. Als Utermohl schon draußen ist und kurz bevor Nordau die Tür wieder schließt, sagt er noch die folgenden Worte.
Nordau: Wissen Sie was? Ich habe Ihre Frau auch geliebt.


15. Szene
Es ist mitten in der Nacht und Robert Utermohl platzt in das Büro von Doktor Henrik Boehm, in seiner Hand eine Zeitung, die er mit Wucht auf den Schreibtisch schlägt.

Utermohl: Max Nordau ist der Mörder meiner Frau.
Boehm: Was?
Utermohl: Ich habe vorhin die Todesanzeigen durchgesehen und darin eine alte Bekannte wieder gefunden, die meiner Frau sehr ähnlich sah. Dann habe ich nach Bildern von allen Frauen, die in den Todesanzeigen abgebildet sind, gesucht, und drei weitere gefunden, die meiner Frau sehr ähnlich sahen. Vor ein paar Stunden hat mir Nordau völlig aus dem Nichts gestanden, dass er meine Frau geliebt hat. Er muss sie und die erwähnten Frauen getötet haben!
Boehm: Was? Warum sollte er sie getötet haben, wenn er sie doch liebt?
Utermohl: Weil er nicht ausgehalten hat, dass sie mit mir zusammen war.
Boehm: Und warum sollte er jetzt Frauen töten, die ihr ähnlich sehen?
Utermohl: Er ist süchtig nach dem Schmerz, den er im Moment ihres Todes gefühlt hat, deswegen will er diesen Moment immer wieder reproduzieren. Es ist vielleicht auch der Moment gewesen, in dem er ihr am nächsten war und der einzige Moment in seinem Leben, in dem er selbst die Kontrolle über etwas übernommen hat, das ihn sein restliches Leben kontrolliert hatte, der einzige Moment, in dem er Kontrolle über sie hatte.
Boehm: Nun, ich gebe zu, dass es sehr merkwürdig ist, dass er dir aus dem Nichts heraus seine Liebe zu Deiner Frau gestanden hat, wenn er es denn wirklich getan haben sollte. Aber hast Du auch nur die geringste Ahnung, wie wage und verrückt Deine Behauptung ist?
Utermohl: Ich gebe Dir Brief und Siegel, dass sie wahr ist.
Boehm: Aber wie willst Du es beweisen? Du kannst ihn ja schließlich nicht drauf ansprechen.
Utermohl: Ich bin mir sicher, dass er es mir mit seinem Geständnis verraten wollte, weshalb ich ihn jetzt sowieso nicht mehr kontaktieren kann.
Boehm: Also kannst Du es gar nicht beweisen.
Utermohl: Oh doch! Glaub mir, ich werde es beweisen.


16. Szene
Eine Woche ist vergangen. Doktor Robert Utermohl trifft sich am späten Abend in der altbekannten Taverne mit einer ihm bis vor einigen Tagen unbekannten Frau, die seiner Frau ähnlich sieht.

Utermohl: Bitte verzeihen Sie mir, falls ich etwas unbeholfen wirke. Ich bin leider sehr schlecht darin, bei einem Rendez-vous das Eis zu brechen. Wenn Sie mir allerdings noch einen Versuch gestatten würden, dann gestünde ich Ihnen einfach genau das, was ich gerade denke.
Unbekannte: Und das wäre?
Utermohl: Das wäre, dass Sie unglaublich schön sind. Aber das wäre nicht die ganze Wahrheit, denn die wäre, dass es mir vorkommt, als würden Sie etwas in sich tragen, das Sie vor dem Rest der Welt zu verschließen versuchten, und als wäre ich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der das durchschaut, vielleicht, weil ich das gleiche Geheimnis in mir trage. Die ganze Wahrheit wäre also, dass ich mich Ihnen unglaublich nah fühle.
Unbekannte: Nun, ich darf Ihnen gratulieren, Herr Doktor Utermohl, denn das war kein bisschen unbeholfen, sondern ausgesprochen schön. Aber was für eine Art von Geheimnis meinen Sie?
Utermohl: Würden Sie mich nach draußen begleiten?
Unbekannte: Sehr gern.
Die beiden verlassen die Taverne und begeben sich auf einen Spaziergang durch die Straßen der Innenstadt.
Utermohl: Wenn ich mir die Straßen von Oslo ansehe, dann nehme ich nichts mehr wahr, als Sinnlosigkeit. Es sterben täglich so viele Menschen sinnlos. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, nicht sinnlos zu sterben? Oder zu leben? Ich meine schließt nicht allein die Tatsache, dass wir nicht absichtlich existieren und damit nichts für unseren Charakter, unsere Intelligenz, unser gesamtes Sein können, aus, dass unsere Existenz überhaupt einen Sinn haben kann? Vielleicht liegt der Sinn im Erkennen der Zusammenhänge und der Schönheit im Chaos und...

Von hinten nähert sich ein Vermummter, der die Unbekannte mit einem Messer den Rücken durchbohrt. Utermohl zieht seine Schusswaffe hervor und schießt dem Vermummten in beide Beine, bevor die Unbekannte stirbt.

