Die Wette
Die Konferenz in London sei ihre erste größere gewesen, mit Flug, vom Institut bezahlt. Nach einem ausgefüllten Tag seien sie und der Arbeitsgruppenkollege noch ins Pub gegangen; ungewohnt dünnes Bier bis zur Sperrstunde, die unerwartet plötzlich kam, und danach weiter in ein paar Bars. Am Ende des Abends hätten sie, beide immer noch konferenzschick, in der Circle Line darum gewettet, wer freihändig über mehr nutzloses Wissen verfüge.
Die erste Runde habe sie mit dem Schwimmtempo des Grönland- oder Eishais eröffnet; der Kollege habe mühelos dagegengehalten und die olympische Muse der epischen Dichtung mit Namen genannt. Daraufhin habe sie die sechs Edelgase mit Symbol und Ordnungszahl aufgezählt, was der Kollege mit π bis zur 31. Stelle kontern konnte. Bei den zweiten Vornamen bekannter Komponisten ging das Licht aus und die Notbeleuchtung an (was die Londoner im Wagen ebensowenig zur Kenntnis nahmen wie die beiden konzentriert aufeinander eindozierenden Deutschen). Der Geruchssinn der Stubenfliege, die Spationierung im Bleisatz und wie Pinguine schmecken – die gegenseitige Hochachtung stieg mit jedem unentschiedenen Schlagabtausch.
Gewonnen habe dann aber doch sie. Als sie aus dem Stand beschrieb, wo sich auf der tschechischen Schreibmaschinentastatur das Ogonek befindet, habe der Kollege die Waffen gestreckt. Das, habe er verkündet, sei mit Abstand das Nutzloseste, was man nächtens in einer Londoner U-Bahn wissen könne, und habe ihr mit einer feierlichen Verbeugung den Titel der »Frau mit dem größtmöglichen unnützen Wissen« zuerkannt. Bis heute nenne er sie so, alle zwei, drei Jahre beim Kaffee.
Nun müsse sie aber wirklich los, morgen früher Termin; allen noch einen schönen Abend! — Nachdem sie gegangen war, die Frau mit dem anerkannt größtmöglichen unnützen Wissen, unterhielten wir anderen uns darüber, wie so eine Wette heute wohl aussähe, im Zeitalter des Smartphones, und einer am Tisch hatte auch schon eines aus der Tasche gezogen und tippte darauf herum.
Moment mal, sagte er plötzlich, und alle schauten, und dann kam es: Auf der tschechischen Tastatur gibt es gar kein Ogonek!
Sie hat das natürlich gewußt, sagte einer am Tisch, und eine andere: Ja, aber der Kollege nicht. Das, bemerkte ein weiterer, wäre ja auch kein nutzloses Wissen gewesen, in diesem speziellen Fall. Und während die Diskussion aufflammte, wem denn nun und warum der Titel zugestanden hätte oder nicht, legte ich innerlich einen Wiki-Eintrag an: