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Die Wolkenseegler
Vor genau 200 Jahren gab es eine verehrende Katastrophe, ausgelöst durch die Hand eines finsteren Magiers. Das gesamte Festland der Erde wurde mit grauem Schnee bedeckt, der sich in giftiges Gas umwandelte, das einen grausamen Tod mit sich brachte, sollte man es einatmen. Über drei Viertel der Bevölkerung starben an den Dämpfen und noch viel mehr an den Problemen danach. Die ach so großen Reiche zerfielen und jeder kämpfte gegen jeden um Nahrung, Unterschlüpfe und Gasmasken. Es schien, als hätte der Magier sein Werk vollbracht. Doch dann bauten die Ersten Luftschiffe aus Holz, Stahl und Leder und versuchten ein friedliches Leben über den Wolken. Als Antriebsstoff nahmen sie die in den Wolken lagernde Magie der Erde und verfestigten sie zu violett schimmernden Kugeln. Alles, was an Nahrung zu retten war, retteten sie und pflanzten es auf ihren Schiffen. Der Magier starb an seiner eigenen Schöpfung und den Menschen war es vorherbestimmt nie wieder einen Fuß auf die Erde zu setzten, sondern für immer über die Wolken zu segeln.
Wolkenstadt
Ich steuere mein Schiff in Richtung der riesigen Stadt aus mit Helium aufgeblasenen ledernen Luftkissen und Holz. Eine der wenigen Städte, die nach all der Zeit errichtet wurden. Ich setze meine Gasmaske auf, draußen, an der Luft, kann man nicht ohne sie überleben. Ich hasse diese Städte, auch wenn sie der einfachste Weg sind um mit anderen Menschen zu reden und die Magiekugeln aufzufüllen. Ich manövriere mein Luftschiff an einen Steg und lasse es von den helfenden Händen anbinden. Ich gehe von Bord, gebe ihnen ein kleines Trinkgeld und gehe die unübersichtlichen Holzstege entlang zum Händler.
“Ah, Bolt! Lässt du dich auch mal wieder blicken!”, begrüßt er mich mit ausgestreckten Armen.
“Die übliche Ladung?”, will er von mir wissen.
Ich nicke. Er kramt einen gefüllten Stoffsack heraus und legt ihn auf die Theke. Ich bezahle mit den üblichen Goldtalern und will wieder verschwinden.
“Nicht so hastig! Du willst wieder in die Einsamkeit?”, hält er mich auf.
Na und? hätte ich sagen sollen. Aber ich bleibe stehen.
“Hab gehört in der Kneipe gäbe es Leute, die dir deine Farm abkaufen würden”, erzählt er mir.
Ich werde hellhörig. Die Farm auf meinem Schiff nimmt zu viel Platz ein. Einige Pflanzen könnte ich verkaufen. Ich nicke und schreite aus der Tür. Die Kneipe finde ich nicht nur dank des Gelächters, sondern auch an der Anzahl leicht gekleideter Frauen. Den Stoffsack in den Händen betrete ich die Bar. Das gedämmte Licht strengt meine Augen an. Ich setzte mich an einen entlegenen Tisch. Nicht lange und die Leute, die ich suche, sprechen mich an.
“Du bist Bolt?”, erkundigt sich der eine. Ich nicke.
“Wie viel kannst du verkaufen?”, fragt der andere.
“Genug. Die Frage ist eher, was ihr mir bietet.”
Die Pflanzen sind in einem perfekten Zustand. Ich wäre ein Idiot, wenn ich sie zu billig verkaufe.
“Weißt du, wir haben hier ein Problem mit der Beschaffung von Nahrung. Du würdest uns mit deiner Farm sofort in eine Hohe Position bringen. Darum würden wir dir… einen Drachen bieten!”, sagt er.
Ich stutze. Von Drachen habe ich schon gehört, aber nie geglaubt, dass die Gerüchte stimmen würden. Ein Drache würde die Piraten abschrecken. In den Händen von sesshaften Stadtbewohnern ist er nichts wert. Das Angebot ist verlockend.
