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Die zehn Nachtgeister

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22.07.2003
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Die zehn Nachtgeister

Anm. des Verfassers: Möglicherweise mag man es mir negativ auslegen, aber ich halte nichts von objektiven und sachlichen Berichten. Dadurch geht jegliche Lebendigkeit und Atmosphäre verloren. Ich sehe es nicht ein, mit einen interessanten Bericht durch unwichtige Fakten, Details und sprachliche Affektiertheit verhunzen zu lassen. Ich habe nun mal eine Affinität für Dramatisches und vielleicht neige ich auch etwas zu Übertreibungen, aber letztendlich, sehr verehrte Leserschaft, kommt das doch Ihnen zu Gute.

Der Regen prasselte in wirbelnden Wogen gegen die Fensterscheibe des Autos und verwandelte die Welt draußen in ein Meer aus tobendem Wasser, das in heranwachsender Wucht niederging.
Hinter dem wässernen Vorhang lugte schwach erkennbar die Umgebung hervor, die zu verschwimmenden Konturen und Schemen verkümmerte, nachdem der Regen so gewaltig losgebrochen war.
Ich saß auf der Rückbank und starrte aus dem Fenster. Der Fahrer verzog trotz der undurchdringlichen Wasserwand keine Mine, sondern lenkte das Fahrzeug mit ruhiger Hand über den besseren Feldweg, der jede Sekunde im Gewirr des Sturmes zu verschwinden drohte.
Ich staunte ob seiner Kühnheit, denn die Dunkelheit zog ebenfalls schon auf und die Scheinwerfer hatten reichlich Mühe gegen den Regen anzukämpfen, sodass sie keine zwei Meter weit leuchteten und dann klanglos ertranken.
Doch dann kristallisierte sich unweit rechterhand von uns etwas aus dem Chaos des Unwetters heraus.
Ein gewaltiges Anwesen hob sich verschleiert, aber unverkennbar aus der Umgebung hervor. Der Regen hatte zwar eine beängstigende Intensität erreicht, doch selbst diese brachiale Naturgewalt schien den steinernen, gigantisch wirkenden Mauern nichts anhaben zu können.
Der Chauffeur lenkte den Wagen eine schmale, vom Regen aufgewühlte und matschige Einfahrt entlang, welche über einen Kilometer Länge messen musste. Ein eisernes Eingangstor wurde elektrisch aufgefahren und gab den erschreckenden Anblick auf dieses Monstrum von einem Anwesen preis. Nicht das es besonders verziert oder mit außergewöhnlicher Eleganz versehen worden wäre, aber das Gesamtbild dieses Steinungetüms war von einer drohenden und fast diabolischen Extravaganz, die selbst meinem Fahrer sichtlich unbehaglich erschien.
Als ich ausstieg, schien sich die Surrealität dieses wirklich beeindruckenden Hauses nicht aufzulösen, sondern im Gegenteil noch zu verstärken. In den eisernen Wogen des Windes, umpeitscht von bleiernen, schwirrenden Regenschauern und in das kalte, schwache Licht der Scheinwerfer getaucht, machte es umso weniger den Eindruck eines wahrhaftig vor mir stehenden Hauses. Die abnormen Proportionen der beiden Säulen, die die Eingangstür flankierten, waren beispielhaft für die Befremdlichkeit sämtlicher Größenverhältnisse, die einem Schauer über den Rücken laufen lassen. Doch irgendwie gefiel es mir.
Ich schritt zur Tür und klopfte an. Ein unerwartet freundlicher Diener öffnete mir und bat mich sogleich, ohne nach meinem Anliegen zu fragen, einzutreten. Ich schob dies auf die Seltenheit der Besuche, die hier verzeichnet werden, da ich mir kaum vorstellen kann, dass viele Gäste hierher geladen werden.
Das Foyer schloss sich der Übergröße des restlichen Hauses an, was zwar nicht unerwartet, aber trotz allem überaus beeindruckend war.
Ohne große Umwege geleitete mich der Diener in eine Bibliothek, die – ich bräuchte es fast nicht zu erwähnen – gigantische Ausmaße besaß und schätzungsweise mehr als zehntausend Bücher beinhaltete.
Mein Auftraggeber saß zurückgelehnt in einem roten Samtsessel an einem Kaminfeuer und bat mich Platz zu nehmen. Er war ein älterer, dennoch nicht ausgelaugt aussehender, gut gekleideter Mann mit äußerst scharfen Zügen und leicht schattierten, grauen Haaren sowie einem sauber geschnittenem Bart.
Mit freundlichen Worten dankte er mir für mein Kommen, aber die Aufgesetztheit seiner Rede war augenscheinlich. Die nackte Angst blickte mir aus seinen Augen entgegen und die Furcht sprach mit seiner Zunge, als er mich begrüßte. Seine Hand zitterte unruhig und seine Augen wanderten nervös hin und her, als suchten sie nach etwas.
Ich schaute ihm tief in die Augen. Denn die Dunkelheit saß hinter ihnen, hatte sich dort eingenistet . Er setzte sich auf und ließ die Rolle fallen, welche zu spielen er versucht hatte, um die Angst zu verbergen, die sein schauerndes Antlitz maskierte.
Nun sprach er in wahren Worten zu mir. Dies waren sie:

Die Furcht ist eingekehrt in diesem Hause. Sie zehrt nach mir, lauert in jeder Ecke und glauben sie mir, ich schlafe in keiner Nacht länger als zehn Minuten. Sie müssen mir helfen so wahr es noch Hilfe geben kann. Ich kann ihnen nicht sagen, welch sündiges Verbrechen man begangen haben muss, um derartige Qualen ertragen zu müssen, aber ich bin mir keine Schuld bewusst.
Zehn Plagen. Zehn Geister. Es sind zehn Geister, die mich verdammen, verfluchen und verfolgen. Sie sind eingefahren in dieses Haus und bringen Elend, Hass und Wahnsinn über mich.
Sieben Geister haben ihre blutige Handschrift schon auf der Gästeliste hinterlassen und ich weiß, die letzten drei werde ich nicht überleben.
Sie werden mir nicht glauben, aber es ist die absolute Wahrheit. Vielleicht bin ich etwas direkt, sofort damit rauszuplatzen, aber es ist besser, sie erfahren es gleich.

Seine Stimme zitterte und er sprach in wirrer, unzusammenhängender Weise, die seine Worte sehr schwer verständlich machte. Er sah sich hektisch um, als fürchtete er, jemand anders könnte uns zuhören, dann blickte er wieder mich an.

