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Die Zeit danach (Neubearbeitung)

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25.01.2002
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Die Zeit danach (Neubearbeitung)

Eine neuere Version befindet sich weiter hinten in diesem Thread: Direktlink


Die Dämmerung ist eingekehrt. Die Schatten werden zunehmend größer und bald würden auch die letzten Sonnenstrahlen von der Finsternis verschluckt werden.
Kira geht gemächlich die menschenleere Straße entlang. Mit betrübtem Blick sieht sie zu Boden. Der eisige Dezemberwind schlägt ihr beißend entgegen und Schneeregen nieselt herab. Doch das achtzehnjährigen Mädchen stört es nicht, von ihm getroffen zu werden. Nicht mehr.
Aus der Ferne ertönt leise die erste Strophe von "O du fröhliche ...". Es ist wenige Tage vor Heiligabend. Kira kommt es beinahe grotesk vor, die friedvollen Töne des Weihnachtsliedes zu hören. Sie sind nicht angemessen, findet sie. Nicht nach alledem, was in den letzten Jahren geschehen ist.
Ihre glasigen Augen starren ausdruckslos den meist verlassenen und oftmals zerstörten Gebäuden entgegen. Die Erinnerungen schmerzen und die Bilder der Furcht und des Elends gehen ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Damals, als der Krieg vor fünf Jahren begann, war Kira zusammen mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Stefan aus Angst vor Anschlägen von zu Hause geflüchtet. Ihr Vater war zu dieser Zeit schon lange an einem Auslandseinsatz der Bundeswehr tätig.
Er wird noch immer vermisst.
Im Laufe des ersten Kriegsjahres, als sich neben mehreren europäischen Staaten auch die USA an den Auseinandersetzungen beteiligten, geriet die Familie in einen Hinterhalt. Seitdem war Kira auf sich alleine gestellt.

Die Weihnachtsmusik erklingt nur noch gedämpft. Kira hört sie gar nicht mehr richtig, als sie an den kahlen Bäumen am Straßenrand entlang geht. Geistesabwesend und beinahe zögernd nähert sie sich der Kaiserbrücke, die in das ehemalige Neubaugebiet der Stadt führt.

Vier Monate vergingen, in denen das Mädchen niemanden an ihrer Seite hatte.
Dann kam es zu den gefährlichsten und folgenschwersten Anschlägen, die die Bevölkerung je erlebt hat. Kernwaffen waren zum Einsatz gekommen.
Und während in dem vorsätzlichen Akt der Vernichtung Millionen von Menschen das Leben genommen wurde, lernte Kira ein Mädchen kennen, das ein ähnliches Schicksal wie sie selbst durchmachen musste.
"Egal, was geschieht", sagte sie einmal zu ihr, "wir dürfen niemals die Hoffnung aufgeben. Die Hoffnung auf Frieden."
Kira fiel es schwer, Zuversicht zu empfinden.
Als die beiden sechs Monate später über Fieber, Kopfschmerzen und Bauchweh zu klagen hatten, endete ihre gemeinsame Reise in einem behelfsweise eingerichteten Pflegeheim für strahlenkranke Kinder, das sich mit solchen und weiteren aufgetretenen Symptomen wie Magen- / Darmstörungen und inneren Blutungen auseinander setzt. Die Mädchen sind bis heute dort und die Zeit in der Anstalt ist für Kira unerträglich geworden. Es fällt ihr schwer, das Wehklagen und Weinen der anderen, oftmals jüngeren Kinder noch zu ertragen.
Mehrere Monate ist es nun her, seit 2036 nach fünf Jahren Gewaltherrschaft offiziell das Ende der Auseinandersetzungen erklärt wurde. Der Krieg ist vorbei, aber Kira kann nur wenig Erleichterung empfinden, sondern fühlt vielmehr eine tiefe, nie gekannte Leere in sich.

Die Musik ist verklungen. Unbeirrt setzt Kira ihren Weg durch den Schneematsch fort. Sie ist in eine Pfütze getreten, aber sie merkt es nicht. Noch immer wird sie von den gleichmäßig fallenden Tropfen des verseuchten Strahlenregens getroffen.
Die Ärzte schätzen Kiras weitere Lebenserwartung auf drei bis acht Jahre.

