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Die Welt und Herr Meinders

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30.03.2009
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Die Welt und Herr Meinders

Das Telefon beendet abrupt meinen Schlaf.
Ich springe aus dem Bett und rudere heftig mit beiden Armen. So bin ich schlagartig wach und vermeide es gleichzeitig mit dem wegrutschenden Bettvorleger den Platz zu tauschen.
Derart erfrischt, begebe ich mich an den Apparat.

„Ja bitte?“
„Herr Meinders, ich grüße Sie an diesem wunderschönen Montagmorgen! Mein Name ist Michael Breitscheidt aus dem Traditionshaus Schulze und es ist mir ein besonderes Vergnügen ...“
Ich lege keinen Wert darauf zu erfahren, was dem Herrn solch ein Vergnügen bereitet und lege auf.

Nun ohnehin wach, schalte ich das Radio ein und beschließe zu frühstücken.
Fassungslos starre ich in die fast leere Kaffeedose.
Die meisten Menschen halten es für die schlimmste Katastrophe an einem solchen Morgen festzustellen, dass der Kaffee aufgebraucht ist. Ich weiß es besser: das vollständige Fehlen des Kaffees birgt die Möglichkeit der Kapitulation: hier gibt es nichts mehr zu tun, die Dose ist leer.
Ganz anders aber verhält es sich, wenn noch ein winziger Rest in der Dose ist. Der wache Verstand hat erkannt: hier ist jede Möglichkeit noch einen schmackhaften Kaffee zu bereiten vertan, während der Kleingeist darauf beharrt, dass noch nicht alles verloren ist, solange ein winziger Rest der gemahlenen Wohltat im Hause ist.
Das Telefon klingelt.

„Ja bitte?“
„Herr Meinders, ich grüße Sie an diesem wunderschönen Montagmorgen! Mein Name ist Michael Breitscheidt aus dem Traditionshaus Schulze, wir sind gerade unterbrochen worden. Herr Meinders ich gratuliere Ihnen!“
„Danke!“

Heute werde ich stark sein.
Ich weiß, dass die paar Krümel nicht einmal für eine ganze Tasse reichen würden.
Das Telefonklingeln reißt mich aus den Berechnungen, wie viele Löffelchen heißen Wassers aus dem kümmerlichen Pulverhäufchen die schwarze Köstlichkeit zaubern kann, nach der es mich verlangt.

„Herr Meinders, bitte legen Sie nicht auf! Mein Name ist Michael Breitscheidt und ich habe großartige Neuigkeiten für Sie! Unser Traditionshaus feiert dieses Jahr seinen 75. Geburtstag.“
„Verstehe, Glückwunsch!“
Das Telefon klingelt.
Meinen Kalkulationen zufolge sollte es tatsächlich für einen gefüllten Fingerhut genügen!

Etwas verzweifeltes mischt sich in das Telefongeräusch, also hebe ich ab.
„Bitte...! Nicht auflegen...! Hauptgewinn...! Sie...!“ weint jemand leise in den Hörer.
Mir ist bekannt, dass die Mitarbeiter eines Call-Centers heutzutage kaum noch richtig geschult werden, und unter enormem Druck arbeiten müssen. Es ist an jedem von uns, diesen Menschen eine helfende Hand zu reichen.
Und ich erkenne: hier ist eine Person in Not.

„Herr Breitscheidt! Sie sind doch Herr Breitscheidt, richtig? Es liegt mir fern, Ihnen vorzuschreiben, wie Sie Ihre Arbeit zu tun haben. Und doch möchte ich Ihnen gerne einige Kleinigkeiten ans Herz legen: Melden Sie sich mit Ihrem Namen. Sprechen Sie in vollständigen Sätzen. Sagen Sie, in wessen Auftrag und welcher Angelegenheit Sie anrufen: Firmenname, et cetera. Nennen Sie den Kunden beim Namen, das schafft Vertrautheit. Und Herr Breitscheidt: ein Lächeln in der Stimme und eine kleine Freundlichkeit öffnet Ihnen das Herz und das Ohr ihres Gesprächspartners, verstehen Sie?“
Er flüstert in den Hörer: „Mein Name ist Michael Breitscheidt, Meine Firma ist das Traditionshaus Schulze und ich rufe Sie an, Herr Meinders, weil Sie unser diesjähriger Hauptgew....“
„Na sehen Sie Herr Breitscheidt, das war doch gar nicht so schwer!
Herr Breitscheidt: Ich bedanke mich für Ihren Anruf und wünsche Ihnen einen schönen Tag!“

Es ist immer wieder erhebend, seine eigenen Sorgen beiseite zu wischen, um einem lieben Mitmenschen helfend zur Seite zu stehen.
Ich beschließe den Kaffee nicht zu filtern, sondern ihn auf italienische Art in einem kleinen Topf aufzukochen.
Tatsächlich gelingt es mir durch diesen kleinen Kniff einen ganzen Eierbecher zu füllen.
Kaffee! Einen ganzen Eierbecher voll!

