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Die Zeit läuft ab.
Die Vorhänge raschelten, bewegt von einer der letzten Sommerböen dieses Jahres. Die mittlerweile schwachen Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg in das Zimmer, aber man konnte ihnen bereits dabei zusehen, wie sie sich langsam nach draußen zurückzogen. Man konnte nur das stetige Tropfen der Infusion hören, sehen wie einer nach dem anderen in das Wasser fiel und einen kleinen Krater verursachte. Der Mann blickte auf, sah auf das EKG, beobachtete eine kleine Linie wie sie auf dem Bildschirm flimmerte.
Es kam ihm vor, als ob sie schwächer wurde, dass mit jedem Tag weniger Abstand zwischen ihren Ausschlägen lag.
Heute war ein guter Tag. Oft kam das nicht mehr vor. Seine Familie hatte ihn heute wieder besucht, er konnte seiner jungen Enkelin in ihr ungezeichnetes Gesicht blicken und hatte sich dabei gefragt was für ein Mensch sie wohl später werden würde. Sein Sohn hatte vor der durchaus schönen Holztür der Privatklinik gestanden, in der er sich befand. Neben ihm stand sein Enkel Leo, er war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten und je älter er wurde, desto mehr sah man seinen Sohn in ihm. Er war glücklich, dass er Leos Reise zu einem erwachsenen Mann miterleben durfte, genauso glücklich wie ihn das Aufziehen seines Sohns gemacht hatte. Fehler hatte er gemacht, nicht wenige, aber der dieser alte Mann wusste, dass er stolz auf seine Leistung sein konnte. Er hätte nur gern noch einmal mit seinem Lichtblick in der Dunkelheit geredet, seiner alten Liebe, der Frau die er vor 40 Jahren so stolz geheiratet hatte. Er verdankte sie dem Zufall, auf einem Urlaub in Paris sah er sie zum ersten Mal, unter dem Eiffelturm, und wie es das Schicksal so wollte, wohnte sie nicht weit entfernt von ihm.
Doch sie war fort, eine schmerzvolle Tatsache, doch er hatte es akzeptiert und er freute sich schon sie bald wiederzusehen.
Die Zeit verging schnell während er noch in Gedanken war. Die Nacht hatte bereits die letzten Sonnenstrahlen verschlungen, draußen war es stockfinster.
Plötzlich erloschen die Lichter der Klinik. Alles war schwarz, nur der Monitor des EKGs erleuchtete noch schwach den Raum.
Er war verwundert, sein Gesicht war erfüllt von Überraschung, ein Gesicht voller Narben und alter Haut, aber auch vielen Sommersprossen und Lachfalten. Er konzentrierte sich auf das Tropfgeräusch der Infusion. Doch dann hörte er nichts mehr. Es war totenstill. Ihm kam es vor als ob die Kälte seinen Leib hinaufkriechen würde, durch die schützende Decke, seine letzte Hülle.
Dann als er zur Tür blickte kam die Erkenntnis.
Er war da. Gevatter Tod stand in der Tür, sofern man das über ihn sagen konnte. Er sah nicht furchterregend aus, Der Tod war einfach nur da, aber er stand nicht, er hatte keine gewöhnlichen Beine. Er schwebte vorwärts und fror mitten in seiner Bewegung ein. Er sah dem alten Mann in die Augen. Gevatter Tod sah sein Leben, er sah seine Missetaten und auch die Momente, die ihn wirklich ausmachten, die guten Taten, dieser Mann tat viele.
Der Körper des Greises war nicht mehr gefährlich, doch in seiner einnehmenden Ausstrahlung konnte man merken was für ein Mann er einmal war. Auch im Anblick von Gevatter Tod blieb er stark, denn er wusste, dass es Zeit war. Langsam beugte der Tod sich über ihn und hüllte ihn ein in ein wohliges Nichts, versteckt unter seinem Anschein und da lebte der alte Mann noch einmal, er sah seine Sohn, seine Enkel und seine Familie, er sah den Bettler, dem er ein Zuhause gab, sein erstes Treffen mit seiner Frau und all die Menschen, die ihm dankbar wahren. Der Todesschlaf sollte etwas schmerzloses sein und weil der alte Mann mehr Gutes tat als Böses, war der Tod barmherzig und zeigte ihm seine schlechten Taten nicht. Einen letzten Augenblick blickte er um sich, dann umschlang ihn Freund Hein und verschwand mit ihm dorthin, wo das danach sein sollte, dort, wo er hoffte, sie wiederzusehen.
In seinem Zimmer hörte man nur mehr das Tropfen einer Infusion, und man sah auf dem schimmernden Bildschirm nur mehr eine Linie, die sich kaum mehr bewegte, bis sie schließlich stoppte und der Ton des EKGs ins Nichts schrillte.