Sie weiß nicht, wie viele Millionen Menschen in den letzten Jahren getötet wurden. Die Zahl der Betroffenen musste ein noch nie da gewesenes Ausmaß angenommen haben. Die meisten fielen der atomaren Massenvernichtung zum Opfer.
Bedenkt man die strahlenkranken Menschen, die im Laufe der Jahre durch die Spätfolgen von Leukämie und den weiteren Krebsarten zu Grunde gehen werden, wird sich die Dunkelziffer der Verstorbenen noch vervielfachen.
Es fällt dem Mädchen schwer, zu begreifen, was geschehen ist. Häuser und Bauwerke liegen in Schutt und Asche; Boden, Luft und auch Nahrungsmittel sind für Jahrzehnte durch die ionisierte Strahlung verseucht. Tatsachen, die Entsetzen in Kira auslösen und sie fragt sich, was das Leben jetzt noch für einen Sinn haben soll.

Das leukämiekranke Mädchen trägt eine hellblaue ausgewaschene Jeanshose, eine weiße verschmutzte Bluse und eine dicke Winterjacke. Ihr Kopf ist mit einer Wollmütze bedeckt, die ihr einst ihre Mutter gestrickt hat und die sie seit ihrem Haarausfall, einer Nebenwirkung der Chemotherapie, oft trägt.
Eine Glatze zu haben ist kein Einzelfall, doch Kira erträgt den Gedanken nicht, ihr restliches Leben so herumlaufen zu müssen. Einige Male spielte sie mit dem Gedanken, eine Perücke zu tragen, doch sie verwarf die Idee jedes Mal gleich wieder. Kein künstliches Haar der Welt kann echtes ersetzen. Vielmehr verharmlost es nur die schreckliche Tragödie und bestärkt das Vergessen an die geschehenen Grausamkeiten.

Scheinbar unendlich weit zurückliegende Erinnerungen an die Zeit vor dem Atomkrieg kommen in Kiras Gedanken auf und sie denkt an ihre glückliche Kindheit zurück.
Wie sie mit ihren Eltern und Stefan einen gemeinsamen Fahrradausflug ins Grüne unternahm und die Familie im Wald picknickte, wie sie mit ihren Freundinnen heimlich im Nachbargarten Kirschen klaute oder wie sie und ihre Klasse an heißen Sommertagen eher Schulschluss hatten und ins Freibad gingen.
Sie entsinnt sich an die unternommenen Urlaubsreisen nach Rom oder Kreta, an den Strand und das Meer. Ihre Hobbys wie Schwimmen, Tischtennis spielen und Lesen, mit denen sie viel Zeit verbrachte, fallen ihr wieder ein und ein melancholisches Lächeln gleitet über ihre Lippen.
Kira kann nicht glauben, dass seitdem nur wenige Jahre verstrichen sind. Jahre der Angst, des Terrors und der Trauer. Und die sinnlose und quälende Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet.

Ihr Bruder Stefan starb im Mai 2034; ihre Mutter drei Monate später.
Die Hoffnung, ihren Vater wiederzusehen, hat das Mädchen aufgegeben. Wenn man sich als Soldat inmitten eines brodelnden Krisenherdes befindet, steht die Chance auf Überleben gleich null. In Gedanken sieht Kira seinen Namen bereits auf einem Gedenkstein für die gefallenen Kriegsopfer stehen.