Ich werde ihnen alles in den Einzelheiten berichten, auch wenn es mir nicht leichtfallen wird. Beginnen wir von ganz von vorne.
Die erste..., er zögerte, ich weiß nicht wie lang es her ist, vielleicht ein, zwei Monate, ich wusste nicht dass es der erste Geist war, sie müssen wissen, sie sind Nachtgeister, sie schlagen nur nachts zu... nun ja, es war Feuer.
Er schien sich sichtlich ein wenig zu beruhigen und fuhr mit klarerer Stimme fort.
Das Anwesen ist in drei Teile gegliedert. Der Teil, in dem wir uns jetzt befinden, ist der linke, also Teil A. Der uns gegenüberliegende Teil wird mit C bezeichnet und das Mittelstück mit B. Wissen sie, das erleichtert die Orientierung. Zumindest hatte es das, als noch mehr Menschen im Haus lebten. Viele sind inszwischen gegangen ... oder tot.
Es war mitten in der Nacht, sie müssen wissen, sie schlagen nur nachts zu, es sind Nachtgeister, wurde ich durch wildes Geschrei geweckt, das durch das ganze Haus schallte und tobte, als würde das Haus selbst vor Qualen stöhnen. Die Luft roch leicht verbrannt und als ich die Eingangshallte erreichte trieb mir der Ruß Tränen in die Augen.
Die jetzige Belegschaft ist auf einen einzigen Diener geschrumpft, zu der Zeit waren es noch über fünfundzwanzig. Etwa die Hälfte war in Nachtquartieren unter gebracht, die sich im Block C befanden. Ich benutze wohl überlegt den Ausdruck befanden, denn in der damaligen Nacht hat das Feuer nahezu die Hälfte des gesamten Blocks verschlungen. In dieser einzigen Nacht, sie war bitterkalt, ich erinnere mich noch genau, starben zwölf Menschen in den Flammen.
Die Polizei konnte auch nach einer eingehenden Untersuchung keine hieb- und stichfeste Ursache feststellen, doch zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon selbst Nachforschungen anstellen lassen und ein erschreckendes, grausames Ergebnis erhalten.
Ein Mann aus einem der Nachbardörfer, sein Name ist mir entfallen, sprach von einem Feuergeist, der erste der Plagen der zehn Nachtgeister. Ich habe mich erkundigt, sie müssen wissen, meine Bibliothek ist enorm umfangreich und ich bin auch tatsächlich auf diese Nachtgeister gestoßen. In den hintersten Seiten eines verstaubten, vergilbten Buches fand ich ihren Namen in Ehrfurcht und Angst erwähnt. Es sind Rachegeister, die nur Menschen von ausgesuchter Bösartigkeit und Sündhaftigkeit aufsuchen und sie bis zum Tode foltern. Ich glaubte natürlich kein Wort davon.
Mit jedem Werk eines Geistes steigert sich das Ausmaß der Zerstörung und gipfelt schließlich im letzten zehnten Geist, der den Tod bringt. Und sieben haben ihr blutiges Werk bereits vollbracht. Glauben sie mir, ich war anfangs mehr als skeptisch, habe kein Wort der Legende geglaubt und voller Spott die Ängste meine Mitarbeiter belächelt. Doch ich habe mich geirrt. Die Nachtgeister sind so real wie sie und ich.
Jeder von ihnen besitzt die Macht über ein Element oder eine andere Ausdrucksform des Terrors, die sie als Werkzeug des Schreckens missbrauchen.
Der zweite Nachtgeist ließ sein übles Werk bereits zwei Wochen später folgen. Es war November und eisig kalt. In den Wälder hier draußen abseits der Städte kann es bereits um diese Jahreszeit sehr kalt werden und ich hatte meinen Dienern aufgetragen, die Einfahrt mit Salz zu bestreuen, da ich mit baldigem Schnee rechnete.
Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch nicht an die Existenz dieser Wesen, alles hörte sich so absurd und lächerlich an. Doch irgendetwas in mir zweifelte, ich war mir nicht mehr sicher, dass dies nur Hirngespinste seien. Vor allem in der Dunkelheit wuchs die Angst und sie sie wuchs schnell. Ich fing an zu begreifen, dass es kein Spiel oder Aberglaube war, sondern harte, unveränderliche Realität. Zunehmd wurde ich unruhiger und auch leicht hysterisch.
Die Nächte, welche auf den Brand folgten, trieben mich schier zur Verzweiflung. Die Ungewissheit und permanente Bedrohung eines erneuten Unglücks ließen mich nachts unruhig wach liegen, die Augen zitternd in die Dunkelheit gerichtet und dort Schatten zu Trugbildern heraufbeschwören, die mir grinsend entgegenschauten. Ich ließ Wache stehen vor meinem Schlafgemach und an allen Ein- und Ausgängen. Hartnäckig orderte ich an, sollten mindestens zehn Leute zu jeder Tages- und Nachtzeit wachen und Patrouille laufen.
Aber trotz der offensichtlichen Fülle an Menschen im Haus, schlich die Einsamkeit auf weichen Pfoten durch die Gänge, lag eine innere Kälte wie Blei in meinem Magen und befiel mich bei Einbruch der Nacht eine ungute Vorahnung.
Donnerstags hatte sich Besuch angekündigt, ein ehemaliger Klassenkamerad verkehrte beruflich in einer Stadt, die keine fünfzig Kilometer südöstlich liegt, und wollte eine Nacht hier verbringen.
Der Regen trommelte damals fast so stark wie heute auf die Dächer des Anwesens, als verbünde er sich mit den Schrecken der Nacht, ja als ginge er nur so stark nieder, um die geheimen Pläne zu vertuschen, welche rund herum um das Haus in der Dunkelheit geschmiedet wurden.
Mein Freund kam erst kurz nach Sonnenuntergang an und die pechschwarzen Regentropfen, die aus Finsternis zu bestehen schienen drangen mittlerweile mit einer derartig immensen Energie und Kraft herab, dass, so erzählte er mir, er nur mit Mühe und Not heil durch die Nacht gekommen war.
Wir hatten uns lange nicht gesehen und dementsprechend viel zu berichten.
Der Regen klopfte wild gegen die Fensterscheiben, wie um um Einlass zu erbitten und der Wind blies in unablässige Bemühen um die Ecken des Hauses, doch das wahre Ausmaß dieses Sturmes wurde uns erst gewahr als in etwa gegen vier Uhr früh dieser ohrenbetäubende Krach uns von den Stühlen riss.
In der Freude des Wiedersehens mit einem alten Freund war diese ständige, schleichende Furcht vor neuen Unglücken in den Hintergrund getreten, ja ich hatte sie fast vergessen.
Jetzt schoss sie zusammen mit dem Adrenalin durch meine Adern und schürte erneut dieses Feuer der Angst, welches mich zu verbrennen drohte.
Wir rannten in die Eingangshalle und sahen es.
Ein Blitz hatte unbegreiflicherweise nicht den Blitzableiter des Hauses als Ziel auserwählt, sondern war direkt in die Glaskugel oberhalb des Foyers hineingefahren, die unter der enormen Spannung in einer Explosion zerfetzt wurde.
Lodernde Flammen tanzten überall und das trotz der Regenmassen, die durch das Loch in der Decke niedergingen. Das Feuer leuchtete bläulich und bleiern, schienu aber keine Helligkeit zu verbreiten, im Gegenteil, es schien den ganzen Raum noch zu verdunkeln, in einen Schattenkranz zu tauchen, der mit der Nacht um uns zu verschmelzen schien.
Ich kann nur von Glück sagen, dass es zwar eine äußerst eindrucksvolle Demonstration ihrer Fähigkeiten war, aber keiner zu Schaden kam. Mein Freund hatte die Anomalien, die hier jedem Ding und Nichtding anhefteten zum Glück nicht bemerkt und reiste am nächsten Tag ahnungslos ab. Ich hielt es für besser, niemand außenstehendes in diese Geschichte mit hineinzuziehen und hatte ihm deshalb die Vorgeschehnisse verschwiegen. Vielleicht war das ein Fehler.
