Die Wohnung
Es war ein typischer Montag Morgen. Der Wecker piepste pünktlich um 6:45 Uhr. Ich drückte im Halbschlaf die Snooze Taste und döste noch ein wenig weiter. Um 7:00 Uhr piepste der Wecker ein zweites Mal. Wenig begeistert vom Gedanken, dass heute Montag ist, schloss ich nochmals die Augen, aber raffte ich mich kurz darauf aus dem Bett. Ich ging, noch schlaftrunken, am der Abstellkammer vorbei hin zum Bad. Vor dem Spiegel stehend und mein Körper betrachtend, überlegte ich mir, ob ich nun doch nicht etwas Sport machen sollte. Die pubertären Jahre sind vorbei, das gute und von daher auch ungesunde Essen setzt sich immer mehr an meinem Körper an. Vielleicht gehe ich heute Abend für eine halbe Stunde im Wald laufen. Oder vielleicht auch nur eine Viertelstunde. Ich griff zur schon geöffneten Zahnpasta, nahm meine elektrische Zahnbürste hervor und rieb damit lustlos in meinem Mund herum. Soll ich mich noch rasieren? Heute nicht, der Bart sieht noch nicht unzumutbar aus. Vielleicht dann morgen oder übermorgen. Ich ging, schon ein wenig wacher zurück in mein Zimmer. Nach einem Blick aus dem Fenster, wo ich die strahlende Morgensonne registrierte, entschied ich mich, in Jeans und einem T-Shirt aus dem Haus zu gehen. Einen Griff in den Schrank und das erstbeste Shirt war gefunden. Die Hosen lagen noch vom Wochenende auf einem Hocker. Angezogen bewegte ich mich in Richtung Wohnzimmer. Das Wohnzimmer war wie gewohnt nach einem Wochenende unaufgeräumt und etwas miefig. Mein Mitbewohner ist etwas unordentlich, dafür hat er im Gegensatz zu mir ein anständiges Einkommen, was mir schon das eine oder andere gute Essen oder die neue Surround Anlage beschert hat. Ich putze am Abend, dachte ich mir und schaute mich nach meiner Tasche um. Sie lag auf unserem Sofa. Die Bücher von der letzten Woche waren noch immer drin, so konnte ich die Tasche einfach mitnehmen. Es ist schon angenehm, faul zu sein.
Soll ich heute nicht in die Uni gehen? Viel verpassen würde ich sowieso nicht. Wobei - würde ich nicht gehen, müsste ich den Stoff später nachholen. Doch, heute gehe ich. Ich muss mich auch nicht aktiv zuhören, wenn ich nicht will. Im schlimmsten Fall kann ich nach ein paar Stunden gehen, wenn wirklich nichts interessantes vorgetragen wird. Wobei - was würde ich dann zu Hause machen? Am PC sitzen und sinnlos im Netzt surfen? Video Spiele spielen oder Pornos schauen? Nein, heute gehe ich, heute lerne ich bestimmt etwas für mein Leben. So griff ich nach der Tasche und zog den Hausschlüssel aus meinen Hosen, welchen ich bequemlicherweise immer in den Hosen aufbewahre. An der Tür angekommen, versuchte ich den Schlüssel in das Schloss zu stecken.
