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Die Wasserhexe
Die Wasserhexe
Mit großen Schritten stapfte Lars durchs Wasser. Hinter sich her zog er seinen Käscher. Den ganzen Morgen hatte er schon mit seinem Fangnetz im Meer herumgefischt, aber nichts gefangen. Absolut gar nichts. Lustlos wollte er gerade ans Ufer zurückkehren, als er ein leichtes Zappeln in seinem Käscher bemerkte. Nanu, was war denn das? Hatte sich doch noch ein kleines Fischlein in seinem Netz verirrt? Vorsichtig hob Lars den Käscher, um zu sehen, was er gefangen hatte. Einen Fisch, eine Qualle oder etwa einen Seestern? Im ersten Augenblick erkannte er gar nichts. Dann jedoch fing das Netz vor seinen Augen erneut an zu wackeln. Lars schaute genauer in seinen Käscher, und plötzlich sah er etwas Seltsames. Etwas was er noch nie zuvor gesehen hatte und auch gar nicht kannte.
Zwischen den dicken Fäden seines Netzes saß ein kleines, ziemlich grimmig guckendes, grünhaariges Wesen und zappelte aufgeregt hin und her.
„Nanu? Was bist denn Du?“, fragte Lars neugierig und beobachtete das Wesen genauestens.
„Hmmmm!“, quietschte ihm eine schrille Stimme entgegen, „Was ich bin? Eine ausgesprochene Frechheit, solch eine Frage zu stellen. Hmmmm!“.
Beleidig kreuzte das wütende Wesen seine Arme vor der Brust und meckerte munter weiter.
„Eine Wasserhexe bin ich, das sieht man doch wohl, oder? Grüne Haare, Zaubermütze! Den ganzen Tag hexe ich das Meer ans Ufer und wieder zurück und zwischendurch spritze ich die Leute nass, die hier herumschwimmen. Hmmm! Was, außer einer Wasserhexe, sollte ich denn sonst bitteschön sein, Du dummer Junge? Und nun lass mich wieder ins Wasser, aber sooooofort!“
Lars blickte verwundert. Noch nie hatte er eine Wasserhexe gesehen, geschweige denn, von einer gehört. Und nun saß genau solch eine in seinem Käscher, zappelte und schimpfte ohne Luft zu holen.
„Ich habe immer gedacht, Hexen gibt es nur im Märchen! Und von einer Wasserhexe habe ich noch nie gehört. Ich kenne nur welche, die auf Besen durch die Lüfte reiten und aussehen wie Menschen, aber…“
Bevor Lars seinen Satz aussprechen konnte, fiel ihm die freche Hexe ins Wort.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein. Weißt Du denn überhaupt nichts? Solche Hexen gibt es nur in Geschichten. Die einzig wirklichen Hexen sind die Wasserhexen. Wir leben im Meer und hexen die Ebbe und die Flut und die Wellen. Lernt ihr denn so etwas nicht in der Schule?“
Verständnislos schüttelte sie den Kopf und schnatterte wütend weiter.
„Du musst noch viel lernen, Kleiner und nun wirf mich zurück ins Wasser, aber plötzlich.“
Lars riss die Augen weit auf und wusste gar nicht, was er sagen sollte. Wie konnte so ein harmlos aussehendes, winziges Wesen nur dermaßen frech sein. Das war bestimmt keine Wasserhexe, sondern eine Meckerhexe, die offensichtlich den lieben langen Tag nichts anderes tat als rumzumotzen. Das war wirklich nicht sehr nett von ihr, dachte Lars, und beschloss, sie deshalb noch nicht sofort wieder ins Wasser herunter, sondern noch ein wenig zappeln zu lassen. Er hielt den Käscher hoch über das Meer.
„Was machst Du denn? Das ist die falsche Richtung. Nach unten will ich, nach u-n-t-e-n. Schnell, sofort, auf der Stelle, sonst, sonst….sonst werde ich richtig wütend und haue Dich.“
Die kleine Wasserhexe brüllte vor Wut, aber Lars guckte einfach in eine andere Richtung.
„Hey, Junge!“, brüllte die Hexe weiter und wartete darauf, dass Lars sich wieder zu ihr herumdrehte oder sie ins Wasser ließ. Aber nichts dergleichen passierte. Niedergeschlagen hockte sie sich ins Netz zurück und überlegte einen Augenblick.
Lars beschloss in der Zwischenzeit, aus dem Wasser heraus an den Strand zu gehen, um seinen Eltern die Hexe zu zeigen. Bestimmt würden sie staunen. Er machte sich auf, um an das Ufer zu schwimmen, als er jedoch erneut die Stimme der kleinen Wasserhexe hörte. Diesmal jedoch etwas ruhiger und sanfter. Neugierig guckte er sie an und sah, dass sie sich bemühte, freundlich zu gucken.
„Hallo Junge!“, sagte sie leise und blickte verlegen auf die Wellen, „Kannst Du mich wieder ins Wasser lassen? Bitte!“ Ihr weißes Gesicht wurde ein wenig rot.
Lars lächelte. Wenn er schon so nett gefragt wurde, dann wollte er der kleinen Hexe auch ihren Wunsch erfüllen. Langsam setzte er das Netz in die Wellen und ließ den kleinen Wildfang heraus ins Freie schwimmen. Ehe er sich versah, war die kleine Wasserhexe schon untergetaucht. Im trüben Meer konnte Lars nicht erkennen, wohin sie geschwommen war. Er drehte sich um, um an den Strand zu schwimmen, als die Hexe plötzlich noch mal vor ihm auftauchte und ihm kurz zum Abschied winkte. Dann tauchte sie wieder ab und verschwand in der Tiefe. Lars schüttelte ungläubig den Kopf und machte sich auf den Weg zum Ufer. Ob seine Eltern wohl wussten, woher die Wellen wirklich kamen? Und wenn nicht, dann könnte er es ihnen nun erzählen.