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Serie Die Xanthoria-Archive II: Das Bündnis

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02.11.2007
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Die Xanthoria-Archive II: Das Bündnis

Im Jahre 851 nach der Großen Reise

Als Laiken, Theol und Gordon beim Gasthaus ankamen, war die Sonne gerade untergegangen und die Dämmerung schritt rasch der Dunkelheit der Nacht entgegen. Die Unterkunft für müde Reisende lag am Rande des Talwaldes, welches die Stadt Thimber umschloss. Dort lebte Tamarrha, 1. Königin des Reiches Cinhtárien. Die drei Gefährten sowie die weiteren vier Soldaten, die wie Laiken lediglich die Eskorte für die beiden Ritter waren, stiegen von ihren Pferden ab und führten sie in den Stall, der zum Haus gehörte.
„Wie lange werden wir noch brauchen, bis wir Thimber erreichen?“ fragte Laiken ein wenig missmutig. Er war noch jung und nicht gewohnt, eine so lange Reise zu machen. Vierzehn Nächte waren vergangen, seit sie die Rhynburg verlassen hatten.
„Nun, ich denke wir werden etwa weitere sieben Tage brauchen“, erwiderte Gordon. „Der Wald ist groß und oft gibt es keinen richtigen Weg, so dass wir mit den Pferden nur schwer vorankommen werden. Wenn wir durch sind, liegt Thimber nur noch zwei Tagesritte entfernt.“
„Bei Ewols Gnade!“ entfuhr es Laiken unwillkürlich. Bei dem Gedanken, noch so lange unterwegs zu sein, tat ihm sein Körper leid. Schon nach wenigen Tagen hatte er jeden Abend Schmerzen bekommen.
„Wenn Du mal ein Ritter wie wir werden willst, wirst Du noch oft solche Reisen antreten, Bursche“, sagte Theol in leicht spöttischem Tonfall. Laiken schaute ihn ärgerlich an und der Ritter grinste zurück.
„Und bevor es soweit ist“, fügte Gordon hinzu, während er ihm freundschaftlich auf die Schultern klopfte, „werden Du und die anderen vier sich um unsere Pferde kümmern.“ Mit diesen Worten verschwanden die beiden Ritter lachend und Laiken machte sich mit den anderen Soldaten daran, die Tiere zu versorgen.
Als Laiken und seine vier Kameraden frisches Heu für die Pferde holten, fingen zwei von ihnen an, sich zu unterhalten. „Meinst Du, Königin Tamarrha wird sich auf das Bündnis einlassen?“ fragte Dirk.
„Keine Ahnung. Cinhtárien hat sich noch nie darum geschert, wenn andere Länder im Krieg waren.“ Dies war Fadrims Stimme.
„Aber es gab auch noch nie eine solche Bedrohung, nicht wahr? Die schwarzen Horden dringen immer tiefer ins Land ein, das Königreich Xan ist bereits verloren!“
„Genau“, stimmte ein dritter Soldat zu, es war Rim. „Königin Tamarrha wird nichts anderes übrig bleiben, als sich zu verbünden.“ Die Pferde hatten inzwischen ihr Heu bekommen.
„Es bringt doch nichts, sich jetzt darüber zu unterhalten“, mischte Laiken sich ein. „Kommt, lasst uns ins Gasthaus gehen. Mir tut alles weh vom vielen Reiten.“ Die anderen stimmten zu und jeder nahm sich etwas vom Gepäck – einschließlich dem der Ritter – ehe sie zum Haus gingen. Der Himmel hatte sich inzwischen verdunkelt und der Talwald war nur noch als schwarze Wand zu erkennen. Laiken fröstelte. Er hätte es natürlich nie zugegeben, aber insgeheim fürchtete er sich in der Dunkelheit.
Verdammtes Kind, dachte er. Nur gut, dass die anderen auch da waren!
Im Gasthaus war es warm und schon von draußen hatte man fröhliche Musik spielen können hören, welche von Stimmengewirr überlagert wurde. An den Tischen saßen drei Gruppen von Reisenden, die sich, begünstigt vom vielen Bier- und Metgenuss, amüsierten. An der gegenüberliegenden Wand war der Tresen, hinter dem ein großer, hagerer Mann und eine Frau standen. Vermutlich das Wirtspaar.
Laiken ging auf die beiden zu. „Guten Abend“, grüßte er.
Die Frau beachtete die Ankömmlinge nicht weiter, sie spülte Geschirr ab. Der Mann hingegen nickte ihnen freundlich zu. „Seit ihr die Gefährten der zwei Ritter?“
„Ja, Herr“.
„Gut. Die sind schon auf ihren Zimmern. Es ist die letzte Tür auf der linken Seite oben. Sie haben auch für euch Essen bestellt.“
„Danke“, verabschiedete sich Laiken und so gingen die Soldaten die Treppe hinauf.
Das Zimmer, in dem sich die Ritter aufhielten, reichte für alle. Es war groß und bestand aus zwei dreistöckigen und einem zweistöckigen Hochbett. Außerdem gab es noch einen vergleichsweise kleinen Schrank, einen Tisch und vier Stühle. Obwohl das Gasthaus von außen einen guten Eindruck gemacht hatte und auch der große Raum unten gut eingerichtet war, sah dieses Zimmer eher schäbig aus. Selbst das Stroh auf den Betten roch bereits ein wenig unangenehm, doch das war egal. Hauptsache, Laiken konnte diese Nacht seine schmerzenden und müden Glieder auf einem Bett ausruhen.
Theol machte eine nickende Kopfbewegung auf den Tisch. „Bedient euch. Es ist genug für alle da.“ Auf dem Tisch lagen zwei Brotlaibe, von dem eines fast aufgebraucht war, ein paar Stücke Fleisch und ein großer Krug mit Bier. Laiken merkte plötzlich, wie hungrig er war und auch die anderen Soldaten nahmen gierig vom Mahl. Während des Essens wechselte niemand ein Wort, selbst die Ritter blieben stumm.
„Nun“, meinte Theol schließlich und seine Stimme zerbrach die Stille, die den Raum erfüllte. Das Essen war gerade vollkommen aufgezehrt worden. „Ich denke, wir sollten nun alle schlafen gehen. Unsere Reise wird nicht weniger anstrengend und bis wir in Thimber sind, wird es keine so schöne Unterkunft wie diese mehr geben.“
Dem hatte keiner etwas entgegenzusetzen und Laiken grauste es schon vor den nächsten Nächten, die er unter freiem Himmel im Wald verbringen würde.