Doch der Schlüssel passte nicht. Unmöglich, oder habe ich nach dem Schlüssel meines Elternhauses gegriffen? Ich schaute den Schlüssel an. Nein, es ist der richtige, mein Hauschlüssel. Ich versuchte es nochmals. Der Schlüssel passte nicht ins Schloss. So drückte ich die Türfalle herunter, da eventuell mein Mitbewohner, welcher früher das Haus verliess, die Tür schon geöffnet hatte. Das ging auch nicht. So eine Scheisse. Will der Idiot mich verarschen? Findet er es lustig, die Tür von aussen abzuschliessen und den Schlüssel im Schloss stecken zu lassen? Der kann etwas erleben! So ging ich zur Terrasse. Da wir im Erdgeschoss wohnten, konnten wir die Wohnung problemlos durch die Terrasse verlassen. Auch die Fenstertür der Terrasse was verschlossen; ich konnte nicht mal den Türgriff bewegen. Wie ist das möglich? Meines Erachtens kann man die Terrassentür gar nicht abschliessen. Beim näheren Betrachten wurde mir diese These bestätigt. Die Terrassentür verfügt über gar kein Schloss. Man kann diese nur von der Wohnung aus öffnen und schliessen. Was soll das? Diese Tür kann er gar nicht abgeschlossen haben. Ich griff zu meinem Mobiltelefon und wählte die Nummer meines Mitbewohners. Der kann was erleben.
Doch die Verbindung konnte nicht aufgebaut werden. Kein Signal, konnte ich auf dem Display lesen. Irgendwas ist nicht in Ordnung. Verflucht sei dieser Montag. Ich ging hinüber zum Festnetztelefon und wählte dort nochmals seine Nummer. Doch das Telefon wählte nicht. Ich hörte weder ein Summen noch ein piepsen noch sonst etwas. Es war einfach still. Unmöglich, das ist einfach unmöglich. Ich ging zurück in mein Zimmer und versuchte das Fenster zu öffnen. Doch auch hier keine Möglichkeit, den Griff nur etwas zu bewegen. Irgendjemand will mich verarschen - bin ich in einer Reality TV Show gelandet? In jedem Raum versuchte ich das Fenster zu öffnen. Doch keine Chance, die Fenster waren alle verschlossen. Überall klemmte der Griff. Das ist doch nicht möglich. Ein unangenehmes Gefühl überkam mich. Der Zug wird mittlerweile abgefahren sein, den Beginn des Referats werde ich auf jedem Fall verpasst haben. Was soll ich tun? Meine Hände wurden nass und die Angst überkam mich langsam. Ich bin gefangen. Noch einmal griff ich zu meinem Mobiltelefon. Kein Signal. Unmöglich, noch nie hatte ich hier Probleme mit dem Empfang.
Auch das Festnetztelefon funktionierte noch immer nicht. Was nützen mir die modernen Kommunikationsmittel, wenn sie nicht funktionieren? Stichwort moderne Kommunikationsmittel. Das ist es - vielleicht funktioniert das Internet. So startete ich meinen PC auf. Der funktionierte immerhin. Ich klickte auf dem Webbrowser und wartete. Das Gerät war schon älter und ich musste mich immer ein wenig gedulden, bis die Startseite angezeigt wird. Auf dem Bildschirm erschien folgende Meldung: Keine Verbindung zum Internet, möchten Sie eine Netzwerkdiagnose durchführen?
Zum Teufen, ja ich will eine Netzwerkdiagnose durchführen! Aber das brachte mir nichts. Die Diagnose zeigte mir auf, was ich schon längst geahnt hatte. Keine Verbindung zum Internet. Ich ging nochmals ins Wohnzimmer und versuchte die Tür zu öffnen, was immer noch nicht möglich war. Wütend drehte ich mich von der Tür ab und schlug meinen Kopf fürchterlich an der Lampe an, welche von der Decke herunter hing. Ich hatte meinem Mitbewohner immer gesagt, die Lampe sei zu tief, aber dieser Empfand die tief hängende, neumodische Lampe als höchst ästhetisch. Fluchend blickte ich die Lampe an.
So tief hing die Lampe noch nie, denn meines Erachtens konnte ich bisher immer problemlos unter der Lampe durchgehen. Immer noch fluchend begab ich mich zur Küche um ein Glas Wasser zu trinken. Wasser ist immer gut und sorgt für einen klaren Kopf, hat meine Mutter immer gesagt. Ich füllte das Glas und trank bewusst langsam. Dies hatte mir ein Freund bei einem Aushilfsjob ans Herz gelegt.