“Ich muss den Drachen zuerst sehen.”, erkläre ich.
Die beiden nicken. Sie winken mir zu folgen und ich stehe auf.
Er ist kleiner, als ich erwartet hatte. Dennoch groß genug um mir eine gewisse Angst einzujagen. Der Drache ist mit Stahlketten gefesselt. Vor allem seine Schnauze und die Flügel sind gesichert.
“Glaubst du uns jetzt?”, vergewissert sich der eine. Ich nicke nur erstaunt.
“Aber…”, beginne ich, “Kann er denn auch fliegen? Und Feuer speien, wie man sich erzählt?”
Die beiden sehen sich an.
“Du bist sehr vorsichtig. Aber deine Zweifel sind berechtigt.”, sagt einer, “Ja, ihm fehlt nichts. Seine Flügel sind nicht gestutzt, ihm wurden keine Zähne gezogen und auch Feuer kann er speien.”
Soll ich mich auf ihr Wort verlassen? Ich denke kurz nach. Dann schießt mir eine Frage durch den Kopf: „Was isst er? Fleisch ist höchstens rar. Außerdem ist das Festland immer noch dem Gas ausgesetzt.“
„Er isst nur Wurzeln oder verdorrte Pflanzen. Ein verkohlter Mensch würde ihm allerdings sicher auch schmecken“, erklärt der eine mit einem Schmunzeln.
„Kann man ihn zähmen?“, will ich noch wissen.
„Man kann alles zähmen, wenn man den nötigen Mumm hat“, meint er.
In Gedanken bin ich hin und her gerissen. Ich werde es riskieren.
“Okay. Den Drachen gegen die Hälfte meiner Farm.” Sie grinsen begeistert.
“Abgemacht.”
Drachenzähmer
Ich betrachte das schuppenbestückte in Ketten gelegte Monster vor mir. Das einzige, worüber ich nicht nachgedacht hatte war, ob ich es über mich bringen würde, ihm die Ketten abzunehmen. Er könnte mein Schiff in Brand setzen oder mir den Kopf abreißen. Das Schiff fliegt ruhig im sanften Wind. Die Stadt habe ich längst hinter mir gelassen. Seine orangenen Augen betrachten mich eindringlich und ich kann seinen Atem hören. Ich muss es tun. Ich schließe das Schloss auf. Krachend fallen die Ketten zu Boden. Er könnte mich jetzt töten. Wartend verharre ich. Nichts passiert. Der Drache spannt seine Muskeln kurz an. Breitet seine mächtigen Flügel aus, richtet sich auf. Er ist mir jetzt auf Augenhöhe. Ich rühre mich nicht. Seine roten Schuppen schimmern im Licht der Abendsonne. Wir stehen auf der außen angebrachten kleinen Aussichtsplattform. Seine Krallen bohren sich ein wenig in das Holz, auf dem wir stehen. Mustert er mich? Ein ungutes Gefühl nistet sich in mir ein, vielleicht sollte ich ihm die Ketten doch wieder anlegen. Der Drache senkt seinen Kopf wieder. Er wendet sich mir ab. Kurz starrt er in das Meer aus weißen Wolken. Zwei Schläge mit seinen Schwingen und er ist in den Lüften. Ich blicke ihm hinterher. Warte. Beobachte ihn. Kommt er wieder zurück? Doch dann verschwindet er in den Wolken. Das war’s. Meine halbe Farm weg – für nichts. Wütend und enttäuscht trete ich gegen die Außenwand meines Schiffes. Verdammt! Ein letztes Mal sehe ich mich um, in der Hoffnung, er würde zurückkehren. Nichts. Fluchend gehe ich wieder ins Innere. Ich bin so naiv!
