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Die Waise

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22.06.2002
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Die Waise

Denkst du, die Dunkelheit wird dich nicht finden, die Verderbnis dich nicht brechen können? Doch vor ihrer Kraft ist die Stärke deiner Mauern nicht fähig zu bestehen, sie holt dich und du wirst in ihrem Strudel ohne Überreste verschwinden. Ich glaubte einst auch ihr widerstehen zu können, aber in meinen Augen ist das lebendige Fleisch zu Stein erstart, denn sie ist ohne Gnade.
Schau, da liegen die Trümmer meiner Selbst und sie erzählen es immer aufs neue; von den ersten Funken und dem großen Feuer und der Zeit, bevor alles begann.
Versteckt in einer malerischen Berglandschaft, von Flüssen und Wäldern umsorgt und vor Fremden bewacht, da in dieser idyllischen Schönheit lag meine liebste Herberge, das einzige Ort welches ich kannte und liebte. Mutter und Vater hatten Freude an mir und förderten mein Wachsen mit allerlei Beschäftigungen und Geschenken, ich verbrachte meine Kindheit glücklich und zufrieden, ohne dass ich mehr von der Welt sah oder kannte als das was mich umgab.
Doch eines Frühlings zog eine mordende blutrünstige Horde durch das Land und nahm mir meine liebsten Eltern und zerstörte meine Heimat durch Brände und Raub, so dass sie sich nicht mehr erholte und die Menschen in die Fremde fliehen mussten. Ich hatte nur durch Glück die Gewalt an mir überlebt und stand alleine da, ohne Heim, ohne liebe Menschen, ohne Besitz und weinte immerzu während ich mit anderen Flüchtigen barfuss und mit zerrissener Kleidung am Leibe den Weg in die ungewisse Zukunft entlang schritt. Überall war Elend und Tod und mein Kummer kannte kein Ende.
Einige Menschen waren nett zu mir, dem armen Weisenmädchen, gaben mir Kleidung und Essen soweit sie konnten, doch ich war nicht fähig Dankbarkeit zu empfinden, nicht einmal so tun konnte ich. Ihre gequälten Gesichter stießen mich ab, ich begann sie zu hassen, dafür dass sie ihr Schicksal so geduldsam ertrugen. Ich stahl ihnen ihre Vorräte lieber als mich für ihre Hilfe bedanken zu müssen und empfand Schadensfreude höchster Art wenn ich sie beobachtete wie sie weinend und fluchend sich über die Diebe beklagten. Mich hatte sie nicht in Verdacht, mich doch nicht, das arme Waisenmädchen!
Aber bald hatte ich genug von dieser Art von Leben. Mein Kummer um die Eltern hatte sich gelegt, ich war sogar versucht auch sie zu hassen, dafür dass sie mir die wahre Natur unserer Welt vorenthalten hatten. Ich stahl einem der Männer etwas von seiner Kleidung, ein Pferd und ritt in der Nacht davon. Sie müssen sich gewundert haben, diese elenden Kreaturen, wie geschickt das Waisenmädchen sie an der Nase herumgeführt hatte!
Und so begann mein neues Leben. Ich stahl und wurde so geschickt darin dass ich genug Geld sparen konnte um mir Waffen zu kaufen. Ich übte mit dem Bogen zu schießen und mit dem Schwert zu kämpfen, und oft genug endeten diese Übungen übel für andere Reisende. Während dessen erhärtete sich mein Herz zu Stein und ich fühlte kein Schlagen, nur seine Kälte in der Brust wenn ich Menschen tötete, die sich mir zu widersetzen wagten.
Eines Tages überfiel ich ein Dorf, eine kleine Siedlung. Die Mensch dort lebten in erbärmlichen Zuständen, barbarisch, roh, wie Tiere vermehrten sie sich nur um ihre Nachkommen zu dem gleichen Schicksal zu verdammen das auch sie zu Dutzenden in den Tod raffte. Ich tötete alle Erwachsenen und lachte über die Tränen der Kinder, die sie über ihre Eltern vergossen. Dann sagte ich zu ihnen, als sie sich um mich versammelten, jeder könne mit mir gehen, wenn er wolle, und einige ältere folgten mir und wurden zu meinen Gefährten. Mit Freude sah ich wie ihre Gesichter, meinem ähnlich, sich versteinerten, als sie ihre Tränen ausgeweint und ihren Kummer durch fremden Kummer getauscht hatten.
So vergingen einige Jahre, und die Menschen lernten uns zu fürchten. Wir zogen immer weiter durch das Land, reisten über lange Strecken und unwirtliche Gegenden und unser düsterer Ruf eilte uns voraus. Eines Frühlings ritten wir durch eine Landschaft die mich seltsam ängstigte, mir eine Kälte über den Rücken jagte wie seit Jahren nicht mehr gekannt. Unsere Pferde schnauften trotzig, versuchten trotz harter Schläge vom Weg abzukommen. Wir schafften es mit großer Mühe über die Lichtung zum Tal herunter als der Himmel sich plötzlich verdunkelte und es Nacht wurde, obwohl der Sonne noch Augenblicke davor uns in die Rücken schien. Finsternis fasste um uns, aber erst als ich mich umdrehte erhoben sich die Haare an meinem ganzen Körper und eine eisige Welle der Angst fegte über uns allen. Hinter uns, dort von wo wir kamen erstreckte sich eine Bergkette und versperrte den Weg zurück.
Wir ritten verwirrt und still weiter, bis wir in der Morgendämmerung eine Ortschaft erreichten. Wir plünderten und töteten alles was uns in die Klauen kam und ich sah nachdenklich über das Leiden und die Schreie der Menschen hinweg, ganz in Gedanken an den merkwürdigen Vorfall versunken.
Ein mal nur sah ich auf. Ein Mädchen, das einige meiner Männer die Straße entlang schleppten, schrie und weinte und rief nach ihrem Eltern. Ich wusste nicht warum, aber ich stieg vom Pferd und eilte zu ihr, ihre Stimme hallte in meinem Kopf und verwirrte meine Empfindungen. Die Männer blieben stehen, und das Mädchen hob ihren Kopf. Ich fasste ihr Gesicht, strich die zerzausten Haare weg und schrie selbst, ich glaubte meinen Verstand zu verlieren. Ich blickte um sich und konnte nicht aufhören zu schrieen, die Häuser, die Straßen, die Berge drum herum, all das war mir so bekannt und vertraut, all das war mal meine Heimat gewesen, der Ort an dem ich mit meinen geliebten Eltern gelebt hatte! Und das Mädchen vor mir, in zerrissener Kleidung durchnässt von dem Blut ihrer Eltern war ich selbst!