Vielleicht ist ein Nachbar noch zu Hause? Die würden mich bestimmt bemerken, wenn ich mit einem harten Gegenstand gegen die Wand schlage. Zumindest der pensionierte Nachbar in der Wohnung rechts von der unseren, welcher sich jedes Mal nur über den kleinsten Lärm beschwert. So griff ich nach dem Besen und ging in mein Zimmer, welches sich im rechten Teil der Wohnung befand. Wie ein Irrer schlug ich gegen die Wand, bestimmt fünf Minuten lang. Schwitzend hörte ich auf und holte mir noch ein Glas Wasser. Doch ich hörte nichts. Auch das erwartete Fluchen kam nicht. Vielleicht schläft der Herr Rentner noch. Wobei, bei dem Lärm würde sogar ein Tauber aufwachen. So ging ich in Wohnzimmer und wiederholte das Spiel. Nichts. Auch im Zimmer meines Mitbewohners, welches in der linken Seite der Wohnung ist, erhielt ich keine Rückmeldung auf mein Hämmern. Nun, wenn das nicht hilft, dann muss ich wohl mit Gewalt aus der Wohnung kommen. Ich griff nach dem Besen, mit welchem ich gestern Abend die Wohnung putzen wollte, und schlug diesen gegen die zimmerhohen Scheiben des Wohnzimmers. Zu meiner Überraschung hielten diese Scheiben meinen Schlägen stand. Wenn das nichts bringt, dann muss ich schwereres Geschütz aufbringen.
Ich holte bis zum Ende des Raumes Anlauf und rannte wie ein Verrückter gegen die Scheibe. Die Scheibe bewegte trotz meiner beachtenswerten Masse sich keinen Zentimeter. Dafür spürte ich gleich darauf einem Schmerz, welcher die Verzweiflung und Angst für einem Moment vergessen liess. Fluchend drehte ich mich um und stiess den Kopf wieder an der Lampe an. Noch lauter fluchend ging ich ins Badezimmer, wo ich eine Eisbeutel zu finde glaubte. Ich wühlte in den Schränken herum, fand aber nichts. Den Spiegel betrachtend schaute ich mir meine Beulen an. Zu meiner Überraschung war die erste Beule direkt am Haaransatz oberhalb der Stirn, während die andere sich direkt über der Nase befand. Wie ist das möglich? Hängt die Lampe jetzt tiefer? Im Wohnzimmer begutachtete ich die Lampe. Ich stand direkt davor, um rekonstruieren zu können, wie die Lampe meinen Kopf getroffen hatte. Dabei stellte ich fest, dass die Kante sich auf Augenhöhe befindet. Das erklärt weder die Beule am Haaransatz, noch diese oberhalb meiner Nase. Verwundert schaute ich im Raum umher. Mit erstaunen musste ich feststellen, dass der Schrank im Wohnzimmer kaum noch Raum zwischen sich und der Wohnzimmerdecke aufwies. Das ist unmöglich, denn noch letzte Woche standen hier ein paar Bücher von meinem vorherigen Semester, welche ich auf drängen meines Mitbewohners in mein Zimmer umquartieren musste. Irgendwas stimmt hier nicht. Kommt die Decke auf den Boden zu? Das Gefühl der Angst kam wieder auf. Meine Hände wurden nach dieser Erkenntnis schweißiger als sie bisher waren. Ich rannte zur Eingangstür, rüttelte wie Wild an dieser, aber ohne Erfolg. Mit zittriger Hand zog ich nochmals den Hauschlüssel aus meiner Hosentasche. Noch immer passte er nicht. Von der Verzweiflung getrieben rannte ich in die Küche und griff nach der grössten Pfanne und schlug diese gegen das Fenster oberhalb des Schüttsteins. Es fühlte sich an, als ob ich gegen eine Betonwand schlagen würde. Dementsprechend hart spürte ich