Die Wiese
Die Wiese
Von Lestat
„Komm schon!“ Mark hatte keine Lust mehr, auf Kevin zu warten. Er war nun schon eine viertel Stunde in der Toilette des Rastplatzes einer Autobahn.
“Ach, verdammt!“
Genervt stieg er aus dem Citroen und ging auf die sterilgrüne Kunststofftür zu, um seinen Freund notfalls ins Auto zurück zu zerren. Inzwischen war Claudia im Rücksitz eingeschlafen. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, wandte er sich angeekelt um. Um Kevins Hüfte waren die schlanken Beine von Sara geschlungen, Kevins Freundin. An Saras linkem Knöchel baumelte ihr Stringtanga, und Kevins Hose war bis zu den Knien heruntergelassen. Der kleine Mistkerl hatte sie gegen eine Kachelmauer gedrückt und schien gerade einen Heidenspaß mit ihr zu haben. Da Saras lilafarbener Lederminirock über ihren Hinter zurückgezogen war, konnte Mark deutlich sehen, was die Beiden da machten.
„Wenn ihr das zumindest in einer der Toilettenkabinen gemacht hättet…“ Mark sah noch immer von den beiden Turteltäubchen weg, auf die schwach befahrene Autobahn hin.
„Sorry, Kumpel…“, stammelte Kevin. Mark hörte, wie sich die beiden voneinander lösten und sich wieder für die weitere Autofahrt herrichteten.
„Verdammt“, flüsterte Mark, „ich muss eingenickt sein. Ich habe gar nicht gemerkt, dass du auch raus bist, Sara.“
„Ja“, sagte sie verlegen. „Eben weil du eingepennt bist, habe ich mich in die Toilette geschlichen… Sorry noch mal!“
Die Beiden folgten Mark zum Auto, und nachdem beschlossen wurde, dass Sara die nächsten zwei Stunden fahren wird, ging die Reise in den Urlaub weiter.
Mark, Claudia, Kevin und Sara waren schon befreundet, als sie noch im Sandkasten spielten. Sie waren aus derselben Nachbarschaft und den ganzen Tag beieinander, spielten, lachten, weinten, übernachteten zusammen. In der Highschool bildeten sich langsam Paare. Mark hatte Interesse an Claudia, und Kevin kam mit Sara zusammen. Bis es bei Mark und Claudia endlich richtig gefunkt hatte, dauerte es allerdings etwas, ganz im Gegenteil zu den anderen Beiden. Ihre Beziehung begann, als er fünfzehn und sie gerade mal zwölf war. Nachdem Saras Eltern zu Bett gegangen sind, schlichen Kevin und sie sich ins Wohnzimmer, wo sie irgendeine Kassette einlegten, die Saras Vater in seinem Giftschrank liegen hatte. Es war ein Hardcoreporno, und Kevin wollte „das unbedingt auch mal ausprobieren“. Seit dieser Nacht schliefen bei fast jedem ihrer Treffen miteinander, und nun, da beide das College abgeschlossen hatten und mit ihren beiden anderen Kindheitsfreunden, die ebenfalls ein Paar geworden sind, allerdings auf herkömmliche Weise, in den Urlaub eben wegen dem erfolgreichen Collegeabschluss fuhren, hatte sich nichts in ihrer Beziehung geändert. Hier mal ein Fick, da mal ein Bums, aber nie ein „Ich liebe dich, Sara“, oder ein „Ich hab dich gern, Kevin“, Mark oder Claudia erwischten sie nur hin oder bei Vögeln. Natürlich wusste Mark, dass die beiden sich liebten, aber er war der Meinung, dass sie sich das zumindest auf angemessene Weise zeigen könnten.