Mittlerweile hat sie die Mitte der hohen Betonbrücke erreicht und starrt in den Horizont. Die Sonne ist bereits gänzlich verschwunden. Abgesehen von den klopfenden Regentropfen herrscht Stille.
Dann klettert das Mädchen mit pochendem Herzen über das massive Brückengeländer. Die sich dort angesammelten Schneeflocken fallen lautlos in die Tiefe. Noch immer laufen die vergangenen Lebenserinnerungen wie ein Film an ihrem geistigen Auge vorbei.
Sie ist nicht schwindelfrei und hastig versucht sie, den gefährlichen Gedanken, nach unten zu sehen und es sich im letzten Moment anders zu überlegen, zu verdrängen.
Doch es gelingt ihr nicht.
Sie schafft es nicht, zu springen.
Mit Tränen in den Augen steigt sie zurück auf den schmalen Gehsteig am Rande der Brücke.
Lange Zeit blickt sie verzweifelt in die unendliche Ferne und fragt sich,
warum sie es nicht über sich gebracht habe.
Scheint tief in ihrem Herzen dennoch ein Funken Hoffnung zu keimen? Hoffnung auf eine
bessere Zukunft?

© by Michael
Februar / September 2002

 

Hallo Michael,

deine sehr eindringliche Geschichte hat bei mir ein ziemlich beklemmendes Gefühl erzeugt, und ich denke, dass genau das dein Ziel war. Also gut gelungen!

Den Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit hast du durch die Kursivsetzung sehr gut deutlich gemacht.

Doch dem achtzehnjährigen Mädchen stört es nicht
"Doch das achtzehnjährige..."

an heißen Tagen eher Schule aus bekamen
Formulierung gefällt mir nicht so gut. Vorschlag: "eher Schulschluss hatten"

Hobbys wie Schwimmen, Tischtennis spielen und lesen
"Lesen"

Also auf jeden Fall :thumbsup:

Viele Grüße

Christian

 

Ist editiert; vielen Dank für deine Anmerkungen.

Wäre schön, wenn noch jemand die Story lesen würde, damit ich mir eine aussagekräftigere Meinung über die inhaltliche Qualität machen kann.

 

Hallo ChiefDragon!

Erstmal danke für deine Kritik.
Die zitierte Stelle habe ich geändert; klang wirklich etwas schmalzig.
Den Namen meiner Protagonistin werde ich jedoch stehen lassen, da der Leser m. E. so mehr Empathie empfinden kann.
Das Ende habe ich bewusst offen gelassen, da ich nicht alles vorgeben, sondern dem Leser die Möglichkeit geben wollte, sich selbst noch ein paar Gedanken über die weitere Zukunft zu machen.
Oder meinst du, es wäre besser, wenn ich die Story noch um einen Absatz erweitern würde, in dem ich den Rest von Kiras kurzen Leben schildern würde?

Viele Grüße,
Michael :)

 

Hallo Michael,

ich würde den Schluss so lassen. Gerade die letzten Sätze bieten ja doch einigen Spielraum, sich selbst Gedanken darüber zu machen. Bei dieser Geschichte muss mE kein "richtiger Schluss" stehen.

Christian

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo nochmal!

Ups, war mein Fehler; peinlich... :rolleyes:
Kira ist natürlich die Protagonistin, Marie die Nebenfigur. Hast also schon Recht gehabt, ich hab' da die ganze Zeit irgendwie falsch gedacht.
Jedenfalls werde ich jetzt das Ende so lassen.
Ob ich Maries Namen streiche, werde ich mir noch überlegen.

Viele Grüße,
Michael :)

Nachtrag:
Hab' den Namen jetzt doch rausgenommen; hoffe, es ist besser so.

 

Hi, freut mich, dass du dich so eingehend mit dem Text befasst. Ich habe die betreffende Stelle erneut geändert und "Freundin" durch "sie" ersetzt.
Zufrieden?

Obwohl die Idee mit dem weiteren Schicksalschlag eigentlich auch nicht schlecht ist ... aber man muss ja nicht gleich mit Negativem übertreiben...

 

Hallo Michael,

ich wollte mal vergleichen. Zur Geschichte möchte in nur soviel sagen: Armageddon, sehr beeindruckend, sehr bedrückend.

Aber was anderes wollte ich wissen, wie man besser schreibt.

Auf Sätze wie: "Schneeflocken fallen lautlos in die Tiefe" komme ich nicht. Sowas macht wohl eine gute Geschichte auch mit aus. Tja, viel besser als meins. Vielleicht muss ich auch mehr lesen, oder üben?

Wollte ich nur mal sagen, okay?