Ich sah ein, das Wachen und alle Vorkehrungen im Grunde genommen wirkungslos und töricht waren. Welches probate Mittel konnte man schon einer solchen Macht entgegensetzen? Es gab schlicht und ergreifend nichts, was ich hätte tun können. Sie mögen jetzt vielleicht denken, ich hätte einfach fliehen sollen, irgendwo in die Großstadt vielleicht, aber das hätte die Situation nur verschlimmert.
Sehen Sie, ich kenne dieses Haus in all seinen Einzelheiten, Geheimgängen und Abkürzungen. Es ist sozusagen ein Heimspiel für mich. Ich sehe nicht ein warum ich diesen Vorteil aufgeben sollte. Und überhaupt, eine Veränderung des Ortes muss nicht unbedingt bedeuten, dass sie mir nicht folgen würden, egal wohin ich auch gehe.
Nun, wie auch immer. Nach diesem Effektfeuerwerk, welches zwar ohne schlimmere Konsequenzen abgelaufen war, nichtsdestotrotz aber einen tiefen Eindruck bei allen Beteiligten hinterlassen hatte, ließ ich mich zu der Annahme hinreißen, nun ein wenig Ruhe vor diesen Attentaten zu haben und plante bereits erste Gegenmaßnahmen. Ich bin kein Mensch der sich zurück zieht und sich seinem Schicksal hingibt, selbst dem Henker würde ich meinen Kopf vor dem hinabbrausenden Beil wegziehen. Doch diese Stille, die nach dem monströsen Sturm einkehrte, war trügerisch. Wie sich im nachhinein hinausstellte, sollte sie nicht die Ruhe nach, sondern vor dem Sturm sein.
Bereits in der zweiten Nacht, trafen die Nachtgeister sich wieder zusammen und legten ein Inferno in Gange, welches ich noch nie gesehen hatte und auf das ich völlig unvorbereitet war.
Die Luft im ganzen Haus, normalerweise leicht modernd und abgestanden, roch nach dem nächtlichen Einbruch noch feucht und frisch, das Gemäuer knarzte durch die eingesickerte Nässe und die Angst saß tief im Nacken, sowohl bei mir, als auch bei der Dienerschaft.
Nach Sonnenuntergang wurden die Schatten länger, die Lichter, die überall im Anwesen brannten, waren klägliche Versuche das Dunkel zu vertreiben, doch die Vorherrschaft der Finsternis klang in jedem Raum nach wie das Echo eines Schreis.
In dieser Nacht brach der Terror und der Schrecken über uns herein und hielt uns fest in seinen Klauen. Auch jetzt ruht seine blutbeschmierte Hand auf meiner Schulter, jederzeit bereit sie um meinen Hals zu legen und zuzudrücken.
Ich hörte Schritte auf den Gängen, schwerfällig und trabend, sah Schemen an den Fenstern vorbeihuschen und die Kerzen unruhig flackern, die ich überall im Zimmer aufgestellt hatte.
Die Sonne war noch nicht lange untergegangen, da ergriff mich irgendeine seltsame Unruhe, die ich mir nicht erklären konnte. Ich hielt es nicht mehr in der Beklemmung des Raumes aus und wollte in die Küche gehen, mir ein Glas Wasser holen.
Ich öffnete die Tür und ging in den Flur. Die Treppe am Ende des Ganges, welcher in das Erdgeschoss führt, war schwach erleuchtet und glänzte matt unter dem Licht der Lampen. Meine Gedanken gingen ihre eigenen Wege und als ich am Treppenabsatz angelangte stockte mir das Herz und mein Atem. Ich erinnere mich noch daran, dass die Luft die ich ausatmete zu kleinen, schwachen Nebelschwaden erstarrte und sich dann im Dunkel verlor.
Diese absurde, absolut unmögliche Realität, die sich da vor meinen Augen auftat, rüttelte an meinem Verstand und rief in die Tiefe meines Geistes einen Aufschrei der Hilflosigkeit und Verzweiflung, der sich kochend in meinem Kopf ausbreitete.
Ich stand wieder in meinem Zimmer.
Ich schloss die Augen und die wohltuende Dunkelheit, die mich umhüllte verbarg die grausamen Geschehnisse, die um mich herum passierten, für einen Moment.
Mit letzter sich aufbäumender Willenskraft riss ich meine Augenlider hoch und nahm die selbe unveränderte Situation wahr.
Weder hatte ich geträumt, noch war ich schlafgewandelt, noch in einem fiebrigen Zustand von Wahnsinn zerbröselt umhergeirrt. Ich war mir dessen absolut sicher, kein Zweifel.
Die Wahrheit lag woanders. Sie lag in der Nacht. In der kalten, trügerisch, finsteren Nacht. Und in den Wesen, die dort lebten.
Plötzlich stieg eine Wut in mir empor und ich raste durch die Tür den Flur entlang. Mein einziger Wunsch war es, nach draußen zu gelangen und aus tiefster Kehle in die Dunkelheit zu brüllen.
In dieser Nacht drohte ich wahnsinnig zu werden. Ich hetzte von Zimmer zu Zimmer, von Korridor zu Korridor doch was diese Bestien angestellt hatten, vertrieb jeglichen Sinn aus meinem Vorhaben.
Gänge waren zu anomalen Längen angewachsen, Treppen in den ersten Stock führten in den Keller und von dort aus gelangte man in den Dachboden. Stundenlang musste ich durch das gesamte Anwesen geirrt sein.
Die Zimmer waren seltsam verändert. Möbel standen auf einmal an anderen Stellen, komplette Räume waren spiegelverkehrt und einmal lief ich auf der Decke entlang, während die Schränke, Tische und Stühle über mir klafften.
Diese Perversion der Realität, die sich zu einer abartigen Version ihrer selbst gewandelt hatte, nagte an meinem gesunden Menschenverstand wie eine Ratte an einem Kabel.
Erst als die Sonne mild und erlösend durch ein Fenster spitzte, ließ ich mich vollkommen erschöpft niedersinken und schlief schließlich ich auf dem Fußboden ein.
Wilde Träume suchten mich während dieses unerholsamen Schlafes heim, Träume deren Inhalte ich nicht wiedergeben kann, so grausam und schrecklich waren sie.
Ich erwachte erst gegen Mittag, ein Diener hatte mich geweckt und sah mich fragend an. Seine Augen verrieten mir, dass er nichts von meinen nächtlichen Irrgängen mitbekommen hatte.
Es war, als wäre es nie passiert. Alles im Haus hatte wieder die alte Ordnung angenommen und jeder Gegenstand und jedes Möbelstück stand brav auf der Stelle, an die es gehört.
Mein Körper war von kühlen, wahrscheinlich noch frischem Schweiß bedeckt und meine Glieder hatten sich unangenehm stechend verkrampft und versteift.
Die Vision der vergangenen Nacht schoss in meinen Kopf und schwor erneut den Schrecken herauf, der mich heimgesucht hatte. Klar und deutlich standen mir alle Ekel erregend und verabscheuungswürdigen Dinge vor Augen, die sich in der Dunkelheit ereignet hatten.
Ich war ratlos. Ich wusste mir nicht zu helfen und sah keinen Ausweg aus dieser Situation, die mich einem Spießrutenlauf gleich in den Wahnsinn treiben wollte.
Die kommenden Nächte waren schlimm, aber ruhig. Keine schattenhaften Gestalten tuschelten hinter den Ecken und keine Augen blickten böse hinter offen stehenden Türen hervor.
Tagsüber nutze ich diese Verschnaufspause, um erneut einige Nachforschungen anzustellen. Da mir die Arten der ersten drei Plagen bekannt waren, schien es mir nützlich und praktisch wenigstens über die Art der verbleibenden Angriffe bescheid zu wissen.
Doch leider enttäuschte mich nicht nur meine eigene Bibliothek, auch andere Freunde und Bekannte, die ich kontaktierte, wussten nicht Rat.
Nur einige Informationen konnte ich ergattern, welcher allerdings alle recht nutzlos sind.
1823 ist eine Art Versreim von einem bis heute unbekannten Schriftsteller erschienen, der eine mögliche Andeutung auf die Existenz dieser Nachtwesen enthält.

