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Die wahre Prüfung
Langsam versiegte der Blutschwall, der aus der aufgerissen Kehle austrat. Rados erhob sich langsam von Rex Leichnam, nachdem dieser seinen letzten, würgenden Atemzug beendet hatte. Rados seufzte und wand sich mit hängenden Schultern seinen verbliebenen Kameraden zu.
„Verdammt Rex! Was war das? Dieses Vieh kam aus dem Nichts“, stammelte Kira, die immer noch blass vor Schreck auf den Leichnam, des sonst so sicher wirkenden Schwertkämpfers, blickte.
„Diese Prüfung ist härter als ich vermutet habe. Wir müssen alle beweisen, was wir leisten können“, entgegnete Gaz und wand den Blick von Rex ab.
„Komm Kira. Wir müssen das hier zu Ende bringen, wenn wir nicht auch so enden wollen“, seufzte Rados erschöpft und warf einen letzten Blick auf Rex, und anschließend auf das Flugmonster, welches sie als Blutreißer identifiziert hatten. Die ledrigen Flügel verbargen den massiven, pelzigen Körper.
Ein Wesen, welches keine Angst kannte und alles in seiner Reichweite angreifen würde.
Er schob Kira mit einem sanften Druck weiter den Pfad entlang, den Leichnam von Rex und des erschlagenen Blutreißers zurücklassend.
Sie ging den schmalen Abstieg entlang der Felswand weiter. Der Weg wurde immer schmaler und die Hitze des Magmas in der Tiefe unter ihnen raubte immer mehr an Kraft. Würde sich ein solcher Angriff auf dem schmalen Abstieg ereignen, der vor ihnen liegt, wären sie vermutlich alle Geschichte, dachte sich Rados.
Ihm wurde übel von dem Schwefelgeruch in der Höhle und die Kopfschmerzen, die sich wie heiße Nadeln in seinen Kopf bohrten, taten ihr Übriges.
Die Roa’Kar Höhle war ein berüchtigter Ort. Eine uralte Höhle, geformt durch ihre unendlichen Magmaströme. Damals, als die Bergleute noch dachten, es gäbe hier Schätze, hatten Sie Pfade in die Wände gehauen, die in die verschiedenen, erloschenen Magmakammern führten. Doch sie fanden hier nichts, und nachdem die Schwarzmagier auftauchten, siedelten sich immer mehr Monster hier an, von wo aus sie die umliegenden Dörfer terrorisierten.
Gaz, der mit seinen gezogenen Dolchen voran ging, deutete auf eine kleine Einbuchtung in der Wand.
„Hier drinnen sollten wir erst mal sicher sein. Also jetzt wo wir Rex verloren haben müssen wir unsere Taktik anpassen, wenn wir das hier schaffen wollen. Reißt euch nur zusammen, wir haben alles Nötige in unserer Ausbildung gelernt.“
Gaz prüfte noch einmal die einzelnen Teile seiner schwarzen Lederrüstung und band sich seine dunklen Haare zu einem neuen Pferdeschwanz.
Rados, der seinem Zweihänder gerade ein paar Worte zu murmelte, wodurch dieser einen bläulichen Schimmer erhielt, schaute auf zu Gaz.
„Wir wurden aber noch nie derart konkret mit dem Tod konfrontiert.“ Anschließend wanderte sein Blick zu Kira.
Ihre blaue Robe gab ihm ein angenehmes Gefühl. Er dachte an den schönen See neben der Akademie. Das kühle Wasser. Er schüttelte den Kopf. „Gaz hat Recht. Wir müssen uns zusammen reißen. Das hier ist eine gefährliche Prüfung und wir dürfen uns keine weiteren Fehler erlauben. Wir dürfen uns nicht mehr überraschen lassen, vor allem auf diesem Pfad. Gaz wird vorgehen und nach vorne absichern und ich bilde die Nachhut. Kira ich möchte, dass du zwischen uns bleibst und die Höhlendecke im Blick behältst. Diese fliegenden Monster können jederzeit aus dem Nichts angreifen. Und denk dran: Eis- und Wassermagie bei diesen Dingern. Ich hoffe meine Eisklinge wird ihren Zweck erfüllen“, erläuterte Rados nachdenklich und begutachtete sein Schwert.