Nun waren sie also auf dem Weg nach Miami, um dort den erfolgreichen Abschluss des Colleges zu feiern. Drei weitere Freunde von ihnen warteten dort schon, sie waren ein paar Tage früher dorthin gefahren, und die restlichen drei Wochen dort würden die sieben Freunde den Urlaub zusammen verbringen. Tagsüber schlafen, nachtsüber saufen und poppen, so sollte das Leben eines Twens sein.
Inzwischen war die Sonne längst versunken, und Claudias Augen waren rotgerändert von der ständigen Überbeanspruchung ihrer Augen bei dem schwachen Licht der defekten Scheinwerfer.
„Mark!“, rief sie ihrem bereits eingeschlafenem Freund auf der Rückbank zu, doch erst, als dieser nur mit einem trägen Grunzen antwortete, merkte sie diese für sie ungünstige Tatsache. Langsam verließen sie die Kräfte, ihre Unterarme und Handgelenke schmerzten von den Strapazen der schwierigen Straßen. Eine Stunde Schlaf würde schon Wunder bewirken. Dass Kevin und Sara nach ihrer kleinen Vorstellung vorhin müde waren, war ihr klar. Die Beiden sahen auch nicht so aus, als könnten sie dieses Gefährt sicher durch die Straßen leiten, aber sie wollte gar nicht erst wissen, wie sie selbst aussah. Dennoch wagte sie es nicht, das Auto irgendwo anzuhalten, denn sie waren durch Kevin und Sara schon eine viertel Stunde zu spät dran.
Jetzt fuhr Claudia das Auto gerade aus einer kleinen Stadt heraus, direkt in einen Wald. Zwar passte ihr das wegen der des miserablen Zustand der Scheinwerfer nicht, aber sie hatte keine andere Wahl. In so einem Kaff wie der Stadt, durch die sie gerade gefahren sind, wollte sie den Citroen keinesfalls absetzen. Nach zehn Minuten Fahrt war sie tief in den Wald gefahren, doch sie hatte keine Ahnung mehr, wo sie jetzt waren. In einer Art Halbschlaf hatte sie den Wagen einfach über den steinigen Weg geleitet, ohne auf die Richtung zu achten. Aber so viele Abzweigungen konnte ein Waldweg doch nicht haben, oder? Sie würden den Wagen einfach weiter den Weg geradeaus lenken, ja… In diesem Moment schlief sie ein.
Der Wagen rumpelte plötzlich, und als Mark seine Augen öffnete, sah er, dass sie gerade über eine Wiese fuhren. Direkt über eine Wiese! Der Nachthimmel wurde durch eine Wolkendecke verschleiert, und über die Wiese waberte milder Nebel. Die schwachen Scheinwerfer durchdrangen ihn zwar, aber Mark hatte das Gefühl, als ob der Nebel plötzlich dichter wurde. Es war eine holprige Wiese, mit Hügeln und Steinen übersäht.
„Claudia? Was soll das?“ Die Frage blieb unbeantwortet. Alle anderen seiner Freunde schienen zu schlafen. Sogar Claudia! Ihre Hände ruhten zwar auf dem Lenkrad, aber sie ließ den Kopf vornüber hängen. Der Wagen rollte über die unebene Wiese dahin, als ob Claudias Fuß noch immer leicht auf das Gaspedal drücken würde.
“Claudia! Wach auf!“ Er sah nun über die Rückenlehne des Sitzes nach vorne zu seiner Freundin. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und Speichel lief daraus. Dann glaubte Mark, Stimmen zu hören. Ein leichtes Gesäusel, das aus dem Nebel drang. Die Worte wurden klarer.
“Hexe!“
„Teufelsbuhle!“
„Hure des Satans!“
Schemenhafte Figuren tauchten im Nebel auf, mit Fackeln und Mistgabeln. Die Figuren wurden klarer, schienen sich aus dem Nebel zu materialisieren, dann lief eine Schar Bauern johlend und schimpfend direkt auf ihr Auto zu.
“Claudia, halt an!“
Mark reagierte aus einem Affekt heraus. Er riss die Hintertür des Autos auf und sprang hinaus. Er kam unsanft, aber unverletzt am Boden auf und rollte über die mit Steinen übersähte Wiese einen kleinen Hügel hinunter. Er dachte, gleich würde er Gerumpel und den Schrei eines überfahrenen Menschen hören. Stattdessen wurden die Beschimpfungen der Bauern lauter und lauter. Er hörte, wie die Türen des Autos aufgerissen wurden. Sofort kam er wieder auf die Beine und lief die kleine Erhebung hinauf.
Die Bauern hatten die schlafende Claudia aus dem Auto gezerrt und schleiften sie nun hinter sich her. Zwar schien sie noch immer zu schlafen, aber ihre Lider flatterten jetzt, wenn die Menschen sie über einen Stein zogen. Er rief der Meute zu, was hier eigentlich los sei, aber sie schienen ihn gar nicht zu bemerken. Im Auto schliefen Kevin und Sara noch immer, genau so wie Claudia trotz des unebenen Bodens keine auffällige Reaktion zeigte. Mark lief auf die Menschen zu, versuchte, einen der Bauern an der Schulter zu packen. Er spürte einen stechenden Schmerz in seiner Hand, als diese geradewegs durch das Fleisch des Mannes hindurch glitt, als wäre er aus Nichts gemacht! Ungläubig starrte er einen Moment lang zuerst auf seine Hand, dann auf die wütende, schimpfende Menge. Doch durch ein grollendes Geräusch würde Mark aus seiner Paralyse befreit.
Das Geräusch schien aus der Umgebung, aus dem Nebel, der nun fast alles umrahmte, selbst zu kommen.
Dann verschwand plötzlich das Auto, Marks Citroen, der bis vor einer Sekunde noch einige Meter weit rechts von ihm gestanden hat, im Nebel.
Noch während Mark den Mund zu einem stumm bleibenden Stöhnen des Erstaunens öffnete, materialisierte sich im Nebel wieder etwas, auf das die Bauern nun direkt zuwankten. Mark strengte seine Augen an, bis er das endgültige Bild vor seinen Augen hatte. Ein Scheiterhaufen. Ein Baumstamm, umringt von Hunderten von dürren Ästen. Verwirrt durch die bisherigen Ereignisse, ahnte Mark nicht, was jetzt passieren sollte. Erschrocken von dem surrealen Schauspiel und paralysiert von dem Grollen wandte er sich ab und schlug die Hände vor das Gesicht. Erst, als er Claudia aufstöhnen und Äste brechen hörte, wusste er, welche Ereignisse folgen sollten. Er blickte wieder auf den Scheiterhaufen, wo die Meute die noch immer schlafende Claudia an dem Stamm mit einem dicken Seil anband.
„Claudia!“
Mark rannte auf die Menschen zu, und nachdem er die Menge erreicht hatte, rannte er durch sie hindurch. Er fühlte sich an, als würde er gegen tausend Stechende Nadeln rennen. Doch er hielt durch, trotzte dem Schmerz und lief weiter auf seine Geliebte zu. Jetzt hatte eine rundliche Frau, die auf den Unmengen von Ästen stand, ein Streichholz zur Hand genommen. Mit Hilfe des Stammes zündete sie es an.
„Wage es nicht, ihr auch nur ein Haar zu krümmen!“, brüllte Mark dem Weib zu. Doch schon ging sie unheilsverkünden langsam den Asthaufen hinunter.
Sie flüsterte etwas mit einem Mark unbekannten Dialekt.
Das Grollen wurde lauter, und langsam dachte Mark, der noch immer durch die Menschen lief, und das in zweideutigem Sinne, dass es in seinen Ohren selbst grollte. Jedoch ließ er sich auch dadurch nicht beirren, er rannte entschlossen seiner Freundin entgegen, die bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden drohte. Nach einer Ewigkeit, nämlich genau zwei Minuten, kam Mark am Scheiterhaufen an. Die Erlösung von dem Schmerz war für ihn wie eine Offenbahrung, so dass er den Bruchteil einer Sekunde erschöpft von den Strapazen innehielt, doch dann wieder den Scheithaufen hinauflief.
„Claudia!“
Die noch immer Schlafende öffnete die Augen.
„Mark…“, hauchte sie, doch Mark konnte sie nicht hören. Dann wich das Grollen einem neuen Geräusch. Ein Zischen und Säuseln ging durch die Luft, war allerdings scheinbar nur von Mark zu hören.
Mark hatte Claudia erreicht.
„Claudia! Komm mit…“ Mehr brachte er nicht heraus. Er wollte Claudia die Fesseln abnehmen, aber seine Hand glitt wieder durch Seil und Stamm hindurch wie durch Luft!
Langsam machte sich Verzweiflung in Marks Herzen breit, ohne dass er wirklich wusste, welche seltsamen Geschehnisse ihn und seine Freunde da heimsuchten, die doch nur nach Miami fahren wollten, um Spaß zu haben! Mark hatte die Befürchtung, dass seine Hände auch durch Claudia selbst gleiten würden. Leicht zögernd fasste er ihr an die Schulter. Seine Hand sank hinein, und seine Hand schmerzte. Entmutigt zog er sie wieder hinaus.
“Oh Nein… Verdammtverdammtverdammtverdammverdammt…“ Er flüsterte unentwegt das Wort „Verdammt“ vor sich hin. Das Säuseln wurde immer lauter. Er wich zurück und fiel. Die Äste brachen unter seinem Aufprall nicht, auch bei seinem Lauf auf den Scheiterhaufen hatte kein Ast nachgegeben. Sofort rappelte er sich wieder auf, doch plötzlich hielt er inne. Diese Frau auf dem Scheiterhaufen… sie war nicht mehr Claudía! Es war nun eine rothaarige, blasse Frau mit grünen Augen und eingefallenen Wangen. Sie schien Mark nicht zu sehen, war ganz auf die Frau vor ihr konzentriert, die nun das Streichholz in die Äste fielen ließ. In dem Augenblick, als die brennende Spitze des Streichholzes die Äste berührte wich das nun unerträglich laute Säuseln einem leisen, subtilen Zischen. Mark sah, wie die Flammen den Baumstamm mit der fremden Frau daran einkreisten und dann auf sie zu krochen. Das Feuer kroch auch auf ihn zu, doch er ahnte bereits, dass sein Körper das Feuer nur mit den kurzen, spitzen Stichen quittieren würde. Und so lief er geradewegs durch die Flammen auf die Frau zu, wobei er vor Schmerz das Bewusstsein verlor.
Kevin wachte auf. Er saß auf dem linken Rücksitz des Autos, allein. Um das Fahrzeug waberte Nebel, und es schien, als würde irgendjemand im Auto leise keuchen, auch wenn Kevin allein war. Nachdem er sich einige Augenblicke verwirrt umgeblickt hatte, öffnete er zögernd die Tür des Wagens. Der Nebel war geräusch- und geruchlos, er schlich sich nun näher an das Auto heran und schien Kevin wieder hineindrängen zu wollen. Oder ihn auffressen. Rasch ließ er sich in das Auto gleiten und riss die Tür zu. Der Nebel drückte sich an die Scheibe, und Kevin glaubte für einen Moment das Gesicht einer dürren Frau aus den Wogen aufsteigen zu sehen. Das Keuchen wurde lauter, und Kevin hielt sich verwirrt die Ohren zu. Es war noch immer da. Es war in seinen Ohren. In seinem Kopf, seinem Gehirn. Er hatte nicht den blassesten Schimmer, was er tun sollte. Gedankens schossen durch seinen Kopf, er hob die Hände und senkte sie wieder, zappelte auf der Bank herum. Gerade, als er sich dazu entschloss, die Tür zu öffnen und durch den Nebel zu laufen, drang der Dunst durch die Schnittstellen der Tür zum Auto herein. Nachdem die ersten Rauchfetzen noch quälend langsam herein quollen, schoss er bald darauf in das Fahrzeug. Kevin konnte in dem Nebel erstaunlich gut atmen, als wäre es gar kein Nebel, sondern lediglich graufarbene Luft. Dann keuchte er auf. Etwas durchfuhr seinen Unterleib, etwas fuhr um seinen Unterleib herum. Der Schweiß brach aus seinem Körper aus, und er stellte fest, dass es sein Keuchen war, dass er die ganze Zeit gehört hatte. Er musste sich ungeheuer anstrengen, auch wenn er nicht wusste, wegen was. Der Nebel hüllte ihn komplett ein, versperrte ihm die Sicht. Dann schien der Qualm seine Farbe zu ändern, von dem kalten Grau zu einem warmen, würzigen Rot-Orange. Plötzlich… ein Gesicht! Ein angestrengt aussehendes Gesicht vor seinem geistigen Auge. Saras Gesicht! Ihm schwindelte, nicht nur wegen der ungeheuren Flut an Eindrücken, die seine Sinne stürmten, sondern auch wegen dem Nebel. Kevin konnte es sich nicht erklären, aber er wusste, dass es etwas mit dem Nebel zu tun hat. Er strengte seinen Körper noch mehr an, spannte alle Muskeln und versteifte sich und begann nun, sich rhythmisch zu bewegen. Das Gesicht kam aus dem Nebel und… küsste ihn. Ein leidenschaftlicher Kuss voller Feuer, das nun seinen Körper durchzuckte. Saras sanfte Arme legten sich um seinen nackten Rücken, während sich die beiden auf den Leinen des Bettes wälzten. Jetzt erkannte Kevin eine genaue Umgebung, und er wusste, dass dies weder eine Halluzination noch ein Traum war, es war einfach zu real. Sara sah ihn voller Leidenschaft an, während er sie mit seinen Stößen tief in die Laken drückte. Dann der Höhepunkt, so, wie er ihn mochte, kurz und kräftig. Poltern. Krachen. Bersten. Blickwechsel zwischen Sara und ihm. Nein! Das war nicht mehr Sara, die da unter ihm lag. Das war eine andere, magere, ältere Frau mit feuerroten Haaren! Erschrocken, aber nicht angeekelt, denn so alt war die Frau auch nicht, vielleicht… 35, rollte er sich von ihr ab und über die Bettkante. Leute, überall im Raum, mit Fackeln. Die Frau schrie. Sie packten die dreckige Dirne - Dreckige Dirne! - und zogen sie aus dem Raum, ins Freie hinaus, wo undurchdringlicher Nebel waberte. Dreckige Dirne! Die Worte des Priesters, mit dem sie fickte. Welcher Priester? Ach, du natürlich! Natürlich, ich bin ja gar nicht Kevin, ich bin der Priester, der Priester der mit der dreckigen Dirne gefickt hat – ja, sie hat´ s ihm richtig besorgt, die dreckige Dirne und sie haben ihn dafür verbrannt - aber sie hat´ s ihm richtig besorgt. Starre. Dann nichts mehr.
Mark wusste nicht, wo er war, er wusste nur, dass es weh tat. Brennender Schmerz, überall in ihm. Atemnot. Tränende Augen. Rauch. Und Feuer. Er verbrannte, jetzt merkte er es. Er war Priester, sein Name war Andrews, Norman C. Andrews. Er war nicht Mark. Das war nur ein Traum. Er brannte auf dem Scheiterhaufen, weil er mit der Teufelsbuhle Beischlaf hatte. Sie wollte den unheiligen Segen von ihm. Dafür wurde keine Hostie gebraucht, etwas Anderes war von Nöten. Er starb gerade. Aber er hatte es verdient. Schließlich war er ja jetzt ein Judaspriester. Da war es recht und billig, dass man ihn umbrachte.
