Die Wüste
Geht man in die Wüste, so nimmt man ausreichend Wasser mit. Hat man nicht ausreichend Wasser, so kann einem das Wandern sehr schwer fallen. In jedem Fall sollte man nicht länger als zwei Tage unterwegs sein. Gottverdammt, schon zwei Tage. Henry sah sich um. Er sah nichts anderes als Sand. Überall Sand. Henry konzentrierte sich aufs Gehen. Ein Schritt nachdem anderen und noch einen Schritt. Er fuhr mit seiner Zunge über seine spröden Lippen. Es fühlte sich wie grobes Schleifpapier an. Wichtig ist, dass man für ausreichend Flüssigkeit sorgt. Anderenfalls besteht die Gefahr.... Scheiß auf die Gefahr. Ich bin tot, dachte Henry. Wieso mußte auch dieses bescheuerte Kamel schlapp machen. Vor seinen Augen flimmerte in weiter Ferne in beruhigenden sanften Wellen der Horizont. Wasser. Wenn er nicht auf der Stelle Wasser bekam, würde er ausrasten. Er würde ausrasten oder sterben. Vermutlich Zweiteres. Konzentrier dich auf deine Schritte. Einen und noch einen. Seine Knie gaben nach. Henry war umgeben von heißem Sand. Die Strahlen der glühendheißen Sonne brannten sich in seine Netzhaut. Ja, lach mich aus, du verfluchtes Monster. Du kriegst mich nicht.
Wenn man heiratet, sollte man wissen, wen man heiratet. Wenn man es nicht weiß, dann sollte man...sie umbringen...alle umbringen....und in die Wüste flüchten. Klasse Idee. Henrys ausgelaugter Körper wand sich zur Seite.
Ihr Haar schimmerte seidig und weich. Ihre angenehme Stimme schmeichelte ihm mit warmen weichen Worten: „Du bist alles für mich. Du bist die ideale Ergänzung für mein Leben. Ein richtig dicker Fisch, den ich mir nicht vom Haken nehmen lasse.“ Fisch?, hatte er sich damals gefragt. Ich bin ein dicker Fisch. Er wollte gehen, wollte ihr sagen, dass er es nicht wollte. Sie war nicht sein Typ und überhaupt. Aber, es wurde ihm in dem Augenblick einerlei, als sie seinen Schwanz in ihren Mund hatte. Aus und vorbei. Kein Gedanke, nicht der Hauch eines Widerstandes. Sie lutschte und saugte ihm seinen Verstand aus seinem Gehirn. Er war ihr hoffnungslos ausgeliefert. Hör´ auf wollte er ihr noch sagen. Tu´ es nicht. Aber sie hörte nicht auf und alles was er von sich geben konnte war erregtes Schnaufen, Stöhnen und Beißen, Lutschen, Kneifen und Beißen.
Als sich die Erregung gelegt hatte, waren sie plötzlich da. Über Nacht hatten sie von ihm Besitz ergriffen. Sie hatten ihn überfallen und belagert und bestimmten von nun an seinen Tagesablauf – Bestien.
Aber ihr bekommt mich nicht. Und du Ungeheuer bekommst mich auch nicht. Henry funkelte böse die Sonne an, rappelte sich wieder hoch und ging weiter. Immer nur an den nächsten Schritt denken. Jeder nächste Schritt ist ein Schritt aus dieser Hölle. Wenn du vorhast in die Wüste zu gehen, denk an Insektenspray. Diese kleinen Monster fressen dich bei lebendigem Leibe. Sie kommen zu tausenden und nehmen immer nur ein winzig kleines Stück von dir mit. Nur einen winzigen Tropfen und irgendwann bist du ausgesaugt.
Henry spürte, wie ein besonders dicker Blutsauger an seinem Bein hochkrabbelte. Er sah hinunter zu seinen in einer abgerissenen Jeans befindlichen haarigen Beinen und entdeckte dieses kleine Scheusal. Wäre er nicht schon halbtot, hätte sein Herz vor lauter Schrecken ausgesetzt. Der Schwanz eines auf seinem Schuh sitzenden schwarzen Skorpions streichelte seine Wadenhaare. Henry blieb stehen und betrachtete es aufmerksam ohne Angst. Was sollte ihm schon passieren. Er beugte sich herab und wischte ihn mit einer Handbewegung vom Fuß. Der Skorpion landete rücklings 2 Meter weiter im Sand, wendete sich und flitzte wieder auf ihn zu. Henry blieb stehen und wartete ab, was passierte. Der Skorpion kletterte wieder auf seinen Fuß. Noch zweimal schlug Henry den Skorpion von seinem Fuß. Als der Skorpion auch beim Drittenmal auf seinen Fuß flitzte, ließ Henry ihn gewähren. Ihm war nicht der Sinn danach ihn zu zertreten und weitere Energie wollte er mit dem Skorpion-Weitwurf auch nicht verschwenden. Wenn es sein Schicksal war, dann würde es ihn töten. Na und.