Kira presste die Lippen zusammen, sodass nur noch ein dünner Strich zu sehen war, und nickte. Sie festigte ihren Griff um den mit leuchtenden Steinen besetzten Stab so stark, dass ihre Knöchel weiß hervortraten und atmete noch einmal tief durch. Gaz nickte ihr einmal aufmunternd zu.
„Du schaffst das Kira. Denk nur daran, was du gelernt hast.“ Anschließend drehte sich Gaz um und verließ die Einbuchtung. Mit dem Rücken zu ihnen gewandt ergänzte er noch: „Und falls etwas schief geht, wird euch der Messerwerfer wieder den Hintern retten. Los lasst uns diesen Kerberos töten und dann zurück in die Akademie.“
Der Pfad führte weiter in die Höhle hinab und sie kamen der Magma immer näher. Schweiß bildete sich auf Rados Stirn und lief ihm ins Gesicht. Er versuchte ihn abzuwischen, doch seine Arme waren genauso verschwitzt und machten es nur noch schlimmer.
Er hatte schon auf seine sonst übliche Kettenrüstung verzichtet und trug nur eine lederne Hose und einen Rumpfschutz.
Seine Augen brannten und die Hitze machte ihn schläfrig. Schwindelgefühle setzten ein und sein Blick verschwamm zunehmend. Der Pfad wurde immer schwieriger und Rados versuchte sich zusammenzureißen. Er blieb kurz stehen und versuchte die Erschöpfung von seinen Gliedern abzuschütteln. In kaum besseren Zustand schloss er wieder zu Gaz und Kira auf.
Die Ausbildung in der Akademie war zwar hart, dachte sich Rados, doch mit so einer fordernden Prüfung hatte er nicht gerechnet. Er wusste, dass die Söldner der Akademie anspruchsvolle Missionen von verschiedenen Regierungen bekamen und dafür auch durchaus gut bezahlt wurden, daher konnte er verstehen, dass nur die Besten diese Prüfung bestehen würden. Er bezweifelte jedoch, dass die Akademie seine Studenten in den Tod zu schicken riskierte.
Vielleicht hatten die Verantwortlichen Rex überschätzt. Und vielleicht auch den Rest der Gruppe.
Doch die Ausbildung musste hart sein. Die verschiedenen Akademien in Valor bildeten die besten Söldner aus. Regierungen zahlten für ihre Dienste viel Geld und eine Rufschädigung auf Grund schwacher Söldner bedeutete meist das Ende der Akademie.
So versuchte auch die Raliaa-Akademie nur die besten Truppen zu schicken, da die hiesigen Regierungen mit den Monsterprobleme gnadenlos überfordert waren. Zudem gab es immer wieder gefährliche Extremisten. Sie glaubten, durch das Anbeten der Schwarzmagier, ihrem Zorn zu entkommen. Diese internen Probleme hielten auch das Militär auf Trap und so blieb kaum noch Truppenstärke für die Probleme auf dem Land.
„Was jetzt?“
Rados wurde durch Gaz Stimme aus seinen Gedanken gerissen und versuchte die leichte Benommenheit, die wieder über ihn gekommen waren, abzuschütteln.
Er sah, dass Gaz und Kira ein paar Meter weiter auf einem Felsvorsprung, der wie eine Sackgasse aussah, zum Stehen gekommen war. Erst als er zu ihnen aufschloss, erkannte er, dass sich auf der rechten Seite in der Felswand ein Riss auftat.
„Müssen wir etwa da durch?“
Kira starrte ungläubig auf den Riss und dann zu Rados. Auch ihr lief der Schweiß ins Gesicht und ihre nassen braunen Haare rahmten ihr Gesicht ein.
„Es scheint so. Bislang gab es keine Abzweigung.“
Rados begab sich zu dem Riss und lugte hinein. Ein warmer Windzug kam ihm entgegen, sodass er sicher gehen konnte, dass es einen Ausgang auf der anderen Seite gab. Sofern sie hindurch passten.
„Aber, was ist wenn sich da drin diese Viecher verstecken?“, fragte Kira und schluckte schwer. Sie drehte sich um und schaute den Pfad zurück. Irgendwo dort befand sich der Leichnam von Rex.
Gaz zog eine Fackel aus seiner Tasche und legte sie auf den Boden. Anschließend holte er noch einen Feuerstein hervor und schlug mit diesem auf seinen Dolch. Die Funken sprangen über und die Fackel begann zu brennen. Gaz nahm sie in die linke, einen seiner Dolche in die rechte Hand und schob Rados an die Seite.
