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Die wahre Farce der Vase
Es war einmal eine Vase. Nun, es war nicht nur eine Vase. Es waren hunderte, tausende - nein - Millionen, Milliarden - nein - vergessen wir die Zahlen. Es waren einmal unzählige Vasen. Und sie sind es noch immer. Auch wenn die meisten von ihnen das vermutlich vergessen haben. Vielleicht spielt es auch einfach keine große Rolle, was man ist, sondern vielmehr, wie man ist. Wie dem auch sei, diese Geschichte handelt von dem Leben einer ganz bestimmten Vase. Verstehen sie mich nicht falsch. Es war keine besondere Vase. Zumindest nicht besonderer als alle anderen Vasen auch. So sah sie es zumindest. Es war eine bescheidene Vase, voller Demut. Dies lag nicht zuletzt daran, dass sie bereits Sekunden nach ihrer Geburt in einer kleinen spanischen Glasmanufaktur gestempelt wurde und sich ihre Herkunft somit für immer in sie eingebrannt hatte. Doch beginnen wir von vorne.
Nachdem die Eltern in hohem Alter gestorben waren, wurde einem Mann die unansehnliche Aufgabe zuteil, ihren Nachlass zu verwalten. So schön die Erinnerungen an all diese Gegenstände auch waren, so sehr schmerzten sie ihn, denn auch wenn er es nicht wahr haben wollte, so wusste er, dass sie ihren Zweck in seiner Welt verloren hatten. So begann er also Stück für Stück die Wohnung zu entrümpeln. Ein paar Dinge, die der Mann im Laufe der Zeit sehr lieb gewonnen hatte, behielt er und stellte sie in sein Regal. Die meisten der Möbel verschenkte er und auch für die anderen Sachen fand er dankbare Abnehmer. So blieb letztendlich nichts als die Wohnung und die Glastellersammlung der Mutter.
Der Mann umwickelte sie mit einem Tuch, fuhr die Teller zum nächsten Container und schmiss sie schweren Herzens hinein, sodass sie in tausend Scherben zersprangen. Dort lagen sie nun und warteten, während sich der Container nach und nach mit weiteren Scherben füllte. Darunter Scherben von Gläsern, Flaschen, Karaffen und allem möglichen anderen Zeugs. Doch das machte nichts, denn schließlich hatten sie alle eine Gemeinsamkeit: sie waren zerbrochen. Nach ein paar Monaten öffnete sich ihr Grab und ein schweres Stahlseil hob sie in den Himmel.
Dann landeten sie klirrend auf der Ladefläche eines LKWs, welcher sie zur Glasmanufaktur fuhr, wo sie schließlich endgültig zerstoßen wurden. Anschließend warf man sie in das Fegefeuer, sodass alles, was noch an ihnen hing, verdampfte. Befreit von ihrem früheren Leben zerschmolzen die Scherben zu einer glühenden Masse. Kleine Kügelchen wurden geformt und während man ihnen das Leben einhauchte, schien sich alles nur um sie zu drehen. Aus den kleinen Kugeln wuchsen Vasen, die das Gefühl hatten, sich frei zu entfalten. In Wahrheit hingegen war es der Gläser, der sie zurechtbog, und die Bläserin, die Sorge trug, dass sie dabei nicht zerbrachen.
So erging es auch unserer Vase, bis man bemerkte, dass sich, kurz vor der Fertigstellung, eine große Blase an ihrem Hals gebildet hatte. Daraufhin wurde der Gläser sehr wütend machte sich daran das Spiel von vorne zu beginnen. Doch die Bläserin erbarmte sich der blau-weißen Vase und sagte sie würde sie nehmen, sollte keiner sie kaufen. So wurde die Vase gebrandmarkt bevor man sie zum Aushärten zu den Anderen stellte.