Lukasch

 

Hallo Lukasch!

Erstmal vielen Dank fürs Lesen und für deine lobenden Worte.
Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Aber auch meine Stories sind nicht gerade Meisterwerke und was "Die Zeit danach" anbelangt, ist das immerhin schon die zweite und nachgebesserte Version, die ich hier gepostet haben.

Und es war wirklich eine größere Überarbeitung notwendig, obwohl die damaligen Kritiken gar nicht mal soo schlecht waren.
Für die neue Version habe ich beispielsweise das Ende komplett umgeschrieben, einen inhaltlichen Fehler berichtigt, sie etwas entworren und einige unpersönliche Stellen komplett gestrichen.
Sätze wie

"Schneeflocken fallen lautlos in die Tiefe"
sind dabei erst im Nachhinein entstanden, sodass die Neubearbeitung mittlerweile um ein Drittel länger ist als die erste Version.
Du siehst also, soo toll war sie anfangs gar nicht.
Und die Meinungen der Leser haben mir damals sehr weitergeholfen.

Was deine Geschichte (Sarahs Versteck) anbelangt, finde ich in erster Linie, dass du versuchen solltest, sie noch ein wenig in die Länge zu ziehen, da sich die Geschehnisse m. E. zu schnell hintereinander ereignen. Eine Kurzgeschichte sollte zwar knapp geschrieben sein, aber würden bei deiner Story ein paar mehr Details vorhanden sein, fände ich persönlich die Ereignisse überzeugender und besser vorstellbar.

Doch genauso, wie ich das ein oder andere an deiner Geschichte auszusetzen hatte, haben wieder andere an meinen Geschichten was auszusetzen.
Und es ist ja auch gut, die Schwachsteleln mitgeteilt zu bekommen, denn nur so kann man versuchen, sie besser hinzubekommen.
Und ich denke, dass es dir, solltest du deine Geschichte noch einmal überarbeiten, sicherlich gelingt, sie noch zu steigern.

Was ist in erster Linie für eine gute Kurzgeschichte entscheidend?
Talent? Übung? Viel lesen?
Ich denke, von jedem etwas. Talent spielt wohl eine wichtige Rolle, aber besonders talentiert sind nur die wenigsten Autoren und für alle anderen (mich eingeschlossen) heißt es wohl üben, üben, üben... :)

Viele Grüße,
Michael :)

 

Servus Michael,

so jetzt bin ich auf eine Geschichte von Dir gestoßen. Sehr bedrückend und leider realistisch!

Vorab mal zwei Dinge sind mir beim Lesen aufgefallen:

Sie entsinnt sich an die unternommenen Urlaubsreisen nach beispielsweise Rom oder Kreta, an den Strand und dem Meer.

das Meer. Das beispielsweise würde ich auch weglassen.

Lange Zeit blickt sie verzweifelt in die unendliche Ferne und fragt sich, warum sie es nicht über sich gebracht hat.

Ich denke, hier gehört der Konjunktiv gesetzt, da es sich um ein Verb des Denkens, Sagens etc. handelt. über sich gebracht habe.

Deine Schlußbemerkung bez. Talent und so, ich denke, das hast Du sicher, da hab ich schon Schlechteres in Buchform gelesen. Vermutlich hast Du das unter dem Motto "Bescheidenheit ist eine Zier." geschrieben, was Dich ja ehrt. Aber das Sprichwort geht ja weiter "doch weiter kommt man ohne ihr." hehehe Wenn ich daran denke, was sich da heutzutage so aufplustert...

Stilistisch war interessant das Abwechseln von Präsens, Perfekt und Imperfekt. Ich trau mich das nie, bin eher konsequent, was das anbelangt.

Wenn eine Geschichte in mir etwas bewegt, dann betrachte ich sie als gelungen, das ist hier der Fall.:thumbsup:

liebe grüße aus Wien

Echnaton

 

Servus Echnaton!

Erst mal vielen Dank fürs Lesen und Beitragschreiben.
Die beiden Fehler habe ich editiert.
Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat und dass sie etwas in dir bewegt hat. Ich denke, dann hat sie ihr Ziel erreicht.
Ob ich Talent fürs Schreiben habe, weiß ich nicht, aber wenn du das sagst, freue ich mich natürlich darüber.

Viele Grüße,
Michael :)

 

Lieber Michael!

Eine recht gut geschriebene Geschichte, die das Grauen und die Sinnlosigkeit des Krieges und insbesondere eines Atomkrieges aufzeigt - das tut sie wirklich gut. Gleichzeitig soll sie aber auch aufzeigen, daß es aus jeder Situation noch ein bisschen Hoffnung zu schöpfen gibt.
Letzteres kommt jedoch für meine Begriffe eindeutig zu kurz. Ab "und hastig versucht sie, den gefährlichen Gedanken..." würde ich mir noch eine weitere Ausarbeitung wünschen. Es geht am Schluß alles zu schnell, ist nur zusammenfassend beschrieben. Ich möchte gern die Gedanken lesen, die sie davon abhalten, zu springen. ;)

Ein paar Anmerkungen:

"Aber Kira kommt es beinahe grotesk vor,..."
- Die Feststellung ohne "Aber" fände ich da besser.

"schon lange in einem Auslandseinsatz der Bundeswehr tätig"
- wäre nicht besser "für einen Auslandeinsatz" oder noch besser "an einem Auslandeinsatz ... beteiligt"?

"Dann kam es zu den gefährlichsten und folgenschwersten Anschlägen, die die Bevölkerung zutiefst schockierten."
- "schockierten" gefällt mir hier nicht. Es klingt so banal, klingt nicht nach dem, was tatsächlich geschehen ist, was Du ausdrücken willst.

"die sie seit ihrem Haarausfall, eine Nebenwirkung der Chemotherapie"
- ich denke, es müßte heißen "einer Nebenwirkung"

"heimlich im Nachbarsgarten Kirschen klaute"
- im Nachbargarten (ohne s)

"sieht Kira seinen Namen bereits auf einen Gedenkstein ... stehen" - auf einem Gedenkstein

Alles liebe
Susi

 

Hallo Susi!

Vielen Dank für deine nette Kritik.

Erst mal freut es mich, dass dir die Geschichte gefallen hat und du auch die Idee mit der "Hoffnung schöpfen" gut findest. In der ursprünglichen Version (mittlerweile im Archiv gelandet) geht sie nämlich nicht so "gut" aus. Ich sehe das Ende also schon mal als eine gewisse Verbesserung.
Dennoch wünscht du dir eine weitere Ausarbeitung, und jetzt im nachhinein, wenn ich über den Schluss nachdenke, muss ich dir zustimmen.

Ich werde mich also in den nächsten Tagen erneut intensiver mit dem Text befassen und einige Erweiterungen einbauen; vor allem natürlich am Ende.
Die neue Version werde ich zum Vergleich im Anschluss an die eingegangenen Kritiken posten.
Wäre lieb, wenn du dir diese dann noch einmal genauer anschauen könntest.

Deine Anmerkungen habe ich berichtigt, dankeschön. An einer Stelle bin ich mir noch unsicher:

"Dann kam es zu den gefährlichsten und folgenschwersten Anschlägen, die die Bevölkerung zutiefst schockierten." - "schockierten" gefällt mir hier nicht. Es klingt so banal, klingt nicht nach dem, was tatsächlich geschehen ist, was Du ausdrücken willst
Wäre "... die die Bevölkerung zutiefst getroffen haben" besser?

Viele Grüße,
Michael :)

 

Hi Chief!

Danke für den Vorschlag; gefällt mir gut. Ist editiert.