Er drehte sich um und holte ein alt wirkendes Blatt Papier hervor, das mit Bleistift bekritzelt war.
Nachdem er es mir gereicht hatte, sprach er die Wörter darauf auswendig laut vor und einer Weise, die nur mit der Kälte in seinen Augen vereinbar war.

„.... die Nacht wird sich öffnen und spucken und speien,
leise gestohlen, die weise gedeihen,
mit großem wie kleinen die Geister entlassen
und holen und fassen; gefährlich die Macht,
so regieren sie dunkel, die Geister der Nacht.“

Dies war das Einzige, was eventuell konkrete Hinweise auf diese Wesen geben könnte. Die reale Nützlichkeit dieses Verses mag gleich null sein, doch seine Wirkung, diese übergreifende Furcht, vor allem wenn man dass, von was er handelt, erfahren muss, hat schon etwas sehr makaberes.

Die tiefe, dunkle Nacht hatte inzwischen Besitz von dem Himmel ergriffen und das Feuer des Kamins erleuchtete zuckend die kleine Nische der Bibliothek, in der wir uns befanden. Die Bücher, von dem schwachen Licht nur leicht berührt, lagen staubig und geräuschlos in den Regalen. Sie mussten gute Zuhörer sein. Er fuhrt fort.

Nach einiger Zeit gab ich es auf, denn die Vergangenheit schien ein Verbündeter meiner Feinde zu sein. Jegliches Auftreten dieser Bestien schien an ihr vorübergezogen zu sein wie ein Schwarm Sperlinge an einer bleiernen Statue. Lärmend, aber uninteressant und der Beachtung nicht wert.
Stattdessen erwartete ich nun jede Nacht einen erneuten Übergriff auf die erklärbare Welt der Dinge. Doch die Antwort auf meine Fragen kam nicht mit Pauken und Trompeten, sondern auf schleichenden Zehen.
Es war – wie sollte es anders sein – kurz vor Mitternacht. Ich konnte keinen Schlaf finden und diese seltsame Ruhelosigkeit trieb mich aus dem Bett. Ich ging ans vergitterte Fenster und sah hinaus direkt in das Antlitz meines Feindes. Es war kein Gesicht, denn die Nacht hat tausend Gesichter, es waren menschenähnliche, aber grotesk verunstaltete Mienen und bestialische Fratzen zu einem pechschwarzen Teppich verwebt, der zitternd pulsierte.
Ich taumelte geschockt zurück und ließ mich aufs Bett fallen. Mit angestrengtem Blick starrte ich zur Decke, doch mit jedem Lidschlag tanzte erneut diese Komposition des gequälten Seelenteppichs vor mir und im Takte meines Herzschlages rollte eine Welle von Übelkeit mit der Wucht eines Hammers durch meinen Körper.
Ich presste die Augen zusammen und wartete bis mein Pulsschlag sich wieder etwas beruhigt hatte. Erneut trat ich an das Fenster. Die Wut der Nachtgeister, denn dieser war der erste, der sein Werk direkt vor mir offenbarte, schien mit jedem Male zuzunehmen.
Die Fratzen und Gesichter tanzten höhnisch und bösartig grinsend hinter der Fensterscheibe, schienen aber keine Anstalten zu weiteren Angriffen zu machen.
Ich zog die Vorhänge zu, in der Hoffnung der grausige Anblick stelle den Gegenstand dieser vierten Plage dar.
Es war mir völlig unklar, welchen Sinn und Zweck dieser Teufelstanz vor der Fensterscheibe meines Zimmers haben mochte.
Da die Ausmaße der bisherigen Attacken numerisch zugenommen hatten, vermutete ich, das dies vielleicht lediglich ein Vorgeschmack auf den wahren Schrecken sein könnte.
Den Vorhang beiseite zu schieben und in die tausend Augen der Nacht zu blicken, wagte ich nicht. Entschlossen zog ich die Schublade meines Nachtkästchens auf und holte die Pistole heraus, welche ich dort für Notfälle deponiere. Wenn ich schon nichts ausrichten konnte, so wollte ich wenigstens auf das Schlimmste gefasst sein.
Ich ließ meine Blicke aufmerksam durch den gesamten Raum kreisen, nahm jeden Winkel in Augenschein und hatte den Zeigefinger am Schusshebel, jederzeit bereit zuzudrücken.
Doch die Stunden verronnen und nichts geschah. Die Müdigkeit drückte immer stärker auf meine Augenlider. Mehr und mehr übermannte mich der Schlafdrang und die Monotonie des Zimmers, in dem rein gar nichts geschah, trug ihr übriges dazu bei, das ich schließlich einschlief.
Mein Schlaf war traumlos, was mich wunderte, denn in letzter Zeit wurde ich von schrecklichen Träumen heimgesucht, die mich fast jede Nacht mehrmals schweißgebadet aufwachen ließen.
Ich drehte mich um und blickte auf die Uhr. Sie zeigte fünf nach halb neun frühs an und erleichtert stieß ich einen Seufzer aus, froh erneut einen Nachtgeist überstanden zu haben. Ich ging zu den Vorgängen und öffnete sie.... Da tanzten diese Fratzen noch immer und bleckten ihre Zungen und lachten mich aus. Es war immer noch dunkel und finster und immer noch hielt die Nacht uns umfangen.
Da hörte ich es an mein Zimmer klopfen.
Es war mein Diener Thomas. Er hielt eine Gaslampe in seiner Hand, die einen goldenen Glanz auf sein Gesicht warf und lodernd in seinen Augen tanzte. Doch sie schienen nicht allein zu tanzen, der Wahnsinn hielt Schritt als Tanzpartner beim diabolischen Walzer. Nun hatte ich Gewissheit. Ich hörte die Worte nicht, die er sprach, denn ich kannte sie. Es war früh morgens, es hätte längst hell werden müssen, aber draußen thronte noch finster die Nacht.
Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen wie lange es draußen finster blieb und wir gefangen im Haus waren, denn trotz Uhren und Kalender verlor ich mein Zeitgefühl.