Der neue Tag begann mit einem brutalen Rütteln, Schmerzen und Sonnenschein.
„Aufwachen, Laiken!“ wurde er von Theol angeschnauzt. „Wir haben keine Zeit! Wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir nicht erst nach einem Mond unser Ziel erreichen wollen!“
Schläfrig öffnete der Soldat die Augen und blinzelte in die Sonne, die gerade erst aufgegangen sein konnte. „Los. Fadrim habe ich bereits zu den Pferden geschickt, um nach ihnen schauen zu lassen. Jetzt steh auf und komm“, fügte Theol etwas weniger herrisch hinzu. Er wandte sich ab und verschwand aus dem Zimmer.
„Ich komme sofort!“ rief Laiken hinterher. Er stand auf und zog Hose, Hemd und Waffenrock, sowie seine Stiefel an. Das wenige Gepäck, das noch im Zimmer war, nahm er und ging anschließend nach unten in die Wirtsstube, wo bereits die anderen sich reisefertig machten.
Als Laiken die letzten Stufen nehmen wollte, war von draußen ein spitzer Schrei zu hören, gefolgt von einem Brüllen, das nicht menschlich klang. Die Pferde im Stall fingen zu Wiehern an.
„Fadrim!“ stieß Laiken hervor. Er verlor keine Zeit und stürmte an den Rittern und den anderen Kameraden vorbei.
„Laiken! Warte!“, schrie Gordon hinterher, aber er kümmerte sich nicht darum. Er hörte noch, wie Theol einen Fluch ausstieß und schwere Schritte, die auf dem Holzboden besonders laut klangen. Dann war er auch schon aus dem Gasthaus und rannte zu der Stelle, von der er annahm, dass sie der Ort des Geschehens war. Als er um die Ecke bog, blieb er erschrocken stehen. Einige Meter entfernt stand ein Ding, wie er es noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Es war etwa doppelt mannsgroß und von affenähnlicher Statur. Allerdings war das Ungeheuer viel schlanker, fast schon auf groteske Weise grazil. Es hatte schwarzes und zotteliges, verfilztes Fell, die Arme mussten bei aufrechter Körperhaltung bis zum Boden reichen. Die Hände schienen viel zu groß für den Körper, die Klauen waren zu lang. Erst einen kurzen Moment später erkannte er, dass zwei Fuß entfernt Fadrim auf der Erde lag. Er regte sich nicht. Das Monster wandte seinen Blick in Laikens Richtung und stieß ein tiefes Knurren aus.
„Verdammt noch mal!“ rief Theol plötzlich hinter ihm. „Steh hier nicht rum, Soldat ... kämpf!“ brüllte er und stürmte voran. Mit wenigen Schritten war der Ritter bei diesem Affending angelangt und schwang sein Schwert. Das Monster jedoch hob seinen Arm und schleuderte ihn mit einer wegwerfenden Bewegung zur Seite. Der schlanke Körper musste unheimliche Kräfte bergen, denn Theol landete mehrere Schritte entfernt auf dem Boden und krümmte sich, ehe er wieder aufstand. Endlich erwachte auch Laiken aus seiner Starre, doch vor lauter Aufregung vergeudete er noch einige Sekunden damit, sein Kurzschwert umständlich zu ziehen. In der Zeit waren Gordon und die anderen ebenfalls losgelaufen, allerdings deutlich vorsichtiger als Theol.
Während Laiken sich endlich ebenfalls in Bewegung setzte, wurde das Monster bereits eingekreist. Es nahm eine gebückte Haltung ein, so, als wenn er jeden Moment einen Kämpfer anspringen würde. Es stieß ein leises, bedrohliches Knurren aus. Gelber Geifer troff ihm aus dem Maul.
„Schaut ihm auf keinen Fall in die Augen!“ warnte Gordon. „Wartet auf mein Kommando!“
Qualvolle Sekunden vergingen. Laiken konnte sein Herz bis in den Schädel hinein spüren und war nicht imstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles, was er in den unzähligen Übungsstunden auf der Rhynburg gelernt hatte, schien vergessen. Noch nie war er in einem echten Kampf verwickelt und es war ganz anders, als er sich es je in seinen jugendlichen Träumen vorgestellt hatte. Dort lag ein toter Kamerad und er wusste nicht, ob er diesen Anblick je vergessen konnte. Mit einem Mal begriff er, dass er nicht der Held war, der er gerne gewesen wäre. Vielleicht würde er es nie werden.
Das schwarze Monster duckte sich noch ein wenig tiefer, blickte wild umher. Ein Soldat setzte zum Angriff an.
„Nicht!“ schrie Gordon.
Mit einem Brüllen sprang das Ding auf den Soldaten zu, riss ihn zu Boden und biss ihm die Kehle durch. Die Attacke kam so schnell, dass Laiken im ersten Moment gar nicht begriff, was passiert war. Jetzt wartete niemand mehr auf ein Kommando. Er und die anderen zwei Soldaten griffen gleichzeitig an und auch der Ritter setzte sich erstaunlich schnell in Bewegung. Dennoch waren sie zu langsam. Blitzschnell drehte das Monster sich um, duckte sich ein weiteres Mal und sprang mit einem gewaltigen Satz über die Angreifer hinweg. Laiken drehte sofort um und sah gerade, wie das Ding landete und dabei die Erde einen halben Fuß weit aufriss. Noch in der gleichen Bewegung drehte es sich abermals um und hob seinen langen Arm, um auch Laiken zur Seite zu fegen. Instinktiv hob er sein Schwert, doch anstatt der stumpfen Breitseite zeigte die scharfe Schneide zum Monster und es schlug sich selbst den Unterarm ab. Ein wütendes Brüllen ertönte und mit dem anderen Arm setzte er zu einem zweiten Angriff an. Laiken machte im letzten Moment einen hastigen Sprung nach hinten. Dennoch erwischten ihn die scharfen Klauen an der Brust. Brennender Schmerz breitete sich aus und die Wucht des Angriffs schleuderte ihn zu Boden. Nach einem kurzen Augenblick der Benommenheit rappelte er sich wieder auf. Das Monster wurde immer wieder angegriffen, doch jedesmal konnte es den Attacken ausweichen. Ohne nachzudenken, stürmte Laiken auf ihn zu und genau in diesem Moment wandte sich das Ungeheuer zu ihm hin, als wenn es den Angriff geahnt hätte. Doch diesmal war es zu spät. Er schaffte es, sein Schwert in die Brust des Affenmonsters zu stoßen. Es stieß einen spitzen Schrei aus und bäumte sich auf. Wild schlug es mit seinem heilen Arm und dem Stumpf um sich, die anderen brachten sich hastig in Sicherheit. Dann sackte es zu einem schwarzen Haufen zusammen und regte sich nicht mehr.
Laiken keuchte schwer. Sein Körper fühlte sich an, als wäre er mit zentnerschweren Steinen gefüllt und er ließ sein Schwert zu Boden fallen. Dann wurde ihm schwarz vor Augen und er verlor sein Bewusstsein.

„Wie konntest Du es wagen, das Kettenhemd nicht anzuziehen, Bursche?“ Theols Stimme zitterte vor mühsam unterdrückter Wut.
„Aber wie hätte ich -“
„Du hättest tot sein können!“ Nun polterte seine Stimme. „Wäre der Grollokk auch nur wenige Zentimeter näher an Dich heran gekommen, stündest Du nun vor Ewols Antlitz!“
Laiken erwiderte nichts. Beschämt schaute er stattdessen zu Boden. Vor wenigen Minuten hatte Gordon eine übel riechende Kräutermixtur auf die Schlitzwunden an seiner Brust gerieben, nun war er dabei, einen Verband umzulegen, der seinen ganzen Oberkörper umspannte.
„Wie konntest Du auch nur einen Augenblick lang annehmen, die Reise fände ohne einen einzigen Angriff statt?“ Die Stimme Theols wurde wieder etwas ruhiger.
„Warum sollten wir diesem Ding nicht in die Augen schauen?“ fragte Laiken schließlich, als nach einer Weile noch immer keiner weiter gesprochen hatte.
Gordon schaute kurz zu ihm hoch, ehe er antwortete. „Ich kannte mal einen guten Mann, Frendt. Es war die Schlacht um Leece, als wir einem Grollokk zum ersten Mal begegneten. Ich erinnere mich noch, wie Frendt mit seinem Schwert auf ihn losstürmte. Doch er hatte keine Chance. Dieses Ding war viermal so groß wie ein Mann! Ehe er auch nur in die Nähe kam, wurde er von einer riesigen Klaue gepackt und davongeschleudert.“ Gordon hielt inne und gerade, als Laiken dachte, er würde nicht weitererzählen, da fuhr er fort. „Als die Schlacht vorüber war und die schwarzen Horden sich vorerst zurückgezogen hatten, lag Frendt bewusstlos im Schlamm. Wir schafften ihn in ein Zelt, um ihn zu versorgen. Schließlich erwachte er, doch er war nicht mehr derselbe. Meistens redete er wirres Zeug wie im Fieberwahn. Dabei war sein Körper gesund, abgesehen von den Wunden. Er war kaum ansprechbar. Entweder saß er oder er lief unruhig hin und her und erzählte vom Wahnsinn in den Augen. Mir war klar, dass er nur den Vorfall mit dem Grollokk meinen konnte. Wenn man ihn so sah glaubte man, in Frendt lebten zwei Personen. Die eine war der Soldat, den ich lange Zeit unterrichtet hatte. Die andere war die, die dem Wahnsinn anheim gefallen war.“ Wieder hielt Gordon kurz inne. „Nun, nach einigen Tagen verschwand Frendt spurlos. Wir haben ihn nie wieder gesehen.“
Als Laiken die Geschichte hörte, spürte er einen dicken Kloß im Hals. „Dieser verdammte Krieg“, murmelte er und ballte wütend seine Hände zu Fäusten.
„Ewol muss uns gnädig gewesen sein“, meinte schließlich Theol, der während der Erzählung stumm aus dem Fenster geschaut hatte. Sämtlicher Zorn war aus seiner Stimme verschwunden. „Der Grollokk heute morgen war nur halb so groß gewesen. Es muss ein Jungtier gewesen sein, das den Anschluss verloren hatte. Von dem schlanken Körper darf man sich nicht täuschen lassen. Diese Monster bestehen aus nichts anderem als Muskeln. Wäre er ausgewachsen gewesen, hätten wir nicht den Hauch einer Chance gehabt, den Kampf zu gewinnen. Einen Grollokk besiegt man nicht im Nahkampf.“ Den letzten Satz hatte er nach einer fast unmerklichen Pause hinzugefügt.
„Und dennoch“, sagte Gordon, „haben wir keinen Grund aufzuatmen. Das Ungeheuer muss im Wald umhergestreift sein, andernfalls wäre es schon lange vor seinem Angriff entdeckt worden. Wir müssen also damit rechnen, weitere unangenehme Begegnungen zu haben, wenn wir nach Thimber weiterreisen.“
Mit diesen Worten verschwand er aus dem Zimmer und Theol folgte ihm humpelnd. Er hatte Glück gehabt, als der Grollokk ihn erwischt hatte. Lediglich sein linkes Bein war wirklich verletzt, ansonsten hatte er nur blaue Flecken.
Auch Laiken stand auf und ging in die Wirtsstube, wo alle warteten. Sie führten ihre Reise fort, gen Thimber.

Laiken fürchtete sich ein wenig. Der Wald um ihn herum war schwarz, lediglich das letzte Glühen des Feuers erhellte einen geringen Radius der Schlafstelle. Es war still. Das einzige, was er hören konnte, waren die langsamen und entspannten Atemgeräusche seiner Kameraden und hin und wieder ein Rascheln oder Knacken von weiter weg. Dieses Mal war er zur Nachtwache eingeteilt worden, zusammen mit Dirk, der die zweite Hälfte der Nacht übernehmen sollte. Er wünschte sich, sich niemals für die Eskorte freiwillig gemeldet zu haben. Aber der unstillbare Drang, ein richtiges Abenteuer zu erleben, hatte ihm keine andere Möglichkeit gelassen.
Ein richtiges Abenteuer? Pah. Darunter hatte Laiken sich wahrlich etwas anderes vorgestellt. Mit wehenden Fahnen hatte er in Thimber einreiten wollen, Gordon und Theol sicher und wohlbehalten im Schlepptau. Jeden Angriff auf der Reise hätten sie glorreich abgewehrt. In Thimber hätten die Ritter die Unterredung mit Tamarrha gehabt und dann wären sie mit den gleichen wehenden Fahnen zur Rhynburg zurückgekehrt um von ihrer erfolgreichen Mission zu erzählen. Und dann wäre Laiken sicherlich zum Ritter ernannt worden
Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Die Reise war größtenteils langweilig, die einzige Abwechslung bestand in dem Training, welches täglich für ein bis zwei Stunden absolviert wurde. Und der einzige Kampf, den sie bisher zu bestreiten hatten, hatte der Gruppe zwei Männer gekostet. Wenn Laiken jetzt daran dachte, welche Vorstellungen er vor der Reise gehabt hatte, so kamen sie ihm nunmehr so naiv und dumm vor, dass er sich derer schämte.
Irgendwo aus dem Wald war der Ruf einer Eule zu hören.
Der Mond erschien zwischen den dichten Wolken, die in den letzten zwei Tagen Regen gebracht hatten und ließ Laiken die schwarzen Konturen der Baumwipfel erkennen, die sich im Wind wiegten. Die Stille des Waldes ließ es ihn schwerfallen, die Augen offen zu halten um nicht einzuschlafen. Die letzten Tage waren sehr anstrengend gewesen. Der Weg, der vom Gasthaus hinein geführt hatte, war nach anderthalb Tagen zu Ende gewesen und es blieb nichts anderes übrig, als sich mit roher Gewalt einen Weg zu bahnen, bis sie hin und wieder auf einen Trampelpfad stießen, der von den tierischen Waldbewohnern gemacht worden war.
Nach einiger Zeit schließlich, die Laiken wie eine Ewigkeit vorkam, weckte er Dirk und die Nachtwache war für ihn vorbei.

