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Die Visualisierung der Hortense

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29.01.2010
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Die Visualisierung der Hortense

Anton Buntschuh hatte von Hortense ein Foto gemacht, wie sie da entseelt im Sarg lag. Sie wirkte bleich, doch lieblich anzusehen, wie schlafend. Jäh war ihm ihr Abgang gewesen, trotz ihres Herzfehlers. Professor Hofmeister, bei dem sie in Behandlung war, hatte ihre Situation nicht als akut eingeschätzt. Auf der Warteliste für Spenderherzen stand sie im mittleren Rang. Da niemand zugegen gewesen war als sie verstarb, wusste man nicht, ob sie etwas erschreckte, sie sich erregte oder einfach ein motorisches Aussetzen des Herzens eintrat.

Toni, wie sie ihn liebevoll genannt hatte, steckte den Schlüssel ins Türschloss und trat ein. Hortense wird mir nie mehr entgegentreten, mich mit einem zärtlichen Kuss begrüssen und den Mantel abnehmen. Erst vor neun Monaten waren sie in die gemeinsame Wohnung eingezogen, hatten den Hausrat aus zwei Haushalten auf die neuen Verhältnisse angepasst. Das Schlafzimmer hatten sie neu gekauft. Sie liebte Pastellfarben, was auch zu ihren hellblauen Augen und den strohblonden Haaren passte. So waren Vorhänge und Bettüberzüge in zarten Tönen gehalten. Das Wohnzimmer war modern getrimmt, Buntschuh leistete es sich seinerzeit. Ein Sofa aus weissem Leder, das bequem für acht Personen Platz bot. Bilder und Teppiche aufeinander abgestimmt in fröhlichen Farben. Die Kücheneinrichtung brachte Hortense ein, sie liebte es zu kochen und benötigte hierfür alle möglichen Utensilien, aber auch ein grosses Sortiment an Gewürzen und Kräutern.
Am Begräbnis waren drei Verwandte von ihr erschienen, keine Nächsten, solche hatte sie nicht mehr. Von seiner Seite kamen die Eltern, dazu gesellten sich noch die wenigen Freunde. Er hatte die Zeremonie wie in einem unwirklichen Traum wahrgenommen, wie in Trance war er am Grab gestanden, nicht mit dem Gefühl, das Hortense hier zur letzten Ruhe gebettet wurde. So blieben ihm denn die Tränen aus.

Das Acrylbild von Hortense, das der Maler Ignatius Nagel angefertigt hatte, hängte er im Schlafzimmer auf. Als Vorlage diente das letzte Foto, das Buntschuh von Hortense machte. Zwei Monate war es nun her seit der Beerdigung. Vom Bett aus sah er direkt auf sie. So würde sie ihm auch künftig stets zugegen sein.

Als er mitten in der Nacht aufwachte, vernahm er den ruhigen Atem von Hortense. Beruhigt legte er sich auf die andere Körperseite und schloss wieder die Augen. Der Schlaf wollte ihn bereits wieder übermannen, als der Gedanke ihn jäh hellwach werden liess. Hortense! Er horchte, da war ihr Atem. Sein Herzschlag drohte auszusetzen. Buntschuh knipste das Licht an und blickte neben sich, das Bett war unberührt. Das Bild an der Wand zeigte Hortense mit geschlossenen Augen. Er horchte, da waren Atemgeräusche. In der ganzen Wohnung fand er nichts, das hierfür eine Erklärung geben könnte. Wieder horchte er, die Atemgeräusche waren da, nicht sehr laut, aber doch wahrnehmbar. Ganz so wie Hortense klang, wenn sie ruhig schlief. Das Geräusch muss aus der Wohnung darüber oder darunter kommen. Schlaf fand er keinen mehr, da das Atemgeräusch ihn im Bann hielt.
Am Morgen stand er frühzeitig auf. Ich kann ebenso gut zur Arbeit gehen statt wach zu liegen. Als er zur Haltestelle der Strassenbahn kam, fuhr diese eben an. Gleichgültig schaute er in die vorbeiziehenden Fenster, dort sassen schon die ersten Passagiere. Eine der Personen schaute ihn an und hob die Hand zum Gruss. Hortense. Es war Hortense. Unverkennbar ihr strohblondes, lockiges Haar. Über dem Gesicht lag zwar ein Schatten, aber sie war es. Buntschuh brach kalter Schweiss aus. Unmöglich, es muss jemand sein den ich mit Hortense verwechselte. Galt der Gruss wirklich mir? Er sah sich um, doch andere Leute kamen da erst vereinzelt heranspaziert, um auf die nächste Strassenbahn zu warten.

In der nächsten Nacht verschloss Buntschuh die Ohren mit Gehörschutzpfropfen, um nicht auf die Atemgeräusche der Nachbarn zu achten. Im Traum erlebte er sich am Begräbnis, diesmal rannen ihm die Tränen, wie er den Strauss blutroter Rosen auf den Sarg legte, bevor er abgesenkt wurde. Er erwachte, da etwas leicht auf seine Brust drückte. Hortense hatte ihre Hand im Schlaf auf ihn gelegt. Es fühlt sich gut an, sie zu spüren. Er schaute auf die Uhr, zehn nach fünf zeigte die rot leuchtende Digitaluhr. Vorsichtig liess er eine Hand über die Bettdecke gleiten, dahin wo ihre Hand liegen musste. Nichts. Er konnte nichts finden das ihn drückte, und doch nahm er es wahr. Mit der anderen Hand tastete er nun vorsichtig auf die andere Bettseite. Nichts, Hortenses Körper war nicht zugegen. Er nahm die Ohrenpfropfen heraus, da war das Atemgeräusch klar vernehmbar. Er setzte sich auf, versuchte etwas zu erkennen. Ein leichter Lichtschimmer von draussen ermöglichte, die Dinge schemenhaft zu erkennen. Hortense lag neben ihm.
«Kannst du nicht schlafen, Toni?» Ihre Stimme klang schlaftrunken.
«Schlaf nur ruhig weiter, Hortense», bemerkte er mit zittriger Stimme. Angst beherrschte ihn, sie könnte sich wieder in Nichts auflösen oder er müsste erkennen, dass er verrückt wurde.
Der Bettteil neben ihm sah am Morgen unberührt aus, einzig seine tastende Hand vermeinte eine leichte Ausbuchtung im Kissen zu fühlen.
Diesmal ging er zur ordentlichen Zeit zur Arbeit. An der Haltestelle und in der Strassenbahn bemerkte er nichts, das ihn beunruhigte. In der Innenstadt, zwei Stationen, bevor er aussteigen musste, sah er von hinten eine Frau mit blonden Haaren auf dem Trottoir gehen. Im Vorbeifahren sah er sich zu ihr um. Hortense. Es ist Hortense. Den hellblauen Mantel kenne ich zwar nicht, aber es ist ihr Gesicht. An der nächsten Station stieg er aus, die Strecke eilig zurückgehend, ihr entgegen. Doch er kam zu dem Punkt, an dem er sie sah, ohne dass sie ihm begegnete. Wahrscheinlich betrat sie eines dieser Häuser. Er sah sich um, es waren Ladengeschäfte, Kaufhäuser und über hundert Meter verteilt drei Restaurants. Er schaute sich in den Lokalen um und besuchte die andern Geschäfte, als sie öffneten. Seine intensive Suche blieb ergebnislos. In den nächsten Tagen legte er sich zeitig auf die Lauer. Hortense begegnete ihm nicht.