5 Monate später
Ich wache mitten in der Nacht auf. Ich weiß nicht wieso, aber irgendetwas zieht mich nach draußen. Ich setzte die Gasmaske auf und habe ein mulmiges Gefühl, als ich die Tür öffne, um auf die Außenplattform zu gehen. Berechtigt. Ein dunkles Luftschiff schält sich aus den Wolken. Die furchteinflößende Flagge Weht im Wind. Piraten. Panik preitet sich in mir aus. Der Drache hätte mich vor Piraten schützen sollen. Darum habe ich mir damals keine Waffen gekauft. Ich stürme wieder in Innere, versuche den Piraten zu flüchten. Doch sie sind schon zu nah. Die ersten Enterhacken machen sich an meinem Schiff fest und zwingen mich, die Geschwindigkeit zu drosseln, sonst würde es mein Schiff zerreißen. Verdammt. Die Piraten legen an, ich habe keine andere Wahl, gehe nach draußen. Auge in Auge stehe ich ihrem Anführer gegenüber.
„Dachtest wohl, du könntest uns entwischen!“, spottet er, „Aber kein Schiff ist so schnell, wie die Black Thunder.“
Ein Jubeln geht durch die Piraten. Ich balle meine Hände zu Fäusten und verfluche mich selbst.
„Also Bürschchen, nenn mir deinen Namen und ergebe dich! Vielleicht lassen wir dich dann am Leben“, bietet er mir an.
Gelächter. Ich bleibe stumm.
„Hat es dir die Sprache verschlage, Bursche?“, bellt er mich an.
Komm ruhig noch näher, dann kann ich dich von Bord stoßen!, sage ich in Gedanken. Der Pirat zieht sein Schwert.
„Das war deine letzte Chance.“
Sein Schwert ist zu lang, er brauch nicht einmal einen Schritt zu machen. Plötzlich ein brüllen. Es kommt aus den Wolken. Wie erstarrt Blicken wir in die Feuerkugel. Ein großer Schatten zieht am Piratenschiff vorbei und versetzt es in Flammen.
„Drache!“, schreit jemand.
Die nächste Feuerkugel. Das Luftschiff ächzt, schreie dringen nach draußen.
„Du kleiner…“, flucht der Anführer und schwingt sein Schwert.
Ich taumle nach hinten. Der Pirat lacht teuflisch, holt aus. Plötzlich drängt sich etwas Riesiges in unsere Mitte, bestückt mit roten Schuppen. Ein markerschütterndes Brüllen durchdringt die Nacht. Ein weiterer Feuerstoß und der Pirat stehen in Flammen.
„Hilfe!“, höre ich aus dem inneren des Piratenschiffs schreien.
Doch sie ist weiblich. Ich stürme in das Brennende Frag, folge den bettelnden Rufen und finde mich vor einer eisernen Zelle wieder.
Eine Frau schaut mich flehend an: „Hilf mir.“
Ich breche das heiße Eisen mit einer Stange auf. Die Kluth schlägt mir ins Gesicht. Ich zerre sie aus den Flammen und hinter mir her, nach draußen. Sie hustet, ich sehe mich nach den Drachen um, er fliegt auf uns zu. Sie weicht zurück, ich zerre sie mit auf seinen Rücken. Die Nase des brennenden Piratenschiffs neigt sich gen Boden.
"Wieso hast du sie nicht einfach Gekapert? Da war Nahrung und Gold! Du hättest es mir geben können!”, schimpft sie.
Ich sehe sie schräg an. Habe ich sie nicht gerade gerettet? Jetzt schreit sie herum wie eine Furie. Ich kann mir denken, weshalb man sie eingesperrt hat und spiele mit dem Gedanken, sie einfach hinunter zu werfen. Ein kleiner Stoß würde genügen, um sie vom Rücken des Drachen zu werfen. Stattdessen nehme ich ein Tuch aus der Tasche meines Ledermantels und binde es ihr über den Mund. Endlich Ruhe. Soll sie sich fühlen wie eine Gefangene. Bei der nächsten Stadt setze ich sie ab.
Der Drache setzt uns auf meinem Schiff wieder ab. Die Enterhacken hat er wohl mir seinem Feuer getrennt. Ich nehme der jungen Frau das Tuch wieder ab.