Fenster wehrten sich gegen das Öffnen und die Türen blieben trotz heftigstem Rütteln und Rammen geschlossen. Eingesperrt im eigenen Haus, gefangen in der ewigen Nacht. Wir waren zu fünft, ich und vier Dienstleute, komplett abgetrennt von der Außenwelt und in einem Strudel der Zeit ins immerwährende Dunkel verbannt. Tage mussten vergangen sein, wenn nicht mehrere Wochen in denen kein einziger Sonnenstrahl ein Objekt oder irgendetwas in diesem Haus berührte. Nur das winzige Licht von Kerzen und Gaslampen schenkte uns etwas Helligkeit. Wir waren völlig umnachtet und das in wörtlicher wie in tatsächlicher Bedeutung.
Obwohl die Speisekamern reichlich Vorrat boten, aß ich nichts. Auch die Müdigkeit wollte nicht von meinen Lidern verschwinden, doch Schlaf war so selten wie Edelsteine in einem Berg. Wir waren alle am Ende unserer geistigen wie physischen Grenzen.
Mir dämmerte langsam, dass die Nachtgeister nicht auf direktestem Weg ihr Ziel erreichen wollen, sondern langsam und genüsslich auf subtilere Weise anstreben, den Wahnsinn und Tod über mich zu treiben.
Der Tod anderer hatte dabei lediglich den Zweck mir zu schaden. Glauben Sie mir, es ist nicht einfach, wenn alle um sie herum sterben.
Das Ende der Folter kam genauso unerwartet wie sie begonnen hatte. Ohne Krach und ohne Blitze. Es wurde einfach hell. Ich freute mich nicht darüber, vielleicht war es dazu schon zu spät. Eine seltsame Gleichgültigkeit verstumpfte meine Gefühle, sodass selbst die zärtlichen Sonnenstrahlen des Morgens nicht in der Lage waren mein zugefrorenes Herz aufzutauen.
Nun legten die Nachtgeister unbeirrt weiter ein furioses Tempo vor. Sie ließen mir keine Verschnaufspause mehr, bereits in der nächsten Nacht wachte ich in dem Wissen auf, mich einer erneuten Plage stellen zu müssen.
Doch diesmal sah alles danach aus, als ob ich die besseren Karten hatte. Nach meinen Informationen beschritten sie alle festgelegte Wege, haben also keinen Einfluss auf der Art und Reihenfolge ihrer Werke. Der Nachtgeist, der in jener Nacht danach trachtete, mir den Verstand und die Vernunft zu rauben, herrschte über den Wind. In Anbetracht der steinernen Mauern, die mein Anwesen stützen, scheint ein solches Vorhaben dumm und töricht. Ich wähnte mich also in Sicherheit, da die wogenden, stöhnenden Luftmassen, die um das Haus tobten nicht die geringste Chance hatte, diese soliden Mauern zu stürzen. Da fing es an.
Ein leichter Luftzug strich um meine Stirn, was ich als umso stärker empfand, da mein ganzer Körper von zarten Schweißperlen bedeckt war. Da das Fenster und die Tür geschlossen waren, konnte ich keine Quelle für den sachten Windhauch ausmachen. Die Kerzen, die ich jede Nacht entzündete, begannen unruhig zu flackern und projizierten groteske Schattengestalten an die Wände.
Ich stand auf und wollte die genau Ursache ausfindig machen, als die Vorstellung begann und der Vorhang beiseite geschoben wurde.
Ich wusste gar nicht wie mir geschah. Der unangenehme, aber eigentlich harmlose Luftzug schwoll in sekundeneile zu einem Wirbelwind an, der entgegen des Uhrzeigersinn durch mein Zimmer rotierte. Die längst erloschenen Kerzen samt Halter wurde mitgerissen und tanzten in gefährlicher Geschwindigkeit an mir vorbei. Sämtliche lose Gegenstände taten es ihnen nun gleich und schon bald wirbelten kleine Spiegel, Bilder, meine Notizbücher und Kleidungsstücke mit dem Wind im Kreise.
Das Fenster wurde von unvorstellbarer Wucht aufgerissen, wobei diese Kraft alle Glasflächen wie Papier zerfetzte und der innere Wirbelsturm vereinigte sich mit dem großen Bruder außerhalb. Nun brachen alle Dämme. Schränke wurden mit in die Luft gesogen und bald befanden sich alle Gegenstände, die nicht im Boden verankert waren, in Rotation durch das Zimmer.
Von schrecklicher Panik ergriffen presste ich mich gegen die Wand und hielt mich verzweifelt am eisernen Riemen meines Bettes fest, da dieses festgeschraubt war.
Es kann nicht lange gedauert haben, vielleicht höchstens eine halbe Stunde, aber das Schlachtfeld der Zerstörung, die es hinterließ, war unglaublich. Nicht nur mein Gemach wurde verwüstet, jedes einzelne Haus war Opfer dieses Nachtgeistes geworden.

Er stockte in seiner Erzählung,wie um alle Opfern der Geschehnisse mit einem angemessenes Schweigen zu bedenken. Sein ganzes Gesicht war von Schweißbahnen übersät und er zitterte eindeutig am ganzen Körper. Anscheinend schien ihn das Wiederauferstehen seiner Erinnerungen mehr mitzunehmen, als er selbst gedacht hatte.

Sie müssen entschuldigen, es ist nicht leicht diese schreckliche Dinge in Worte zu fassen, aber wirklich schwer ist es, diese Erinnerungen, die selbst noch jetzt lebendig in meinem Kopf toben, dabei zu ignorieren.
Vor allem der nächste Geist zehrte an meinen Nerven und meinem klaren Verstand wie ein Besessener. Alles um mich herum schien sich zu verdichten wie Gewitterwolken, die sich zusammenziehen. Eine unsichtbare Spannung lag in der Luft und ich meinte, die Ungeduld meiner Feinde förmlich spüren zu können.
Mittlerweile waren die meisten meiner Bediensteten tot oder hatten gekündigt. Nur sieben meiner treusten Diener widerstanden dem Instinkt zu fliehen.

