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Die Wahnsinn Symphonie
Ein Verwirrspiel
Traumgestalten taumeln schwankend
Aus des Schleiers Schwingen vor
Gaukelbilder närrisch wankend
Aus des Nebels Meer empor
Namenlose Wesen dringen
Bleich und tot im fahlen Schein
Fürchterliche Schreie klingen
Aus dem Nebel auf mich ein
Zitternd, wimmernd fall’ ich nieder
Schwach und auf die Knie hin
Tosend’, tobend’ Totenlieder
Rauben mir im Wahn den Sinn
Alptraumhafte, schwarze Schemen
Stürzen kreischend aus der Nacht
Den Atem ewig mir zu nehmen
In ihrer finstren Auren Pracht
Kann nicht fliehen, nicht entkommen
Und hab’ in dieser großen Not
Des Wahnsinns Gipfel bald erklommen
Fieber, Rausch, doch fern dem Tod
Ist dies meine Wirklichkeit
Auf ewig und für alle Zeit
„Die Menschen sind so notwendig verrückt, daß nicht verrückt sein nur hieße, verrückt sein nach einer anderen Art von Verrücktheit.“
- Blaise Pascal, Gedanken
Es ist schwer, das Leben eines Verrückten von allen Seiten zu beleuchten und zu betrachten, kann man sich doch unmöglich in die Gedankenwelt eines solchen Menschen hineinversetzen, ohne selbst den Zusammenbruch der eigenen Wirklichkeit zu erleben und sich dann selbst zu dem werden zu sehen, was eigentlich nur Gegenstand der Betrachtung sein sollte. So wird denn unweigerlich das helle Licht der eigenen Traumwelt zu einem blassen, schwachen Schimmer, daß sich in unerträglich kurzer Zeit in einem leeren Raum völliger Finsternis verliert. Wehrlos muß man zusehen, wie die eigene Sonne erlischt, die zarten Blumen süßester Tagträume vergehen und selbst das herrlichste und wärmste Farbspiel sich in grausigen Schrecken wandelt, dessen buntes Glück sich hasserfüllt in das innere Sehen frisst und die stärkste Lebenskraft von innen heraus zerstört. So vermag denn das Grübeln über solchen Tod des Verstandes das eigene Seelenfeuer zum ewigen Erlöschen zu bringen.
Der Leser mag es sich schon gedacht haben - daß ich ein Verrückter bin und mein Ich dereinst erlosch und verbrannte zugleich. Das Nachfolgende ist somit als Warnung zu betrachten, als Appell an den Menschen, den lebensverachtenden oder vom Leben ausgeschlossenen Freund zu verstoßen und mit Nichtbeachtung zu belegen; als Appell, die Augen geschlossen zu halten, die Melancholie des Alltags und mancher Mitmenschen zu ignorieren und stattdessen - statt diesen Knechten des Elends und des Niedergangs - die unbedachte Selig- und Fröhlichkeit willkommen zu heißen und Freunde zu nennen, das Denken zu lassen, den Zweifel einzusperren und die reine Herzensfreude in vollen Zügen zu genießen. Nun, spätestens an dieser Stelle sollte der Leser ablassen von meiner Schrift, sich abwenden von diesen dunklen, ausweglosen Gedankenlabyrinthen, die meine Abhandlungen darstellen, und sich, will er sein Glück nicht auf die Probe stellen, den schönen Dingen seines Lebens zuwenden. Dies, mit Verlaub, sei meine eindringliche und ernsthafte Empfehlung.
Autor: Auf jetzt, auf die Bühne!
Im Hintergrund ein weißbekittelter Mann, offensichtlich Arzt. Sehr nervös, offensichtlich mit Lampenfieber. Stolpert auf die Bühne, offensichtlich einer Panikattacke nahe.
Arzt (stammelt): Äääh…ich…
Autor (gereizt): Auf!
Gehetzte Blicke in Richtung des Autors. Schweißperlen auf der Stirn.
Arzt: Ähm…ich…wir…
Autor: Los!