Kevin wachte im Kerker neben Mark auf. Es war ein Kerker, das wusste er, aber er wusste nicht, wieso er es wusste oder woher, denn es war absolut dunkel. Der ekelerregende Gestank von Blut und Schweiß klebte an den Wänden und Böden, die Schreie der Gequälten hallten durch die Steinflure. Mark atmete schwer, ab und zu redete er im Schlaf. Er erkannte seine Stimme, daher wusste er, dass es sein Freund war. Worte wie „Dirne“, „Teufelsbuhle“ und „Claudia“ wichen erstickt aus Marks Kehle. Nach einer Ewigkeit (oder auch zwei, oder auch drei) hatte Kevin genug Mut zu sprechen.
“Mark“, sagte er unterdrückt. Dann sagte er fester „Mark, verdammt“. Und dann sagte er mit solider Stimme: „Mark!“
Augenblicklich zuckte sein Freund hoch. „Was?“
„Wo sind wir?“
„Ich weiß es nicht, Kev“
„Wo sind die Mädels?“
„Tot“
„Tot?“
„Oder nein, sie leben noch“
Beide hatten unterschiedliche Dinge erlebt, und doch wussten sie beide um die Frau, den Scheiterhaufen, die Bauern mit den Fackeln. Sie kannten die Geschehnisse, aber nicht das „Wieso“, das dahinter steckte.
„Also“, sagte Mark, „in Miami sind wir sicher nicht.“
Kevin lachte lauthals auf. Dann zeichnete sich ein Lichtrechteck im Dunkel ab, mit der Silhouette eines breiten Mannes darin.
„Wenn ihr kräftig genug zum Scherzen seid, meine Freunde, könnt ihr genauso gut auch Leiden.“
Erschrocken fuhren beide zusammen, versuchten, aufzustehen, doch ein Schmerz, wie sie ihn beide noch nicht kannten, hinderte sie daran.
Jetzt ging der Mann herein.
„Ihr Hurensöhne“
Beide wurden in einen hell ausgeleuchteten Raum gebracht. Sie trugen beide zerrissene Lumpen, die mal Polyesterhemden und Blue Jeans waren. Die Folter war unaussprechlich.
Der Wagen kam durch Claudias Einschlafen von der Straße ab und rumpelte in den Graben, wo er weitestgehend unbeschadet liegen blieb. Die vier Freunde wachten auf, ohne eine Erinnerung an die vorhergegangen Geschehnisse. Sie waren alle eingeschlafen, dann hatten sie den Unfall und liefen vier Meilen durch den Wald, der links und rechts neben der Straße lag, auf der sie den Unfall hatten, und kamen in einer kleinen Siedlung an, wo sie zuerst kurz von einem Arzt untersucht wurde, und dann sofort mit einem Mietwagen nach Miami weiterfuhren. Sie hatten fantastische vier Wochen voller durchgemachter Nächte und reichlich Sex.
Drei Monate später las Mark in einem Buch folgenden Text, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen:
In einer Gegend im mittleren Westen glauben die Menschen an folgende Legende: Im vierzehnten Jahrhundert lebte in den Gegenden um einen heute noch existierenden Wald eine Hexe, die einen Priester dazu verführte, mit ihr zu schlafen und ihr seinen Samen zu opfern. Die Hexe wurde gefoltert und hingerichtet, so wie der der Priester und der Bruder der Hexe, der mit dem Priester befreundet und in den Plan eingeweiht war. Noch heute sollen ungebetene Gäste dort in den Wäldern verschwinden, und jeder, ausnahmslos, der sich in diese Wälder wagt, wird von der Hexe geholt.
Uninteressiert stellte Mark das Buch wieder zurück, obwohl ihm kurz ein milchiger Nebel vor dem geistigen Auge erschien.
*Ende*