den Schlag in meinen Armen. Ächzend griff ich zum Mobiltelefon, doch noch immer hatte ich kein Signal. Auch nach einem Neustart des Telefons war die Situation gleich ausgangslos. In diesem Moment hörte ich ein knarren aus der Richtung des Wohnzimmers. Der Wandschrank gab dem Druck der Decke nach und fiel mit einem lauten Knall auf den Boden. Ich spürte den Puls an meinem ganzen Körper, meine Hände waren bachnass und mir wurde schwindlig. Daraus folgend setzte ich mich auf einen Stuhl am Küchentisch. Was passiert hier? Kommt die Decke auf mich zu? Wie kann das möglich sein? Erneut trank ich ein Glas Wasser. Klar denken ist in dieser Situation bestimmt von Vorteil und so füllte ich das Glas abermals nach. Meine Mutter und mein Arzt wären stolz auf mich, so viel trinke ich selten. Nun, wenn die Decke der Schwerkraft nachgibt, dann sollten doch früher oder später auch die Fenster oder die Wohnungstür betroffen sein, zerspringen und ich könnte der Situation entkommen.
Ein vernünftiger, wenn auch abstrakter Gedanke. Aus dieser Erkenntnis folgernd muss ich einen Moment abwarten bis dies der Fall ist. In diesem Moment hörte ich ein knarzen, gefolgt von einem Knall aus der Richtung meines Schlafzimmers. Jetzt hat es wohl meinen Schrank getroffen. Überraschend unberührt blieb ich sitzen. Ein paar Minuten sass ich noch in der Küche und starrte zu den grossen Fenstern im Wohnzimmer hinüber. Der erwartete Knall blieb aus. Mit viel Geduld konnte ich beobachten, wie die Decke langsam auf die Fenster zukam. Doch nichts geschah. Langsam bewegte sich die Decke den Fenster entlang, kratze dabei stark, aber zerstörte diese nicht. Meine Verzweiflung war auf dem Höhepunkt. Mein Plan geht nicht auf! Ich fühlte mich wie in einem Liftschacht, wo der Lift langsam auf den Boden zukommt. Aussichtslos. Nochmals holte ich die Pfanne hervor und schlug diese gegen alle möglichen Scheiben, aber erfolglos. Ich schrie mehrmals um Hilfe, erhielt aber keine Reaktion. Eine Feuerwaffe wäre wohl die Lösung gewesen, aber als bekennender Militärgegner hielt ich immer von Waffen abstand. Noch ein letztes Mal holte ich Anlauf und rannte mit voller Wucht gegen die Wohnzimmerfenster. Ohne Erfolg. Dabei stiess ich mir den Kopf so stark an, dass ich für einen Moment ohnmächtig wurde. Als ich wieder aufwachte, befand sich die Decke nur noch 50 Zentimeter über dem Boden. Ich erinnerte ich mich an die Worte meines Mitbewohners, dass er sich in Stresssituationen immer eine Zigarette anzündete. Weise Worte! So robbte ich durch die zerstörte Wohnung, vorbei an umgekippten Stühlen, dem zersplitterten Fernseher, zerbrochenen Teller und Gläser hin zum Zimmer meines Mitbewohners. Ich kroch über die zerbrochene Zimmertür und fand unter dem Bett gleich eine Stange Zigaretten. Diese Packte ich und suchte nach einem Feuerzeug, welches ich neben einem Bürostuhl fand. Wieder robbte ich ins Wohnzimmer zurück, wo mir eine herrliche Mittagssonne entgegen schien. Wie schön die Natur sein kann. Ich zündete mir eine Zigarette an und hustete zwei Mal. Und das soll entspannen? Nach der ersten nahm ich noch drei weitere. Meine Panik löste sich ein ein wenig und ich schloss die Augen. Was hätte ich sonst tun sollen?