„Ich geh vor. Selbe Taktik wie auf dem Pfad. Wenn es nicht weitergeht, müssen wir halt umkehren.“
Ohne auf die anderen zu warten ging Gaz in den Felsspalt und hielt die Fackel vor sich. Kira schaute Rados zögernd an und folgte dann Gaz. Rados betrat ein paar Schritte hinter ihr den Spalt und versuchte etwas im Schein der Fackel zu erkennen.
Der Durchgang schien nach unten hin breiter zu werden, doch Anfangs stieß Rados immer wieder an die Wände, wo er sich an scharfen Kanten die Arme aufkratzte. Der Schweiß brannte in den frischen Wunden. Trotz all dieser Irritationen konzentrierte er sich auf die Geräusche um ihn herum. Ihre Schritte hallten relativ laut in dem Durchgang, weshalb er sich Hoffnung machte, nicht von den Blutreißern überrascht zu werden.
Er umfasste seine Klinge fester und versuchte vergeblich Kira, die wesentlich geschmeidiger durch den Spalt glitt, gleich schnell zu folgen.
Auch wenn es Rados wie eine Ewigkeit vorgekommen war, konnten nur einige Minuten verstrichen sein. Als sie sich letztendlich durch das Ende des Spalts quetschten kamen sie auf ein weiteres Plateau hervor.
Obwohl sie ein ganzes Stück bergab gegangen waren, schien das Magma noch weiter entfernt zu sein und nur ein schwaches Glimmen erhellte die Höhle. Die Hitze war immer noch drückend, doch Rados kam es schon fast wie eine Erfrischung vor.
Gaz deutete zunächst auf einen Pfad, den er mit der Fackel erleuchtete und anschließend auf sein Ohr. Rados schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Geräusche um sie herum. Er konnte ein Stück den Pfad entlang ein Schnarren vernehmen, und ein Flattern, das ihn an Flügelschläge erinnerte.
Er schaute zu Kira und deutete auf sein Auge. Kira nickte und griff fester um ihren Stab.
Gaz schlich leise den Pfad entlang und versuchte das Licht der Fackel soweit zu verdecken, dass es im Glimmen des Magma nicht weiter auffiel. Kira folge ihm, bereit, jederzeit ihre Aufgabe zu erfüllen.
Rados nahm sein Schwert in beide Hände und machte sich angriffsbereit. Sein Puls schlug hart und schnell und ihm war als würde sein Herz gleich aus seiner Brust springen. Doch dafür hatten sie trainiert, dafür hatten sie Opfer gebracht.
Als sie an einer Ecke zum Stehen gekommen waren, lehnte sich Gaz an die Wand und lugte um die Ecke herum. Nach Bruchteilen einer Sekunde, schaute er zu Kira und Rados, deutete mit dem Daumen in die Richtung in die er geschaut hatte, anschließend zeigte er fünf Finger und bildete danach mit Zeigefinger und Daumen einen Kreis. Fünf Schritte und dann ein Raum.
Kira und Rados nickten und Gaz zählte mit seinen Fingern von drei herab, die Fackel fest in seinem Griff.
Als er herabgezählt hatte, schwang er sich um die Ecke und warf die Fackel in die große Magmakammer vor ihnen. Kira rannte hinter ihm her und gleich darauf folgte Rados. Kira murmelte ein paar Worte und deutete mit ihrem Stab in die Kammer. Mit einem Mal wurde aus der Fackel ein riesiges Feuer, das den kompletten Raum erhellte.
Rados stürmte an den Beiden vorbei und attackierte den ersten Blutreißer, den er sehen konnte.
Das fliegende Ungeheuer stand noch unter Schock als Rados es halbierte und die zwei Hälften vereist zu Boden fielen und zerbarsten.
Hinter ihm folgten Gaz und Kira und visierten die anderen Flugmonster an.
Rados schaute sich um und erkannte, dass in der großen Kammer noch fünf weitere Blutreißer an der Decke hangen, die sich bereits von der Überraschung erholten und zum Angriff ansetzten.
Eines der Tiere flog stürmisch auf Rados zu, während zwei weitere Gaz attackierten.
Rados erwischte seinen Angreifer mit der flachen Schwertseite, wodurch es taumelnd zu Boden sank und langsam zu Eis erstarrte.