Da solche Vorkommnisse immer wieder auftraten, die ihn an sich selbst zweifeln liessen, suchte er das Gespräch mit Pfarrer Grob. Dieser hatte die Grabrede für Hortense gehalten. Religiös war Buntschuh nicht, doch wusste er nicht an wen er sich sonst wenden sollte.
«Diese Visionen sind eine Folgeerscheinung des Schmerzes, der Trauer, die der Tod von Hortense bei Ihnen auslöst. Trauer ist wichtig und notwendig, aber bei Ihnen ist sie fehlgeleitet. Es muss ein Ablösungsprozess sein und nicht ein Festhalten. Sie müssen willentlich den körperlichen Tod von Hortense akzeptieren, dann werden keine solch imaginären Vorstellungen mehr auftreten», sagte Grob.
«Aber ich akzeptiere doch, dass Hortense gestorben ist. Es tut zwar weh, aber ich bin mir der Realität durchaus bewusst. Ich sah sie auf dem Totenbett. Ich habe sie beerdigt. Und dennoch …»
«Hm. Es gibt natürlich viele Dinge, die man nicht rational deuten kann. Der Glaube ist hierfür ein gutes Werkzeug damit umzugehen, um nicht an solchen Ungewissheiten zu verzweifeln. Ich empfehle Ihnen in diesem Fall eine Meditationswoche in einem Kloster, das auch Gäste aufnimmt. Ich notiere Ihnen die Adresse.»

Buntschuh begegnete Hortense in der klösterlichen Abgeschiedenheit nie. Der Schlaf und die Ruhe vor Ort liessen seinen Geist sich wieder erfrischen und klar denken. Es muss wirklich die Trauer und die zunehmende Erschöpfung gewesen sein, die mich einen solchen Unfug fantasieren liess. Ganz leidlos war es für ihn dennoch nicht. Von der ungewohnten Sitzstellung schmerzten ihn die Hüft- und Kniegelenke nachhaltig. Mit einem der Mönche, Bruder Notker, hatte er auch ein sehr gutes Gespräch über seine Situation. Dieser erläuterte ihm sowohl geistliche Thesen als auch psychische Gründe, die zu solchen Wahrnehmungen führen können. Aber vor allem gab er ihm Hoffnung, dass er sich davon lösen und das Bild von Hortense einzig im Herzen bewahren könne.
Notker meinte, «Sie müssen sich dem Prozess stellen und mutig gegen diese Erscheinung antreten. Es sei denn, Hortense ist eine Heilige», diese Hintertür liess er sich offen. «Aufgrund Ihrer Schilderungen über Hortenses Leben sehe ich aber keinerlei Anzeichen dafür. Sie müsste schon sehr viel Mildtätiges und Wundersames bewirkt haben, um dieser Gnade unterworfen zu werden. Da wir dies ausschliessen, müssen wir die Erscheinung als bösen Geist erkennen, den es zu vertreiben gilt. Doch sie machen ja schon recht gute Fortschritte. Vielleicht erzeugte ihr in sich gehen auch bereits ausreichende Wirkung.»

In der ersten Nacht zu Hause schreckte Buntschuh nach einer Stunde Schlaf auf. Hortense hatte laut und deutlich gestöhnt.
«Hast du Schmerzen, Hortense?», fragte er besorgt, die Hand nach ihr ausstreckend. Doch fühlen konnte er sie nicht.
«Mein Herz hatte einen Aussetzer. Ich habe geträumt, dass du mich mich verlassen würdest. Da spürte ich einen scharfen Stich im Herz. Aber es ist wieder vorbei, es war nur ein Traum. Schlafe nur weiter, Toni.»
Er machte das Licht an. Ihre Stimme war klar verständlich gewesen, direkt neben ihm. Doch da war nichts. Die frühere Vitalität, welche ihn bis vor dem Zubettgehen beherrschte, war völlig verschwunden. Er fühlte sich wieder elend. Bin ich doch verrückt?
Die Worte von Notker über die psychischen Fehlleistungen beunruhigten ihn nun zutiefst. Gibt es wirklich Übernatürliches, das mir wie einem Medium zugänglich ist? Nein, Unsinn, dies ist Aberglauben! Doch wenn es Einbildung ist, bin ich krank. Das kann nicht sein, denn ich denke nach wie vor logisch. Notker wollte mir wohl nur nicht direkt sagen, dass er selbst nicht weiter wusste. Natürlich, deshalb wollte er mir eine Krankheit suggerieren.
«Lieber würde ich sterben als geisteskrank zu werden», sprach er mit zornigen Worten zum Bild von Hortense. Über seine Heftigkeit erschrak er. «Verzeih, du kannst ja nichts dafür. Aber ich halte es so nicht mehr aus. Deine Gegenwart quält mich, obwohl ich dich liebe. Dieser Zustand ist furchtbar und bringt mich um den Verstand. Es wäre mir einfacher, mit dir im Tod vereint zu sein. Ich halte es nicht mehr aus.» Er begann, hemmungslos zu schluchzen.
In der Nacht fand er keinen Schlaf mehr, sodass er sich am Morgen elend fühlte. Mitschuldig war sicher auch das Licht, das er brennen liess, der Meinung, so die Erscheinung von Hortense zu verhindern. An diesem Tag blieb er zu Hause, war aber von einer Unrast getrieben, da er stets die Erscheinung von Hortense befürchtete.
Gegen Mittag legte er sich übermüdet auf das Bett, sein Blick fiel auf das Bild von Hortense. Sie sah so friedlich aus, schlafend. Er wollte eben seine Augen schliessen, als er ein Blinzeln ihrer Augenlider wahrnahm. Er starrte genau hin, den Blick fixierend. Nein es ist nichts, wohl eine Sinnestäuschung, die mir der Schlafentzug verursacht. Die Lider fielen ihm zu, einen Moment später sie wieder aufreissend. Hortense sah ihn an. Ihre blauen Augen waren fest auf ihn gerichtet. Er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden, als ob sie ihn hypnotisieren würde. «Ich warte auf dich Toni.» Ihre Worte klangen lieblich, beinahe lockend.
In seinen tränenfeuchten Augen bildete sich ein Schleier, was ihn reflexartig veranlasste, sie kurz zu reiben. Er sah wieder klarer. Fassungslos das Bild fixierend. Hortenses Ebenbild präsentierte sich, wie Nagel es gemalt hatte. Lieblich mit geschlossenen Augen. Weinend wandte er sich ab. Seine Wahrnehmung war gestört, anders konnte er es sich nicht mehr erklären.