 

Das, das hier stand, hat sich erledigt. Danke, Klaus!

[ 25.06.2002, 22:56: Beitrag editiert von: Abraxas ]

 

Hallo Yami,

jetzt kann ich getrost eine Kritik schreiben.
Deine Geschichte hat zwar kein allzu neues Thema, aber trotzdem gefiel sie mir irgendwie. Du zeigst ganz gut, wie die Trauer in Wut und Hass umschlägt. Nur was die Geschichte noch ein wenig verbessern könnte, ist dass Du vielleicht die Phase, in der sie die anderen Leute manipuliert, ein wenig mehr ausbaust.

Etwas Kleines zum Ausbessern:

... Horde durch das Land und nahm mir meine liebsten Eltern und zerstörte ...
Das klingt so, als ob sie mehrere Eltern(paare) hat. So, als ob es sich um ihren Lieblingsteddy handelt.

 

Hi Yami,

ich kann mich fast kommentarlos Abraxas anschließen; ein bißchen mehr hättest Du die Geschichte schon ausbauen können (z.B. gerade die Stelle, an der Dein Protagonist auf die Kinder trifft und sie wählen läßt, ob sie mit ihm ziehen wollen oder nicht). Aber Du hast ziemlich gut die Gefühle rübergebracht. Man kann sich genau vorstellen, wie Wut in Haß umschlägt - und das hat mir sehr gefallen.

Gute Geschichte!

Gruß,
stephy

 

Auch mir hat die Geschichte gut gefallen! Sie hat ein Ende, das ich gerne mag. So eine Erinnerung an sich selbst, die einen beinahe wie ein Holzhammer trifft und zum Denken anregt!
Den einen Satz hab ich nicht so ganz verstanden:

"Ich blickte um sich und konnte nicht aufhören..."
Aber ich nehme an, es sollte heißen: Ich blickte um mich....

Liebe Grüße
Babs

 

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