Gaz warf seinen Dolch auf einen seiner zwei Angreifer, welcher am Kopf getroffen zu Boden fiel und rannte zeitgleich los, um dem anderen Angreifer den Erstschlag zu nehmen. Er stach direkt auf das Monster ein, doch es wich geschickt aus und streifte Gaz Waffenhand mit einem seiner fingerlangen Reißzähne. Zischend lies Gaz seinen Dolch fallen und stand unbewaffnet da. Er umgriff seinen Arm, doch das Blut quillte noch immer zwischen seinen Fingern hervor.
Rados, der die Szenerie beobachtet hatte, eilte zu Gaz und konnte die erneut angreifende Flugbestie mit einem Faustschlag aus der Bahn bringen. Benommen landete es auf dem Boden und noch bevor es sich erholen konnte, wurde es schon von Rados Breitschwert durchbohrt und zersplitterte zu kleinen Eisbrocken.
Gerade als Rados die weitere Lage analysieren wollte, vernahm er Kiras spitzen Schrei hörte.
Er sah, wie sie von den zwei verbliebenen Monstern umflogen und immer wieder attackiert wurde. Nur durch das Werfen von Feuerbällen, die sie aus dem großen Feuer in der Mitte des Raums zog, konnte sie verhindern, getroffen zu werden.
„Eis Kira!“, rief Rados, doch er erkannte schnell, dass sie nicht dazu kam sich auf den Angriff zu konzentrieren.
Rados stürmte mit erhobenem Schwert auf die Flugmonster zu und schlug mit ganzer Kraft zu. Das anvisierte Tier erkannte jedoch seinen Angriff und wich aus, während das andere Monster nun ihn attackierte. Sein Schwert verkeilte sich in einer Spalte und er bekam es nicht frei. Die Flügel schlugen um Rados Kopf herum und er wehrte sich mit Faustschlägen in alle Richtungen, doch er schlug nur Luftlöcher.
Einer der Blutreißer stürzte sich auf Rados und jagte ihm seine Krallen in die Schulter. Das Vieh riss das Maul auf und offenbarte seine spitzen Zähne. Gerade, als es ihm an die Kehle springen wollte, hörte er plötzlich etwas vorbeirauschen und sah aus dem Augenwinkel, wie das Monster zu Eis erstarrte. Es fiel zu Boden und zersprang in tausend Splitter. Rados nutzte die Gelegenheit und holte mit seinem Ellenbogen genau in die Schnauze des übrig gebliebenen Blutreißers aus, wodurch es benommen herumtrudelte. Gaz kam herangeeilt und nutzte die Lage, um mit einem seiner Dolche, das Monster aufzuspießen.
Erschöpft entspannte sich Rados, zog sein Schwert mit einem starken Ruck aus dem Boden und lehnte sich gegen den nächsten Felsen, während Gaz seine Dolche einsammelte und das Blut von ihnen wusch.
„Lass mich mal deinen Arm sehen.“
Kira die sich den Stab wieder auf ihren Rücken gebunden hatte, griff sich grob Gaz Arm und inspizierte die Wunde.
„Geht das vielleicht auch etwas vorsichtiger? Das tut weh.“
„Aber natürlich der Herr, vielleicht möchten Sie ja erst einmal eine Erfrischung?“
Seinen bösen Blick ignorierte Kira gekonnt und holte ein Fläschchen hervor, welches sie über der Wunde auskippte. Er sog scharf die Luft ein, doch vermied es einen weiteren Ton von sich zu geben.
„Also wo lang nun? Ich möchte nicht auf noch mehr Besuch warten“, fragte Gaz.
Nachdem Kira seinen Arm verbunden hatte und er sich mit einem Nicken und einem Laut, das einem Grunzen nah kam, bedankte, erhob er sich. Rados erhob sich ebenfalls schwer atmend und schaute zum Ende des Raumes wo vier Durchgänge zu sehen waren.
Gaz, der noch einmal seinen Verband prüfte, trat neben ihn.
„Wenn du mich fragst gehen wir in die Richtung, aus der dieses Grollen kommt.“
Rados schaute Gaz verwundert an und lauschte dann in die weiteren Abzweigungen hinein. Und tatsächlich konnte er ein Geräusch vernehmen, das er von sich aus wahrscheinlich erst viel später bemerkt hätte. Gaz Gehör war erstaunlich. Das was ihm an magischem Potenzial fehlte, machte er durch andere einzigartige Talente wett.