Arzt: Wir wollen heute die… Geschichte eines Mannes, eines namenlosen Mannes erzählen, der…
Pause. Stille. Grübelt.
Autor: Du weißt es! Es ist wahr!
Arzt: …der aus unbekannten Gründen den Verstand und sich selbst in einem seltsamen Wahn verlor, und weder einen klaren Gedanken noch die Realität je wieder fand. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies Fallbeispiel soll uns als Untersuchungsgegenstand die nächsten Stunden beschäftigen. Das tragische Ende des Mannes, welches nicht in unserer Macht stand, verhindert zu werden, soll uns ein Fanal sein, ein Ereignis, welches zu vergessen wir uns nicht leisten dürfen. Deshalb bin ich nun hier vor sie getreten und bitte um ihre Aufmerksamkeit in diesem…Fall völliger geistiger Verwirrtheit, verworren, verschwommen, ver…
„Ich bin nicht verrückt!“
Das kleine, quadratische Zimmer mit den kalten Metallwänden lag fast völlig im Dunkeln, nur erleuchtet vom schwachen Schein der Lampen auf dem Flur. Es war kühl, obwohl der Raum keine Fenster hatte, und die Luft, die unter der Glastüre aus dem Gang hervor kroch war eisig. Die Einrichtung war spärlich und tat ihr Übriges zum sterilen, abweisenden Aussehen des Zimmers, das den Charme einer kleinen, schmutzigen und verlassenen Fabrikhalle hatte. Ein kleines Schränkchen stand gleich neben der Türe, und diesem gegenüber waren die Umrisse eines Bettes zu sehen, ganz im Schatten liegend. Darauf saß eine dürre, abgemagerte Gestalt, ein Mann, offensichtlich nicht bei Kräften, krank, und starrte, ohne jeden Augenschlag, ohne jede Regung, nach vorne.
„Ich bin nicht verrückt.“ sagte er ruhig, aber mit schwerem Atem.
„Nein, Doktor, sie irren. Ich beschwöre sie, glauben sie mir.“ Wasser sammelte sich in seinen Augen, salzig… und dann flossen die ersten Tränen aus den gequält zusammengedrückten Lidern. Die Wangen hinab, langsam, langsam… es schmeckte salzig…
„Ich bin nicht verrückt!“ rief er zitternd, mit bebender Stimme. Ein Schluchzen. „Ich bin nicht verrückt.“ Und die Wangen hinab liefen die Tränen, die Mundwinkel streifend und mit hinunter ziehend, auf das kein Lächeln diese schmerzdurchfurchten Züge erhellen möge.
Er streckte zaghaft die Hand aus, fast flehentlich, als wollte er durch diese schutzsuchende Geste das Vorhandensein seines Verstandes bekunden. Der bettelnde Blick, dieser Schmerz, nach Wärme suchend. Eine verletzte Seele, verkrochen in den tiefsten Verliesen des eigenen Körpers, unfähig, sich zu überwinden, auszubrechen. Doch sein Arzt reagierte nicht. Keine Regung.
„Herr…Doktor…Herr…“ Tränenerstickt... die Stimme, tränenerstickt, gleich einem Ertrinkenden,… im Kummer Ertrinkenden. „Ich bin…nicht…Nein!“ Und er sprang auf, alle Kraft zusammennehmend, doch fiel auf die Knie, zu schwach, seine Beine zu gebrauchen. Konnte sie nicht mehr fühlen. Nimmer mehr fühlen. Als wären sie tot. Tot! Nutzlos an seinem Unterleib hängend. So kroch er vorwärts, kein Mitleid suchend, sondern Verstehen, nur Verstehen, den Funken eines großen Feuers, das so weit entfernt teilnahmslos vor sich hin flackerte, daß es nur zu erahnen war, unwirklich, verschwommen zwischen all’ den trüben Schatten und Schemen, den Nebelbildern, die sein Augenlicht verdunkelten.
„Doktor!“ Doch er konnte ihn nicht erreichen. Sein Doktor wich zurück, vor Kummer?, vor Schrecken?, und verließ das Zimmer wortlos durch die schwere Glastüre.