Grüße - Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Zeit danach (Zweite Neubearbeitung)

Gemächlich geht Kira die menschenleere Straße der Vorstadt entlang. Die Dämmerung ist bereits eingekehrt und die Schatten werden zunehmend größer. Bald würden auch die letzten Sonnenstrahlen von der Finsternis verschluckt werden. Der beißende Dezemberwind schlägt dem Mädchen entgegen. Schneeregen nieselt herab, aber Kira stört es nicht, von ihm getroffen zu werden. Nicht mehr.
Mit betrübtem Blick starrt sie zu Boden. Ihre Fußstapfen zeichnen sich auf der weißen Schneeschicht ab, doch sie achtet nicht auf die Spuren. Leise nimmt sie aus der Ferne die friedvollen Töne von „O du fröhliche ...“ wahr. Nach alledem, was in den letzten Jahren geschehen ist, erscheinen sie ihr unangemessen und grotesk. Die Erinnerungen kommen zurück und mit glasigen Augen blickt sie zu den meist verlassenen und oftmals zerstörten Gebäuden. Die Bilder der Furcht und des Elends gehen ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Fünf Jahre ist es her, seit der Krieg begonnen hatte. Fünf Jahre Flucht, Angst und Terror. Und lange Zeit war Kira auf sich alleine gestellt, seit sie mit ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Stefan in einen Hinterhalt geraten war und sie ihre Familie aus den Augen verloren hatte.
Ihr Vater nahm zu dieser Zeit schon lange an einem Auslandseinsatz der Bundeswehr teil.
Er wird weiterhin vermisst.

Immer mehr Häuser bleiben hinter ihr zurück. Die Weihnachtsmusik erklingt nur noch gedämpft. Kira hört sie gar nicht mehr richtig, als sie an den kahlen Bäumen am Straßenrand entlang geht. Geistesabwesend nähert sie sich beinahe zögernd der Kaiserbrücke.

Vier Monate vergingen, in denen das Mädchen niemanden an ihrer Seite hatte. Eine schreckliche Zeit für Kira. Eine Zeit der schlimmsten und folgenschwersten Anschläge, die die Bevölkerung je erlebt hatte. Eine Zeit, in der Kernwaffen zum Einsatz kamen. Und während in dem vorsätzlichen Akt der Vernichtung Millionen von Menschen das Leben genommen wurde, lernte Kira ein Mädchen kennen, das ein ähnliches Schicksal wie sie selbst durchmachen musste.
"Egal, was geschieht", sagte ihre Freundin Marie einmal zu ihr, "wir dürfen niemals die Hoffnung aufgeben. Die Hoffnung auf Frieden."
Kira fiel es schwer, Zuversicht zu empfinden.

Ein schrilles Reifenquietschen reißt Kira aus ihre Gedanken, als ein Auto auf der spiegelglatten Straße ins Schlingern gerät. Der Fahrer würdigt sie kaum eines Blickes. Hastig setzt er seine Fahrt fort und der Wagen verschwindet in der Ferne.

Als die beiden sechs Monate später über Fieber, Kopfschmerzen und Bauchweh zu klagen hatten, endete ihre gemeinsame Reise in einem behelfsweise eingerichteten Pflegeheim für strahlenkranke Kinder, das sich mit solchen und weiteren aufgetretenen Symptomen wie Magen- und Darmstörungen oder inneren Blutungen auseinander setzt. Die Mädchen sind bis heute dort und die Zeit in der Anstalt ist für Kira unerträglich geworden. Es fällt ihr schwer, das Wehklagen und Weinen der anderen, oftmals jüngeren Kinder noch zu ertragen.

Die Musik ist verklungen. Unbeirrt setzt Kira ihren Weg durch den Schneematsch fort. Sie ist in eine Pfütze getreten, aber sie merkt es nicht. Noch immer wird sie von den gleichmäßig fallenden Tropfen des verseuchten Strahlenregens getroffen.
Die Ärzte schätzen Kiras weitere Lebenserwartung auf drei bis acht Jahre.