„Wie kannst du nur…?“, fängt sie wieder an.
Ich stelle mich vor den Drachen, blicke ihm in die Augen und ignoriere die fluchende Frau hinter mir. Warum er wohl zurückgekommen ist? War er vielleicht nie weg.
Ich strecke meine Hand aus: „Ich werde dich Dream nennen.“
Der Drache zögert, legt dann seine Schnauze in meine Hand.
„Du kannst gehen, wann immer du willst“, flüstere ich. „Komm rein, oder bleib draußen!“, erkläre ich der Frau und halte die Tür auf, damit Dream hineinkann. Beide gehen hinein. Dream trottet auf das alte Sofa. Er nimmt die ganzen vier Plätze ein. Mir wäre es sowieso zu ungemütlich. Er ist ebenfalls sichtlich genervt. Ich bemerkte gar nicht, wie sie aufgehört hatte zu reden und wie sie sich auf den morschen Stuhl gesetzt hatte mit dem Gesicht in den Händen. Erst, als ich mich zu ihr umdrehe bemerke ich ihr schluchzen. War das normal bei Frauen?
“Sie sind tot?”, will sie wissen. Will sie mir jetzt darüber Vorträge halten? Nein. Sie sagt nichts weiter.
“Ja”, antworte ich ihr.
“Gut.” Ich stutze, werde aus ihr nicht schlau.
“Danke”, meint sie, “Tut mir leid!”
Widerwillig reiche ich ihr das Tuch. Sie wischt sich die Tränen weg.
“Du kannst bleiben, bis ich die nächste Stadt erreicht habe”, sage ich kalt.
Ich lasse meinen Blick über den Raum schweifen. Küche, Ess-, Schlaf- und Wohnzimmer zugleich. Die Farm breitet sich in der Mitte des großen Raums aus. Nur das Bad ist ein wenig durch eine Trennwand abgeschottet - und das Cockpit in der oberen Etage. Die Wasserversorgung durch einen Regenwasserspeicher am Außenbereich. Dafür muss man zwar immer wieder in die unteren Luftschichten, aber dennoch ist es billiger, als es zu kaufen.
„Ich heiße übrigens Josy”, stellt sie sich vor.
“Bolt”, sage ich, verzichte auf einen Handschlag, “Hunger?”
Sie nickt. Ich pflücke einige Gewürze, heize das Wasser für die Kartoffeln vom Herbst vor und schrubbe diese. Ich bin immer noch dankbar für den Fund eines alten Kochbuchs.
“Du kannst kochen?”, fragt sie mich. Ich gehe nicht darauf ein.
“Natürlich, sonst müsstest du ja immer in Nähe einer Stadt bleiben.”, fällt ihr selbst ein.
“Eine zweite Maske habe ich übrigens nicht. Aber sie werden dir schon eine geben. Wenn du erzählst, was dir widerfahren ist.”, meine ich.
Dream schaut auf. Wachsam verharrt er aufrecht. Ich verharre ebenfalls. Er sieht mich an. Meine Augen weiten sich. Hektisch stelle ich den Herd ab, verstaue alles in den Schränken.
“Josy!”, wende ich mich ihr zu, “Geh’ da an das Rohr!”
“Was ist denn?”, will sie wissen.
“Mach schon! Ich muss dich festbinden!”, fordere ich.
“Was?!”, schreit sie.
Ich habe keine Zeit. Mit Gewalt zerre ich sie an das Rohr und binde sie fest. Ein erster Blitz zuckt durch die Wolken. Ich bin zu weit unten. Dream ist aufgesprungen und zu mir gekommen.
“Bleib bei Josy.”, sage ich ihm und haste ins Cockpit.
Das Lenkrad spielt schon verrückt. Ich versuche, höher zu kommen, doch es ist vergebens. Ich kann der Gewitterwolke nicht mehr ausweichen. Das passiert also mit einer Frau an Bord.