„Nein, ich…nein, nicht…“ Was bebten seine Glieder, was vibrierte seine Seele, was barsten seine Gedanken, was konnte er noch tun, was, bei Gott, was? Da fiel er ganz zu Boden, der Ohnmacht nah’. Er, verrückt? Niemals, warum? Würden sie doch mit ihm reden, doch auf ihn hören, er könnte es beweisen, seinen Verstand beweisen! Wie scharfsinnig, wie fein er doch war! Doch schenkte man ihm keine Beachtung, seit Wochen schon nicht, seit Wochen? Oder seit Monaten? Seit Wochen? Fertig. Was war das für ein Doktor, der ihn immer nur anschaute, der keine Untersuchungen machte, nicht mit ihm sprach, ihn niemals auch nur berührte. Was war das für ein Haus? Für ein Spital?
Da klopfte es leise… ganz leise... leise an die Glasscheiben der plötzlich riesigen Türe. „Nein!“ hämmerte es in seinem Schädel. „Nein, nicht wieder, nicht jetzt!“ Doch das Klopfen hielt nicht inne, es klopfte weiter, klopfte weiter, monoton, dumpf, weiter, es klopfte weiter. So hob er den Blick, vorsichtig, langsam, um den neuen Schrecken wissend. Und hinter der Türe, im dunklen, von völliger Schwärze durchdrungenen Gang, stand sie wieder, die Gestalt. Die Gestalt seiner…Träume? Ein kleiner Kobold, mondgesichtig, ein breites Grinsen aufgesetzt, höhnisch, ihn verlachend. Keine Gnade. Keine kannte es, das Wesen, das ihn verfolgte, unablässig ihm erschien, ihn zu quälen, ihn zu martern. In einen leuchtenden Umhang gehüllt, von Sternenglanz umgeben, hell scheinend, funkelnd auf ihn ein. Oh, dieses Grinsen. Da war keine Wärme darin, da war nur Kälte. Frost! Der Raureif nahm die Scheiben in Besitz, kroch auf ihn zu, unaufhaltsam, ihn einzufangen und erneut zu foltern.
Da sprang er zurück, aus der Hocke, alle Kraft zusammen nehmend und kroch nach hinten an die metallene Rückwand des Zimmers, fliehend vor dem Frost, dem Eis, dem Grinsen, und vergrub in seinen Händen sein tränennasses Gesicht.
„Ich bin nicht verrückt.“ Voller Überzeugung und doch gebrochen.
Ich lief barfuß über den schmalen Sandweg, der am Rande des seltsamen Sees verlief, der plötzlich und ohne vorheriges Anzeichen aus den Nebeln erschienen war. Vor mir bauten sich neue Wolkentürme auf, immer weiter in den Himmel wachsend, bis sie die grelle Sonne erreichten und sie letztendlich verschlangen. Da war auf meiner Linken ein großes Pferd zu sehen, das sich aufbäumte und zu den Sternen reckte. Es war von schwarzem Fell und warf, gleich einem dunklen Edelstein ein Funkeln auf die Erde nieder. Das war am stärksten, wo die Augen des Pferdes seien mußten – dort glänzte es und strahlte im hellsten Lichte. Dann ließ ein Wiehern den Boden erbeben, so laut, als wäre es Gewitterdonner. Und dann zuckten Blitze aus des Schwarzen Augen, stiegen grelle Lichtschimmer zu mir hinunter. In der Ferne sah ich eine Baumgruppe, in die das Licht eingeschlagen war, in Flammen aufgehen. Wie Zunder verbrannten die mächtigen Stämme und vom goldenen Schein des Feuers wurden ihre Kronen verzehrt.