Nach zwei Tagen fand er die Kraft sich aufzuraffen, noch einmal ins Kloster zu fahren, dem Ort an dem ihm die Visualisierung von Hortense nicht erschienen war. Bruder Notker erklärte sich bereit mit ihm einen Versuch durchzuführen, diese hartnäckige Erscheinung zu überwinden. Eine imaginative Übung, ähnlich dem katathymen Bilderleben, bei der er Hortense noch einmal begegnen und diesmal ihr Sterben miterleben würde.
Er war vorzeitig nach Hause gekommen, da ihm an diesem Tag nicht so gut war. Gleichgewichtsstörungen, für die er keine Erklärung hatte, erzeugten Unruhe und beinahe Angst. Hortense kümmerte sich liebevoll um ihn, während er sich niederlegte. Der Schwindel in seinem Kopf beruhigte sich etwas, nachdem er von einem ihrer Kräutertees getrunken hatte. Hortense legte sich neben ihn seine Hand haltend. Ein gutes Gefühl.
Ein leichtes Zucken ihrer Finger liess ihn aufmerken. Wie Blitzeinschläge fühlte es sich an, in ein eigentliches Gewitter übergehend. Instinktiv entzog er ihr seine Hand und sah sie an. Ihre Augen hatten sich stark geweitet, sie bäumte sich auf, ins Kissen zurückfallend blieb sie reglos liegen. Die Augen halb geöffnet mit einer eigenartigen Starre in ihrem Blick. Es brauchte eine Weile, bis er realisierte, dass sie tot war, ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Er war schweissgebadet. Notker, welcher neben ihm auf einem Stuhl sass, befahl ihm liegen zu bleiben, nicht zu sprechen und tief durchzuatmen, wie er es bei der Meditation gelernt hatte.
Notker hob erst nach gut einer Stunde, in der er ihn aufmerksam beobachtete, das Schweigen auf. Nun durfte Buntschuh seine unmittelbare Erfahrung über das Sterben von Hortense und seine Gefühle dabei schildern, unterbrochen durch aufgewühltes Schluchzen. Bruder Notker führte ein ausführliches Gespräch mit ihm, das ihm wieder Hoffnung gab, doch nicht verrückt zu sein.

Beim Abschied überreichte ihm Notker drei Kuverts die Anweisungen für ihn enthielten, wenn Hortense ihm doch wieder erscheinen sollte. Diese müsse er strikt befolgen, auch wenn es ihm schwerfalle. Aber er dürfe immer nur eines öffnen und müsse die Wirkung abwarten. Sollte es doch erforderlich werden, erst dann das nächste Kuvert öffnen. Wenn kein Bedarf entstand, eines oder nicht alle der Kuverts einzusehen, müsste er die Verbleibenden nach drei Monaten vernichten, ohne sie einzusehen.

Bereits zwölf Tage und Nächte war ihm die Erscheinung von Hortense schon ausgeblieben. Er ging wieder seiner Arbeit nach und begann auch wieder seine Freizeit zu gestalten. Auf dem Rückweg vom Squash, wo er sich körperlich voll verausgabt hatte, fühlte er sich wieder wie früher. Die Normalität war wieder eingekehrt. Seine Heiterkeit, die Hortense an ihm liebte, schien sich auch wieder einzustellen.
Als er sich seinem Wohnhaus näherte, sah er aus einiger Entfernung eine Gestalt auf die Haustür zugehen. Im Dämmerlicht konnte er sie nicht genau erkennen, aber er vermeinte, vom Körperbau her eine Ähnlichkeit mit Hortense wahrzunehmen. Er blieb stehen und wartete ab. Im dritten Stock, in seiner Wohnung, ging das Licht an. Es muss Hortense sein. Einen Moment sah er sie schattengleich an einem der Fenster vorübergehen. Spielt mir jemand einen bösen Streich? Jetzt will ich es wissen. Schnell eilte er die Treppen hoch und öffnete die Wohnungstür. Alles war dunkel. Bei der Durchsuchung der Wohnung war keine Spur zu finden, dass jemand Unbefugtes anwesend gewesen wäre. Erschöpft setzte er sich in einen Sessel, keines klaren Gedankens mehr fähig.

Erst nach zehn Nächten spürte er die Anwesenheit von Hortense wieder. Er erwachte, da er in der Küche ein Geräusch hörte. Ein Lichtschimmer fiel durch einen Spalt der Schlafzimmertür. Es konnte nur Hortense sein, doch diesmal hatte er Angst, nackte Angst. Er zog sich die Decke über den Kopf, glaubte aber bald darunter zu ersticken. Sie war noch immer in der Küche. Seinen ganzen Mut zusammennehmend rief er: «Hortense?»
«Ich bin in der Küche, Toni. Ich mache mir einen Baldriantee, da ich nicht schlafen kann. Schlaf ruhig weiter. Oder möchtest du auch einen?
«Nein danke Hortense, ich schlafe weiter.»
Die Vorstellung ihr zu begegnen steigerte seine Angst noch mehr. Nein, das ertrage ich nicht mehr. Ich stelle mich schlafend.
Er horchte, der Löffel in der Tasse klirrte leicht. Ihr Tee musste fertig sein. Es dauerte eine Weile, dann ihre Schritte, die Tür schloss sich. Als sie sich ins Bett legte, federte die Matratze spürbar. Sie ist kein Geist, dann hätte sie ja kein Gewicht.
Am Morgen fühlte er sich erschöpft, keinen Moment hatte er geschlafen, vielleicht mal etwas gedöst. Vorsichtig schielte er neben sich. Das Bett sah unberührt aus. Auf dem Bild sah sie friedlich schlafend aus.

Er nahm das Kuvert hervor auf dem gross eine Eins geschrieben stand und riss es auf. Einzig ein Zettel war darin auf den Notker notiert hatte: «Gemälde von Hortense an den Maler zurückgeben.»
Er stöhnte auf. Ausgerechnet das Gemälde, das mir Hortense noch nahe sein lässt. Er stutzte über seinen schmerzlichen Gedanken. Denkt Notker etwa, die Erscheinungen stehen im Zusammenhang mit dem Bild? Das ist doch Unsinn.
Ich habe keine Wahl, ich muss Notker vertrauen und mein Versprechen halten. Dieser Wahnsinn muss ein Ende finden.