Endlich hatten die Gefährten den Talwald durchquert und standen nun vor dem Rheyndal, in welchem Thimber lag. Direkt vor ihnen wand sich ein breiter Weg wie eine Schlange den Hang hinab.
„Das ist ja ein Krater“, meinte Laiken verwundert. „Ich dachte, es wäre ein Tal.“
Gordon nickte zustimmend. „Richtig. Die Cinhtárier kennen für Vertiefungen aller Art nur das Wort Dal. Die meisten denken, dass das in unserer Sprache Tal heißt, doch das ist halt nur zum Teil richtig.“ Der Krater maß etliche Meilen im Durchmesser und der tiefste Punkt war mehrere hundert Fuß unter der jetzigen Position der Reisegruppe gelegen.
Doch die Tatsache, dass es sich beim Rheyndal um einen Krater anstatt eines Tales handelte, war längst nicht so verwunderlich wie das, was sich aus dem Krater selbst erhob: Arves Baum. Einer cinhtárischen Legende nach, hatte die Göttin des Waldes, Arve, im Rheyndal vor vielen tausend Jahren einen Baum gesät, um den Menschen damals eine Heimat zu bieten. Die Cinhtárier waren das einzige Volk, welches nicht aus den Westenlanden kam, so wie alle anderen Menschen hier, sondern sie hatten schon immer auf Xanthoria gewohnt. Und aus diesem Samen, den die Göttin gesät hatte, war dieser Baum entstanden. Er war unglaublich groß. Der Stamm hatte einen Durchmesser von vielen hundert Fuß und wuchs so weit in die Höhe, dass er noch viele Meilen entfernt zu erkennen war. Aus entsprechender Entfernung hätte man den Baumwipfel für einen bewaldeten Berg halten können. Arves Baum war zugleich Thimber, denn in ihm lebten die Bewohner der Stadt, wenn auch nicht alle. Um den Stamm herum waren Häuser gebaut worden, die ebenfalls zu Thimber gehörten und alles wurde von einer recht hohen Mauer eingezäunt. Sowohl die Häuser als auch der Schutzwall waren aus Holz.
Laiken schaute ehrfürchtig. Natürlich hatte er schon davon gehört, dass Arves Baum mit nichts zu vergleichen war, was er vorher gesehen hatte, aber die Realität übertraf alle seine Vorstellungen. Mit einem Mal war alles bisher Geschehene vergessen. Die Schmerzen, der Angriff des Grollokks, die verlorenen Gefährten. Er war froh, die Reise angetreten zu haben und innerlich dankte er Ewol, dem Göttervater, dafür, dass er die Möglichkeit dazu geboten bekommen hatte. Wie es wohl in dem Baum aussah? Wie die Menschen dort wohl waren? Es hieß, dass die Cinhtárier besonders fingerfertig und geschickt waren. Ihr Talent sollte sich angeblich mit dem von Elfen messen können, jenen filigranen kleinen Geschöpfen aus alten Erzählungen.
Und so war es auch er, der sein Pferd zum Weitergehen aufforderte und als erster weiterritt. „Kommt! Wir müssen weiter!“