Er stockte, dann wechselte er abrupt das Thema.

Was verstehen wir heutzutage unter Angst? Ein Gefühl des Selbstschutzes? Etwas, das uns unterhalten soll, das uns aus unser stupiden, monotonen Alltagsduselei befreit? Eine willkommene Abwechslung?
Nehmen wir Angst einmal in diesem Sinne. Als ein Gefühl, das man bei einem gruseligen Buch empfindet, das man unter der Decke liest und von dem man genau weiß, dass es beim Zuklappen des Buches vielleicht nicht verschwindet, aber trotzdem nicht real ist. Aber was ist, wenn man das Buch zuklappt und feststellen muss, dass es doch real ist? Dass alle schrecklichen Vorstellungen und Visionen tatsächlich existieren, draußen vor der Tür lauern und nur darauf warten, dass du einen rausgehst? Das ist die wahre Realität der Furcht. Wenn die Beklemmung durch die Angst so groß wird, das es einem die Luftröhre zuschnürt, wenn alle Versuche aufzuwachen nur dazu führen, dass man feststellen muss, das der Traum kein Traum, sondern echt war, dann weiß man, dass Furcht kein Wort, sondern eine Krankheit ist. Ein Geschwür, schlimmer als Krebs, verhehrender als Pest und der Tod dagegen eine Erlösung. Infiziert von diesem Übel, das alle Schreckensvorstellungen der Nacht über einen kommen lässt und gegen dessen Symptome kein Heilmittel existiert, verblassen andere Dinge im Nebel des Grauens, wird ihre Existenz zur Nichtigkeit im Angesicht der grausamen Wahrheit.

Seine Augen blickten ins Leere, seine Züge zogen sich zu kalten, harten Linien zusammen, schroffer, lieblos gezeichneter Karrikaturen nicht unähnlich. Sein Haar hatte mittlerweile seinen festen Sitz verloren und lag büschelweise in einem Chaos auf seinem Kopf, der von Schweißperlen überzogen glänzte.
Es war tiefe Nacht und das Feuer des Kamins warf einen warmen Schimmer auf sein Gesicht - das Gesicht eines Wahnsinnigen.

Ich weiß, was sie denken. Und es ist nur zu verständlich. In den Augen eines logisch denkenden Menschen muss ich wie ein Irrer aussehen. Doch hätten sie das erlebt, was mit mir geschehen ist, sie würden weinen vor Verzweiflung.

Er ballte die Hand zur Faust und unter der Kraft mit der er dies tat, färbte sich seine Haut weiß und die Knochen traten wie kleine Berge heraus.

Lassen sie es mich zu Ende bringen, bat er und fuhrt unbehindert fort.

Ich werde mich kürzer fassen. Es waren nur wenige Stunden vergangen, als der erste meiner noch verbliebenen sieben Bediensteten krank wurde. Ein schlimmes Fieber und Übelkeit waren jedoch nur der Beginn der um sich greifenden Seuche.
Ich rief einen Arzt, doch zu der späten Stunde würde es bis zum Morgen dauern, einen Doktor bis hier hinaus zu schicken versicherte mir die Frau an der anderen Leitung.
Sieben waren es zu Beginn der Nacht gewesen, als der Arzt am Morgen eintraf, waren fünf davon gestorben und zwei lagen bereits dem Tod geweiht im Bett.
Der Diener, der sie hineingeleitete ist erst seit einer Woche hier und hat keine Ahnung von dem Ganzen. Sonst wäre er wahrscheinlich auch schon längst über alle Berge.
Ich war wie von meinem Körper losgelöst, ich registrierte nichts von dem, was außen herum um mich geschah. Meine Grenzen waren erreicht, mehr konnte ich nicht ertragen. Sie hätten diese Nacht miterleben sollen. Die Schmerzensschrei die durch die Luft glitten wie Klingen, dieser Geruch von Tod und Pestilenz.
Sie haben es gerochen, sie haben ganz genau gewusst, dass sie mich da hatten, wo sie mich wollten.
Mein Widerstand und mein Wille waren gebrochen und ich war ganz allein in einem Haus mit fünfundvierzig Zimmern. Die ehemalige Angst, die bei Anbruch der Nacht angekrochen kam, blieb aus. Mein Geist lag zerschmettert und zerschlagen am Boden.
Sie wollten den letzten Stich ansetzen und nur wenige Minuten nachdem es dunkel wurde, bissen sie zu.
Doch es sollte kein letzter finaler Akt werden, es sollte mich nur noch weiter in die Mühle des Wahnsinns treiben, auf dass ich dort ewig und immer bleibe und nie wieder zurück finde. Doch das schafften sie nicht, nicht mit mir. Ich bin nicht wahnsinnig.
Da ich es längs aufgegeben hatte zu schlafen, saß ich mit einer Schrotflinte auf den Treppen in der Eingangshalle. Dort fühlte ich mich besser. Alle Hoffnung war mittlerweile aus mir entflogen und ich sah nur noch zwei Auswege aus diesem Alptraum.
Man möge mir verzeihen, aber bei einer Alternative war die Schrotflinte nicht ausschließlich zur Verteidigung gedacht.
Finsternis begann mich zu umschließen, als sämtliche Lampen und Kerzen im Haus erloschen. Draußen tobte ein unbändiger Regen und prasselte wild gegen die Fensterscheiben.
Es klopfte an die Tür. Das Holz stöhnte unter der gewaltigen Kraft und ich wusste, wer draußen lauerte. Ich stand auf und näherte mich der Tür einige Schritte. Der matt schimmernde Türgriff war das einzige, was ich in der Dunkelheit erkennen konnte.
Plötzlich leuchteten die Lampen wieder auf und die Kerzen wurden wie von Geisterhand wieder entflammt.
Da erkannte ich die Flüssigkeit, die aus dem Schlüsselloch lief und auf dem Holz nach unten floss.
Nach wenigen Sekunden hatte sie bereits den Boden erreicht und bildete schon eine kleine Pfütze.
Ströme isolierten sich aus diese Lache und bahnten sich ihre Wege in alle Richtungen über den Fußboden. Mit jedem Meter, den sich die Flüssigkeit mir näherte, wurde die vage Vermutung mehr und mehr zu Gewissheit. Es waren Ströme aus dunkelrotem Blut.
Entsetzt wandte ich mich ab und ging die Treppen hoch. Die Flinte noch felsenfest umklammert wankte ich Stufe für Stufe hoch, gegen die Ohnmacht kämpfend. Ich griff zum Treppengeländer, um mich zu stützen, doch rutschte ab. Es war von einer dunkelroten Flüssigkeit überzogen, die schon herunter tropfte und weitere Blutlachen auf den Stufen bildete. Meine Schuhen trieften vor Blut und ich blieb wie angewurzelt stehen.
Der Regen, der gegen die Fensterscheiben fiel war kein Regen mehr, sondern Blut. Kleine Spritzer liefen in Bahnen das Glas entlang und färbten es bereits rötlich schimmernd.
Die Wände, Decken und Möbel stießen aus unzähligen Quellen ganze Schwalle Blut aus, sodass der Boden einem dunkelroten Meer glich.
Es gab keine Zuflucht im ganzen Haus, in die ich mich verkriechen konnte. Das Blut war überall, tropfte von der Decke auf mein Haar und ging mir bereits bis zu den Knöcheln.
Ich schrie, schrie mir die Seele aus dem Hals und fiel anschließend in eine erlösende Ohnmacht.
Es mussten Stunden gewesen sein, die ich weggetreten war und als ich aufwachte, glaubte ich erst geträumt zu haben, denn nirgends waren Spuren des nächtlichen Blutregens zu finden.
Alles war trocken, sauber und in seinem normalen Zustand. Da erst merkte ich, das meine Kleidung feucht war.. Sie triefte von Blut, hatte sich voll gesaugt und hing an mir wie ein nasses Tier.
Das war genau vor einer Woche und seitdem ist nichts geschehen.