Nagel war sehr ungehalten, ja direkt beleidigt, als er bei ihm vorsprach, das Gemälde unter dem Arm.
«Ich habe noch nie ein Gemälde zurückgenommen. Hier handelt es sich zudem um ein Auftragswerk. Was soll das?»
Buntschuh sah keine andere Möglichkeit, als ihm sein Motiv zu erklären, da gutes Zureden nichts nutzte.
Nagel lachte schallend, als ob er einen köstlichen Witz gehört hätte. Dann schüttelte er den Kopf.
«Verkaufen Sie es meinetwegen einer Galerie, wenn Sie sich davor fürchten. Ich will es nicht.»
Da Buntschuh sich weigerte mit dem Bild wieder wegzugehen, kam es zu einer längeren Auseinandersetzung. Nagel übernahm letztlich das Bild ohne Gegenleistung.
Als er aus dem Atelier kam, sah er eine Frau mit blonden Haaren, die auf der andern Strassenseite stand und zu ihm herüberschaute. Aus der Entfernung konnte er es nicht mit Sicherheit sagen, aber er war der Meinung, es sei Hortense. Einen Moment überlegte er auf sie zuzugehen, doch dann ergriff er spontan die Flucht in die andere Richtung. Er war das Bild losgeworden, wie ihm geheissen wurde, also sollte sie ihn in Ruhe lassen.

Fünf Nächte und Tage blieb die Erscheinung von Hortense schon aus, sodass die Hoffnung, es sei, geglückt, sich festigte. Doch in der sechsten Nacht geschah es.
«Du hast mich weggegeben, unsere Liebe weggeworfen.» Ihre Stimme war schneidend scharf, sie stand vor der Wand, an der das Bild gehangen hatte. In der Diele brannte Licht, die Schlafzimmertür war offen, sodass er sie gut erkennen konnte. Sie hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. So hatte er sie noch nie sprechen gehört, er hatte überhaupt noch nie erlebt, dass sie böse war.
«Hortense, ich wollte dies nicht. Nein, ich liebe dich doch, aber was soll ich denn machen. Ich kann nicht mehr.» Er fühlte sich, als ob der Druck, den er zunehmend verspürt hatte, nun geballt auf ihn niederging.
«So nicht», schrie Hortense, «ich gebe dich nicht frei.» Mit schnellen Schritten ging sie hinaus und schlug die Tür mit aller Wucht hinter sich zu.
Buntschuh brauchte zwei Tage, bis er sich wieder in der Lage fühlte, das Bett zu verlassen. Der Auftritt von Hortense hatte ihm übel mitgespielt. Seither litt er an Albträumen, in denen sie ihm erschien. Er suchte das zweite Kuvert von Notker hervor und las dessen Anweisung.
«Holen sie das Gemälde von Hortense zurück und verbrennen Sie es. Die Asche verstreuen Sie dann in die vier Himmelsrichtungen.»
Das ist ja noch viel schrecklicher, als das erste Ansinnen. Notker musste dieses Vorgehen einem mittelalterlichen Werk über die Teufelsaustreibung entnommen haben. Hortense verbrennen wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen, das kann ich nicht. Er legte sich ins Bett und fiel in eine Apathie. Irgendwann musste er in den Schlaf gefallen sein, denn er erlebte in einem Albtraum, wie Hortense auf einem brennenden Scheiterhaufen stand und fürchterlich schrie.
«Toni, was tust du mir an. Befreie mich, bitte befreie mich.» Schweissgebadet wachte er auf, draussen war Tag.

Lange rang er mit sich, nahe daran sich selbst umzubringen, da er meinte, diesen Zustand nicht mehr auszuhalten. Das Gemälde ist nicht Hortense, ich muss es tun.
Nagel rückte das Bild erst wieder heraus, als er bereit war, den doppelten Preis des ursprünglichen Wertes zu zahlen, obwohl er es ihm kostenlos zurückgegeben hatte. Er habe einen Käufer dafür, war seine Begründung.
Buntschuh fuhr mit dem Bild in einen Wald, wo er einen Picknickplatz mit Feuerstelle kannte. Er wagte nicht, das Bild nochmals anzusehen, in Hortenses Gesicht zu blicken. Als er es anzündete, begann sich die Leinwand zu quellen und zu winden, als ob sie belebt sei. Alsbald schlugen die Flammen mit grossen Feuerzungen über die Fläche, schwarzer Rauch quoll gegen den Himmel. In seiner Erinnerung an den Albtraum sah er wie Hortense auf dem Scheiterhaufen stand und schrie. Er hielt sich die Ohren zu und schloss die Augen, sich von der Feuerstelle abwendend. Nach einiger Zeit wandte er den Kopf und blinzelte. Es war nur noch Asche vorhanden, letzte Rauchkringel erhoben sich daraus. Buntschuh starrte lange auf die Überbleibsel von Leinwand und Holzrahmen, bis er sich aufraffte, die Asche in die Hand zu nehmen. Wie ihn Notker geheissen hatte, zerstreute er sie in die vier Himmelsrichtungen. Der leichte Wind liess einen Aschenregen über in ergehen.

