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Die wirklich wahre Geschichte von der Liebe und der Landung auf dem Mond
An diesem Morgen im August, als Hans Luftig erwachte, schien die Sonne in sein Zimmer, was ihn so verwirrte, dass er sich in seinem Moskitonetz verfing und den Kopf an einem Eichenbalken stieß. Noch leicht benommen taumelte er hinunter, schlüpfte nur ungenau in seine Unterhose und suchte Halt am Geländer. Beim Öffnen der Tür wollte sich erst Beruhigung ausbreiten, denn die Sonne leuchtete ihm wie jeden Morgen ins Gesicht. Beim Anblick des Raumschiffs jedoch, in dessen blankpolierten Stahlmantel sich die Morgensonne so erstaunlich verwinkelt spiegelte, traf ihn Erstaunen und Verzücken zugleich.
Seine Erinnerung setzte ein. Sei es dem Rotwein geschuldet, der gestern in rauen Mengen geflossen war, oder dem Mirabellenschnaps, der zu später Stunde gekreist hatte, erst sehr verzögert. Bis spät in die Nacht des vorherigen Abends hatte er an der ausgeklügelten Mechanik des Triebwerks gebastelt, das ihm im vergangenen Jahr Kopfzerbrechen und etliche Telefonate mit der wissenschaftlichen Begleitung der Bundesstiftung für Universum und Allerforschung in München gekostet hatte. Dort hatte er auch Lars Löwe kennen gelernt, der ihm nun freudestrahlend, mit einem dampfenden Topf Kaffee entgegentrat. Lars Löwe, ein weißhaariger, junger Mann mittlerer Statur, hatte lange in der Forschung gearbeitet und sich von Hans Luftig zu dem Abenteuer überreden lassen, eine Gebrauchsanweisung für den Bau eines Raumschiffs zu entwickeln und als Prototyp zu konstruieren. Und da stand es nun: Funkelnd glänzte es in der Morgensonne. Einzig in der Form des Raumschiffs hatten sie Neuland beschritten und sich für einen Quader entschieden, aus dessen oberer, dem Himmel zugewandter Fläche, eine Spitze emporragte, in der sich die Kommandozentrale, eine kleine Küche und ein Kühlschrank befanden. In dem Quader, der dem Aussehen des Raumschiffs etwas leicht Plumpes verlieh, wollten Luftig und Löwe schlafen, weshalb man auch ein bullaugenartiges Fenster eingebaut hatte, aus dem sie bei Nacht (Aber gab es im All überhaupt Nacht?) auf die vorüberziehenden Sterne zu gucken gedachten.
"Alles ist bereit, dein Anzug hängt im Eingang. Wenn alles nach Plan läuft, sind wir in...", Löwe reichte Luftig den Kaffee und schaute auf seine Breitling, "...46 Minuten und 8 Sekunden die ersten Menschen auf dem Weg zum Mond."
In Luftig strömte Leben, nicht nur wegen des Kaffees, der seine Lebensgeister rief, auch das bevorstehende Abenteuer jagte ihm kleine, elektrische Schauder über Nacken und Arme. Ja, heute würde es soweit sein. Wovon er immer geträumt hatte, solange er sich erinnern konnte: Die grenzenlose Weite des Universums zu bereisen und die Erde, auf der er nun schon 45 Jahre lebte, für sechs Tage, 4 Stunden, 41 Minuten und 18 Sekunden (Die exakte Zeitberechnung war absolut notwendig, wie Löwe Luftig überzeugen konnte) ganz und gar hinter sich zu lassen.
"Bereit!", zwar war Luftig sonst eher gesprächig -gerne holte er auch in langen Gesprächen mit seinen Freunden aus-, aber die pochende Beule und ein leichter Kater machten ihn zu dieser frühen Stunde einsilbig.
In leichten Astronautenanzügen betraten sie die Kabine, in der das Blinken der verschiedenen Monitore anzeigte, dass der Start unmittelbar bevorstand. Während sich die vollautomatische Tür schloss, huschte Luftigs leicht speckiger Kater, den er irrtümlich für eine Katze gehalten und daher Claudia genannt hatte, ins Raumschiff. Gerührt von so viel tierischer Liebe, steckte Luftig Claudia in einen eigens angefertigten Anzug, der eigentlich für fremde Lebewesen vorgesehen war, die man anzutreffen erwartete, und entschied kurzerhand, sie mitzunehmen.