Es schleuderten die Götter ihren Zorn nach mir, doch ich lief unbeirrt weiter. Der feine Sand unter meinen Füßen begann Wunden in selbige zu reißen; Blut lief über den Weg und Blut bedeckte die Stellen, über die ich geschritten. Bald merkte ich, daß der weiche Sand sich in harte und nicht minder scharfe Glasscherben verwandelt hatte. Doch das vor Augen, was mich erwartete und was mein Ziel, mein unabwendbares Ziel war, dem ich mich gerne opfern wollte, ignorierte ich die brennenden Schmerzen und strebte weiter auf diesem Blutwege.
Dann baute sich zu meiner Rechten ein weiteres Wolkentier auf – eine Eule, die auf weißen Schwingen zu den Himmeln flog. Weiß, schneeweiß war ihr ganzes, feines Federkleid, so betörend, von solcher Schönheit, daß es mich staunen machte und bald taumeln ließ. So fiel ich nieder auf den Scherbenweg, mit Wucht und ohne Stütze. Blut drang nun aus allen Teilen meines Körpers, doch hatte ich kein Empfinden darüber, spürte keinen Schmerz, keine Angst, nicht mal den Tod, der immer näher rückte. Seinen Atem hätt’ ich spüren müssen, in meinem Nacken sitzend, einem Mörder gleich, der mich hinterrücks erdolchen will. Doch nichts vermochte mich aus meinem Staunen zu bringen und so hingen meine Augen weiter an dem mächtigen Tier, das das halbe Firmament bedeckte und nach der Sonne zu fliegen schien.
Da bemerkte ich wieder eine Veränderung, die unter meinen Händen und unter meinen Füßen mit dem Wege vonstatten ging. Waren es eben noch tödliche Scherben, die sich in mein Fleisch gruben und mich gänzlich aufwühlten, so war nun ein Meer aus Federn anstelle des Sandes zu sehen. Das Glas war zur Gänze verschwunden und ich lag weich auf einem wunderschönen Federkleid. Da stand ich also wieder auf und rannte weiter den langen Weg entlang, vorbei an den verkohlten Gerippen des gestraften Waldes und vorbei an den anderen Landschaften, den Felsen, den Blumen und welch Gewühl auch sonst noch die Erde bedecken mochte – ich sah es nicht. Blind für die Umgebung, weil mein Herz blind war, oder vielmehr nur das eine sah, das Ziel, das Ziel… So lief ich unermüdlich weiter, ohne Pause, ohne inne zu halten und immer weiter…
…bis ich den Horizont erreicht hatte und am tiefsten Abgrund von allen stand. Hier war die Welt zu Ende und doch war ich nicht am Ziel. Lag es hinter der klaffenden Schlucht oder war es vor mir geflohen?
Mir kaum Zeit lassend, darüber zu sinnieren, durchschnitt ein blendender Blitz den Himmel und durch den neu geschaffenen Riß sprang das schwarze Pferd, das noch eben zu den Sternen wollte, hinaus und stürzte sich auf das Eulentier, das zu langsam war, einem solch wuchtigen Angriff zu entkommen. Der Schwarze rammte seine Hufe in das Federkleid seines Opfers und riß das Fleisch mit seinem Maul in tausend Fetzen.
Da überzog ein Trauerkleid von blutroter Farbe den Himmel und die Sonne fiel in einem tödlichen Abendrot in den bodenlosen Abgrund hinter dem Horizont und ließ mich allein und vergessen ihren Tod beweinen.
Die Abgründe, die man in den Augen derer zu erblicken vermag, ja gezwungen ist, zu schauen, die nur noch aus Fleisch, aus Knochen und Haut, kurz, aus reiner, unbelebter Materie bestehen, sind schwarz, endlos und leer, dergestalt, daß es einem den tödlichen Stich ins Herzen versetzen kann und daß man unweigerlich zusammenkauert, sich duckt vor solchem übergroßem Nichts, in der Hoffnung, den Schrecken so zu übersehen oder wenigstens verdrängen zu können. In diesem lächerlichen Hoffen begriffen, standen so auch die Krankenschwestern und die Ärzte um mein Bett, in dem sie einen Toten, einen, der aufgegeben hatte, zu erkennen glaubten. Weiß Gott, ob sie Erleichterung oder Trauer gespürt hätten – denn die Heftigkeit ihrer Emotionen, das Grausen ob dieses leeren Anblickes, die Konvulsionen ihrer Angst, sie ließen keinen Platz in ihrem Herzen für solch nichtige Gefühlsheuchelei. Nun, im Herzen, dem wärmsten Platze unseres Körpers, dem Zentrum unserer wahren Liebe war ohnehin nie Raum für derlei Scheinheiligkeiten. Als dieses Pack, das jetzt in so ekelhaft gebeugter Haltung den Schrecken, den ich selbst im Tode zu verbreiten schien, nur unter größter Anstrengung ertrug, kam unwillkürlich die ganze Bosheit in mir hervor, die ich die Jahre in mich hinein gefressen.