Gaz beobachtete, wie sich Rados Augen verengten und er anschließend erstaunt ausatmete. Er nickte und streckte seinen Kopf in Richtung des rechten Weges.
„Da lang die Damen. Erholen können wir uns später.“
Gaz nahm die Fackel vom Boden wieder auf und ging in Richtung des Durchgangs, ohne auf Rados und Kira zu warten. Kira folgte ihm kopfschüttelnd und auch Rados konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Sie nahmen in dem Durchgang ihre ursprüngliche Formation wieder ein. Vor ihnen erstreckte sich ein weiterer enger Korridor, der komplett im Dunkeln lag. Rados verengte die Augen und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, während die scharfen Kanten an der Höhlenseite seine Schultern erneut aufrissen. Das Brennen kehrte stärker zurück, doch Rados biss die Zähne zusammen und folgte seinen beiden Freunden.
So nah am Ziel kamen ihm viele Gedanken, wie etwa das erste Mal, dass die Drei sich getroffen hatten. Bei der Willkommensfeier im Atrium der Akademie. Gaz, den er noch aus seiner Kindheit in ihrem Heimatdorf kannte. Wie er auf den Unnahbaren tat, als Kira sich vorstellte. Und wie die Drei anschließend immer wieder versuchten sich durch die theoretischen Prüfungen zu schlängeln. Regelmäßig gingen sie bei gutem Wetter an den Hafen und beobachten die Schiffe beim ein- und auslaufen, während sie sich ein kaltes Valoria-Bier gönnten.
Und jetzt die finale Prüfung. Dafür hatten sie monatelang trainiert. Und nun waren sie so weit. Rex war gestorben. Er war zwar nur ein Nachrücker, den Rados kaum kannte, doch nahm ihn der Tod trotzdem mit. Rados wollte sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn einer seiner Freunde sterben würde. Das wollte und konnte er nicht zulassen.
Als sie die nächste Kammer vor ihnen betraten, kam ihnen ein Schwall Hitze entgegen, der ihnen für kurze Zeit die Luft nahm. Erschwerend kam ein unerträglicher Schwefelgeruch hinzu, der ihnen die Luft raubte und das Atmen erschwerte.
Die kreisrunde Kammer mit ihrem schwarzen Gestein war durch die Magmaströme, die die Wände hinunterflossen, rötlich erleuchtet. Scheinbar standen sie auf einer Art natürlicher Plattform, da das Magma weiter hinunter floss, in eine unergründliche Tiefe.
Auf der gegenüberliegenden Seite konnte Rados einen Tunnel erkennen, der nach oben zu führen schien.
„Rados? Sind das Knochen in diesem Durchgang dahinten?“, fragte Kira leise.
Rados kniff die Augen zusammen und schaute in die angedeutete Richtung. Anschließend schaute er zu Kira und nickte.
„Wir sind da.“
Die zerklüftete Oberfläche der Plattform machte es schwer, zu erkennen woher das Grollen kam, doch dann stieß ihm Gaz in die Seite.
„Dort hinten links, hinter dem Felsen, verändert sich die Farbe des Raums. Es ist nicht so rötlich wie die anderen Wände.“
Und tatsächlich, hinter einem der letzten Felsen auf der anderen Seite, erleuchtete ein grüner Schimmer die Wand.
Rados schlich sich an einen Felsen und deutete seinen Freunden an, ihm zu folgen.
Es war offensichtlich, dass sie einen Kerberos nicht mit roher Kraft besiegen konnten. Sie mussten geschickt vorgehen und ihr gesammeltes Theoriewissen in die Praxis umsetzen.
„Erinnert ihr euch an die Fabel von Professor Dazar?“, fragte Rados mit gezogenem Schwert und blickte zunächst zu Kira und dann zu Gaz.
Kira nickte unsicher während Gaz nur eine Grimasse zog.
„Was für eine Fabel?“
Kira seufzte.