"Claudia, ab in die Ecke!" Luftig bediente die Schalthebel, während Löwe sich vor dem Monitor positioniert hatte. Claudia gehorchte aufs Wort, da sie Luftig seit ihrer Rettung aus einem Straßengraben treu ergeben war.
Eine monotone Frauenstimme zählte den Countdown, die Triebwerke bebten, der Lärm schwoll ins Unermessliche, der zündende Funke sprang über, eine Feuerwolke explodierte und mit einem unvorstellbaren Krach hob das Raumschiff vom Boden ab, nahm an Geschwindigkeit auf und entschwebte nun sanft, aber bestimmt in die Wolken.
"Löwe, es klappt, wir werden die Ersten sein. Wir werden die Menschheit an neue Ufer führen. Wir sind Helden, die zum ersten Mal Sonne und Mond gleichzeitig sehen werden." Luftig hatte alle Schwere des Morgens abgeschüttelt und in der beginnenden Schwerelosigkeit hüpfte er aufgeregt vor Löwe hin und her. "Komm ans Fenster, hier kannst du sehen, wie die Erde immer kleiner wird! Sieh doch, da, draußen wird es immer dunkler!" Löwe schüttelte seine weiße Mähne bedächtig, was Luftig als Zeichen der Freude wertete. Ruhiger werdend vertiefte er sich in die Unendlichkeit des Universums, die sich vor ihnen ausbreitete.
Luftig war ein Mensch, der nur alle paar Jahre auf die Erde fällt wie aus einem Nest. Er war groß und schlank, seine Hände und Füße aber erinnerten an Goliath und die Kraft, mit der seine Hände zufassen konnte, hinterließ Monumente der Stärke. Sein Gemüt war fein, empfindsam, von einer leichten Melancholie, als habe dieser Mensch hinter alles sehen können, bevor ihm die Nestwärme entzogen wurde. Das Wilde in ihm erschreckte zaghafte Gemüter und einige zuckten zurück oder lächelten verwirrt, wenn er auf sie zusprang und sie in seine langen Arme schloss. In Vollmondnächten saß er auf dem Dach seines Hauses, träumte sich sacht in die Arme einer weichen Frau und trank still Rotwein. Luftig lebte, sah man von Claudia ab, allein. Dennoch war nichts Verschrobenes an ihm, was gemeinhin Alleinlebenden innewohnt. Er war wach und freundlich, konnte gut zuhören, was seine Freunde schätzten, war aber auch aufmerksam und klug genug, manchen Gedanken für sich zu behalten. Sein Wesen zeugte von einer schon fast verschwenderischen Großzügigkeit gegenüber jedem, der um Hilfe bat. Doch in all den Jahren suchte er vergebens unter den Frauen, und derer gab es mehr als genug, nach der einen, die ihn verstehen, lieben und halten würde in haltlosen Vollmondnächten. Die seinen Traum von der Fahrt zum Mond träumen und die Grenzenlosigkeit seiner Person teilen würde.
An dem Tag, als Luftig beschlossen hatte, die Fahrt zum Mond anzutreten, hatte sich Berta auf den Weg gemacht, Luftig ihre Liebe zu gestehen. Als sie jedoch eintraf, entschwebte Luftig gerade den Unwägbarkeiten alles Irdischen mit jener zaghaften Traurigkeit zwischen den Rippen, die die unerfüllte Liebe hinterlässt. Denn Luftig hielt Berta, eine angehende Ärztin, für so unglaublich wunderbar, dass er manchmal übersah, wie ungelenk Berta zeitweise durchs Leben ging. Und er übersah auch ihre großen Ohren, die breite Nase und die kräftigen Beine. Er verliebte sich in ihre Sommersprossen, ihr lautes Lachen und ihren Starrsinn, mit dem sie alle anderen auf die Palme bringen konnte. Nur ihn nicht. Mit der Hartnäckigkeit eines Widders hatte er sie umworben, mit dem Abflug seines Raumschiffs ihr Liebesgeständnis im letzten Moment verpasst.
Berta stand an der Abschussrampe, die noch qualmte, und wollte warten. Um nicht zu frieren, zündete Berta das Feuer wieder an und setzte sich, den Blick der untergehenden Sonne zugewandt. Im Ort schlugen die Glocken des Klosters.