Ein Monat ging vorbei, in dem Buntschuh unter der Angst litt, Hortense könne doch wieder erscheinen. Der zweite Monat verlief ebenso, bald könnte er die Tage zählen, bis der dritte Monat vollendet war. Nach Notker wäre dies ein gültiger Massstab, dass er befreit war.
Einen Tag vor Ablaufs des dritten Monats ohne Hortenses Erscheinung, war er überzeugt, es geschafft zu haben. Endlich! Da war noch das dritte Kuvert von Notker, das er vernichten sollte. Er hielt es in der Hand, es schien ihm besonders gewichtig, da er sich nicht vorstellen konnte, was nach der Verbrennung des Gemäldes noch hätte folgen können. Notker hatte es ihm verboten, es zu öffnen, wenn kein Bedarf mehr dafür bestand. Nein, den habe ich nun nicht mehr. Er lachte, erst zaghaft, dann zunehmend fröhlich. Das erste Lachen seit Monaten, er fühlte sich befreit, frei wie noch nie. Das Kuvert erschien ihm jetzt bedeutungslos und doch war da die Neugierde. Er sah auf die Uhr, noch dreizehn Minuten bis zum analogen Zeitpunkt, als er das zweite Kuvert geöffnet hatte.
Jetzt. Er begann, das Kuvert in der Mitte zu zerreissen. Eigentlich beabsichtigte er es in kleine Stücke zu zerfetzen, doch war es nun ja offen, zweigeteilt. Er zögerte, doch dann hob er an der Rissstelle das Papier etwas an und blickte hinein. Auf dem Zettel konnte er Notkers Handschrift erkennen. «immaterielle Dasein / wenn Ihnen dies nicht / einen Psychiater auf, / noch helfen», stand da auf vier Zeilen. Was soll das, erregte er sich über das Wort Psychiater und blickte nun in die andere Hälfte. «Akzeptieren Sie das / von Hortense. Oder / gelingt, suchen Sie / nur er kann Ihnen». Ihm dämmerte die zusammengesetzte Anweisung.
«Akzeptieren Sie das immaterielle Dasein von Hortense. Oder wenn Ihnen dies nicht gelingt, suchen Sie einen Psychiater auf, nur er kann Ihnen noch helfen.»
Notker hat zu seiner eigenen Beruhigung, da er offensichtlich selbst nicht an dieses magische Ritual glaubt, sich eine moralische Hintertür offengelassen. Demnach hält er mich für krank. Die Erkenntnis war für Buntschuh wie ein Keulenschlag. Er wurde wütend. Was Notker tat, war gemeiner Betrug. Doch da hat Notker sich getäuscht, ich bin von der Erscheinung von Hortense befreit. Glücklicherweise. Es war ihm unvorstellbar sein Leben in einer Irrenanstalt zu verbringen. Nein das wäre kein Leben mehr. Nun zerriss er das Kuvert in winzig kleine Fetzen.

Am frühen Nachmittag, er überlegte eben in der Stadt flanieren zu gehen, als es an der Tür klingelte. Ein grosser hagerer Mann stand draussen. Schwarz gekleidet, als ob ein Trauerfall ansteht.
«Mein Name ist Charles de Beauharnais», sagte er.
Buntschuh kannte ihn nicht, aber das Herz blieb ihm fast stehen, de Beauharnais war der Familienname von Hortense.
«Ich bin ein entfernter Verwandter von Hortense und habe leider erst vor wenigen Tagen erfahren, dass sie bereits vor einigen Monaten unerwartet verstorben ist. Ich hätte sie gerne kennengelernt, was jetzt ja leider nicht mehr möglich ist. Obwohl, in unserer Familie soll es seit Jahrhunderten immer wieder Mitglieder gegeben haben, die auch nach ihrem Tod mit ihren Liebsten wieder in Verbindung traten. Hat sich Hortense bei Ihnen noch nicht gemeldet?»
Buntschuh sah den Mann entgeistert an. Habe ich Hortense getötet? Ausgelöscht wie eine Nichtigkeit?
«Das wollte ich doch nicht», schrie er auf und rannte die Treppe hinab.
Nur weg von hier. Er wusste kein Ziel. Aus dem Haus tretend, sprang er zwischen zwei parkierten Autos hervor auf die Strasse, um sie zu überqueren. Das Auto, welches in dem Moment schnell nahte mit einer blonden Frau am Steuer, nahm er nicht wahr.

 

Salü Anakreon,

wäre da nicht das weisse, achtplätzige Ledersofa – ich hätte mich so etwa im 17. Jahrhundert, wie in einem englischen Schloss gefühlt, hätte schwere Vorhänge wehen sehen, Dielen knarren hören … :D
Aber es funktioniert natürlich auch ohne all diesem Beiwerk. Hin und wieder bin ich, bei etwas langatmigen Beschreibungen, aus dem Lesefluss geraten. Da könntest du manche Erklärungen dem Leser ersparen und ihm seine eigene Sicht lassen, z.B:

Da er nicht seine Wohnung abfackeln wollte, fuhr er mit dem Bild ausserhalb der Stadt in ein Waldstück, wo er einen Picknickplatz mit Feuerstelle kannte. Er hatte nicht gewagt das Bild nochmals anzusehen, in Hortenses Gesicht zu blicken, sondern hielt es immer mit der Rückseite sich zugewandt. Als er es anzündete, begann sich die Leinwand zu quellen und zu winden, als ob sie belebt sei.

Er fuhr mit dem Bild in einen Wald, wo er einen Picknickplatz mit Feuerstelle kannte. Er wagte nicht, das Bild nochmals anzusehen, in Hortenses Gesicht zu blicken. Als er es anzündete, begann sich die Leinwand zu quellen und zu winden, als ob sie belebt sei.

Es ist klar, dass man so ein Gemälde nicht in der Badewanne abfackelt und wenn er es nicht mehr ansehen will, klar dann trägt er es mit der Rückseite nach oben …

So gibt es noch ein paar Stellen mehr.

Textkram:

Bilder und Teppiche aufeinender
aufeinander
Beruhigt legte er sich auf die andere Körperseite die Augen wieder schliessend.
Beruhigt legte er sich auf die andere Seite, die Augen wieder schliessend > und schloss wieder die Augen.
Sein Herz drohte seine Schläge auszusetzen.
Sein Herzschlag drohte auszusetzen.
Ein Lichtschimmer fiel durch die einen Spalt offene Schlafzimmertür herein.
Ein Lichtschimmer fiel durch einen Spalt der Schlafzimmertür.
Als er er aus dem Atelier kam,
ein ‚er‘ kann weg
Aus dem Haus tretend, sprang er zwischen zwei parkierten Autos hervor auf die Strasse um sie zu überqueren.
auf die Strasse, um sie zu überqueren.

Auch wenn ich am Anfang schrieb, dass sie mich an Gespenstergeschichten erinnert, hab ich deine Geschichte gerne gelesen.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Salü Gisanne

Als ich den Text nach langem Zaudern einstellte, rechnete ich damit, wie letztmals Anna Göldin 1782 in Glarus, nun auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Darauf gefasst, ein letztes Mal Schauerliches veröffentlicht zu haben. Mit deiner kritischen aber positiven Einschätzung, denke ich nun, so arg ist es doch nicht geworden.

Stimmung und Inhalte wären natürlich im 17. Jahrhundert gut platziert, aber wie Motive aus der Antike in der Moderne immer wieder aufblühen, bemühte ich mich meine Verstaubtheit mit wenigen Symbolen in die Gegenwart zu rücken. Meine Ausschweifungen, die in einer Kurzgeschichte eben verfehlt sind, werde ich eliminieren. Dazu werde ich den Text heute noch sorgsam auf diese Langatmigkeiten durchleuchten und opfern, damit die Leser es auch als Gewinn wahrzunehmen vermögen.

Ich danke dir herzlich für deine Hinweise und Korrekturvorschläge und freue mich sehr über das gerne gelesen.