Und was sie nicht wußten, nicht wissen konnten in ihrer Ignoranz, war, daß ich, in dessen dunklen Abgrund sie blickten, im selben Moment auf sie herabschaute und meiner Gehässigkeit, meiner Häßlichkeit meines Inneren, die Zügel fahren ließ und sie mir so unfreiwillig untergeben mit Worten des Spottes, scharf, zynisch und tödlich, überschüttete und peitschte.
So beschloß ich, dem Hass ein Gesicht zu geben und öffnete so plötzlich, wie es mir nur irgend möglich war, die Augen. Rot ließ ich sie glühen, so daß die Umstehenden glauben mußten, mein Hirn stünde in Flammen. Gleichzeitig begann ich wild zu lachen und freute mich auf die Reaktionen.
Doch die fielen bemerkenswert zurückhaltend aus. Als wollten sie es mir gleich tun, waren ihre Lider derart weit aufgerissen, daß man erwartete, sogleich die Augäpfel hinausfallen zu sehen. Nur das rote Glühen fehlte. Dazu standen ihre Münder sperrangelweit offen, wie um sich die Augen wieder einzuverleiben, sobald sie an den Lippen, aus denen alle Farbe gewichen, vorbeifielen.
Ich tat es ihnen gleich, und ließ, um meinen Triumph über diese Erbärmlichen zum Ausdruck zu bringen, noch einige wohldosierte Feuerzungen aus meinem Rachen schießen. Ha!
Ha! Da fielen die Schwestern auch schon zu Boden und die Doktoren beeilten sich, die Türe zu erreichen und das weite zu suchen.
„Hören sie auf mit dem Unsinn!“ zischte der Arzt, der direkt neben mir am Bett stand. „Kommen sie wieder zur Vernunft.“
Seine Stimme klang nicht so bestimmt, wie es seine Worte erwarten ließen, sondern vielmehr resigniert, als wisse er um die Sinnlosigkeit seines Flehens.
Ich stöhnte bloß und versuchte, meinen Blick auf ihn zu richten, doch ohne mir große Mühe zu geben. Und so mißlang es mir auch, was ich mit einem weiteren Stöhnen kommentierte.
„Sie sollen aufhören!“ raunte der Doktor, diesmal mit etwas mehr Nachdruck. Er stierte mich noch einige Sekunden mehr verwundert als verärgert an, und setzte sich dann auf den ungemütlichen Holzstuhl zur Linken meines Lagers. Als er nach mir fassen wollte, wohl um mir den Puls zu messen, fuhr er leicht über das stinkende Heu meiner Bettstatt, was ihn offenbar zurückschrecken ließ.
„Was…?“
Ein erneutes Stöhnen von meiner Seite machte deutlich, daß ich nicht verstand.
Der Arzt raffte seinen braunen Lederkittel zusammen, nicht ohne dabei gut merklich zu erschrecken, und zerzauste sich die Haare in einem spontanen Anfall, der in mir den Eindruck erweckte, es wäre besser, mit meinem Doktor den Platz zu tauschen.