„Er hat es uns zu Kursbeginn erzählt. Im Grunde kann man es grob so zusammenfassen: Ein Krieger zog los um eine Chimäre zu besiegen. Er stürmte auf sie zu und wurde gefressen. Danach begab sich ein Magier dorthin. Er kanalisierte einen mächtigen Feuerzauber, doch bevor er ihn loslassen konnte wurde auch er gefressen. Anschließend begab sich ein Jäger zum Hort der Chimäre. Er schoss mehrere Pfeile gleichzeitig in den Himmel und stürmte anschließend auf die Chimäre zu. Die Pfeile fielen vom Himmel und die Chimäre versuchte sich zu schützen. Als der Pfeilhagel verstummte sah sich die Chimäre nach dem Jäger um und konnte ihn nicht finden. Er hatte die Zeit genutzt sich an ihren Hals zu begeben und jagte seinen Dolch quer über die Halsschlagader woraufhin die Chimäre starb.“
Nachdem Kira endete schmunzelte Gaz.
„Nette Geschichte. Wer von uns spielt also den Pfeilhagel, der von der bösen Bestie die volle Aufmerksamkeit erhält?“
„Es geht nicht um den Pfeilhagel sondern um die Ablenkung. Einen direkten Angriff würde wohl keiner von uns überstehen. Wir müssen es abwechselnd angreifen, damit es sich immer wieder neu orientieren muss, bis es müde und unkonzentriert wird.“, erläuterte Rados.
„Also wie sollen wir…“, Kiras worte gingen unter als ein markerschütterndes Gebrüll die Höhle durchbebte.
Der Kerberos erhob sich hinter dem Felsen und schlurfte hinter der Deckung hervor, um zu sehen welcher Störenfried seinen Schlaf unterbrach.
„Scheinbar hat der Große keinen festen Schlaf. Scheiße…“ Zum ersten Mal, dachte sich Rados, konnte man bei Gaz so etwas wie Nervosität hören.
Auch Rados stockte der Atem. Er hatte zwar vor ihrem Aufbruch zu dieser Prüfung Bücher studiert, über diese Art von Monstern, doch die Realität war noch einmal um ein vielfaches… beeindruckender. Auch wenn ihm eher die Begriffe furchteinflößender und grauenvoller passender erschienen.
Das vierbeinige Ungetüm hatte eine Schulterhöhe von beinahe zwei Metern. Die Fangzähne in seinem Maul und die Krallen, die aus seinen Pfoten hervorragten, reichten aus, um selbst einen ausgewachsenen Mann in Stücke zu reißen.
Eine Aura umgab das Monster, die Rados Nackenhaare aufsträuben ließen. Seine fleischliche Hülle hatte mehrere Löcher an denen die Knochen hervortraten. Ein grüner Schein ging von der Bestie aus, so als würde in seinem Inneren ein Feuer brennen. Seine glühenden Augen wanderten aufmerksam durch die Höhle.
Sie blieben an dem Felsen hängen, hinter dem sich die Drei versteckten. Seine Witterung schien genauso empfindlich zu sein wie sein Gehör.
Mit einem tiefen Knurren machte das Wesen klar, dass es die Eindringlinge gewittert hatte und begann sich dem Felsen zu nähern.
Rados lugte drüber und sofort fixierte die Bestie seinen Blick und preschte mit weit geöffnetem Maul los. Rados reagierte gerade noch schnell genug, um nach links an die Seite zu springen, bevor der Felsen zertrümmert wurde. Kira und Gaz brachten sich in die andere Richtung in Sicherheit.
Der Windhauch des vorbeirasenden Ungetüms strich sein Gesicht und er vernahm den intensiven Schwefelgeruch, der ihm direkt Übelkeit bereitete. Doch er hatte keine Zeit sich zu erholen, denn der Kerberos bremste bereits ab. Mit seinen vier krallenbesetzten Pfoten schlitterte er noch ein paar Meter über den Boden, bevor er kehrt machte und einen neuerlichen Angriff auf Rados startete.
Mittlerweile hatten sich auch Gaz und Kira dem Kampf angeschlossen. Alle Drei kannten ihre Aufgabe, mit einem kurzen Augenkontakt von Rados zu den Beiden war die Taktik abgeklärt. Rados zog sein Breitschwert, das einen angenehm kühlen Lichtschimmer in die Höhle warf. Er positionierte sich vor dem Ungetüm, das nun erneut auf ihn zuhielt. Gaz nutze die Gelegenheit, in einem dunklen Teil der Höhle zu verschwinden und befand sich nun hinter dem Schweif des Monsters. Kira entfernte sich etwas von der Szenerie und murmelte fremdklingende Worte. Unmittelbar spürte Rados eine Hitze in seinem Körper aufsteigen, und eine unbändige Kraft machte sich in ihm breit. Der Effekt würde nicht lange anhalten, das wusste er aus den unzähligen Übungen. Jetzt oder nie. Kiras Stärkungszauber würde ihm mehr Kraft und Ausdauer geben, wie eine gezielte Ladung Adrenalin. Die Bestie öffnete ihr riesiges, mit spitzen Zähnen besetztes Maul, um den ersten Teil seines Frühstücks zu verspeisen.