Zwei Tage später standen sie vor einem großen Tor, welches den Eingang zum Äußeren Kreis von Thimber darstellte. Es war das Haupttor. Sie stiegen von ihren Pferden ab und Theol ging zum Rand des rechten Torflügels, in dem eine verschlossene Luke eingearbeitet war. Er klopfte.
Einen Augenblick tat sich nichts, dann waren dumpfe Schritte von der anderen Seite des Einganges zu hören. Nur einen Moment später gesellte sich das Geräusch eines Riegels hinzu, der zur Seite geschoben wurde. Dann öffnete sich die Luke und ein bärtiges Männergesicht schaute zu den Gefährten heraus. Aufmerksam und mit leichtem Misstrauen in den Augen glitt sein Blick taxierend über die Gesichter eines jeden von ihnen.
„Ja?“ fragte der Bärtige schließlich an Theol gewandt.
„Mein Name lautet Theol Hammerfried und das ist Gordon von Leece. Wir sind Ritter von der Rhynburg und das sind einige Soldaten, die uns auf der Reise hierher begleitet haben“, antwortete dieser mit einem abschließenden Wink zu Laiken und den anderen.
„Ich bin ein enger Vertrauter von König Gregorius II.“, fügte Gordon hinzu. „Wir sind gekommen, um mit der Hohen Dame, Tamarrha, zu sprechen. Sie müsste Nachricht über unser Kommen erhalten haben.“ Hohe Dame war die Bezeichnung des cinhtárischen Volkes für Königin. Der König wurde Hoher Herr genannt. Allerdings hatte Tamarrha keinen Gemahl und so war sie die alleinige Herrscherin über Cinhtárien. Das war höchst außergewöhnlich, zumal sie der erste weibliche Herrscher in diesem Reich war.
Der Blick des Torwächters wurde noch misstrauischer, dann entdeckte er aber das Wappen auf Theols Schild. „Wartet einen Augenblick.“ Mit diesen Worten schloss sich die Luke wieder und die Schritte entfernten sich.
Der Augenblick, von dem der Bärtige gesprochen hatte, gestaltete sich tatsächlich eher zu einer kleinen Ewigkeit. Offensichtlich musste er sich erst erkundigen, ob tatsächlich Reisende von der Rhynburg erwartet wurden. Dann aber kam er schließlich zurück.
„Ihr könnt eintreten. Die Hohe Dame erwartet Euch, Herr von Leece.“ Das Gesicht des Wächters verschwand von der Luke und einen Moment später öffneten sich die Torflügel langsam und quietschend. Als die Öffnung groß genug war, dass die Reisenden einzeln hindurchtreten konnten, wurde der Vorgang gestoppt und alle traten mit ihren Pferden hindurch.
Direkt vor dem Eingang war Arves Baum kaum noch zu sehen gewesen, weil der Schutzwall sehr hoch war. Lediglich, wenn man nahezu senkrecht nach oben schaute, war die Baumkrone zu erkennen, die den ganzen Himmel zu verdecken schien. Jetzt jedoch, als Laiken mit großen Augen durch das Tor trat, präsentierte sich der riesige Baum in all seiner Erhabenheit. Eine breite, gepflasterte Hauptstraße führte vom Tor aus direkt zu ihm. Links und rechts standen Häuser Seite an Seite. Jede Menge Menschen waren unterwegs. Sie gingen entweder die Straße entlang oder überquerten sie, um von einer Nebenstraße zur nächsten zu gelangen. Laiken sah Kinder, Frauen und Männer, Junge und Alte, Arme und Reiche. Auch der eine oder andere Händlerwagen war zu sehen. Alles war bunt gemischt und erfüllt vom geschäftigen Rufen der Erwachsenen und dem fröhlichen Lachen und Kreischen der Kinder.
Viele Baumwurzeln waren so groß und mächtig, dass die Häuser auf ihnen gebaut worden waren. Und um zu diesen Gebäuden zu kommen, hatten die Bewohner der Stadt Treppen direkt in die Wurzeln hineingeschnitten. Hier und da waren auch Durchgänge in ihnen zu sehen. Ansonsten aber waren die Menschen offensichtlich respektvoll mit den Wurzeln umgegangen, keine Wurzel schien abgesägt worden zu sein, um Platz zu schaffen. Stattdessen orientierte sich die Bebauung des Äußeren Kreises an den Wurzeln. Eine brach sogar direkt auf der Hauptstraße aus dem Boden und verschwand nach ein paar Fuß wieder. Um die Wurzel zu schützen, war sogar ein Zaun drumherum angebracht worden. Alles sah gepflegt und handwerklich gut aus, dennoch war Laiken ein wenig enttäuscht. Er hatte besonders schöne Häuser erwartet, ungewöhnlich in Form und Bauweise. Doch was er sah, unterschied sich kaum von dem, was er von der Rhynburg bereits kannte. Der einzige Unterschied war tatsächlich der, dass in Thimber nahezu alles aus Holz zu bestehen schien, abgesehen von der Bepflasterung der Hauptstraße. Er fragte sich, ob die Menschen denn gar keine Angst vor einem Feuer hatten.
Ein hochgewachsener Herr in feinem Anzug kam in Begleitung dreier junger Männer auf Laiken und die anderen zu und blieb vor ihnen stehen. „Herr von Leece?“
„Das bin ich“, antwortete Gordon.
„Ich darf Euch bitten, mit mir zu kommen. Die anderen“, fügte er mit Blick auf Theol und die Soldaten hinzu, „werden von Kel zu unserem besten Gasthaus gebracht.“ Er deutete auf einen seiner Begleiter. „Die anderen zwei kümmern sich um Pferde und Gepäck.“
„Dürfen wir denn nicht mitkommen?“ fragte Laiken.
Der Herr im Anzug blickte ihn irritiert an und Theol lachte schallend. „Laiken!“ rief er schließlich. „Was glaubst Du denn? Wir wollen eine Audienz mit der Hohen Dame! Da kann nicht einfach jeder mitgehen!“ Er klang noch immer sehr amüsiert und Laiken lief vor Unbehagen rot an.
„Oh“, meinte er nur. Er hatte gehofft, das Innere des Baumes zu Gesicht zu bekommen, aber der Wunsch schien nicht in Erfüllung zu gehen.
„Kommt“, sagte der Herr im Anzug an Gordon gerichtet und war gerade im Begriff, sich umzudrehen, als er noch einmal innehielt und sich wieder zum Ritter wandte. „Ah. Ich vergaß, mich vorzustellen.“ Er deutete eine Verbeugung an. „Ich heiße Darwill und bin ein persönlicher Diener der Hohen Dame Tamarrha, Herrscherin über unser schönes Cinhtárien.“
„Sehr erfreut“, erwiderte Gordon und nickte Darwill kurz zu. Dann machten sich beide auf den Weg in Richtung Baum.
Noch immer ein wenig enttäuscht blickte Laiken hinterher, ehe Kel sie zu dem Gasthaus geleitete.
„Wie sieht es in Arves Baum aus?“ fragte er Theol nach einer Weile. Vielleicht konnte ja der Ritter ein wenig darüber erzählen.
Doch wieder wurde Laikens Begehren nicht erhört. „Ich weiß es nicht, mein Junge.“ Eine Weile sagte keiner von beiden was, die anderen beiden Soldaten unterhielten sich mit Kel, der etwas jünger als Laiken aussah. Er mochte vielleicht sechzehn Jahre alt sein. Ihm fiel auf, dass er nie richtige Freundschaften mit anderen Soldaten geschlossen hatte. Was die anderen wohl von ihm dachten?
„Du bist enttäuscht“, stellte Theol nach einer Weile fest und riss Laiken aus seinen Gedanken. „Weil Du nicht die Abenteuer erlebst, die Du zu erleben gehofft hast.“
„Ja“, meinte Laiken nur und nach einer kurzen Pause: „Irgendwie schon.“
„Ich sag Dir jetzt mal was“, erwiderte Theol mit ernster und dennoch überraschend sanfter, fast väterlicher Stimme. „Erwarte nicht zuviel vom Leben, mein Junge. Nur wenigen ist es vergönnt, überhaupt einen Ritter auf seiner Reise zu begleiten und ihn zu beschützen.“
„Ja, Herr.“
„Als wir am Rande des Talwaldes angegriffen wurden, war ich sehr stolz auf Dich, Laiken. Ohne Dich hätten wir den Grollokk vielleicht nicht besiegt.“
Als der Soldat dies hörte, lächelte er zaghaft und tief in seinem Innern war er auch ein wenig stolz auf sich.
Inzwischen waren sie beim Gasthaus angekommen, von dem Darwill gesprochen hatte, um dort auf die Rückkehr Gordons zu warten.