Langsam stolperte er rückwärts, auf die Glastüre zu, stoppte dann aber abrupt und heftete seinen Blick starr auf die Ecke rechts meines bescheidenen Lagers, die ich aufgrund meiner Lage nicht einsehen konnte. Die Angst in ihm schien sich zur reinen Panik zu steigern und er begann, wirres Zeug von kleinen Gestalten und Kobolden zu faseln. Ohne mich weiter zu beachten, stürzte er sogleich herum und stürmte auf die Glastüre zu. Nur fand er dort keine solche, sondern statt dessen eine schwere Holztüre, die mein trostloses Zimmer verschlossen hielt. Nach kurzem, schockiertem Innehalten, bemühte er sich hektischst, die Türe zu öffnen, was ihm aber nicht gelingen wollte. So wedelte er wieder herum, blickte aus flackernden Augen völlig entsetzt zu seinen Füßen hinunter, brabbelte sodann wieder unverständlich von Kobolden, schüttelte dabei ununterbrochen sein zitterndes Haupt und flog, dem Wahnsinn erlegen, zu einem der winzigen, vergitterten und glaslosen Fenster und ward nie wieder gesehen.
Ich sah den Kobold zwar nicht, doch ich wußte, daß er grinste.
Als ich erwachte, lag ich noch immer auf ekelhaftem, verrottendem Stroh, dessen Gestank mir Tränen in die Augen trieb. So konnte ich nur mit verschwommenem Blicke meine nähere Umgebung mustern.
Die pechschwarze Holztüre nahm den Großteil der Ostwand des Raumes ein, obwohl sie mir nicht besonders groß schien. Die Fensterchen, die sich an der gegenüber liegenden Wand fanden, waren noch kleiner, so daß die Eisenstäbe des Gitters darin riesig wirkten. Immerhin fielen ein paar wenige Lichtstrahlen auf diesem Wege in meine Zelle. Die Wände selbst bestanden aus grobem, unverputztem Stein. Kalt und glänzend ob der Feuchtigkeit, die ihn bedeckte. Ebenso kläglich war der Boden beschaffen. Und außer meinem Strohlager enthielt der Raum keinerlei Einrichtung.
So kam ich denn, sobald sich mein Blick geklärt und ich alles ein zweites Mal hatte beschauen können, zu dem Schluß, daß es sich bei meinem Aufenthaltsort um ein Verlies handeln müsse.
Ich fürchtete schon, im wiederbelebten Kerker der Inquisition gelandet zu sein, als mich schwere Schritte, die von der anderen Seite der Türe herüberdrangen, von meinen abstrusen Gedanken ablenkten. Nachdem der Fremde einige Zeit, die mir beinahe wie ewig vorkam, an dem Schloße hantiert hatte, schwang die Türe auf und ein hagerer Mann von eher kleiner Statur und düsterem Aussehen trat ein. Immerhin kein Dominikaner, dachte ich erleichtert.
Es dauerte eine Weile, die wir zur gegenseitigen Musterung nutzten, bis der seltsame Neuankömmling sich mir näherte. Doch statt mich anzusprechen stellte er nur schnell einen Teller mit einer äußerst kargen Mahlzeit und einen Krug neben meine Bettstatt und wollte sogleich wieder verschwinden. Es schien mir, als habe er Angst vor mir.
„Wo bin ich?“ rief ich ihm mit schwacher Stimme hinterher, bevor er den Raum verlassen hatte. Er ging erst zurück auf den Flur, bevor er sich zu mir umdrehte und mir antwortete. „Im Hôpital général.“ sagte er, schloß die Türe und verschwand.
So saß ich allein in meiner Zelle und döste bis zum Abendrot vor mich hin, darüber sinnierend, wo zum Teufel es mich hinverschlagen hatte.
Doch bleib ich in meiner Einsamkeit nicht lange allein, denn bald nach Sonnenuntergang vernahm ich eine grotesk tönende Musik von der anderen Seite der Mauer, zu deren Füßen ich auf meinem Lager lag. Ein Instrument, das solche Töne erzeugen konnte, war mir absolut nicht bekannt und so lauschte ich angestrengt der Melodie, um vielleicht einen kleinen Hinweis heraushören zu können.