Sein schlaffes Gesicht sah mich erwartungsvoll an, als er sich vorbeugte und weiter sprach.

Sie fragen sich sicherlich weshalb ich sie gebeten habe, hier her zu kommen.
Mein Anliegen ist gleichermaßen simpel wie kompliziert. Sie sind der beste auf ihrem Gebiet und so bitte ich sie: Sorgen sie dafür dass ich die Sache überlebe. Auch wenn sich das alles in ihren Ohren verrückt anhören muss, sie brauchen nur sicher zu stellen, dass ich die nächsten Tage – denn länger dauert es sicher nicht – ohne Schaden überstehe.
Und selbstverständlich werde ich ihnen eine überaus großzügige Belohnung auszahlen, die Hälfte wenn sie jetzt zusagen, die andere wenn alles überstanden ist.
Und was sagen sie?

Sein Blick ruhte wie ein Fessel auf mir, so stark schien mich seine Hoffnung zu umklammern. Er hatte noch keine Summe genannt, aber das war mir egal. Ich willigte ein.
Ich wusste, es wird ein einfacher Job werden.
Der Wahnsinn stand ihm ins Gesicht geschrieben wie eine Signatur in einem Buch.
Der Diener, ein schwarzhäutiger Mann mittleren Alters, führte mich auf mein Zimmer, das direkt neben dem meines Gastgebers lag.
Alles war still und da ich nichts weiter zu hatte, legte ich mich schlafen.
Es war noch immer finster als ich aufwachte. Schritte ertönten leise und tapsend vor meiner Tür.
Ich stand auf und legte mein Ohr auf die Holztür, um genauer hören zu können, ob jemand nachts durch das Haus schlich.
Ein Pochen erklang in meiner unmittelbaren Nähe, doch an meine Zimmertür wurde nicht geklopft. Also konnte das Geräusch nur aus dem benachbarten Zimmer stammen.
Rasch öffnete ich die Tür und stürmte nach nebenan. Von der ursprünglichen Helligkeit, die meinem Gastgeber so lieb war, schien nichts übrig geblieben. Alle Lampen und Kerzen lagen in finsterer Einsamkeit verloren in der Nacht.
Die Tür des Alten stand offen, aber da der Mond vollkommen von Wolken bedeckt war, herrschte auch hier undurchdringliche Dunkelheit.
Wieder ertönte das Pochen, es war definitiv ein Klopfen auf Holz. Da bemerkte ich im schwarzen Nichts des Zimmers plötzlich eine Bewegung.
Schnell rannte ich mein eigenes Gemach, griff nach einer Kerze und stürmte die Lampe vor mich herhaltend in das Zimmer.
Mein Gastgeber lag mit einem weißen Schlafrock bekleidet röchelnd und hustend auf dem Boden, die rechte Hand an den Hals gelegt.
Ich kniete mich zu ihm und half ihm auf das Bett.

Es war der Diener, stammelte er mit krächzender Stimme, er hat versucht mich im Schlaf zu erwürgen. Aber als er sie hörte hat er von mir abgelassen und ist geflüchtet.
Sie brauchen nicht nach ihm zu suchen, ich hab gehört wie die Haustüre zugeschlagen wurde und von draußen kommt keiner rein – zumindest kein Mensch.

Er bestand darauf, dass ich unbedingt in seinem Gemach die Nacht verbringen sollte, er versuche, so erklärte er mir, jedes Risiko zu vermeiden.
Weitere Vorfälle in dieser Nach gab es keine.
Am nächsten Tag traf ein Postbote mit einem wichtigen Brief ein, so verriet mir der Alte und versprach mir Aufklärung über die vergangenen Schrecken, über die er mir so gut er konnte, letzte Nacht berichtete.
Es las das Schriftstück mit glühenden, besessenen Augen und schrie fröhlich auf, als wäre es eine Glücksbotschaft. Dann reichte er mir es.

Es ist ein Brief eines ehemaligen Geschäftspartners mit sehr guten Beziehungen, ich wollte nichts unversucht lassen und bat ihn ebenfalls nach Informationen über die Nachtgeister zu suchen. Er hatte Erfolg, sehen sie sich das an, sagte er und reichte mir ein Blatt Papier, das mit Hand beschrieben war.