Utermohl: Ha! Hahahahaha!
Utermohl zieht dem Vermummten die Maske vom Kopf und es ist Nordau.
Utermohl: Du blöder Hurensohn! Hast Du diese Welle des Wahnsinns erst ausgelöst? Warst du der erste Mörder, der all die Menschen aufgrund dieser Sinnlosigkeit wahnsinnig gemacht hat?
Nordau: Ja.
Utermohl beginnt damit, Nordau zu fesseln und zu Fuß zur Universität hinter sich her zu schleifen.
Utermohl: Wie zur Hölle konntest Du das nur tun? Wie zur Hölle konntest Du nur so viele unschuldige Menschen töten?
Nordau: Hahahaha! Wieso fragst Du Dich das nicht selbst? Sieh uns doch nur an, wir sind doch beide genau gleich!
Utermohl: Ich kann verstehen, wenn jemand die ganze Welt in Brand setzen würde, nur um das eine zu retten, was er liebt. Aber ich kann nicht verstehen, wie jemand die ganze Welt in Brand setzen würde, nur um das eine zu töten, was er liebt.
Nordau: Nur das Resultat anderer Umstände. Das einzige, was uns beide unterscheidet, sind die Umstände.
Utermohl: Nein.
Utermohl schleift Nordau in sein Labor und zeigt ihm die Zeitmaschine.
Utermohl: Wenn Du Gott bist, so wie Du behauptet hast, dann möchte ich Dich was fragen. Hätte Gott so etwas bauen können? Wäre Gott dazu in der Lage? Wäre Gott dazu in der Lage, mich zu übertreffen? (zeigt auf die Zeitmaschine)
Nordau: Das spielt doch gar keine Rolle. Sie funktioniert ja nicht.
Utermohl: Ich habe sie etwas umgebaut und das Beschleunigungsproblem von selbst gelöst. Ich brauche nur noch eine Testperson und wer könnte eine bessere Wahl für das erste Wesen in unserem Universum sein, das durch die Zeit reist, als Gott selbst? Ich werde Dich ins Jahr 1.000.000 v. Chr. schicken.
Nordau: Nein! Nein nein nein, tu das nicht! Nein!
Utermohl schubst Nordau in die Kapsel und startet die Zeitmaschine. Diese springt sofort an, produziert abscheuliche Geräusche und stoppt nach einer Minute schließlich wieder. Die Kapsel öffnet sich und Max Nordau befindet sich nicht mehr darin. Robert Utermohl schreibt auf einen Zettel die Worte "Ich habe Gott besiegt.", legt diesen auf seinen Schreibtisch, stellt im Zentralcomputer den Tag ein, an dem seine Frau gestorben ist, allerdings früher am Abend, als er als einziger noch nicht in der Taverne anwesend war, und startet die Maschine.

17. Szene
Robert Utermohl geht am Tag des Todes seiner Frau am frühen Abend in die altbekannte Taverne und trifft dort auf Emily Utermohl, Johan Scharffenberg und Max Nordau.

Nordau: Herr Doktor Utermohl, schön Sie zu sehen!
Emily: Robert, was machst Du schon so früh hier?
Robert: Emily, lass uns bitte gehen, ich habe Dir etwas Wichtiges zu sagen!
Emily: Was denn?
Robert: Komm einfach mit.
Die beiden gehen nach draußen.
Robert: Ich kann Dir nicht sagen, was ich durchgemacht habe, Du würdest mir sowieso nicht glauben. Ich kann Dir nur das Folgende sagen: Durch Dich habe ich erkannt, wer ich bin, und zu was ich fähig bin. Ohne Dich kann ich nicht glücklich sein. Ich liebe Dich über alles. Von ganzem Herzen.

Von hinten nähert sich ein Vermummter, der Emily Utermohl mit einem Messer den Rücken durchbohrt.

Vermummter: Diesen kleinen Moment habe ich Dir gelassen, denn den hast Du Dir verdient. Aber Du kannst mich nicht besiegen, Robert. Ich bin Gott! Hahahahahaha!
Ich bin Gott!

 

Hallo xxxj,

Da ich selber immer an phantastischen Texten interessiert bin, habe ich angefangen, deine Geschichte zu lesen.
Du hast dir viel Mühe gegeben, ein bedrohliches Szenario real (durch Zeitung, Jahreszahl) aufzubauen, dass allerdings wenig glaubwürdig wirkt. Durch Tabakrauch? wahnsinnig gewordenen Mörder toben durch die Stadt. Im Gegensatz dazu stehen die etwas gestelzt wirkenden Dialoge, in denen Philosophie mit der Schöpfkelle verteilt wird. Diese gewollt? recht bekannten Sprüche wirken wie Binsenweisheiten, da sie emotionslos vorgetragen werden, quasi doziert.

Im Kap.3 spricht der Prota ebenfalls völlig emotionslos auf dem Revier über die Ermordung seiner Frau und führt mit dem Beamten einen akademisch wirkenden Dialog.

Als dann noch Gott als Messerstecher auftaucht und die Ermordung eines Priesters als möglich Rache besprochen wird.

In deiner Nacherzählung des bekannten Stoffes fehlt den Protas das Blut, um mich bis zum Ende bei der Geschichte zu behalten, auch weil es wie ein Drehbuch geschrieben ist, aber im wesentlichen nur die Dialoge wiedergibt.

Gruß Werner

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom