Die Wortmacht
Es war einmal ein Wort. Das Wort lebte schon sehr lange und war glücklich, dass es existierte. Neben all den Millonen Wörtern schätzte es sich selbst als das Wichtigste ein. Viele seiner Wortkollegen fanden ihn deshalb eingebildet und narzistisch. Sie warfen ihm vor, daß es die anderen Worte diskriminierte. Denn durch seinen Einsatz wurden viele seiner Kollegen arbeitslos.
Alle Worte versuchten ihn kleinzukriegen. Aber das Wort bekam in all den Jahren seiner Existenz eine immer größer werdende Macht bei seinen Kunden, den Menschen.
Keiner wusste genaues über seine Brutstätte. Es war einfach da. Einen Wortstamm besaß es nicht. Keine Wortfamilie wollte ihn nun aufnehmen. Es war ein ungeliebtes Kind. Das Wort gründete deshalb eine eigenständige Gesellschaft. Es nannte sich „Die Wortmacht“.
Die Worte versuchten mit allen Mitteln dagegen anzukämpfen. Ein verzweifelter Kampf, denn die neue Generation der Wortkunden, nutzte das Angebot der Wortmacht sehr intensiv. Das Geschäft lief so lukrativ, dass eine Ausweitung in verschiedene Bereiche angedacht und realisiert wurde.
Der Gründer blieb sich jedoch treu. Denn er hatte mit seiner ungewollten Macht keine besondere Intention. Es freute sich nur über den massiven Einsatz bei den Menschen, um ein wenig Anerkennung zu erhalten. Das Wort kam bei Diskussionen und Entscheidungsgesprächen am häufigsten zum Einsatz. Meist förderte das Wort bei der Kommunikation zu einer explosionsartigen Reaktion. Die Durchblutung der Menschen wurde angekurbelt. Und der Einsatz von vielen Worten scheiterte, weil sie gegen eine Wand liefen. Wenn darauf hin noch mal das Wort fiel, konnte man für nichts mehr garantieren.
Dann gab es da noch die gleichgesinnten Nutzer des Wortes. Sie warfen das Wort, wie beim Tennis hin und her, ohne dass es zu einer Entscheidung kam. Manchen Nutzern wurde fehlendes Selbstbewusstsein zugeschrieben. Andere hingegen waren als Mitläufer und Leugner des eigenen Nachdenkens verschrien. Mit dem Einsatz enthielten sie sich der Verantwortung eine Entscheidung zu fällen.
Natürlich gab man dem Wort mehr Aufmerksamkeit als es verdiente. Aber das Wort selber fand, dass es kein Gegner von Verantwortung, sondern ein Befürworter des Vertrauens war. Es glaubte, dass durch ihn das Leben nur auf die wesentlichen, bedeutenden Dinge focussiert wurde. Das dem nicht so war, konnte keiner ahnen.
Manche merkten, dass es sie bei ständigem Gebrauch vernichtete. Sie waren zwar existent, aber ihre Meinung wurde gar nicht mehr gefragt, da sie eh nur das Wort als Antwort einsetzten.
Alles fing sehr harmlos und unbedeutend im trauten Heim an. Schon allein die Entscheidungen, die am Frühstückstisch gefällt werden sollten, wurden durch das Wort vernichtet. Es gab keine Frage mehr, ob das Frühstücksei hart oder weich sein sollte, oder ob man lieber Kaffee oder Tee trank. Auch in der Freizeitplanung bekam das Wort eine große Macht. Viele standen in Gruppen im Kino oder auch nur zu zweit und wußten nicht welchen Film sie sich ansehen sollten, da man keine Entscheidung fällen konnte. Es fiel den Menschen schwer, für sich selber zu denken, und übergab die Entscheidung gerne anderen.
Der Staat hieß diese Entwicklung willkommen. Eine betäubte, meinungsfreie Gesellschaft, war genau die richtige Zielgruppe, die ihn für die hirnrissigsten Entscheidungen freie Gewähr ließ. Natürlich beschwerten sich einige über die verschiedensten Maßnahmen, die über ihre Köpfe hinweg gefällt wurden. Aber die Mehrheit der Wortnutzer hatte nun mal die Macht und so konnten die vereinzelten Rebellen nichts bewegen. Natürlich beschwerten sich alle über die teuren Preise seit der Einführung des Euros und teure Benzinpreise brachten die Autofahrer in nervöse Wallungen. Aber sie waren schon längst Stammkunden der Wortmacht und das letzte Wort war meist auch das besagte Wort. Sogar die Rebellen gaben widerstandslos auf und wurden auch zu Kunden des Wortes.
Die einzelnen Weltstaaten beschlossen die wahnwitzigsten Ideen. So durften die Menschen in Deutschland keine weissen Socken auf Sandalen anziehen und Leo Kirch bekam den Auftrag den Fernsehsender 9Live zu neuen Dimensionen wachsen zu lassen. In Spanien durfte keine Siesta mehr gehalten werden und beim Stierkampf musste der Torrero die Rolle mit dem Stier wechseln. In der Schweiz wurde die Uhrzeit um zwei Stunden gekürzt. In Italien gab es seit neuestem süße Pizza und Berlusconi wurde Trainer der italienischen Fußballmannschaft. In den U.S.A. war die Begeisterung für die Wortmacht am allergrößten. Hier wurde ein neues Gesetz entlassen, bei dem allen Gegnern von Minderheiten und dem Präsidenten, einfach die Stimmbänder herausoperiert wurden und auf Eis gelegt. Beim ersten Zeichen der Reue wurden sie live im Fernsehen wieder eingesetzt. Es gab aber auch Länder, die durch die Wortmacht extinguiert wurden. Viele der Entwicklungsländer wurden vom Atlas einfach entfernt. Die neue Generation wuchs mit einem neuen Weltbild auf. Hilfsorganisationen wurden durch die Medien, die schon längst Kunde der Wortmacht waren, ignoriert. Die Menschen weltweit starben wieder auf natürliche Weise, da die Ärzte sich des Wortes bemächtigten. Das Essen wurde komplett gentechnisch hergestellt, so dass es irgendwann durch Mutationen zu Insektenplagen in vielen Ländern kam. Die Menschen lästerten mit Mikrofonen und treibten es auf öffentlichen Straßen. Sie besauften sich bei der Arbeit und kotzten auf die Schreibtische. Die Kinder fuhren mit dem Wagen der Eltern durch die Straßen und brachten im Durchschnitt fünf Menschen dabei um. Das Wort hatte sie alle ausnahmslos in ihrer Gewalt.
Irgendwann wurde die Welt durch Außerirdische aufgesucht. Sie hatten den Plan die Menschheit zu vernichten und sich auf der Erde eine neue Landestation zu errichten. Es gab nur ein Problem. Die Außerirdischen durften nur die Planete in Angriff nehmen, die sich der Belagerung kämpferisch widersetzten. So stand es in deren Verfassung. Die Menschheit hörte in den Medien von der Belagerung der Außerirdischen. Doch sie schalteten lieber zu anderen Kanälen um, in denen Gewinnspiele oder Musik im Programm war. Natürlich wurde auf der Arbeit, in den Cafes, in der Freizeit über die Außerirdischen gesprochen. Doch irgendwann kam wieder die Wortmacht in Erscheinung.
Die Außerirdischen schauten sich verdutzt an. Sie gingen durch die Straßen und das erste Mal in ihrer Existenz gab es niemanden, der sich vor ihnen fürchtete oder sie versuchte anzugreifen. So hatte die eingesetze Erden-Patrouille die Möglichkeit sich in den Straßen auf der Erde wie Gleichgesinnte zu bewegen. Sie analysierten die Gleichgültigkeit der ganzen lebenden Existenzen und wurden auf die Wortmacht aufmerksam. Er vereinbarte einen Termin mit dem Wortführer und sie trafen sich. Der Außerirdische wollte wissen, wie er seine Macht auf so eine große Anzahl von Existenzen ausüben konnte. Die beiden sprachen nicht lange miteinander. Die ganze Patrouille wartete gespannt vor der Tür auf ihren Anführer. Nach zwei Minuten kam er mit dem Wort raus. Er schaute zu seiner Mannschaft, die alle drei große, erwartungsvolle Augen auf ihn richteten. Dann fragte einer der Ungeduldigen, da keine Worte fielen: „Was ist denn nun, werden wir diesmal ohne Kampf wieder nach Hause fliegen?“ Der Anführer blickte zu ihm und meinte nur: „Wir werden ihn mitnehmen. Es wird uns direkt vor Ort zeigen, wie genau seine Macht funktioniert.“ Das Wort und der Anführer lächelten sich zufrieden an. Ein anderer Außerirdischer meldete sich zu Wort: Willst Du es uns nicht vorstellen? Ein Raunen ging durch die Außerirdischen. Der Anführer schubste das Wort kurz nach vorne und sagte mit einem leicht erfreuten Unterton: „ Das ist EGAL“.
Die Außerirdischen begrüßten es, indem sie es in traditioneller Weise anfurzten. Das Wort setzte sich selber ein und es war ihm halt egal. So verließ das Wort die Erde für immer und es trat eine steile Karriere in der fünften Dimension an.