„Nicht schon wieder! Halt ein, halt ein! Meine Ohren bluten ja schon!“ rief kurz darauf eine dunkel grollende Stimme von der anderen Seite der gegenüberliegenden Wand.
Der Musiker auf der einen Seite ließ sich jedoch nicht unterkriegen und reagierte prompt mit einer Lautstärkesteigerung von beträchtlichen Ausmaßen.
„Diese Höllenmusik! Diese Höllenmusik! Ist es dir hier nicht schon in der Stille Qual genug – mußt du uns auch noch mit deinen gräßlichen Mißtönen geißeln?“ jammerte der andere.
„Sie befreit! Sie befreit!“ antwortete der eine, ohne sein Spiel zu unterbrechen.
„Ach weh, sie befreit! Schmilzt sie die Gitterstäbe, bricht sie das Eisen, entzweit sie die Türe?“
„Sie befreit den Geist, du Banause! Den Geist!“ entgegnete der Musikus in fröhlichem Singsang.
„Was nützt dir ein freier Geist, wenn diesem der Verstand fehlt?“ fragte der andere, halb lachend, halb in mitleidsvollem Ton.
„Ach, erwähne diesen nicht, diesen Verräter!“ war die Antwort, trotzig mit einer gallopierenden Melodielinie unterstützt.
„Er hat uns nicht verraten, er hat uns verkauft! Und für dich kann er keinen guten Preis erzielt haben!“
„Und trotzdem sitze ich hier und kann gegen die Finsternis musizieren, der du dich so bereitwillig ergibst!“ Und wieder ein Auf und Ab der seltsamsten Töne.
„Streitet nicht, Brüder!“ drang da eine leise Stimme von der anderen Seite des, vor der Türe gelegenen, Ganges zwischen die beiden Streithähne. „Was dem einen die Sonne, ist dem anderen der Mond. Sehen können wir trotzdem alle nicht!“
„Ach, sei du still mit deinen Weisheiten, Bettelmönch!“ rief der andere und „Ruhe, ich brauche Konzentration!“ der eine.
Ohne recht zu wissen, was um mich herum geschah, ergriff ich die Gelegenheit und rief lauthals in die Leere.
„Könnt ihr mir sagen, wo ich hier bin?“
Nichts. Für lange Minuten herrschte völlige Stille. Nicht mal ein Zirpen einer Grille oder das Rascheln eines Blattes, traute sich, dies Schweigen zu unterbrechen.
Dann jedoch drang die Stimme des fernsten der Mitinsassen an mein Ohr. „Im Hôpital général.“
Dies gehört, regte es sich gegenüber von mir hinter der Mauer. „Im Kerker! Gefangen bist du und den Himmel siehst du nimmermehr!“
„Schwarzseher! Ewiger Schwarzseher!“ protestierte der eine, der hinter mir in der Zelle lag.
„Ha, er ist der Engel unter uns! Wo sind wir denn, so sag es mir, wo sind wir denn?“ schrie der andere aus voller Kehle, so daß es unzweifelhaft das ganze Haus hören mußte.
„Auf dem Narrenschiff! Auf dem Narrenschiff!“ frohlockte der Musikus in ekstatischem Tonfall. „Auf dem Nachenschiff!“
„Ein steinernes Schiff, oh Gott, ein steinernes Schiff! Und die Schwärze, die uns umgibt, ist in Wahrheit das Wasser, daß uns den Atem abschneidet.“
„Schwarzseher! Ewiger Schwarzseher!“ Ohne weiteren Kommentar begann er wieder das Musizieren und die groteske Melodie erfüllte sogleich die Luft.
„Nicht schon wieder! Nicht schon wieder diese schreckliche Kakophonie!“ heulte der andere.
„Symphonie! Eine Symphonie! Meine Symphonie! Wunderschöne Symphonie!“ ereiferte sich der eine.
„Polyphonie!“ flüsterte der dritte, ganz leise, fast stimmlos, aber doch gut vernehmbar.
Das Grinsen des Koboldes, der noch immer in seiner Ecke stand, wurde derweil breiter und breiter. Er hatte gewonnen.