Wanderer
Ich schlage meine Augen auf, liege auf der alten Couch. Nachdem wir durch den Sturm geflogen waren und die Gefahr vorbei war, hatte ich mich sofort vor lauter Erschöpfung hingelegt. Mein Kopf schmerzt, ich sehe verschwommen, als ich mich aufrichte.
“Du bist wach?”, fragt Josy. Ich brumme nur erledigt.
“Ich… hab dir einen Tee gemacht. Ich glaube, es waren die richtigen Kräuter.”, sagt sie und streckt mir eine warme Tasse hin. Ich nehme sie entgegen und verbrenne mir die Zunge, als ich einen Schluck nehme.
“Dream ist draußen, er fliegt ums Schiff.”, erklärt sie mir. Josy schlendert durch den Raum, betrachtet die alten, wertlosen Bilder an der Wand.
“Wer sind deine Eltern?”, fragt sie mich.
“Wen interessiert’s?”, sage ich grob. Muss sie jetzt mit diesem Thema anfangen?
“Ich glaube, sie waren Wanderer.”, vermutet sie.
Ich sage nichts, starre nur in die Tasse. Wir bezeichnen Menschen, die mit ihren Schiffen immer wieder auf der Erde aufsetzen und dort die leeren Häuser ausräumen als Wanderer. Einmal habe ich welche gesehen, sie haben sich in einer Kneipe betrunken und von alten Büchern und Kunstwerken geschwafelt - und Gold, viel Gold. Sie wurden kurz darauf vor der Kneipe zusammengeschlagen und ausgeraubt.
“Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind.”, gebe ich zu. Josy stutzt, dreht sich zu mir um.
“Ich kann mich nicht erinnern, was mit ihnen geschehen ist, jedenfalls fand mich ein Händler als kleiner Junge in einem verlassenen Schiff, diesem Schiff. Er sorgte für mich und dann starb auch er nach einem verlorenen Glücksspiel in der Kneipe.”, erzählte ich.
“Tut mir leid.”, meint sie bedrückt. Ich stehe auf und stelle die Tasse ab. Wo ist mein Mantel? Josy reicht ihn mir.
“Ich muss die undichten Stellen flicken.”, erkläre ich und gehe hinaus.
Etwas später sind die Löcher geflickt und das Lenkrad repariert, Dream liegt wieder auf der Couch und Josy betrachtet immer noch die alten Bilder.
“Glaubst du, so sah die Welt damals aus?”, will sie irgendwann von mir wissen.
Ich sehe mir das Bild kurz an, eine verschwommene Landschaft mit grünen Punkten über braunen Strichen und eine blaue, geschlängelte Linie neben grauen, verformten Kugeln. Das einzige was mir vertraut vorkommt sind der hellblaue Himmel und die weißen Wolken.
“Weiß nicht.”, meine ich und wende mich ab.
Ich gehe wieder ins Cockpit, schlage die Richtung ein, in der ich die nächste Stadt vermute. Doch dann sehe ich ein Schiff aus den Wolken hervorkommen. Ich versuche zu erkennen, ob es Geschütze an Bord hat, doch eine Wolke versperrt mir die Sicht. Jedenfalls kommt es schnell näher.
“Josy, versteck dich irgendwo!”, brülle ich nach unten.
Ich werde es darauf anlegen. Die Schiffe docken aneinander an und ich gehe nach draußen, habe die Gasmaske auf. Mir gegenüber ein junger Mann mit grauen Klamotten und einer Pilotenbrille.
“Dass man hier draußen noch Menschen findet!”, sagt er, “Gestatten, Olli, Wanderer.”
Er verbeugt sich.
“Bolt.”, entgegne ich gestenlos.
“Bolt, mein Bruder, du musst wissen, meine Nahrung ist sehr knapp und die Reise noch lang. Ich habe Gold und würde dich für deine Hilfe entlohnen.”, meint der Wanderer.
Entweder ist er vollkommen bescheuert, oder er hat wirklich keine Nahrung mehr. So wie er aussieht, könnte ich ihn leicht überwältigen und würde mir das Gold einfach so schnappen. Oder er hat ein Ass im Ärmel, das mich sofort Schach Matt setzen würde, wenn ich sein Schiff betrete.
