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Die Wette

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20.02.2014
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Die Wette

Die Konferenz in London sei ihre erste größere gewesen, mit Flug, vom Institut bezahlt. Nach einem ausgefüllten Tag seien sie und der Arbeitsgruppenkollege noch ins Pub gegangen; ungewohnt dünnes Bier bis zur Sperrstunde, die unerwartet plötzlich kam, und danach weiter in ein paar Bars. Am Ende des Abends hätten sie, beide immer noch konferenzschick, in der Circle Line darum gewettet, wer freihändig über mehr nutzloses Wissen verfüge.
Die erste Runde habe sie mit dem Schwimmtempo des Grönland- oder Eishais eröffnet; der Kollege habe mühelos dagegengehalten und die olympische Muse der epischen Dichtung mit Namen genannt. Daraufhin habe sie die sechs Edelgase mit Symbol und Ordnungszahl aufgezählt, was der Kollege mit π bis zur 31. Stelle kontern konnte. Bei den zweiten Vornamen bekannter Komponisten ging das Licht aus und die Notbeleuchtung an (was die Londoner im Wagen ebensowenig zur Kenntnis nahmen wie die beiden konzentriert aufeinander eindozierenden Deutschen). Der Geruchssinn der Stubenfliege, die Spationierung im Bleisatz und wie Pinguine schmecken – die gegenseitige Hochachtung stieg mit jedem unentschiedenen Schlagabtausch.
Gewonnen habe dann aber doch sie. Als sie aus dem Stand beschrieb, wo sich auf der tschechischen Schreibmaschinentastatur das Ogonek befindet, habe der Kollege die Waffen gestreckt. Das, habe er verkündet, sei mit Abstand das Nutzloseste, was man nächtens in einer Londoner U-Bahn wissen könne, und habe ihr mit einer feierlichen Verbeugung den Titel der »Frau mit dem größtmöglichen unnützen Wissen« zuerkannt. Bis heute nenne er sie so, alle zwei, drei Jahre beim Kaffee.
Nun müsse sie aber wirklich los, morgen früher Termin; allen noch einen schönen Abend! — Nachdem sie gegangen war, die Frau mit dem anerkannt größtmöglichen unnützen Wissen, unterhielten wir anderen uns darüber, wie so eine Wette heute wohl aussähe, im Zeitalter des Smartphones, und einer am Tisch hatte auch schon eines aus der Tasche gezogen und tippte darauf herum.
Moment mal, sagte er plötzlich, und alle schauten, und dann kam es: Auf der tschechischen Tastatur gibt es gar kein Ogonek!
Sie hat das natürlich gewußt, sagte einer am Tisch, und eine andere: Ja, aber der Kollege nicht. Das, bemerkte ein weiterer, wäre ja auch kein nutzloses Wissen gewesen, in diesem speziellen Fall. Und während die Diskussion aufflammte, wem denn nun und warum der Titel zugestanden hätte oder nicht, legte ich innerlich einen Wiki-Eintrag an:

Ein tschechisches Ogonek ist die plausible, mit beiläufiger Überzeugung vorgetragene, aber nicht überprüfbare Behauptung, die einem unlösbar scheinenden Konflikt zur rechten Zeit ein Ende setzt und/oder dem Behauptenden Renommee verschafft; der Wirkmechanismus gleicht dem des salomonischen Urteils. Idiomatische Verwendung: »um eines tschechischen Ogoneks Breite«, »jmd. ein tschechisches Ogonek aufbinden«. Vgl. auch: Bluff.​

 

Servus Lakritze,
als anerkanntem wandelnden Lexikon des unnützen Wissens hat es mir deine kleine Geschichte wirklich angetan. Sie ist stilistisch sicher und souverän, die ich nenn‘s mal Schlusspointe ist geschickt vorbereitet und durch die beinahe durchgängige indirekte Rede klingt der Text überaus charmant.

Ob man das jetzt eine Anektote nennt oder sonstwie sei mal dahingestellt. Ein Lesevergnügen war es allemal. Und obendrein so erfreulich fehlerfrei, was hier im Forum längst keine Selbstverständlichkeit ist.

Einzig diese Stelle ließ mich kurz straucheln:

... und danach weiter in ein paar Bars.

in einige Bars klänge für mein Gefühl hübscher.

offshore

 

Hallo Lakritze,

also für mich ist das etwas dünn. Es ist ja im Grunde eher ein Witz als eine Geschichte. Und wo Dein vorheriges Schlaglicht zumindest ein bewegendes Thema hatte, ist das hier, na ja, es ist halt banal. Da steckt eine ganz kleine Idee oder Beobachtung im Text und die wird dann auch nicht weiterentwickelt zu irgendwas, sondern so mit Minimalaufwand und Minimalumfang rausgeschossen. Das empfinde ich als Fast-Food-Text. Und alles worauf es mir bei Texten ankommt, Figuren, Atmosphäre, Sprache, alles was halt aus einem abstrakten Gedanken, den man mehr oder weniger spannend finden kann, eine lebendige Geschichte macht, fehlt mir hier. Darüber kann mich auch korrekte Interpunktion und Rechtschreibung nicht hinwegtrösten.

Also ich würd mir wirklich was längeres von Dir wünschen.

lg,
fiz

 

Hallo Lakritze,

also um ehrlich zu sein, weiß ich wirklich nicht, wieso man eine solche Geschichte, außer wenn es sich um den privaten Lesespaß handelt, schreibt - da Du es aber hier veröffentlicht hast, denke ich mal, dass es eher ein Text ist, den auch andere lesen sollen.

Für mich sieht er wie ein gut durchdachter Text aus, der sicherlich nicht nur einfach so aus dem Kopf "runtergeschriben" wurde; ein Plus! Er ist aber auch nur für einen sehr begrenzten Lesekreis, (für mich ist er z.B. gar nicht geeignet); ein Minus! Es fehlt mir die Spannung und das Ende...

Vom Still her gefällt er mir wirklich gut, denn die ständigen eingefügten Nebensätze siehen immer gut aus, wenn man es natürlich nicht übertreibt, Du hat da wirklich den Nagel auf dem Kopf getroffen! Aber wieso denn immer der Konjugtiv? Hat das einen Grund?

Leider frage ich mich immer, wenn ich so einen Text lese, da ich sehr kritisch der Literatur gegenüber gesinnt bin, welche Wirkung der Autor sich erhofft? Will er einfach nur die Leser beeindrucken? Will er eine Revolution auslösen oder will er einfach nur schreiben?! Bei Dir bin ich mir da nicht so sicher :)

lg,
Mire

 

Dank Euch fürs Lesen! Ich hatte diesen Text vor zwei Jahren ins Netz gestellt, wo er eine relativ große Menge Leser anzog; ich habe aber nie so recht verstanden, wieso eigentlich. Insofern freut mich die Rückmeldung.

@ernst offshore: Es lebe das unnütze Wissen! Und "souverän" geht natürlich runter wie Öl; ich ... naja, ich neige zum ewigen Feilen. .)

in einige Bars klänge für mein Gefühl hübscher.
Stimmt, macht den Satzrhythmus besser. Merci.

@fiz: Och Menno!

Das empfinde ich als Fast-Food-Text.
Hm, das mag ich nicht auf mir sitzen lassen. Ein bißchen was habe ich schon angelegt; nur sollte ich's wohl auch so machen, daß man's findet. ,) (Soll ich dazu noch was schreiben? Oder ist es zu furchtbar, von Schreibern erklärt kriegen, was in ihren Texten steht?)

@Mire: Keine Sorge --

Will er eine Revolution auslösen oder will er einfach nur schreiben?!
An Revolution dachte ich hier nicht im Traum. "Unterhalten" wäre schon etwas, womit ich ganz zufrieden bin.
Der Konjunktiv steht hier der indirekten Rede wegen.

Bis auf weiteres,
L.

 

Hallo Lakritze, wir kennen uns noch nicht, eins muss ich allerdings sagen: als bekennender Lakritzefan hast du bei mir natürlich eh einige Pluspunkte.
Aber das nur am Rande.
Alles, was fiz sagt, stimmt. Ist wohl auch eine Frage der Lesererwartung und des Leserinteresses. Und trotzdem. Deine Witzelei ist einfach gut entwickelt, ich mag auch die durch die indirekte Rede entstehende künstliche Distanz. Die Pointe ist passgenau gesetzt. Also mich hast du sehr erheitert.
Auch die kleinen Logeleien am Rande, wie aus einem Tastaturfuppserl ein salomonisches Urteil wird und ob Ogoneks denn nun wirklich nutzloses Wissen darstellen, denn in dem speziellen Fall kann man dem guten Ogonek ja einen ganz ordentlichen Nutzen zuerkennen.
Also mir hast du zu meiner Freude ein schönes tschiches Ogonek aufgebunden.

Ist halt ein bisschen nette Unterhaltung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Und manchmal braucht man das ganz besonders.
Viele Grüße von Novak

 

Hallo Lakritze,

Hm, das mag ich nicht auf mir sitzen lassen. Ein bißchen was habe ich schon angelegt; nur sollte ich's wohl auch so machen, daß man's findet. ,) (Soll ich dazu noch was schreiben? Oder ist es zu furchtbar, von Schreibern erklärt kriegen, was in ihren Texten steht?)
Ja, das ist furchtbar. Aber das tun wir hier alle ständig, weil wir auch immer unverstanden sind. Und in so nem Forum kann es helfen, um rauszukriegen, wo auf dem Weg von Autor- zu Leserkopf was verloren gegangen ist, um das im günstigsten Fall aufzuheben und wieder in den Text zu stopfen.
Gut, manchmal ist der Text auch okay und der Leser einfach blind. Das will ich hier nicht ausschließen.

Ansonsten werd ich Dich weiter triezen, mal was Größeres zu wagen, denn Leute, die mit Sprache gut umgehen können und trotzdem immer am Beckenrand schwimmen, verdienen es, getriezt zu werden.

lg,
fiz

 

Hallo Lakritze

Der Stil ist klasse und die Idee mit dem nutzlosen Wissen finde ich auch gut. Ich weiß nur nicht so recht, wie ich die indirekte Rede verstehen soll, wer berichtet denn nun?
Verstehe ich es richtig, wenn es eine Anekdote ist, die von dem Arbeitskollegen selbst erzählt wird, der sie dann alle zwei-drei Jahre bei einem Kaffee sieht. Und heute sind mehrere Leute dabei, viele Jahre später, denn es gibt mittlerweile Smartphones, und jetzt wird erst die Sache mit dem Ogonek aufgeklärt ?
Ich finde die Perspektive nicht so ganz klar, erst nach nochmaligem Lesen verstehe ich es besser. Ist ja sehr raffiniert.
Trotzdem löst das Ende nicht alles, meiner Meinung nach.
Pi bis zur 31. Stelle ist für mich genial, aber die beiden scheinen sowieso Genies zu sein, denn sonst könnten sie das nicht mehr nach all den Jahren in allen Einzelheiten erzählen.
Hoffentlich habe ich den Text jetzt nicht zu sehr auseinandergenommen.
Ich habe ihn aber gerne gelesen. Vielen Dank.

LG
Joanna

 

@Novak: dankesehr! Und darauf ein Ogonek -- freut mich, wenn Du's gern gelesen hast!

@fiz: Dann sag ich mal Dank fürs Triezen. Ist eigentlich ganz angenehm am Beckenrand, aber ich blase schon mal die Schwimmflügelchen auf ... (Ich schreibe morgen abend ordentlich, wenn ich wieder am Bildschirm bin.)

@Joanna: nur keine Angst vorm Auseinandernehmen -- dafür stehen die Texte ja hier! Das Ich, das erzählt, ist jemand, der/die die soeben die Königin des unnützen Wissens getroffen hat; die hat die Geschichte selbst erzählt. Danke fürs Lesen, und viel Spaß noch hier!

 

Hallo!

Ich hatte ein ähnliches Problem wie Joanna, ich habe zwar verstanden, wer was erzählt, aber ich finde den Übergang holprig. Vielleicht könnte man noch mal klar machen, dass die Königin zu Ende erzählt hat und jetzt geht.

Ansonsten finde ich, dass es eine nette Geschichte ist, die ein gewisses Identifikationspotential für Wissenschaftler hat. Mir gefällt der Anklang an die "Intimität" unter Kollegen, die sich lange kennen, aber nur auf Konferenzen persönlich treffe. Ich nehme an, die Königin und der Kollege sind immer noch Kollegen? Irgendwie fragt man sich bei dem Satz "Bis heute nenne er sie so, alle zwei, drei Jahre beim Kaffee." , ob die beiden ein Paar sind und er sie beim Kaffetrinken damit neckt, wie sie sich kennengelernt haben.

Liebe Grüße
Thea

 

@Thea: -- ein Paar? Freut mich, daß Du fragst. Ob da nicht mal mindestens was war, steht nämlich durchaus im Raum. Danke!

