Die Zeit heilt alle Wunden (Vollversion)
Mein Vater kam vorbei. Er besuchte mich recht häufig, ungefähr zwei mal die Woche, meistens am Dienstag und dann noch einmal Donnerstags. Heute, dachte ich mir, heute läßt du dich in die Stadt mitnehmen und zu meiner Freude machten wir zwei einen kleinen Stadtbummel. Überall wimmelte es von Leuten mit diesem zwei-Sekunden-Blick wenn sie an einem vorbeitrotten und oft sah man diesen rituellen Handygriff in die Innentasche de Jackenarmada. An einer kleinen Bude mit Kochwurst, Brötchen und Senf machten wir einen kleinen Halt und ich stellte fest, dass dies einer dieser Tage ist, an dem der Tag ausnahmsweise auf dem Schönen ausrutscht und einem zu Gute kommt. Lange hatte cih nicht mehr das Gefühl, dieser Stadt, diesem riesigen Moloch aus Schwachsinn und Unvernunft anzugehören, doch das Gefühl Dazugehörigkeit zu empfinden war gut und schon lange nicht mehr Gegenstand meines ganz normalen Alltags. Nach einem kleinen Einkauf auf dem Schnäppchenmarkt der Galeria Kaufhof und ein paar nett gemeinten Wortwechseln, da war der Stadtbummel auch schon beendet und ich fragte meinen Vater ob er mich in der Nähe meiner WG absetzt. Es war Freitag, sechs Uhr, ich dachte ich könnte jemanden Daheim antreffen. Tatsächlich war Emanuel da und wir rauchten zusammen ein paar Zigaretten und er zeigte mir ein paar Kuriositäten aus seiner Plattensammlung. Dann fragte er mich wann ich den entlassen werde und ich antwortete "vielleicht Februar". Die Zeit verging langsam und nach einiger Zeit entschied ich mich für die Rückreise ins Krankenhaus. Ich sagte noch er solle schöne Grüße an die Anderen ausrichten und ging. Zehn Minuten später stand ich an der Pappelstraße und wartete auf meine Straßenbahn. Unterwegs begegnete mir eine flackernde Telefonzelle und die nie weggewesene Kälte des Winters, die Dunkelheit unseres Systemapparates. Ich hatte kein Geld mehr in der Tasche, nur ein paar Fahrkarten und das gute Gefühl was ich hatte machte der Angst langsam wieder Platz, so das ich abermals schweißige Handflächen kriegte und dazu Herzrasen. Ganz genau beobachtete ich die Leute und das Geschehen an der Haltestelle. Schleichend spürte ich den Verfolgungswahn und die Angst vor der Angst aufkommen und atmete immer wieder tief ein und tief aus, so wie ich es immer tat. Dann kam die Bahn mit diesem elektrischen Sound der Bremsen angefahren. Ich stand ziemlich weit vorne. Die Türen gingen auf. Zu meiner Überraschung stand eine etwa fünfzigjährige, türkische Frau mit Brille vor mir, die ich irgendwoher kannte. Als ich sie sah, wusste ich sofort „die kennst du!“. Wie sie mich sah, entspannten sich ihre Gesichtsmuskeln und ein Lächeln kam zum Vorschein – genau wie bei mir.
„Ah, Hallo. Wie geht’s Dir ?“, Fragte sie.
„Gut“, erwiderte ich... „und wie geht es Dir ?“
„Ah, gut.“
„Tschüß“, sagte sie dann und ich erwiderte ebenfalls ein „Tschüß“.
Ich suchte mir einen Platz in der Bahn. An der Hose wischte ich mir meinen schweißigen Hände ab. Ich überlegte wer das nun gerade gewesen sei. Es schien eine Ewigkeit zu dauern diese Person in das richtige Licht zu rücken. Doch es viel mir wieder ein und ich musste wieder lächeln... Ich hatte sie auf der Akutstation im Krankenhaus kennen gelernt. Mir viel ein, dass ich sie habe weinen sehen. Jeden Tag machte sie für die ganze Station Tee zu den Mahlzeiten und ich war froh sie wieder gesehen zu haben... ein Moment voller Energie, ein Moment voller Hoffnung, ein Moment den ich noch mal aus der anderen Perspektive erleben wollte und ich genoss die Fahrt zurück in die Psychiatrie.