Dort hatte unsere Vase es wahrlich nicht leicht. Auf Grund ihrer Andersartigkeit wurde sie verspottet und man lachte darüber, dass sie niemals einen Käufer finden würde. Doch gerade weil sie so dünn und zerbrechlich war, war sie auch die Erste, die aushärtete und ihre wundersame Farbgebung erkennen ließ. Als die anderen Vasen nun auch noch die besondere Fürsorge der Bläserin bemerkten, wandelte sich ihr Spott zu Hohn. In den Verkaufsregalen stellte man sie in die letzte Reihe, drehte die Blase nach hinten und gab der Vase, trotz ihrer interessanten Färbung, einen erstaunlich niedrigen Preis.
Dort stand sie nun also und sah dabei zu wie die anderen Vasen kamen und gingen und träumte davon wie es wohl wäre ein Zuhause zu haben. Am Ende des Monats war sie die Älteste der Verbliebenen und alle außer der Vase hatten die Hoffnung aufgegeben, dass man sie noch loswerden würde. So drückte man der Bläserin am Zahltag statt ihrem Gehalt die Vase in die Hand. Zuhause kam die Bläserin in Erklärungsnot. Mit leerem Magen ging sie ins Bett und fragte sich warum sie diese Entscheidung bloß getroffen hatte.
Am nächsten Morgen ging sie in die Küche, aß, was sie noch finden konnte, und verfluchte sich und die Vase. Da fiel ein Sonnenstrahl auf den Küchentisch, sodass die Vase ihr in einem gänzlich neuen Licht erschien. Inmitten der Blase bemerkte die Bläserin ein grünliches Funkeln und erkannte bei näherer Betrachtung, dass es sich um einen kleinen eingebrannten Smaragd handelte. Von da an strahlte auch die Bläserin wieder, denn ihr Vertrauen hatte sich ausgezahlt. Sie nahm sich frei, ging zum Markt und verkaufte die Vase zum dreifachen Preis an eine alte Dame, der die Geschichte besonders gut gefiel. Sie akzeptierte die Bedingung der Bläserin, die Vase ganz zu lassen, und trug sie mit einem Lächeln nach Hause.
Doch auch die Familie der alten Dame fand kein Verständnis für die verbeulte Vase. Nach einem heftigen Streit mit ihrem Mann, der die Vase partout nicht in seinem Haus haben wollte, trug die alte Dame die Vase zum Pastor und klagte ihm ihr Leid. Der Pastor, der die Symbolik hinter der Geschichte erkannte, nahm die Vase in seine Obhut und gab der alten Dame und ihrer Familie im Gegenzug die besten Plätze direkt neben der Kanzel. Das war eine große Ehre für die alte Dame und ihren sehr religiösen Mann und so machten sie sich am folgenden Sonntag besonders schick, bevor sie in die Kirche gingen.
Der Pastor, ein großer Verfechter des Pantheismus, empfing sie herzlich, stieg auf die Kanzel, nickte der alten Dame lächelnd zu und begann zu predigen. Er sprach über das Vertrauen, die unergründlichen Wege Gottes, darüber wie Gott in allem stecke und wir alle in Gott. Der alte Mann lauschte gebannt und staunte nicht schlecht als der Pastor schließlich die Vase hervorholte und ihre Geschichte teilte. Als der Pastor schloss, rollte eine Träne der Erkenntnis über die Wange des alten religiösen Mannes. Er war so gerührt, dass er wartete bis sich nach dem Gottesdienst alle verabschiedet hatten, um alleine mit dem Pastor sprechen zu können.
Der Pastor erkannte, dass sein Plan aufgegangen war und überreichte dem alten Mann die Vase, doch dieser weigerte sich erneut, sie in sein Haus zu stellen. Es wäre Verschwendung, sagte er nun, und auch die Spenden wollte er nicht als Entschädigung annehmen. Er bedankte sich für die Tiefe, die er während der Predigt gespürt hatte, versicherte sich bei seiner Frau zu entschuldigen und verschwand guten Gewissens.
Von da an stand die Vase auf dem Altar und wann immer es ein Los zu ziehen galt, warf die Gemeinde ihre Zettel hinein, schüttete sie aus und zog das Los, welches in der Blase verblieben war. Diese Aufgabe erfüllte die Vase über mehrere Generationen, bis sie schließlich, Gott weiß warum, zerbrach, eingeschmolzen wurde und die Geschichte von Neuem begann.