Im Gegensatz zum Außenbereich von Thimber, der zwar schön, aber dennoch insgesamt recht schmucklos daherkam, waren die Gänge in Arves Baum kunstvoll verziert. In den Wänden waren in regelmäßigen Abständen Reliefs eingemeißelt worden. Teilweise waren es nur wunderschöne Muster, aber viele zeigten auch Szenen. Eines beispielsweise zeigte eine Frau, die einen Samen einpflanzte – vermutlich die Göttin Arve, die ihren Baum säte. Andere Reliefs zeigten Feste oder Szenen, wie die Cinhtárier die Stadt erbauten. Dabei waren alle Bilder von einer erstaunlichen Detailverliebtheit. Bei Arve hatte Gordon den Eindruck, er könne jede Falte ihres Kleides erkennen. Auffällig war, dass es keine kriegerischen Szenen gab. Kein Wunder, Cinhtárien war friedlich und unabhängig. Vermutlich würde es schwierig werden, die Hohe Dame davon zu überzeugen, mit Rhynn ein Bündnis einzugehen und gegen die schwarzen Horden zu kämpfen. Gordon hoffte, dass es ihm gelänge.
Darwill ließ ihm einige Zeit, um die Bilder zu bestaunen, ehe er das Wort ergriff: „Verehrter Herr von Leece, wir müssten jetzt weiter. Die Hohe Dame wartet bereits auf Euch.“
Mühsam riss Gordon sich von den Reliefs los. „Natürlich.“
Hinter dem großen Tor, welches der Eingang zum Baum war, führte ein Gang nach rechts und nach links. Direkt gegenüber vom Eingang war eine doppelflügelige Tür, die vermutlich in einen anderen Raum, weiter im Baum hinein führte. Darwill schlug die Richtung nach links ein. Der Gang war breit genug, um drei normal gebauten Männern nebeneinander Platz zu bieten und hin und wieder kamen die beiden an Türen auf der rechten Seite vorbei. In die Außenwand waren viele kleine Fenster eingearbeitet, sodass der Gang ausreichend erhellt wurde und die Luft angenehm frisch nach Holz roch. Dennoch waren auch immer wieder Fackeln zu sehen, welche jedoch im Moment erloschen waren. Gordon fragte sich, ob die wohl tatsächlich verwendet wurden und wunderte sich, dass die Menschen ein solches Sicherheitsrisiko eingingen. Immerhin, die Fackeln hatten einen größeren Abstand zu den Wänden als üblich. Nach der vierten Tür endete der Gang vor einer Treppe. Sie stiegen hoch und Gordon zählte dreiundvierzig Stufen, bis sie im nächsten Stockwerk angelangt waren. Er wusste, dass es in den höheren Etagen Ausgänge zu den Ästen gab, die breit und stabil genug waren, um Menschen und sogar Häuser zu tragen. Weiter ging es in einem leichten Bogen, die Außenwand des Baumes entlang. Schließlich erschien auf der rechten Seite eine zweiflügelige Tür in einer Einbuchtung, die mit geschwungenen Mustern verziert war. Gordon glaubte, inzwischen auf der anderen Seite des Baumes angelangt zu sein. Vor der Tür standen zwei Wachen.
„Ich bringe Herrn Gordon von Leece. Er kommt im Auftrag von König Gregorius II. von Rhynn. Die Hohe Dame weiß Bescheid und erwartet ihn“, sagte Darwill zu der linken der beiden Wachen.
Der Wächter nickte und öffnete die Tür. Gordon und der Diener traten in einen sehr großen Raum ein. Auch auf dieser Seite standen zwei Wachen am Eingang. Die Decke des Königssaales war etwa zehn Fuß über ihnen. Trotz der Größe war die Einrichtung karg. Der Weg von der Tür zum Thron war mit einem dunklen, weichen Teppich ausgelegt und an beiden Seiten gab es Pfähle, die direkt aus dem Boden kamen, sie waren aus dem gleichen Holz. An deren Enden waren brennende Fackeln angebracht. Auch hier waren die Wände kunstvoll verziert, ansonsten gab es außer zwei Thronen nichts. Wenn man diese sah, wusste man, warum die cinhtárischen Könige und Königinnen Hohe Herren beziehungsweise Hohe Damen genannt wurden. Die Throne waren vier Fuß hoch. Auch sie wuchsen direkt aus dem Boden, waren zunächst breit und wurden nach oben hin immer schmaler, bis nur noch eine Sitzfläche mit einer Lehne übrig war. Auf dem rechten Königsstuhl saß Tamarrha, der linke war frei. Sie war sehr jung.
Darwill blieb am Eingang stehen, während der Ritter langsam voran schritt. Dabei blickte er stur geradeaus. Es war ihm nicht gestattet, zur Königin heraufzublicken. Gordon fühlte sich unwohl, noch nie hatte er einen Auftrag wie diesen von seinem König erhalten. Aber er ließ sich nichts anmerken, während er glaubte, sein Herz müsse im ganzen Raum zu hören sein. Das Geräusch seiner gleichmäßigen Schritte wurde vom weichen Boden vollkommen aufgesogen. Am Ende des Teppichs ließ er sich auf das linke Knie nieder und sah auf den Boden. Zwischen ihm und dem Thron lagen noch etwa sechs Fuß.
„Hohe Dame Tamarrha, ich präsentiere Euch Herrn Gordon von Leece, Ritter und Vertrauter des Herrschers von Rhynn, König Gregorius II.“
„Danke, Darwill“, antwortete Tamarrha. Gordon hatte geglaubt, die Stimme würde zerbrechlich klingen, nach dem, was er bisher von der Hohen Dame gehört hatte. Schließlich hatte sie gerade erst ihren achtzehnten Geburtstag gehabt. Aber die Stimme war laut und fest, erfüllte den ganzen Saal. Und dennoch klang sie sehr weiblich, freundlich.
Nach einem kurzen Moment wandte sie sich an ihren Besuch. „Welches Anliegen führt Euch zu mir, Herr von Leece?“ fragte sie ruhig.
„Die Schatten unseres Volkes haben uns eingeholt“, erwiderte Gordon ohne aufzublicken. Auch ihm gelang es, die Stimme fest und sicher erscheinen zu lassen. „Die schwarzen Horden sind über unser Land hereingefallen. Ihr kennt sicherlich die Legende, dass unser Volk einst von den Westenlanden am anderen Ende des Meeres kam. Wir waren von dort vertrieben worden. Auch damals waren es die Horden, angeführt von einem Mann, der sich Reddot nannte. Niemand weiß, ob wir auch jetzt gegen ihn kämpfen, immerhin sind viele Jahrhunderte seitdem vergangen. Aber viele glauben es, denn die Armee ist die gleiche.
Der Krieg wütet nunmehr seit zwei Jahren, es steht schlecht um uns. Das Königreich Xan ist bereits verloren. Und auch mein Land, Rhynn, wird den schwarzen Horden nicht mehr lange standhalten können. Viele Landstriche mussten wir bereits aufgeben, übrig sind die Rhynburg und alles, was östlich davon zu unserem Reich gehört.
Das Anliegen meines Königs lautet, dass er ein Bündnis mit Euch wünscht.“
„Ihr und Euer König wisst, dass mein Land stets neutral war. Eure Kriege und Streitereien interessieren uns nicht. Wir sind friedlich und stehen unter Arves Schutz. Warum sollten wir uns nun mit Euch verbünden, um diese schwarzen Horden zu vernichten? Da sie Eurer Volk schon mal vertrieben hatten, scheint es allein das Problem Eures Landes zu sein, nicht unseres.“ Tamarrhas Stimme war nun ein wenig unfreundlicher. Gordon spürte ihren festen Blick auf ihn ruhen.
„Verzeiht mir, das zu sagen, aber Ihr täuscht Euch, Hohe Dame Tamarrha. Reddot, oder wer auch immer nun die Horden befehligt, wird nicht eher ruhen, bevor er nicht alles bis zum Schwarzen Vendargebirge weit im Osten und vielleicht sogar darüber hinaus erobert hat. In den Westenlanden ist er wie eine Krankheit über das Land hergefallen und hinterließ nichts anderes als Verderbnis, Dürre und Tod. So steht es in unseren Büchern geschrieben. Wir müssen all unsere Kräfte aufbieten und uns zusammenschließen, wenn wir ihn besiegen wollen!“ Eine kurze Pause. „Bevor wir in den Talwald gekommen sind, wurden meine Gefährten und ich von einem Grollokk angegriffen. Er gehörte zu den Horden und musste im Wald umhergestreift sein. Zwei Männer sind bei dem Angriff verloren gegangen. Wir wissen nicht, ob er alleine war oder ob es noch mehr im Wald gibt. Aber alleine die Tatsache, dass die Monster bereits bis zum Wald vorgedrungen sind, beweist, dass auch Cinhtárien in großer Gefahr schwebt. Arve wird Euch nicht helfen können, die Götter haben uns verlas -“
„Ich verbiete Euch, so über unsere Göttin zu sprechen, Ritter!“ unterbrach die Königin. Ihre Stimme war voller schneidender Kälte.
Gordon zuckte unmerklich zusammen. „Ich bitte um Vergebung, Hohe Dame Tamarrha, ich habe mich von meinen Gefühlen übermannen lassen. Dennoch ... ich sage die Wahrheit.“
Eine Weile, die dem Ritter wie die Ewigkeit vorkam, sagte niemand etwas. Ruhig schaute er weiterhin auf den Boden.
„Ich werde das weitere Vorgehen mit meinen Vertrauten besprechen“, brach Tamarrha schließlich die Stille. Gordon hörte Schritte näherkommen und wie etwas gegen den Thron gestellt wurde. Vermutlich hatte ein Bediensteter eine Leiter geholt, damit die Königin herabsteigen konnte.
„Schaut mich an“, forderte sie ihn auf. Zögernd hob Gordon den Kopf und blickte in ihr Gesicht, welches von langen roten und gelockten Haaren eingerahmt war. Das flackernde Licht der Fackeln ließ ihre Haut noch blasser erscheinen, als es wahrscheinlich tatsächlich war. „Darwill wird Euch zum Gasthaus bringen, in dem Eure Begleiter bereits warten. Ihr könnt so lange in unserer Stadt bleiben, bis ich eine Entscheidung gefällt habe.“
Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand durch eine Tür am Ende des Saales.

Fünf Tage später standen die Gefährten mit ihren Pferden vor dem Tor von Thimber. Die auf der Reise verlorenen Männer waren von zwei cinhtárischen Soldaten ersetzt und es waren sogar drei weitere zur Verfügung gestellt worden. Tamarrha hatte beschlossen, Rhynn zu unterstützen. Laiken war sehr froh darüber.
Am Tor stand diesmal nicht der Bärtige, sondern eine andere jüngere Wache. Das Tor wurde sofort geöffnet, als die Gefährten ankamen.
"Wie lange wird es dauern, bis das cinhtárische Heer in Rhynn eintreffen wird?", fragte Laiken.
"Es wird einige Wochen in Anspruch nehmen, bis die Divisionen zusammengestellt sind und der Wald versperrt den Weg. Sie müssen also einen Umweg nehmen", antwortete Gordon. "Ich hoffe, König Gregorius kann so lange standhalten."
Sie schritten durch das Tor und als sie es passiert hatten, blieben alle abrupt stehen. Laikens Gesicht verlor jede Farbe und sein Herz begann schmerzhaft zu pochen.
"Bei Ewols Gnade", flüsterte Theol. "Das kann nicht sein!"
Laiken schluckte schwer. "Wie konnten sie so schnell den Wald durchqueren?"
"Ich weiß es nicht", antwortete Gordon. "Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr."
Dort, wo der Talwald begann, am Rand des Kraters, da war eine schwarze Reihe erschienen. Der Grollokk war nicht alleine gewesen. Und in diesem Moment wurde allen klar, dass sie nie wieder nach Rhynn zurückkehren würden.

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Hallo an alle!

Lang lang hat's gedauert, nun habe ich endlich den zweiten Teil fertiggestellt.
Ich habe versucht, die Fragen, die im ersten Teil aufgetreten sind, so gut wie möglich zu beantworten und hoffe natürlich, dass "Das Bündnis" insgesamt gut und vor allem verständlich :D geworden ist!

Schöne Grüße
Friedesang

 

Hallo Friedenssang!

So, bis zu dem Absatz, wo die Herrschaften den Angriff des Grollocks hinter sich haben, bin ich schon mal. Ok soweit. Nun zu ein, nein zwei Kleinigkeiten.
Dreckiger Schlamm... Schlamm ist immer dreckig, oder? Also - ändern!
Die Truppe ist sehr tierlieb, erst bekommen die Pferde ihr Heu, okay, aber als es losgeht, sehen die anderen nach den Pferden... ne, vom Ansehen kann man sie nicht reiten, also - ändern! Hihi... Man was bin ich fies....
Und dann vielleicht noch eine Kleinigkeit. Nix gegen Deine Namen, aber ich habe bei dem Ort Thimber sofort Final Fantasy acht vor meinem inneren Auge gesehen. Dort macht auch eine Stadt names Timber mit... aber nun gut, Namen sind Schall und Rauch wie man so schön sagt. Vielleicht auch ein Name, der gänzlich unbekannt ist wie zum Beispiel... Miranzukawitsch? Oder Platsch? Vielleicht gefällt Dir ja auch Fo ganz gut? ....

Viele Grüße

Maicenna

 

Hallo Maiceena!

Dreckiger Schlamm... Schlamm ist immer dreckig, oder? Also - ändern!

Aye aye, Chef! Ist erledigt :)!
ne, vom Ansehen kann man sie nicht reiten, also - ändern!

Wohl wahr, dennoch muss ich hier widersprechen ;)! Fadrim hat vor dem Angriff nach den Pferden gesehen, die Reise ging da noch nicht weiter (schließlich kam ja noch der Angriff). Nach dem Angriff ist lediglich die Rede davon, dass die Reise nach Thimber fortgesetzt wird, insofern meines Erachtens alles völlig legitim!
Nix gegen Deine Namen, aber ich habe bei dem Ort Thimber sofort Final Fantasy acht vor meinem inneren Auge gesehen. Dort macht auch eine Stadt names Timber mit...

Völlig richtig! Final Fantasy VIII gehört zu meinen Lieblings-Games, aber ich habe bei der Wahl des Namens nicht an das Spiel gedacht. Timber ist der altgermanische (?) Name für Wald. Ich finde den Klang dieses Wortes sehr schön und da das Reiseziel der Gruppe rein zufällig :D von Wald umgeben ist, habe ich mich für den Namen entschieden - lediglich mit einem zusätzlichen "h" versehen, damit niemand behaupten kann, ich hätte geistiges Eigentum gestohlen :D!

Danke für Deine vorläufige Kritik, mal sehen, was noch kommt, wenn Du fertig bist!
Eine Kleinigkeit noch, wenn Du Stellen findest, die verbesserungswürdig sind, mache bitte von der Zitier-Funktion Gebrauch, dann kann ich die Stellen leichter finden, der Text ist ja recht lang :)! Den Button dafür findest Du dort, wo Du auch Smileys und so auswählen kannst (es ist die gelbe Sprechblase).

Schöne Grüße
Friedesang

 

Hallo Friedesang!

Stilistisch und inhaltlich mMn eine gute Steigerung im Vergleich zum ersten Teil. Jedoch hat diese Geschichte ein paar unnötige Längen und das Ende ist - mal abgesehen von dem Perspektivenwechsel - leider ein wenig abgewürgt.

Ein paar Details:

Bei dem Gedanken, noch so lange unterwegs zu sein, tat ihm sein Körper leid, der schon nach wenigen Tagen angefangen hatte, jeden Abend zu schmerzen.
unnötig kompliziert

Im Gasthaus war es warm und schon von draußen hatte man fröhliche Musik spielen können hören
Da sind zu viele Verben drin. :)

Vermutlich war das das Wirtspaar.
unschöne Wortdopplung.

Der erste Abschnitt ist meinem Empfinden nach ein wenig zu sehr in die Länge gezogen. Gerade zum Ende hin könnte man einiges rausnehmen, zum Beispiel die Worte des Ritters, dass sie schlafen gehen sollen.

Der Kampf ist gut geschildert, auch Laikens Zögern. Die anschließende Erzählung zu Fendt könntest du mMn zusammenstreichen.

In der Szene mit der Nachtwache steckt vll ein bisschen zu wenig.

Schöne Beschreibungen zur Stadt und dem Baum, aber die Vorstellung in der Stadt ist vll. ein bisschen zu lang. Dann kommt der Perspektivenwechsel auf den Ritter und anschließend der letzte knappe Absatz mit dem Ergebnis. Der Grund dieser Wechsel ist mir nicht so ganz ersichtlich.

Soweit von mir. Insgesamt war die Geschichte recht unterhaltsam, ein paar klassische Fantasyelemente durften nicht fehlen, aber das ist absolut in Ordnung.

Beste Grüße

Nothlia

 
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Hallo Nothlia!

Erst einmal das obligatorische (aber nicht minder ernstgemeinte) Dankeschön für's Lesen und Kommentieren! Es freut mich, dass mir der zweite Teil schon besser gelungen ist, das war ja auch mein Ziel :)!
Was die Längen angeht ... ja, "Das Bündnis" ist in der Tat meine bisher längste Kurzgeschichte, die ich geschrieben habe, da lässt sich sicherlich einiges kürzen. Allerdings habe dieser Tage nicht leider nicht so viel Zeit, daher weiß ich noch nicht, wann ich mich damit auseinandersetzen kann. Ich hoffe einfach mal, dass ich es bis zum WE oder bis zur nächsten Woche hinkriege.

Dann kommt der Perspektivenwechsel auf den Ritter und anschließend der letzte knappe Absatz mit dem Ergebnis. Der Grund dieser Wechsel ist mir nicht so ganz ersichtlich.

Ja, die Szene bei der Königin halte ich für absolut notwendig. Immerhin hat der zweite Teil das Bündnis zum Hauptthema und da fände ich es unangemessen, wenn Gordon lediglich später ins Gasthaus kommt und von der Audienz erzählt. Nein, ich finde, der Leser sollte die Szene "live" miterleben. Da Laiken aber nur ein einfacher Soldat ist und somit nicht dabei sein kann, war der Perspektivenwechsel notwendig ... natürlich hätte ich auch von Anfang an Gordon als Haupt-Prot nehmen können, aber ihn fand ich nicht so interessant wie Laiken.
Den letzten Absatz werde ich aber wohl tatsächlich nochmal ändern und vermutlich an dieser Stelle noch mal zu Laiken's Perspektive zurückkehren um einen möglichst runden Abschluss für die Geschichte zu finden.
Insgesamt war die Geschichte recht unterhaltsam,

Das freut mich besonders :).

Schöne Grüße von mir
Friedesang

Nachtrag:
So, ich bin jetzt mal die komplette Geschichte nochmal durchgegangen um das eine oder andere zu kürzen, aber soooo viel habe ich leider nicht gefunden, obwohl Du mir entsprechende Hinweise gegeben hast. Aber irgendwie erscheint mir fast alles zu wichtig, als dass ich etwas zusammenfassen könnte :hmm:.
Der letzte Absatz ist jetzt aber komplett anders und ich habe auch einige Umformulierungen im Text vorgenommen.

 

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