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Die Wahrheit über die Liebe
Die Wahrheit über die Liebe
Mein erster Roman hatte das Licht der Welt erblickt. ´Die Wahrheit über die Liebe`, allein
der Titel war eine literarische Delikatesse, fand ich voller Mutterstolz.
Mein brillantes Erstlingswerk verkaufte sich allerdings nicht mit dem vom Verleger erhofften Erfolg. Und die allgemeinen Kritiken waren dazu angetan, mich geradewegs in eine postnatale Depression zu katapultieren. Dabei wollte ich mich doch nur von der Welle der neu entdeckten Leselust am Erotikroman auf den Gipfel des Erfolgs tragen lassen.
„So geht das nicht weiter. Du brauchst Publicity, Schatz“, entschied mein Mann. „Die Leser müssen dich hautnah erleben, die Stimme von Gesa Roth hören.“
Ich lauschte seinen Vorschlägen und fand, er hatte schon schlechtere Ideen gehabt.
„Ich werde das Kind schon schaukeln“, war seine lösungsorientierte Aktion, die aus der Sackgasse hinausführen sollte.
Ich straffte die Schultern und machte mich auf Lesereise in die Provinz.
Mein Mann begleitete mich.
Für den ersten Abend hatte ich das ´kleine Schwarze` gewählt und hoffte, nicht unter die Kategorie overdressed zu fallen. Eine bieder wirkende Buchhändlerin im mausgrauen, hochgeschlossenen Habit begrüßte mich verhalten. Ihr durchdringender Blick, so nahm ich an, sollte wohl abklären, ob die heißen Orgien in meinem Roman Selbsterlebtes wiedergaben.
In Anbetracht dieser Prüderie erschien mir mein Dekolleté sehr offenherzig, wenn nicht gar frivol. Ich beglückwünschte mich zu meiner Kleiderwahl.
Leises Gemurmel erfüllte den Raum. Verstohlen sah ich mich in der Buchhandlung um.
Die Stühle waren bis auf den letzten Platz besetzt. Überwiegend weibliche Leserschaft, mein Mann, Vertreter der Journaille. Gut so.
Ich durfte an einem eigens für mich aufgestellten Tisch Platz nehmen und die graue Maus stellte mich den Anwesenden als Rosa Roth vor. Sie hatte die Lacher auf ihrer Seite.
Jemand, der wohl meinte, Erotik verlangt nach Dunkelheit, knipste die Lampen aus. Die Notbeleuchtung tauchte den Raum in warmes Licht.
Mir reichte der Lichtkegel der Leselampe.
Eine nie gekannte Aufregung erfasste mich. Nachdem ich die ersten Zeilen gelesen hatte und merkte, das Publikum schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit, wurde ich gelassener.
Für den Anfang hatte ich ein paar Passagen ausgesucht, die, zugegeben, ein wenig schmalzig waren, aber die sensiblen Hausfrauen der Kleinstadt nicht gleich vor den Kopf stoßen sollten.
Ich las gerade: „Gekonnt fuhr er mit seiner Zunge die Kontur ihrer Wirbelsäule entlang, hinunter zu der sanften Wölbung ihre … “
„Frau Roth, was macht ausgerechnet Sie zur Expertin in Liebesdingen?“ Rotzfrech unterbrach mich eine Stimme aus der rechten Ecke.
Mit diesem Einwurf hätte ich rechnen müssen, trotzdem stammelte ich unsicher, dass ich die Frage nicht verstehen würde.
Eine Stimme von links, sicherlich der Journalist vom Tageblatt, half mir auf die Sprünge: “Nun, woher nehmen Sie Ihre Inspirationen?“
„Genau“, wieder der Störenfried zur Rechten. „Haben Sie das alles selbst erlebt oder schauen Sie sich Pornos bis zum Abwinken an?“
Verschwörung, schrie es in mir. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich suchte den Blick meines Mannes, die Düsternis stand zwischen uns. Wenigstens fand ich meine Sprache wieder und sagte frostig über die Köpfe hinweg. „Gegenfrage. Was macht Sie zu Experten für schlechte Manieren?“ Dann schob ich nach: „Ich denke, dass den Herren ein bisschen mehr Sachlichkeit gut zu Gesicht stehen würde. Und bitte, stellen Sie Ihre Fragen im Anschluss!“
Ich hatte den Faden gerade wieder aufgenommen, als mich das Blitzlichtgewitter wie aus heiterem Himmel traf. Ich war überzeugt, dass mein Ausschnitt besonders tief getroffen war und sah die Schlagzeilen in der Tagespresse schon vor mir: ´Liebestolle Schriftstellerin erscheint halbnackt zur Lesung` und ´Autorin gewährt tiefe Einblicke in ihr Liebesleben`.
Mir reichte es, das Fass lief gerade über. Lautstark schlug ich das Buch zu und wandte mich an das Publikum: „Wenn Sie an weiteren delikaten Enthüllungen aus meinem Liebesleben interessiert sind, dann kaufen Sie mein Buch. Danke.“
„Frau Roth, noch eine letzte Frage. Gibt es schon ein neues Projekt?“ Der Schreiberling zur Linken gab nicht auf.
„Zurzeit arbeite ich an einem Thriller, in dem es ein Serienmörder auf vorwitzige Journalisten abgesehen hat.“ Ich rauschte hinaus. Unprofessionell, aber konsequent.
Ich wickelte mich in das flauschige Badetuch. Die heiße Dusche hatte mir gut getan.
Sobald ich an die spektakuläre Lesung dachte, schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
Gerade als ich nachsehen wollte, was die Hotelbar zu bieten hätte, stürzte mein Mann ins Zimmer.
Lachend warf er Kamera und Aufnahmegerät aufs Bett und fragte: „Na, wie war ich?“
„Musstest du so schamlos übertreiben? Und stellt man diese Frage im Film nicht immer DANACH?“
Mein Roman blieb ein Flop. Doch die Lesereise hatte Früchte getragen, tatsächlich würde mein Mann in neun Monaten die Chance bekommen, sein Kind zu schaukeln.