Liebe Grüsse

Anakreon

 

Nur kurz und auf die Schnelle, solang der Drucker die ESt verklärt,

lieber Anakreon,

eine Geschichte in guter alter Tradition, da ein Kunstwerk lebendig wird bis hin zum coachenden Geistlichen. Doch diesmal scheints beim ersten Lesen als eine Darstellung von Trauer vs. Melancholie, die dann auch folgerichtig tödlich endet.

Paar Kommata sollteste noch mal anschaun (übern Text verteilt).

Bleibt sicherlich nicht bei diesem Beitrag!

Gruß aus gemäßigter Bergwelt (Sauerland)

Friedel

 

Lieber Friedel

Danke für deinen Hinweis. Ich hoffe, mit Reduktionen und Ergänzungen die Kommas ins Lot gebracht zu haben.

Gut Wandern und dergleichen wünsche ich dir im Sauerland und ein schönes Wochenende.

Gruss

Anakreon

 

So viel Zeit muss itzo sein,

lieber Anakreon,

…, die Atemgeräusche waren da, nicht sehr lautKOMMA aber doch wahrnehmbar.
Er konnte nichts finden, das ihn drückteKOMMA und doch nahm er es wahr.
Die Fortsetzung im folgenden Satz:
An der Haltestelle und in der Strassenbahn bemerkte er nichtsKOMMA das ihn beunruhigte.
Er erschrak selbst über seine Heftigkeit ihr Gegenüber.
Kein substantiviertes gegenüber!

Zweifelhaft finde ich die Konstruktion

Mitschuld war …
Schuld hat man, schuldig (Schuld tragend) ist man; besser also „Mitschuld hat sicher …“ oder „Mitschuldig war …“

Die Infinitvgruppe könnte ohne Komma missverstanden werden, und zwar durch's Personalpronomen:

In seinen tränenfeuchten Augen bildete sich ein Schleier, was ihn reflexartig veranlasste sie kurz zu reiben.

Buntschuh sah keine andere MöglichkeitKOMMA als es ihm zu erklären …
vollst. (Neben)Satz
…, aber er war der MeinungKOMMA es sei Hortense.
…, als er bereit warKOMMA den doppelten Preis des ursprünglichen Wertes zu zahlen, obwohl …
Das Auto, welches in dem Moment schnell nahte, mit einer blonden Frau am SteuerKOMMA nahm er nicht wahr.
Dafür könnte das Komma vor der Frau entfallen …

Jetzt ist die Konzentration weg (bin eh nicht zum Vergnügen hier, aber:) jetzt hab ich mir'n Maibock verdient ...

Gruß und schönes Wochenende wünscht der

Friedel

 

Lieber Friedel

Uffh! Das Eintrichtern der Regeln hat doch noch keine Nachhaltigkeit oder unterliegt der Flüchtigkeit, wie es sich gerade am ersten Hinweis zeigt.

Ich denke, wer dieses Regelwerk aufsetzte, tat dies in projizierter Rache an seinen Lateinunterricht, da diese Sprache einzig durch Auswendiglernen erworben werden kann.

Aber meine Ausflüchte stehen auf rutschigem Untergrund, da ist ja noch ein reiner Logikfehler (Regeln sind es natürlich auch), den ich kaltschnäuzig überlesen habe.

Danke dir für deine Zeit und Mühe, die du dem surrealen Buntschuh widmetest, statt froh in Wanderschuhen direkt zum Maibock zu schreiten. Ich werde Bruder Notker ersuchen, dich in sein Nachtgebet einzuschliessen. :D

Gruss

Anakreon

 

Hi Anakreon

Wie bei fast allen Geschichten finde ich auch in dieser Gutes und weniger Gutes. Fangen wir mal mit dem Positiven an:

Als ich den Text nach langem Zaudern einstellte, rechnete ich damit, wie letztmals Anna Göldin 1782 in Glarus, nun auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Darauf gefasst, ein letztes Mal Schauerliches veröffentlicht zu haben.

Das wäre schade. Ich mag schöne Gespenstergeschichten, auch wenn sie selten geworden sind und bei manchen vielleicht als altmodisch gelten. Aber an den wohligen Grusel und die Gänsehaut einer guten Schauergeschichte kommt kein "harter" Horror heran.
Tote, die durch die Wohnung geistern, sind per se schon gruselig, und ich finde, da hat deine Geschichte die stärksten Stellen: Wenn du beschreibst, wie Hortense nachts durch die Wohnung läuft. So bspw. die Stelle, als sie nachts durch die Wohnung läuft und sich einen Tee macht. Diese Stellen gefallen mir besser als bspw. die Stellen auf der Straße, da dort meist kein direkter Kontakt stattfindet und sich der Prot. ja auch nicht immer sicher ist, sie gesehen zu haben - ganz anders in der Wohnung, da gibt es keinen Zweifel.

Zu der Rolle von Nottke komme ich später nochmal, aber sehr schön auf jeden Fall die Idee mit den drei Umschlägen: Das bringt eine neue Ebene in die Geschichte. Man muss sich ja was einfallen lassen, nur Geister herumspazieren zu lassen ist auf Dauer zu wenig, und mit den drei Umschlägen bringst du einen wie ich finde schönen zweiten Spannungsbogen hinein. Der funktioniert besser für mich als die Idee mit dem Bild - dazu gleich mehr.

Ebenfalls interessant fand ich das Ende - normalerweise müssen in solchen Geschichten ja die Geister irgendwie besänftigt oder ihre Körper ordentlich bestattet werden, du wählst einen Schluss, den ich so noch nicht kannte: Der Prot. wird den Geist los und erkennt zu spät, dass er einen Fehler gemacht hat. Leider ziehst du das nicht konsequent durch, sondern erwähnst im letzten Satz die "blonde Frau", da denke ich als Leser sofort wieder an Hortense, und wenn das deine Absicht war, dann funktioniert das eigentlich schöne Ende nicht mehr - denn dann ist der Geist ja nicht durch das Verbrennen des Bildes "vernichtet" worden.

Womit ich meine Probleme hatte, waren die teilweise ausufernden Beschreibungen: Bereits der Einstieg in die Geschichte ist mühsam, da erstmal drei Absätze lang die Vergangenheit erklärt wird. Besser wäre es, direkt zu starten, bspw. in der Nacht, als er aufwacht, und den Rest so nach und nach einfliessen zu lassen oder darauf zu verzichten (bspw. auf die detaillierte Beschreibung der Einrichtung - scheint so deine Art zu sein, ich meine schon in deiner letzten Geschichte hab ich da dran rumgemeckert ;)).

Was mir nicht so ganz klar wird, ist die Bedeutung des Bildes. Ich meine, da solltest du entweder mehr Augenmerk darauf richten oder es ganz weglassen (dann braucht es eine andere Verbindung zu dem Geist). Als zentrale Komponente wird es mir zu wenig erwähnt. Das geht bspw. hier los:

Das Bild an der Wand zeigte Hortense mit geschlossenen Augen.