Rados wartet bis zum letzten Augenblick und rettete sich dann mit einer eleganten Rolle zur Seite. Im gleichen Moment fuhr er mit seiner Klinge nach oben und verpasste dem Biest einen tiefen Schnitt in das linke Vorderbein Die Bestie heulte auf. Rados, der sich wieder in Kampfposition brachte, sah Gaz, wie er aus dem Schatten auftauchte, einen seiner Dolche tief in die rechte Flanke des Monsters stieß und nach unten zog. Die Bestie schrie voller Wut auf. Sie drehte sich zu Gaz um und verpasste ihm mit der rechten Pfote einen Schlag, der ihn gegen die Höhlenwand schleuderte. Regungslos blieb der Dolchkämpfer liegen. Das Biest näherte sich schlurfend, um den ersten Störenfried auszuschalten.
„Kira, kümmere dich um Gaz, ich lenke es ab.“
Mit einem lauten Schrei versuchte Rados das Monster auf sich aufmerksam zu machen. Als es nicht reagierte nahm er einen der Steine, die überall auf dem Boden verteilt lagen und warf ihn zielsicher auf den Hinterkopf der Bestie.
Ruckartig drehte es seinen Kopf in Richtung Rados und fletschte die Zähne.
Erneut stürmte es auf Rados zu, doch dieses Mal wich Rados nicht zur Seite aus. Er sprang auf den Kerberos zu und rutschte unter ihm hindurch. Beinahe wäre er zertrampelt worden, doch so hatte er die Chance sein Schwert hochzureißen und einen langen, tiefen Schnitt entlang des Rumpfes zu schlagen.
Auch die Hinterbeine verfehlten ihn knapp und Rados konnte hinter ihm aufspringen und in Richtung eines Felsens laufen.
Die Bestie atmete schwer und Blut lief aus seinen Wunden. Doch auch das reichte nicht aus, um sie zu stoppen.
Rados hatte kaum noch Energie, um die kräftezehrenden Ausweichmanöver zu bewältigen und bei dem nächsten Versuch, es in eine Falle zu locken geschah es. Das Monster täuschte einen weiteren Rammstoß an, doch kurz nachdem Rados ausgewichen war bremste es bereits ab und schlug Rados mit seiner gewaltigen Pranke, sodass er quer durch den Raum geschleudert wurde und benommen liegen blieb.
Der Kerberos schlurfte langsam auf ihn zu und knurrte bedrohlich. Es genoss es, seinen Angreifer so hilflos zu sehen.
Rados versuchte sich aufzuraffen, doch seine Beine verweigerten ihm den Dienst. Das Monster öffnete sein riesiges Maul und wollte zuschnappen als von der anderen Höhlenseite ein Schrei zu hören war.
Es war Kira die wild fuchtelnd da stand und die Aufmerksamkeit erregen wollte.
„Kira nicht...“, versuchte Rados zu rufen, doch es war nur ein Krächzen.
Der Kerberos beschloss auch das letzte Mitglied der Störenfriede außer Kraft zu setzen und schritt auf Kira zu. Diese schaute entschlossen in die orangenen Augen und wartete, bis das Monster einige Meter von Rados entfernt war. Dann murmelte sie einige Worte und mit einem Schwung ihres Stabes froren die Pfoten des Ungeheuers am felsigen Boden fest.
Noch bevor der Kerberos realisierte was passiert war, bündelte Kira schon den nächsten Zauberspruch und ein breiter violetter Strahl flog in Richtung Decke. Ein riesiger Felsbrocken löste sich von dort und zerquetschte den Schädel des Ungeheuers. Der Schweif zuckte noch eine Sekunden, bevor auch der Rest des Körpers zusammensackte und leblos in der Höhlenmitte liegen blieb.
Erschöpft ließ Kira den Stab sinken. Doch die Erleichterung verschwand schnell, als ein Donnern die Höhle durchflutete. Steine stürzten zu Boden und die große Plattform auf der sie standen, begann bedrohlich zu wackeln.