Mehrere Monate ist es nun her, seit 2036 nach fünf Jahren Gewaltherrschaft offiziell das Ende der Auseinandersetzungen erklärt wurde. Der Krieg ist vorbei, aber Kira kann nur wenig Erleichterung empfinden. Lange Zeit fühlte sie eine tiefe, nie gekannte Leere in sich. Jetzt, als sie das volle Ausmaß der Katastrophe erkennt, fühlt sie nur noch Trauer und Entsetzen. Die Zahl der Betroffenen musste ein noch nie da gewesenes Ausmaß angenommen haben. Die meisten fielen der atomaren Massenvernichtung zum Opfer. Bedenkt man die strahlenkranken Menschen, die im Laufe der Jahre durch die Spätfolgen von Leukämie und den weiteren Krebsarten zu Grunde gehen werden, wird sich die Dunkelziffer der Verstorbenen noch vervielfachen.
Häuser und Bauwerke liegen in Schutt und Asche; Boden, Luft und auch Nahrungsmittel sind für Jahrzehnte durch die ionisierte Strahlung verseucht.
Und die sinnlose Frage nach dem „Warum“ bleibt unbeantwortet.

Das leukämiekranke Mädchen trägt eine hellblaue ausgewaschene Jeanshose, eine weiße verschmutzte Bluse und eine dicke Winterjacke. Ihr Kopf ist mit einer Wollmütze bedeckt, die ihr einst ihre Mutter gestrickt hatte und die sie seit ihrem Haarausfall, einer Nebenwirkung der Chemotherapie, oft trägt.
Eine Glatze zu haben ist kein Einzelfall, doch Kira erträgt den Gedanken nicht, ihr restliches Leben so herumlaufen zu müssen. Einige Male spielte sie mit dem Gedanken, eine Perücke zu tragen, doch sie verwarf die Idee jedes Mal gleich wieder. Kein künstliches Haar der Welt kann echtes ersetzen. Vielmehr verharmlost es nur die schreckliche Tragödie und bestärkt das Vergessen an die geschehenen Grausamkeiten.

Scheinbar unendlich weit zurückliegende Erinnerungen an die Zeit vor dem Atomkrieg kommen in Kiras Gedanken auf und sie denkt an ihre glückliche Kindheit zurück.
Wie sie mit ihren Eltern und Stefan gemeinsame Fahrradausflüge ins Grüne unternahm und die Familie im Wald picknickte; wie sie mit ihren Freundinnen heimlich im Nachbargarten Kirschen klaute oder wie sie und ihre Klasse an heißen Sommertagen eher Schulschluss hatten und ins Freibad gingen. Sie entsinnt sich an die unternommenen Urlaubsreisen nach Rom oder Kreta, an den Strand und das Meer. Ihre Hobbys wie Schwimmen, Tischtennis spielen und Lesen, mit denen sie viel Zeit verbrachte, kommen ihr ins Gedächtnis und ein melancholisches Lächeln gleitet über ihre Lippen.

Mittlerweile hat sie die Mitte der hohen Betonbrücke erreicht und starrt in den Horizont. Die Sonne ist bereits gänzlich verschwunden. Abgesehen von den klopfenden Regentropfen herrscht Stille.

Ihr Bruder Stefan starb im Mai 2034; ihre Mutter drei Monate später. Die Hoffnung, ihren Vater wiederzusehen, hat das Mädchen aufgegeben. Wenn man sich als Soldat inmitten eines brodelnden Krisenherdes befindet, steht die Chance auf Überleben gleich null. In Gedanken sieht Kira seinen Namen bereits auf einem Gedenkstein für die gefallenen Kriegsopfer stehen.

Dann klettert das Mädchen mit pochendem Herzen über das massive Brückengeländer. Die sich dort angesammelten Schneeflocken fallen lautlos in die Tiefe. Noch immer laufen die vergangenen Lebenserinnerungen wie ein Film an ihrem geistigen Auge vorbei. Sie ist nicht schwindelfrei und hastig versucht sie, den gefährlichen Gedanken, nach unten zu sehen und es sich im letzten Moment anders zu überlegen, zu verdrängen. Doch sie schafft es nicht.
Was, wenn ihr Vater doch noch am Leben ist? Was, wenn er sich gerade auf den Weg zu seiner Tochter begibt?
War ihr Leben wirklich verwirkt? Die Bemühungen der Pflegeschwestern und Ärzte im Heim, die permanent für sie da sind, umsonst? Und die ganze Behandlung gegen ihre Erkrankungen vergeblich?
Wie würde es Marie ergehen, wenn sie ihre beste Freundin im Stich lassen würde?
Mit Tränen in den Augen steigt sie zurück auf den schmalen Gehsteig am Rande der Brücke. Lange Zeit blickt sie verzweifelt in die unendliche Ferne und fragt sich, warum sie es nicht über sich gebracht hatte. Scheint tief in ihrem Herzen dennoch ein Funken Hoffnung zu keimen? Hoffnung auf eine bessere Zukunft?
Schließlich begibt Kira sich auf den Rückweg zum Heim.
Vollkommene Finsternis belagert mittlerweile das Firmament des Himmels. Nur vereinzelt beleuchten trübe Straßenlaternen den Weg. Doch sie leuchten. Sie leuchten wie ein Hoffnungsschimmer.
Modo liceat vivere, est spes. Wenn man nur leben darf, gibt es Hoffnung.