Dies bereits ganz zu Beginn der Geschichte. Ich nehme nicht an, dass dies der Normalzustand ist, von daher müsste das ja eigentlich ein ganz zentraler Aspekt für den Prot. sein: Da hängt ein Bild an der Wand, das sich auf einmal verändert. Er scheint das aber einfach so hinzunehmen. Also entweder müsste er sofort an seinem Verstand zweifeln, schreiend rausrennen, alles in Frage stellen oder sonstwas machen, aber er bleibt einfach im Bett liegen bis in den frühen Morgen und hört auf irgendwelche Atemgeräusche. Das passt nicht, finde ich.

Generell finde ich seine Art, mit dem "Problem" umzugehen, zu wenig nachvollziehbar. Statt zu einem Arzt geht er zu einem Pfarrer, und als er der ihn mal eine Woche in ein Kloster einweist (was an sich schon recht absurd ist), macht der Prot. sofort mit, obwohl er gemäss eigenen Angaben überhaupt nicht gläubig ist. Das funktioniert so nicht. Ein weltlich orientierter Mensch würde erst zu einem Arzt gehen, nicht zu einem Geistlichen, und schon gar nicht würde der eine Woche ins Kloster. Und wenn du ihn schon dorthin schickst, dann bitte nur einmal: Die zwei Besuche ziehen die Geschichte in die Länge, vor allem weil dazwischen nichts Entscheidendes passiert. Interessant wird es dann erst nach dem zweiten Besuch, eben durch die angesprochenen drei Briefe. Hier hat die Geschichte viel Potential zum Kürzen, finde ich.

Den Nottke finde ich auch etwas seltsam. Der ist recht blass, bspw. müsstest du hier ausführlicher werden:

Eine imaginative Übung, ähnlich dem katathymen Bilderleben, bei der er Hortense noch einmal begegnen und diesmal ihr Sterben miterleben würde.

Mal abgesehen von einer eher umständlichen Wortwahl ("imaginative", "katathymen", das klingt alles so wissenschaftlich) bleibt völlig unklar, worin die Übrung besteht. Auf einmal beschreibst du Hortenses Tod aus der Sicht des Prot. Da fehlt was.

Dann haben wir in Verbindung mit Nottke häufig solche Stellen:

Bruder Notker führte ein ausführliches Gespräch mit ihm, das ihm wieder Hoffnung gab, doch nicht verrückt zu sein.

Da in meiner eigenen letzten Geschichte ähnliches kritisiert wurde, kann ich verstehen, dass man das als Autor schon mal anders sieht, nur mich als Leser würde es schon interessieren, wie das Gespräch denn verläuft. Verstehst du, gerade die Nottke-Szenen sind so knapp umrissen, fast berichthaft.

Btw, den dritten Brief finde ich etwas seltsam: Wäre das eigentlich nicht der erste Ratschlag gewesen? Auch verstehe ich das "moralisch" in der "Hintertür" nicht:

Notker hat zu seiner eigenen Beruhigung, da er offensichtlich selbst nicht an dieses magische Ritual glaubt, sich eine moralische Hintertür offengelassen.

Er rät ihm, zum Psychiater zu gehen. Wo ist die Moral?

Noch ein Wort zum Stil: Ich finde es OK so, wenngleich mir hier ein modernerer Stil besser gefallen würde, weil die Geschichte nunmal in der Gegenwart spielt (Strassenbahn usw.). Vielleicht würde sie in der Vergangenheit besser funktionieren (dann wäre vor allem der Gang ins Kloster evtl. glaubwürdiger, insbesondere in Verbindung mit einem gläubigen Prot. - warum ist er denn nicht religiös, kann er doch ruhig sein für die Geschichte, muss ja nicht gleich zum Mönch werden). Es ist ein Irrglaube, dass Schauergeschichten in einem solchen Stil erzählt werden müssten. Wie gesagt, hier ist es noch OK da du es auch nicht übertreibst, dennoch würde mir in dem Fall ein moderner Stil mehr zusagen.

So jetzt noch ein paar technische Dinge:

Professor Hofmeister, bei dem sie in Behandlung war, hatte ihre Situation nicht akut eingeschätzt.

Ich würde da ein "als" reinnehmen: "... hatte ihre Situation als nicht akut eingeschätzt", denn das akut bezieht sich ja auf die Situation und nicht die Einschätzung.

Sie liebte Pastellfarben, was auch zu ihren hellblauen Augen und dem strohblonden Haaren passte.

den strohblonden Haaren

Als er zur Haltestelle der Strassenbahn kam, fuhr diese eben an. Gleichgültig schaute er in die vorbeiziehenden Fenster, dort sassen schon die ersten Passagiere, die auf dem Weg zur Arbeit waren.

Der letzte Halbsatz kann raus, denn das erklärt sich von selbst. Darauf würde ich nochmal besonders achten: Welche Satzfragmente können gestrichen werden, weil sie keine zusätzliche Info bringen?

Ein leichter Lichtschimmer von draussen ermöglichte schemenhaft, die Dinge zu erkennen. Hortense lag neben ihm.

Auch hier wieder falscher Bezug, besser:
"... ermöglichte, die Dinge schemenhaft zu erkennen."

Der Bettteil neben ihm sah am Morgen unberührt aus, einzig seine tastende Hand vermeinte eine leichte Ausbuchtung im Kissen zu fühlen.

... die er aber nicht sieht? Warum nicht?

Den hellblauen Mantel, der gut zu ihrer Augenfarbe passt, kenne ich zwar nicht, aber es ist ihr Gesicht.

Hier auch wieder: Fettgedrucktes raus, das ist unnötiger Mehrwert, der Satz klingt ohne viel besser.

Es muss ein Ablösungsprozess sein und nicht ein festhalten.

Festhalten groß

Der Glaube ist hierfür ein gutes Werkzeug damit umzugehen, um nicht an solchen Zweifeln zu verzweifeln.

bisschen unglückliche Wiederholung des Wortstamms "Zweifel"

Vielleicht zeitigte ihr in sich gehen auch bereits ausreichende Wirkung.

Ich nehme an es soll "zeigt" heissen, dann aber besser "... zeigt Ihr In-Sich-Gehen auch bereits ..." sonst ist es nicht so einfach die Bedeutung zu erkennen.

Wie Blitzeinschläge fühlte es sich an, in ein eigentliches Gewitter übergehend. Instinktiv sich sorgend entzog er seine Hand der ihren und sah sie an. Ihre Augen hatten sich stark geweitet, sie bäumte sich zuckend auf, ins Kissen zurückfallend blieb sie reglos liegen.