Rados versuchte sich zu seinen Freunden zu schleppen, doch seine Kraft wich immer weiter.
Die Plattform zerbrach, Steinbrocken und die Reste des Kerberos fielen zusammen mit Rados in Richtung des Magmas. Er schlug hart auf einem Felsvorsprung auf und nutzt seine letzten Reserven um sich bis an die Wand zu ziehen.
Nachdem sich die Sterne vor seinen Augen etwas auflsöten, konnte er erkennen, dass er etwa drei Meter tief gefallen war. Am Rand der Plattform über ihm hang Kira, die so eben noch von Gaz gehalten werden konnte.
Nachdem er es geschafft hatte, sie hinaufzuziehen, rief Rados ihnen zu: „Bringt euch in Sicherheit! Der Durchgang mit den Knochen führt bestimmt zu dem Land über uns.“
Doch Kira dachte überhaupt nicht daran sich zu bewegen. Die Höhle begann sich zu beruhigen und nur noch wenige Felsen fielen in den bodenlosen Abgrund.
Kurz dachte Rados daran hinaufzuklettern, doch weder Kraft, noch die glattgeschmirgelten Wände ließen es zu, hinaufzuklettern.
Scheinbar hatten Kira und Gaz einen Plan entwickelt, denn sie bewegten sich nun am Rand der eingestürzten Plattform entlang und näherten sich der Stelle oberhalb von Rados Aufenthaltsort.
Immer wieder bröckelten Teile des Vorsprungs ab, doch sie gingen immer weiter.
„Was macht ihr da…?“, fragte Rados, doch er war sich nicht sicher, ob sie seine schwache Stimme überhaupt verstehen konnten.
Ihm blieb kurz das Herz stehen, als er sah, dass Gaz Kira am Arm packte und sie zu Rados hinunterließ.
„Versuch meinen Köchel zu greifen!“
Mit letzter Kraft hob er seinen Arm und streckte ihn soweit es ging. Er fühlte noch die seidene Hose bevor ihm Schwarz vor Augen wurde.
Warmes Sonnenlicht strich über Rados Gesicht, während ein kühler Wind durch seine Haare ging. Er wusste er sollte aufwachen, doch seine Augen weigerten sich den erholsamen Schlaf so einfach aufzugeben. Erst als ihm seine letzten Erinnerungsfetzen erreichten und ihm klar wurde, was geschehen war, riss er die Augen auf und sah sich um. Er lehnte an einem Baum, während am Horizont die Sonne unterging. In den Ebenen unter ihm, waren weite Wiesen und er erkannte einen großen Schlund am Ende des Hangs, der zu dem Bau des Kerberos führen musste.
Links von ihm schlief Gaz und er hatte dabei Kira im Arm, die ruhig atmend ebenfalls die Augen geschlossen hatte.
Scheinbar hatte Kira es geschafft sie alle mit Hilfe ihrer Teleportationsmagie aus der Höhle an die Oberfläche zu bringen.
Rados realisierte, dass sie die Prüfung geschafft hatten und Freude wollte sich einstellen, doch da wurde ihm klar, dass sie immer noch nicht in Sicherheit waren.
Die Monster der Nacht würden bald erwachen, und die gesamte Ebene terrorisieren. So wie damals, als das Heimatdorf von ihm und Gaz angegriffen wurde. Diese ganze Prüfung hätte gar nichts gebracht, wenn sie jetzt auf diesen Ebenen sterben würden. Sie hatten jetzt die Möglichkeit im Namen der Raliaa-Akademie Aufträge der Regierungen zu übernehmen. Sie konnten jetzt etwas gegen die Schwarzmagier unternehmen und damit würde die Welt eines Tages vielleicht zu einem besseren Ort werden. Auch wenn dafür Opfer nötig waren, so war dies der einzige Weg, um seine Heimat wieder zu dem friedlichen Ort zu machen, in dem er aufgewachsen war.
In der Ferne konnte er die Lichter eines Dorfes erkennen. Es war Zeit, Kira und Gaz wecken. Sie mussten schnell das Dorf erreichen und von dort aus die Akademie benachrichtigen. Auch wenn eine Gefahr gebannt war, die Welt würde in ihrem derzeitigen Zustand nie sicher sein. Niemand interessierte sich dafür ob die Prüfung zu Ende war, die wahre Prüfung fand hier draußen statt.