Luftig traute seinen Augen nicht, als ihr Raumschiff nur wenig später zur Landung ansetzte, sich die Verriegelung löste und die Türen des Raumschiff mit einem leichten Surren zur Seite glitten. Der Mond war dicht begrünt, Bäume schossen ins Unendliche, Wasser sprudelte warm aus dem Boden und zu ihren Füßen erstreckte sich eine Wildheit, die in so völliger Übereinstimmung mit Löwes Haarpracht und Luftigs innerstem Kern war, dass es ihm den Atem raubte. Hier erst wurde Luftig bewusst, dass er atmete. Von Ferne hörte er Musik (Luftig tippte auf die Beatles, obwohl John Lennon doch gerade erst seinen 14ten Geburtstag gefeiert hatte). Mohn und Nelken wuchsen in überwuchernder Fülle und aus einem futuristisch gestalteten Haus traten Männer und Frauen, die sie ungestüm umarmten. Und tanzend verbrachten sie die Nacht, den Tag und die darauf folgende Nacht. Und nichts war komisch oder anrüchig oder fremd. Luftig fühlte die Schwere entweichen und der Schmerz in seinen Rippen wurde weniger und auch in seinen Schultern, auf denen er oft alles Leid zu tragen schien (Außerdem hatte ein Arzt bereits ein Gelenk ersetzt und Luftig ernsthaft ermahnt, sich mehr schonen).
Während Berta sich fröstelnd am Feuer die Füße rieb und in ihre Hände warme Luft pustete (gleiches hatte Luftig oft getan), schlug es im Kloster zum Morgen, zum Abend und wieder zum Morgen. Aber Berta blieb, denn sie liebte den Klang der Menschen aus der Ferne und lauschte ihren eigenen Gedankenschwärmen, die sich selten beruhigten. Und die Musik vom Schützenfest stieg hoch zu der Wiese, auf der sie Luftigs Rückkehr erwartete.
An einem weiteren Morgen teilte sich über Berta der Himmel, Donnergrollen erfüllte die Luft und mit einem gewaltigen Sprung, den Berta nur dank ihrer muskulösen Waden ausführen konnte, rettete sie sich vor dem nahenden Raumschiff. Luftig und Löwe entstiegen dem glänzenden Gerät. Und während Berta Luftig ihre Liebe gestand, stürzte Löwe zum Telefon, um ihre Entdeckung an alle namhaften Zeitungen und Radiosender zu melden: Die Erkundung des Mondes, der von der Erde aus betrachtet kahl und unwirtlich erschien, war ein Paradies, ja vielleicht sogar das Paradies, aus dem sie alle vor so langer Zeit geschmissen worden waren. Tatsächlich löste sein Bericht zunächst Unglauben, dann aber, nach der Darlegung einer lückenlosen Beweiskette, eine Rastlosigkeit in den Redaktionen aller Kontinente aus, die sich darin äußerte, dass Tausende von Journalisten binnen weniger Minuten das Gelände bevölkerten und um Informationen schrien.
Wie jedoch allgemein bekannt sein dürfte, erschien nie ein Sterbenswörtchen in den Nachrichten über die Entdeckung von Luftig und Löwe. Denn während man in amerikanischen Laboren noch an der ersten Rakete zum Mond bastelte, versuchte die aufstrebende Supermacht, jede Konkurrenz ihres maßlos teuren Vorhabens im Keim zu ersticken. Eine weltweit reichende Verschwörung proamerikanischer Spione und russischer Wissenschaftler malawischer Herkunft, die wegen einer genetischen Veränderung kurzatmig und zwergenhaft klein geraten waren, ermöglichte es, jede Information abzufangen und ihre Veröffentlichung zu verhindern. Als die Russen drei Jahre nach Luftig und Löwes Mondlandung die Hündin Laika ins Weltall schickten, wunderte es zumindest Luftig kaum, dass Laika nie wieder zurückkehrte. Denn entgegen aller anderen Behauptungen, konnte Laika, eine äußerst intelligente Hündin, die Sputnik II umleiten und als erster Hund, nach Luftig und Löwe auf dem Mond landen. Und während Berta und Luftig zeit ihres Lebens auf dem Erdboden blieben, bei Vollmond auf dem Dach ihres Hauses saßen und Berta den Erzählungen Luftigs lauschte, die Köpfe in den Himmel gereckt, gestand Laika Claudia ihre Liebe. Bleibt nur noch festzuhalten, dass geschlechtliche Missverständnisse, die aufgrund Luftigs unglücklicher Namenswahl entstanden waren, dank der paradiesisch anmutenden babylonischen Mehrsprachigkeit der Mondbewohner schnell ausgeräumt werden konnten.