Copyright by Michael / Februar bis November 2002

 

Hier also die erneut gründlich überarbeitete Version mit dem Schwerpunkt, am Ende mehr Hoffnung durchschimmern zu lassen.

Viele Stellen sind umgeschrieben und erweitert, der Schluss ergänzt. Kiras Gedanken sind eingefügt, ihre Zukunft bleibt, wie Christian vorgeschlagen hat, weiterhin ungewiss. Die beklemmende Endzeitstimmung habe ich versucht, noch ein wenig zu verstärken. Möglich, dass wieder ein paar Fehler drin sind.

@ Susi:
Ich denke, das Ende wird dir nun besser gefallen.
Kommt jetzt genug Hoffnung rüber?

@ Chief:
Die Marie ist wieder drin, da jetzt am Schluss doch noch kurz was über sie kommt.
Weiterhin zufrieden?

Danke für eure Mithilfe!
Hoffe, ich überstrapaziere niemandem.

Liebe Grüße,
Michael :)

 

Hi Chief!

Erst mal danke, dass du die Story ein weiteres Mal gelesen hast.

Marie ist jetzt kein Problem, weil ja am Ende nochmal auf sie verwiesen wird.

Atmosphäre und Charakterisierung ist nach wie vor OK. Endzeit pur. :D

Freut mich. :)
Die Abgrenzung der kursiven Blöcke von den anderen, ist zumindest mE nicht immer ganz klar.
Kursiv steht für Vergangenheit, oder?
Kursive Stellen sind Gedanken von Kira und / oder stellen Rückblicke dar.
Ob ich die Formatierungen rausnehme, überlege ich mir noch.

Hoffnung kommt höchstens in der Form auf, daß sie ihren Vater wiederfinden könnte
Hmm... immerhin schon mal ein Anfang.

Einen zweiten Teil habe ich bis jetzt noch nicht geplant (bin ja noch immer an der Überarbeitung des ersten beschäftigt :D). Mal sehen.

Zitat:
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Hinterhalt geraten war und sie ihre Familie aus den Augen verlor.
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verloren hatte (bin mir nicht sicher)
Ich auch nicht, hab's aber mal geändert.
Die verschiedenen Zeitstufen haben mich eh vor größeren Problemen gestellt. Weiß nicht, ob ich die noch hundertprozentig richtig stellen kann.

Zitat:
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schon lange an einem Auslandseinsatz
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in einen Auslands... (besser wäre "nahm teil", "beteiligte sich")
Hmm, ursprünglich stand da "in einem Auslands...", bevor Häferl "an einem" vorschlug. :confused:
Hab's jetzt wie folgt geändert; hoffe, es passt nun:
Ihr Vater nahm zu dieser Zeit schon lange an einem Auslandseinsatz der Bundeswehr teil.

Zitat:
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nicht über sich gebracht habe
--------------------------------------------------------------------------------
hatte
Echnaton war der Meinung, hier müsste der Konjunktiv stehen. Davor stand da "hat". Da er sich aber nicht sicher war (und sich die Stelle für mich auch ein wenig ungewöhnlich las), hab' ich sie jetzt erneut berichtigt, diesmal in "hatte".
Irgendwann wirds schon passen. :D

Danke noch mal!

Grüße - Michael :)

 

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