- Beitritt
- 26.10.2001
- Beiträge
- 1.572
Die Welle
Die Welle
Anmerkung vorweg: Die hier verwendeten Ausdrücke werden am Schluß für nicht-Wellenreiter erklärt.
Es war die „silberne Stunde“.
Wenn die Sonne über der Cóte d ´argent so zwischen fünf und sechs Uhr einen bestimmten Stand erreicht hat, glitzert das Meer wie ein riesiger silberner Teppich.(Deshalb nennt man diesen Küstenabschnitt auch Cóte argent- Silberküste )
Der Himmel war so blau, wie er schöner nicht hätte sein können, und dieses Blau stimmte einen heiter und friedlich, ob man wollte, oder nicht.
Ein paar vereinzelte Möwen zogen durch dieses Blau ihre Kreise, und stießen ab und zu Pfeilgerade hinunter in das Blaugrün des Atlantiks um mit einem Fisch im Schnabel wieder aufzutauchen, und ihn vor der Gier der Freßgenossen in Sicherheit zu bringen.
Es herrschte auflaufendes Wasser, und einige der zahlreichen Badegäste begannen ihre Plätze im Brandungsbereich zu räumen, und sich weiter nach oben in überflutungssicheres Gebiet, oder gar zurück zum Campingplatz unter die zu dieser Zeit noch freien Duschen zu begeben.
Die Surfschule übte in den schönen Schaumwalzen, und nur etwa 20 Surfer und Boogieboarder bevölkerten das Wasser.
Da die Wellen an diesem wunderbaren Tag etwa 2 meter hoch waren, gab es keine Schwimmer weiter draußen, und wir hatten das Meer quasi für uns alleine.
Ich war schon seit etwa einer Stunde im Wasser.
Ich hatte mich gerade wieder unter zuhilfenahme des „Lifts“ nach draußen ins „Line-up“ herausgekämpft, und lag nun erschöpft auf meinem Boogieboard und hielt nach DER Welle Ausschau, die diesen Tag würdig beschließen sollte.
Es ist wunderbar so weit draußen vor der Brandung im Wasser zu treiben.
Der Wind kommt nicht zu stark sideshore, und läßt die Wellen lange laufen bevor sie sich in Myriaden glitzernder Schaumspritzer und chaotisch brodelndes Weißwasser verwandeln.
Hier draußen siehst du, vor allem während der Silbernen Stunde, wie fast unterarmlange Fische im hellsten,wie Glas wirkenden Flaschengrünen Teil der Wellenkämme spielen, oder vielleicht auch Futter suchen, oder selbst zum Futter für die Möwen werden.
Alles ist Bewegung. Steigen, sinken, treiben, staunen. Sonne im Gesicht, Wind zaust mir das Haar, trotzdem ist es fast still um mich herum. Der Strandlärm dringt nicht so weit hinaus.
Ein neues „Set“ rollt heran, doch ich entscheide mich dafür, noch ein wenig zu verschnaufen, und die Wellen den anderen zu überlassen.
Ich bin mir irgentwie sicher, das da „meine“ Welle noch nicht dabei ist.
Ich erinnere mich in diesem Moment daran, daß ich als Kind, wenn ich Fieber hatte immer ein und den selben Albtraum hatte.Es war nicht richtig greifbar, nicht definierbar, dieses saugende, leise schmatzende, und ganz leise tief unten mächtig rauschende Geräusch.... Dieses Gefühl emporgehoben zu werden....
In diesen Albträumen war ich immer halb ängstlich, und doch gespannt,und sogar irgentwie sicher gewesen, aber ich weiß heute noch daß ich immer einen Riesenrespekt vor diesem Traum hatte, und immer hinterher herauszufinden suchte was das wohl sein, oder bedeuten könnte.
Mit einem Mal wußte ich es.
Ich lag mitten drin.
Es war das Geräusch einer sich von der langen gemächlichen Dünung zu einer Brandungswelle auftürmenden Woge.
Während mir dies bewußt wurde gewahrte ich einen Schatten hinter mir.
Da war sie ! Meine Welle.
Sie machte genau dieses Geräusch wie in meinen Kinderträumen und begann sich hinter mir zu unglaublicher Höhe aufzutürmen.