Mit zitternder Hand stelle ich den leeren Becher beiseite und spüre: derart gestärkt bin ich bereit, es mit der Welt aufzunehmen!
Ich greife nach Geldbörse, Hut und Regenschirm und strebe frohen Mutes meinem Tagewerk entgegen.

Heimgekehrt aus dem nahegelegenen Supermarkt fülle ich meinen Einkauf sorgsam in die Kaffeedose.
Ich sinke auf den Küchenstuhl und wische mir kurz über die Augen, als ich eine erschütternde Sondermeldung im Radio hören muss:
„Trotz größter Mühen, gelang es dem Glücksboten der diesjährigen Geburtstagsverlosung von Möbel Schulze nicht, den Hauptgewinner dazu zu bringen, seinen Gewinn anzunehmen. Die Gründe sind bislang unklar. Der Glücksbote erlitt, wie uns die Firmenleitung mitteilte, einen Nervenzusammenbruch und befindet sich in ärztlicher Obhut.“

Was soll ich sagen?
Es steht schlecht um unsere Welt.
Schlechter, als ich bisher vermutete.
Unsereins ist dankbar für eine winzige Pfütze Kaffee, während anderen nicht einmal der Hauptgewinn genügen will.

 

Hallo Wolfskind
und willkommen auf kg.de :)

Dein Einstand hat schon einen gewissen Charme. Du setzte nicht auf die großen Brüller, sondern versuchst dich an leichterem Humor. Obwohl du das altbackene Setting "Morgens stört, wer mich am Kaffetrinken hindert" bedienst, hat mich dein Geschichtchen angenehm unterhalten.
Für mich erreichst du das, weil du schön konsequent bei den beiden Handlungen Kaffekochen und Telefon bleibst, dich nicht in wüsten Grummel-Gedanken des Prots verlierst. Schöne gegenüberstellung, angenehm gewichtet.
Du sparst das unnötige Auflegen aus und machst das aus der Handlung ersichtlich, das ist gut.
Ich finde auch das Ende gelungen, allerdings ist der Weg, der dahin führt sehr erzwungen. Lass ruhig ein bisschen Zeit vergehen, bis Herr Meinders die Sondermeldung erfährt. So kommt das eindeutig zu plötzlich.
Der Humor erinnert ein bisschen an Otto, der seine Personen ja auch immer so kindlich naiv darstellt.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hi Wolfskind!
Willkommen auf kg.de!
Deine Geschichte gefällt mir!
Ein paar Sachen zum Text.

dass der Kaffee alle ist
alle find ich zu umgangssprachlich v.a. weil du sonst eine eher hohe Sprache verwendest.
Ein ganzer Eierbecher voll!
Da du hier nur die Aussage vom letzten Satz wiederholst, würde ich mich der gleichen grammatikalischen Struktur bedienen oder noch "... voll Kaffee" einfügen. So klingt das holprig.
die schwarze Köstlichkeit zaubern kann, nach der es mich verlangt.
Warum wird Kaffee immer so euphorisch gelobt? Ich find's an der Stelle ein wenig zu übertrieben.
Das der Callcentermitarbeiter so schnell verzweifelt finde ich ein wenig unglaubwürdig, aber kann ja sein.
Und der Titel gefällt mir nicht, weil er irgendwie nicht ganz zur Geschichte passt, da es ja nicht um die ganze Welt sondern nur um diese eine Situation geht.
Sonnige Grüße
Cathy

 

Hallo Weltenläufer,

danke für das nette Willkommen und schön, dass dich meine Geschichte unterhalten hat. (Ein leichtes Zupfen an der Bauchmuskulatur hat nur der Hinweis auf Otto verursacht - aber irgendwas ist ja immer. ;))
Vor allem aber: vielen lieben Dank für die schnelle Antwort.
Du ersparst mir damit, den Rest des Tages auf das "aktualisieren-Knöpfchen" zu klixen, um zu gucken, ob mich jemand bemerkt hat. :D
Meinst du mit dem erzwungenen Weg den Übergang zwischen: er hat seinen Kaffee und hört die Meldung im Radio oder findest du den gesamten Ablauf zu konstruiert?

Hallo Catherine,

ich freue mich sehr, dass dir mein Text gefällt und auch dir danke für die schnelle Antwort und das nette Willkommen.
Vor allem aber danke ich dir für die Hinweise auf die Schwächen in meiner Geschichte!
Das "alle" war mir gar nicht aufgefallen und du hast recht - jetzt, wo ich die Schreibtischlampe drauf halte guckt es auch selber so, als ob es weiß, dass es da gar nicht hingehört.
Über die Stelle mit dem Eierbecher muss ich noch ein bisschen nachdenken, im Moment gefällt sie mir so wie sie ist.
Aus deinem letzten Hinweis kann ich nur schließen, dass du kein Kaffeejunkie bist. :D

 

Hallo Wolfskind noch mal

Meinst du mit dem erzwungenen Weg den Übergang zwischen: er hat seinen Kaffee und hört die Meldung im Radio oder findest du den gesamten Ablauf zu konstruiert?
ist natürlich schon konstruiert, aber das darf es schon sein, das stört in diesem Falle nicht.
Aber es passiert eindeutig zu plötzlich. Dazwischen fehlt etwas Zeit.

@cathy:

Warum wird Kaffee immer so euphorisch gelobt? Ich find's an der Stelle ein wenig zu übertrieben.
solche Menschen gibt es wirklich. Ich kenne einen davon ziemlich gut. :kaffee: :D

grüßlichst
weltenläufer

 
Zuletzt bearbeitet:

Werd ich jetzt geächtet und verfolgt?? ;)
Es lebe der Tee!
Cathy

<-- wohnt in Ostfriesland. Sollte ich es wagen Teetrinker zu ächten, wäre ich auf der Straße nicht mehr sicher. :D

Über das plötzliche Ende muss ich wohl auch noch ein bisschen nachdenken.


-----------------
Edit sacht:

Ich hab das Ände geendert und bin gespannt, ob es so flüssiger wirkt.
Aus "Ein ganzer Eierbecher voll" habe ich nur "einen ganzen..." gemacht, also im Grunde habe ich es so gelassen.

Das plumpe "alle" habe ich in "aufgebraucht" geändert. Danke nochmal, ich hätte es wohl nicht bemerkt.

Zum Titel hatte ich noch gar nichts gesagt.
Ich hoffe, dass Herr Meinders bereit ist, weiterhin mit mir zusammen zu arbeiten (schreibt man das zusammen), dann würde ich gerne eine Serie daraus machen.
Und in dem Fall würde das Gesamtdings "Die Welt und Herr Meinders" heißen und die Episoden würden andere Namen bekommen.
Für den Moment hab ich geschummelt und "derart gestärkt bin ich bereit, es mit der Welt aufzunehmen!" reingemogelt.

 

Hallo Wolfskind,

Dein Geschichtchen hat was, was sehr Nettes.

Ich habe mich auch aus dem Grund sehr amüsiert, weil mir Deine Anweisungen, wie man sich im Call-Center bei einem Kunden melden sollte, vor allem dass die "Stimme lächeln" muss, sehr bekannt vorkommen.
Ich habe nämlich vor einigen Jahren selbst in einem Call-Center gearbeitet, allerdings nur für kurze Zeit, dann ist es mir gehörig auf die Nerven gefallen, den Leuten am Telefon was aufschwatzen zu müssen. Aber immerhin habe ich einen Einblick in diese Branche bekommen und denke bei jedem derartigen Anruf, der mich zu Hause erreicht, noch an diese Zeit.

Gerne gelesen. So, und jetzt erst mal einen :kaffee:

LG
Giraffe :)

 

Hallo Giraffe,

mir auch einen :kaffee:, büdde.
Ich freue mich sehr, wenn Herr Meinders dir das Frühstück versüßen konnte. :)

 

hi Wolfskind,
deine Geschichte gefällt mir vom Anfang bis zum Ende!
Das Kaffe-Drama scheint direkt aus meinem Leben gegriffen. Werd gleich eine Kanne aufsetzen.
Allerdings muss ich dir mitteilen, dass dein Versuch, mich zum geduldigen Anhören solcher Anrufe zu animieren, nicht geglückt ist. ;)

Gruß
Asterix

 

Hey Asterix,

es ist natürlich bedauerlich, wenn mir nur ein Teil meiner Mission gelungen ist und du weiterhin keine Lust hast, mit CallCenterAgents zu telefonieren, aber ich freue mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt. :D

Dass das Drama aus deinem Leben stammen könnte, kann ich mir kaum vorstellen, wenn du mal locker ne ganze Kanne Kaffee kochen kannst.:Pfeif::D

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wolfskind,

Deine Geschichte gefällt mir. Keine plumpen Gassenhauer, sondern durchweg mit leisem Humor geschmückt. Sehr schön.

Abgesehen davon, kann ich Herrn Meinders voll und ganz verstehen. Morgens keinen Kaffee im Haus zu haben ist mein persönlicher worst Case. Der leider auch schon des öfteren eingetreten ist. Denn ich werde niemals, nein, wirklich niemals den Titel "Hausfrau des Jahres" verliehen bekommen....:D:lol:

Noch eine Kleinigkeit zum Text.

<<Ich greife nach Geldbörse, Hut und Regenschirm und strebe frohen Mutes meinem Tagegewerk entgegen.>>

Irgendwie stört mich das TageGEwerk. Ich würde ein einfaches Tagewerk daraus machen.

Liebe Grüsse :kaffee:
Gesamtrechnung

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Gesamtrechnung,

:kaffee:*anstoß*
Danke dir für das nette Lob.
Ich freue mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt!
Das Tagegewerk? ... ähm...:hmm: *hinrenn und änder* keine Ahnung, was du meinst. :D

Danke Dir! Hab ich beim "verbessern" offenbar einen Fehler eingebaut.

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Ich weiß, es ist ja nur ein Wort - und es ist erst dran, wenn eh schon alles vorbei ist, aber es macht mich w a h n s i n n i g:
Ist im letzten Satz "unsereins" oder "unsereiner" besser?

 

Also ich bin ganz klar für "unsereins". Eine Erklärung dafür habe ich allerdings nicht. Hört sich für mich irgendwie "runder" an. :)

 

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