“Kein Interesse.”, antworte ich.
Die Tür hinter mir wird geöffnet. Erschrocken drehe ich mich um. Josy steht in der Angel, mit einem Korb in den Händen.
“Wir haben Nahrung genug.”, meint sie und geht zu Olli.
Ich überlege, etwas zu sagen, tue es allerdings nicht. Sie wirft mir einen verbitterten Blick zu. Josy überreicht ihm dem Korb.
Er will einen Beutel aus den Taschen holen, doch sie hält ihn auf, “Nein, das haben wir gerne gemacht.”
“Vielen Dank für diese großzügige Geste. Ich, Olli, werde euch das niemals vergessen.”, sagt er, verbeugt sich und geht an Bord seines Schiffs. Wieder der verbitterte Blick und dann geht auch Josy wieder hinein.
Seelenleser
“Wir müssten morgen in der Stadt ankommen.”, erkläre ich einige Stunden später.
“Ja.”, sagt sie ohne mich anzusehen.
Wir hatten kein Wort miteinander gesprochen.
“Wieso wolltest du ihm nicht helfen?”, will sie wissen. Ich sage nichts.
“Wir haben doch genug zu essen, er hätte dir sogar Gold gegeben.”, sagt sie ruhig, “Ich will dich doch nur verstehen.”
Ich überlege kurz, “Was wäre, wenn er uns hinters Licht führen wollte? Was, wenn er kein Wanderer, sondern Pirat gewesen wäre? Was…”
Sie fällt mir ins Wort, “Dann hättest du Dream gehabt.”
“Ich bin nicht der einzige mit einem Drachen.”, meine ich.
Sie seufzt. Kann sie es wirklich nicht verstehen?
“Ich glaube, du willst einfach nicht verletzt werden. Denn das wurdest du schon so oft. Du hast Angst davor.”, meint sie, sieht mich an, “Darum willst du auch nichts über deine Eltern wissen und bist so kalt zu anderen.”, sie sieht kurz zu den Bildern, “Warum, aber, behält du sie dann?”
“Weiß nicht.”, antworte ich.
“Das sagst du immer.”, meint sie.
“Du weißt sicher auch nicht, warum du andere Menschen so hasst. Oder warum es dir nichts ausmacht, Menschen sterben zu sehen. Weist nicht, warum dir die Welt so gleichgültig ist, oder warum du mich gerettet hast.”
Ich höre ihr zu, entgegne nichts.
“Ich kann dich gut leiden, Bolt. Warum verstößt du alle in deiner Nähe?”, mit diesen Worten geht sie an mir vorbei auf die Außenplattform.
Abschiedsgruß
Wir stehen auf dem Holzsteg der Stadt, man hat Josy sofort eine Gasmaske gegeben und ihr eine Bleibe zugesprochen. Sie sieht mich an, kann ihren Blick nicht zuordnen. Der Himmel hat sich orangerot gefärbt. Wir sagen nichts, stehen einfach nur da, keiner will gehen.
“Bolt…”, beginnt Josy, “Versprich mir, dass du mich besuchst.”
Ich nicke bedrückt. Da ist ein nie da gewesener Schmerz in meiner Brust. Ich reiche ihr ein quadratisches, flaches Päckchen. Sie macht es auf. Ihr schießen Tränen in die Augen. Das Bild, das sie so mag. Sie zögert, fällt mir in die Arme.
“Es wird dir hier besser gehen.”, gebe ich zu, während ich ihr über die Haare streiche. Sie löst sich von mir.
“Du lügst.”, sagt sie und blickt auf den Boden.
“Vergiss mich nicht.”, bittet sie mich.
“Niemals.”, meine ich.
Sie wendet sich ab und geht den Steg hinauf. Ihre langen, blonden Haare wehen sanft im Wind.
Und da stehe ich wieder - allein - wie immer und wünsche, ich hätte sie aufgehalten.