Ich paddelte wie verrückt, um sie noch zu erwischen, oder zumindest nicht von ihr erwischt zu werden, denn Diese Welle war weit höher und mächtiger als alles was ich an diesem Tage bisher gesehen, oder gesurft hatte.
Gerade als ich schon glaubte, daß sie unter mir durchlaufen würde bekam ich speed, und hatte meinen „Take off“.
Ich fiel geradezu in diese grün glitzernde rasende Wasserwand hinein.
Schneller und schneller schoß ich fast senkrecht an ihr herunter.Ich versuchte einen Bottom Turn,welcher mich sogleich wieder der Wellenspitze näherbrachte, warf mich, als ich fast oben angelangt war wieder herum, erneut stürzend, gleitend, Gischt sprühend, vibrierend,.......... außer mir.
Hinter mir brach sich donnernd und sprühend Diamantenfunkelnd die Welle, als wollte sie mich jagen, oder mit mir spielen.
Eine gewaltige Tube kam näher, und näher.
Sie hatte mich erreicht, und ich war etwa einen Meter weit im „Green Room“,als die Welle für den Bruchteil einer Sekunde wie innezuhalten schien, und mich so wieder aus dem Tunnel ans Licht schießen ließ.
Fast schon hatten Wir den Strand erreicht, vielleicht noch 50 meter...und Diese Welle lief immer noch !!!
Es war unglaublich.
Ich war fast wieder am Wellenkamm angelangt, welcher sich messerscharf vom Blau des Himmels abhob.
Ich wollte es wissen !
Ich wollte Fliegen!!
Ich stürzte mich nochmals fast senkrecht in das Wellental, unter welchem ich schon den Sand der Sandbank schimmern sah, riß das Board herum, und schoß fast senkrecht in den Himmel.
„Off the Lip“!! Ich flog über den Wellenkamm hinaus, drehte mich zappelnd um mich selbst, und fiel mit einem Freudenjauchzer in die, just in diesem Moment unter mir brechende Welle zurück.
Ich landete in einer brodelnden, bockenden Wasserwolke.
Die Schaumwalze brachte mich bis an den Strand zurück, und setzte mich beihnahe spielerisch ab.
Um mich herum waren Rennende Menschen, welche versuchten ihre naßgewordenen Sachen aus dem Rücksog dieser Welle zu retten.
Sie war so groß gewesen, daß sie auf einen Schlag ca. 20 m bisher trockenen Strand überspült hatte.
Diese Welle war ein „Freak“, ein „Killer“; eine Ausnahmewelle von fast doppelter Größe einer normalen Welle gewesen.
Unmittelbar schoß mir durch den Kopf warum mir Wellenreiten so viel bedeutet, währen sich ein breites Grinsen über meinem Gesicht ausbreitete.
Mir wurde klar, daß für mich Wellenreiten ist, wie das Leben an sich zu meistern.
Alles ist exaktes Timing.
Bist Du zu schnell, überrollt Dich die Welle; bist Du zu langsam, läuft sie unter Dir hindurch, ohne Dich
mitzunehmen.
Nur wenn Du Dich ganz exakt ihren Gegebenheiten anpaßt, wirst Du sie Reiten.
An jenem Tag war ich Eins mit mir, und der Welt.
Ich war glücklich.
Boogieboard: Kleines Schaumstoffsurfbrett, welches auf dem Bauch liegend Gefahren wird.
Line up: Die Stelle im Meer, an der die Wellen anfangen schnell zu werden und sich aufzutürmen, der Startplatz für Surfer.
Bottom Turn: Gefahrener Halbkreis von oben, nach unten und wieder in die Spitze zurück.
Set: Wellen kommen meißtens in 5er bis 7er Gruppen angerollt, dazwischen ist nichts surfbares.Meißtens sind die besten Wellen im letzten Drittel eines Sets.
Off the Lip: Über Den Wellenkamm hinausschießen; die Anschließende Bewegung nennt man einen „Aerial“.
Take off : Start
Lift: Heraus ins Meer fließende Strömung.
Tube: Der Trichter der beim Brechen der Welle zwischen Wasserwand und Gischt entsteht.
Green Room: Das innere einer Tube.
Die Welle