„Wartest du auf den Tod?“ fragte Henry. Doch King, wie Henry den Skorpion nannte, antwortete nicht. „Er wird nicht kommen. Darauf kannst du einen lassen.“ King beschäftigte sich mit dem Wirrwarr seiner Beinhaare.
„Weißt du wieso nicht? Willst du es gar nicht wissen? Ich gehöre zu den Menschen, die nicht einfach so sterben, nur weil sie in einer gottverdammten Hölle gelandet sind. Ich...werde...nicht...sterben“ Die letzten Worte, die er hinausbrüllte, verhallten im Nirgendwo.
King beendete seine Beschäftigung und verharrte reglos auf Henrys Fuß.
Die Kraft der Sonne war jetzt am stärksten. Die Strahlen bohrten sich in jeden Zentimeter Haut. Obgleich er mit einem Tuch den größten Teil abdecken konnte, fanden die Strahlen ihren Weg und verschmorten große Teile von seinem Gesicht.
Anfangs waren die Biester niedlich und klein. Sie machten Dreck und benutztens sirenenartiges Geschrei, wenn es nicht nach ihrer Nase ging. Als sie den Weg aus den Windeln fanden, wurden sie mit zunehmendem Maße Einnehmend und Fordernd. Sie kümmerte sich mit aller Kraft um deren Bedürfnisse, doch es war niemals genug. Teures Spielzeug war in Nullkommanix zu Kleinholz verarbeitet und Teure Markenklamotten wurden eine Woche später zur Altkleidersammlung erklärt. Es gab nichts, was man tun konnte, um deren Anerkennung zu erhalten. Aber schlimmer noch als diese Unzufriedenheit, war der Frust, der an ihm nagte, weil sie nicht mehr wollte, oder konnte. Sie, die sowieso nicht sein Typ war und was er jetzt erst begriff.
Wenn du in die Wüste gehst, vergiß nicht dein Deodorant, denn der beißende Geruch des eigenen Todes ist unwiderstehlich. King krabbelte auf den leblosen Körper, durchforstete jede Lücke und hielt auf seinem Arm an.
Nur schwach hebte und senkte sich der Oberkörper. „Ich lebe noch!“ hauchte er. „Ihr kriegt mich nicht.“
Die sandige Landschaft flimmerte vor seinen Augen, verformte sich zu einem riesigen Ball, der auf und ab sprang. Wie ein Jojo hüpfte und sprang es vor seinen Augen. Kinderstimmen sangen im Hintergrund ein schauriges Kinderlied und sie näherte sich ihm und säuselte ihm warme, weiche Worte ins Ohr. „Du hast mir gefehlt. Deine Kinder brauchen dich. Wieso hast du uns getötet? Liebst du uns nicht mehr?“
Dann zerplatzte der Ballon und machte einer Leere platz, die ihn völlig umgab.
Ein Raunen ging durch den Saal. Der ehrwürdige Priester blickte ihn durchdringend an. Verzweiflung war in ihren Augen zu sehen. Sie wollte ihm die Augen auskratzen. Ron stubste ihn mit dem Ellenbogen an doch er reagierte nicht. Dann klärte sich sein Blick. Er räusperte sich und schluckte einen riesigen Klos herunter. Sein Durst war unglaublich groß. Hilflos sah er sich um. Abermals stubste ihn Ron an. Sie war den Tränen nahe.
Der Priester räusperte sich und mit quietschender Stimme fragte er: „Wollen Sie Margret zu ihrer rechtmäßigen Frau machen, so antworten Sie mit: ja.“
Wenn du in die Wüste gehst, brauchst du keine Zahnbürste, denn Küssen will dich dann eh keiner mehr.
[ 21.05.2002, 16:07: Beitrag editiert von: André ]