Damit ist die Geschichte zum einen eine Romanze, unausgesprochen, denn die Person, die sie erzählt, läßt sich nicht in die Karten gucken. Sie erzählt fesselnd; keinem ihrer Zuhörer kommt die Idee, <i>während</i> der Geschichte ins Netz zu gehen. Das Publikum ist für den Moment gebannt, wahrscheinlich geblendet von Eishaien und Komponisten und der Autorität dieser Erzählerin. So eine Frau ist das -- erfolgreich, beschäftigt, freundlich, aber irgendwie nicht richtig zu fassen; trotzdem über jeden Zweifel erhaben.

Die erzählte Geschichte funktioniert nur ohne das Internet, nicht zuletzt, weil sie auf einem Bluff basiert; dem wiederum steht vollkommenes Vertrauen des Kollegen gegenüber. (Er hat das Ogonek ja bis heute nicht nachgeschlagen.) Heute wird der Bluff entlarvt, aber erntet geradezu Anerkennung.
Und der Ich-Erzähler überlegt, der Diskussion die Grundlage zu nehmen, indem er den erfundenen Begriff bei Wikipedia einträgt, so daß man bei allen weiteren Referenzen auf das Ogonek erst mal sagen würde: guck, da ist ein Eintrag; aber dann wäre der Eintrag einer, der den gesamten Sachverhalt wieder auf die Schippe nähme -- Zirkelschluß mit Meta-Dreh.

Bleiben immer noch Fragen: wie nutzlos nutzloses Wissen sein muß, wieso es einen Unterschied gibt zwischen nutzlosem Wissen, das man einfach so im Kopf hat, und nutzlosem Wissen, das überall leicht verfügbar ist, und wieso Wahrheit bei Nutzlosigkeit überhaupt ein Kriterium ist.

Na, so ungefähr. (Und solche Geschichtchen sind anfangs meist dreimal so lang. Dann wird eingedampft. .))

 

Eigentlich funktioniert die Geschichte nur ohne Smartphones, denn in den 00-Jahren gab es zwar Internet aber keine Möglichkeit es abends in der Kneipe abzurufen.

Damit der Zirkelschluss funktionert, will heißen beim Leser ankommt, muss klar sein, wer wann über was erzählt.

Prinzipiell würde ich ja sagen, dass es kein nutzloses Wissen gibt, dann wäre Wahrheit aber schon ein Kriterium. Wahrheit ist nur dann unwichtig, wenn manches Wissen (vielleicht auch nur in dem erzählten Zusammenhang) nutzlos ist. Juchu!

Grüße Thea

 

@Thea Hosentaschennetz -- Gift fürs Gedächtnis. Das stimmt. .))
Nun müsse sie aber wirklich los, morgen früher Termin; allen noch einen schönen Abend! — Nachdem sie gegangen war, [...] unterhielten wir anderen uns darüber, [...]
Das reicht nicht? Vielleicht ein Absatz? Ich mag eigentlich nicht mehr Worte machen.
Und: gibt kein nutzloses Wissen --? Muß ich drüber nachdenken. (Wäre schön etwa gleich nützlich --? Oh nein!)

 

Arbeitsgruppenkollege – unnötig langes Wort: es reichte Arbeitskollege. :)

Ansonsten ist die kleine Geschichte, obwohl 2 Drittel davon ein Bericht ist, gekonnt erzählt – mit einem Schmunzeln im Hinblick auf die Konjunktivdiskussion im Friedrichards Blog, wie ich annehme.

Natürlich gibt es kein unnützes Wissen, denn dank dieser Geschichte weiß ich, dass es so etwas wie Ogonek gibt und wozu es in der polnischen und litauischen Sprache dient. Ob mir das je nutzen wird, weiß ich natürlich nicht, aber auszuschließen ist das nicht.

 

@Dion: na klar, Arbeitskollege --! Danke. .) Und die Konjunktivdiskussion hatte ich noch gar nicht entdeckt, muß ich gleich mal schauen. (Wobei meine Geschichte konjunktivtechnisch gar nicht so viel hergibt. Ist ja nur Konjunktiv I; ein paar ordentlich starke Verben im Konjunktiv II hülfen da --!)

 

Nun müsse sie aber wirklich los, morgen früher Termin; allen noch einen schönen Abend! — Nachdem sie gegangen war, [...] unterhielten wir anderen uns darüber, [...]
Das reicht nicht? Vielleicht ein Absatz? Ich mag eigentlich nicht mehr Worte machen.

Ich denke ein Absatz anstelle des langen Bindestrichs würde reichen ...

 

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