Feuer
Sturm
Raum
Zeit
Wind
Krankheit
Blut

Sie ist unvollständig, gewiss, aber alles ist zutreffend, alles bisher eingetreten und der achte Nachtgeist bringt den Verrat, wie wir gestern am eigenen Leibe erfahren mussten, sagte er.
Sein Mund verzog sich zu eine Lachen, als hätte er einen historischen Sieg errungen, doch letztendlich war die Liste nur ein Protokoll seines Wahnsinns.
Der Tag erwies sich als wenig ereignisreich. Mein Gastgeber verbrachte seine ganze Zeit in der Bibliothek und ich somit gezwungenermaßen ebenfalls.
Sein Gesicht nahm, während er über den Büchern saß, einen fast normalen Ausdruck an, doch mit dem Einbrechen der Nacht legte sich ein Schatten über seine Züge, ein Glitzern in die Augen, das pure Angst gewesen sein konnte, vielleicht aber auch Wahn.
Es muss in etwa zehn Uhr gewesen sein, als ein ohrenbetäubender Knall uns von den Stühlen aufspringen ließ. Der Klang des Geräusches an sich war nicht fremdartig, aber die Tatsache, das der Laut berstenden Holzes um diese Zeit ertönte, dennoch seltsam.
Beide liefen wir zur mutmaßlichen Quelle des Lärms und fanden uns in unseren Vermutungen bestätigt: Die Überreste der Eingangstür, die förmlich zerfetzt sein worden muss, lagen wild verstreut auf dem Marmorboden verteilt.
Die folgenden Geschehnisse vollzogen sich so ungeheuer schnell aufeinander folgend und teilweise durcheinander, sodass ich nur in der Lage bin, sie fragmentarisch wiederzugeben.
Nachdem wir die Überreste des Eingangsportals inspiziert hatten, ertönte ein tiefes, lang gezogenes Grölen tief unter uns aus der Erde.
Die ehemaligen Eingeweide der Tür begannen wie wild auf dem Boden zu tanzen und bald griff eine unbändige Vibration um sich.
Die beiden Säulen, welche die Treppenstufen flankierten, schwankten unruhig umher, die Gemälde fielen von den Wänden und der ganze Boden bebte unter uns, als flössen tausende Liter Lava darunter.
Mit einem Klirren löste sich der Kronleuchter von der Decke und stürzte nur wenige Meter von uns entfernt auf den Boden. Die unzähligen Glasperlen an ihm zerplatzen wie überreife Seifenblasen und warfen gläserne Splitter um sich.
So stabil die Wände und Mauern des Anwesens auch sein mochten, die Wucht des Erdbebens schien sich mit jeder Sekunde zu vervielfältigen. Die Gefahr eines möglichen Einsturzes schwebte zwar unheilvoll über uns und die offene Eingangstür war nur wenige Schritt weit entfernt, doch die Flucht gestaltete sich schwieriger als die Situation das vermuten ließ.
Teile der Decke fielen herab und wir hatten Mühe uns auf diesem bebendem, mit Glassplitter übersäten Boden auf den Füßen zu halten.
Die Lampen zersprangen und in der anschwellenden Finsternis sah ich wie mein Gastgeber unsanft zu Boden fiel, sich die Hände am herumliegenden Glas aufschnitt und scheinbar erschöpft liegen blieb.
Ein tonnenschwerer Brocken löste sich aus der Decke und krachte auf die Treppe, welche unter der Wucht nachgab und in einem Chaos aus Stein und Rauch zusammenbrach.
Ich rannte los, legte den bewusstlosen Alten auf meine Schulter und taumelte Richtung Tür.
Die Luft war von einem dichten Rauch geschwängert und nur das schwache Licht des Mondes wies mir den Weg aus diesem steinernen Inferno.
Ich fiel die Treppen mehr herunter als das ich sie ging und ließ mich und meinen wohl nun ehemaligen Gastgeber auf die Wiese des Parks fallen.
Die Luft war kühl und ruhig und auch sonst war hier nichts von dem Erdbeben zu spüren, dass im Anwesen so schrecklich getobt hatte.
Erst als der Morgen anbrach und die Vögel zwitscherten erwachte mein Auftraggeber. Er bot einen grausamen Anblick, seine Kleider und Haare waren weiß vor Staub.
Er stand auf und torkelte auf die Überreste seines ehemaligen Anwesens zu. Viel davon war nicht mehr übrig, sämtliche Mauern waren in sich zusammengefallen und vereinzelt brannten noch Feuer. Über dem Durcheinander aus Stein, Möbeln und nicht mehr identifizierbaren Überbleibseln schwebte eine dunkelgraue Rauchwolke.
Er stand davor und sagte kein Wort. Ungefähr fünf Minuten stand er da und sagte kein Wort.
Dann lachte er. Laut und humorlos. Ein Lachen des Triumphes. Und er schrie, er schrie sich die Seele aus dem Leib. „Ich habe gesiegt“ brüllte er in die Rauchschwaden hinein und „Ihr jämmerlichen Idioten“ lachte er mehr denn je wie ein Wahnsinniger.
Ich nahm einen fußballgroßen Steinbrocken, der ins Gebüsch geschleudert worden war, und schlug ihn so fest ich konnte gegen seinen Hinterkopf.
Das dumpfe Geräusch des Aufpralles ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er auf der Stelle tot war und sein schlaffer Körper fiel mitten in sein ehemaliges Reich, das nun eine Ruine war.
Denn ich war der zehnte Nachtgeist.

9.Zerstörung
10.Arglist


P.S.: Ich weiß, dass das Gericht des Todes Theatralik und Dramatik hasst, aber ich hatte ja gesagt, ich neige zu Übertreibungen.

 

Hallo Entropie,

generell kann ich schon mal sagen, dass mich deine Geschichte gut unterhalten hat. Die ausufernde Art der Erzählweise passt mE nach schön zur Stimmung und zum Wesen des (hauptsächlich) Berichtenden.

Du solltes auf jeden Fall deine Geschichte um die fehlenden Anführungsstriche ergänzen, da sie in dieser jetzigen Form äußerst schwer flüssig zu lesen ist und somit die von dir mühsam aufgebaute Stimmung verloren geht. Außerdem läufst du Gefahr, im Korrektur-Center zu landen.

Ein wenig schade fand ich, dass du zum Schluss das Tempo extrem angezogen hast. Es stand mE nach in keinem Verhältnis zu den ersten zwei Dritteln des Textes. Vielleicht kannst du da noch ergänzen.

Die Fehler, die mir beim Lesen aufgefallen sind, werde ich dir auf Wunsch nennen. Ich führe sie hier nicht direkt auf, da es viel Arbeit ist und ich gesehen habe, dass du auf die Kritiken deiner ersten hier geposteten Geschichte nicht eingegangen bist.

Viele Grüße, Xenomurphy.

 

Hallo Xenomurphy,

erstmal danke für deine Kritik. Eigentlich hab ich die Geschichte wesentlich kürzer geplant, als sie schließlich geworden ist und deswegen kann es sein, dass ich gegen Ende etwas verkürzt habe. Aber da der Großteil der Geschichte aus der Sicht des späteren Opfers geschildert wird, habe ich diesen Teil etwas ausführlicher und ausholender geschrieben, auch um die Unterschiede zwischen Opfer und Täter klar zu differenzieren.
Opfer: Ausufernde Erzählweise
Täter: knapper und konzentrierter
Schließlich stellt der von dir angesprochene Teil ja den Bericht des Nachtgeistes dar oder?
Aber generall denke ich schon, ließe sich da schon was ausbauen. Mal schauen!
Um die Fehler kümmere ich mich schon früher oder später.
Wäre sehr nett von dir, wenn du auch die anderen Geschichten von mir mal durchlesen würdest und deinen Senf dazu gibst!

MfG,
Entropie

 

Hi ProgMan,

erstmals danke ich auch dir für deine Kritik. Was den Butler angeht, so dachte ich mir, hat ein reicher Mann vom Kaliber des Hauptprotagonisten längst verlernt alleine zu leben und so füllte diese Lücke der Butler aus. Da er auch ein Nachtgeist ist, habe ich zwar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, aber wenns nicht reinpasst, schmeiß ich ihn einfach raus.
Der 10. Nachtgeist ist der Verfasser des Berichtes, also der Mann, der beauftragt wird den Alten zu beschützen.
Ich bin davon ausgegangen, das der Alte jemanden anheuert, der ihn beschützen soll und der zehnte Nachtgeist dies ausnutzt.

Gruß,
Entropie

 

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