Zu viele Partizip, das klingt umständlich und lässt sich bestimmt schöner schreiben.

Auf dem Rückweg vom Squash, wo er sich körperlich voll verausgabte, fühlte er sich wieder wie früher.

Vorvergangenheit: "verausgabt hatte"

Da im dritten Stock, in seiner Wohnung, ging das Licht an.

Das "Da" sagt man vielleicht so, sollte aber so nicht in einem Text verwendet werden, insbesondere, da die Stelle noch nicht einmal direkte Rede ist.

Bei der Durchsuchung der Wohnung war keine Spur zu finden, dass jemand Unbefugter anwesend gewesen wäre.

Ich würde entweder "jemand Unbefugtes" oder "ein Unbefugter" schreiben, so klingt es irgendwie komisch.

Der leichte Wind liess einen Aschenregen über in Ergehen.

Meinst du: "Der leichte Wind ließ einen Aschenregen über ihn ergehen"?

Also alles in allem hab ichs gern gelesen und würde mir mehr Schauergeschichten wünschen. Wenn du nochmal überarbeiten willst würde ich den Rotstift an den Klosterbesuchen ansetzen (einen statt zwei) und eben an Beschreibungen, die nichts mit dem Fortgang der Geschichte zu tun haben. Vor allem die Figur des Nottke könnte noch ein wenig Aufmerksamkeit vertragen.

Viele Grüße und bis zum nächsten Mal.

 

Hallo Schwups

Es freut mich sehr, dass du dich vertieft mit dem Text auseinandergesetzt hast.

Wie bei fast allen Geschichten finde ich auch in dieser Gutes und weniger Gutes.

Anscheinend haftet es mir wie ein Markenzeichen an, das nicht nur Gutes zu finden ist. Doch freue ich mich erst mal daran, was du Gutes aufdeckst.

Das wäre schade.

Hahaha, schauderlich diese symbolische Verbrennung. Doch dies fügte sich für das Zaudern besser ein, als wenn ich etwa Fahrenheit 451 als Vergleich vorgeschoben hätte. Dass du es bedauern würdest, wenn meine Geschichten ausblieben, freut mich, da es mir so einen interessierten Leserkreis bestätigt.

Ich mag schöne Gespenstergeschichten, auch wenn sie selten geworden sind …

Eigentlich bin ich ungeplant in diese Ebene gerutscht, auf der Suche nach Ausdrucksmitteln. Diese Tendenz erhielt es bei Martha und fand bei Pater Anselm dann seine Blüte. Mir liegt mehr das Spiel mit rational deutbaren Grenzüberschreitungen der Wahrnehmung, ohne diese explizit offenzulegen. Wenn Leser es subjektiv übersinnlich werten, mag dies gelten wie in einem Vexierbild.

Tote, die durch die Wohnung geistern, sind per se schon gruselig, und ich finde, da hat deine Geschichte die stärksten Stellen: Wenn du beschreibst, wie Hortense nachts durch die Wohnung läuft.

Ich sehe, du schätzt die klassischen Elemente solcher Geschichten. Es freut mich, wenn es mir gelang, solche einzubinden.

Diese Stellen gefallen mir besser als bspw. die Stellen auf der Straße, da dort meist kein direkter Kontakt stattfindet und sich der Prot. ja auch nicht immer sicher ist, sie gesehen zu haben - ganz anders in der Wohnung, da gibt es keinen Zweifel.

Der Zweifel ist mir ein wichtiger Moment, der Kampf des Rationalen mit der Wahrnehmung.

Zu der Rolle von Nottke komme ich später nochmal

Da hast du mich doch wirklich irritiert: Nottke? Ich befürchtete schon, der von mir verwandte Namen Notker, der bei Mönchen seit Jahrhunderten beliebt ist, habe sich wie von Geisterhand im Text verwandelt. Beruhigt musste ich sehen, er steht richtig. Ich war inspiriert von Notker dem Stammler. :D

- normalerweise müssen in solchen Geschichten ja die Geister irgendwie besänftigt oder ihre Körper ordentlich bestattet werden, du wählst einen Schluss, den ich so noch nicht kannte: Der Prot. wird den Geist los und erkennt zu spät, dass er einen Fehler gemacht hat. … Leider ziehst du das nicht konsequent durch, sondern erwähnst im letzten Satz die "blonde Frau", da denke ich als Leser sofort wieder an Hortense, und wenn das deine Absicht war, dann funktioniert das eigentlich schöne Ende nicht mehr - denn dann ist der Geist ja nicht durch das Verbrennen des Bildes "vernichtet" worden.

Buntschuh hatte das Verbot von Notker verletzt, indem er das dritte Kuvert nicht uneingesehen vernichtete. Die Logik stimmt also schon. Es bestätigt aber auch meinen Hinweis auf das Vexierbildartige, da es so oder so aufgeht.

Womit ich meine Probleme hatte, waren die teilweise ausufernden Beschreibungen: Bereits der Einstieg in die Geschichte ist mühsam, da erstmal drei Absätze lang die Vergangenheit erklärt wird.

Ich gebe dir recht, dass die einleitende Rückschau überflüssig wäre, wenn ich nur eine Geistergeschichte erzählt hätte. Für meine rationale Sichtweise ist dies aber ein tragendes Element. Die Beschreibung der Wohnung, na ja man kann es als Füllsel sehen. Doch denke ich, es sagt ein wenig über die beiden aus und ich hielt es sehr knapp.

Was mir nicht so ganz klar wird, ist die Bedeutung des Bildes. … [Hortense mit geschlossenen Augen.] Ich nehme nicht an, dass dies der Normalzustand ist, von daher müsste das ja eigentlich ein ganz zentraler Aspekt für den Prot. sein: Da hängt ein Bild an der Wand, das sich auf einmal verändert.

Das Gemälde wurde nach dem Foto angefertigt, welches der Prot. von Hortense im Sarg machte. Sie ist also mit geschlossenen Augen abgebildet. Solche Totenbilder gibt es wirklich auch von berühmten Malern angefertigt, etwa Albert Anker. Der Prot. hinterfragt sich im Verlauf des Geschehens ja selbst, ob seine Wahrnehmung gestört sei, ohne dass es sich im Text aufklärt. Ich weiss, dies ist fies von mir, aber gewollt.

Generell finde ich seine Art, mit dem "Problem" umzugehen, zu wenig nachvollziehbar. Statt zu einem Arzt geht er zu einem Pfarrer, und als er der ihn mal eine Woche in ein Kloster einweist

Nach reiner Vernunft wäre der Gang zum Arzt ratsam. Es ist aber Tatsache, dass viele Menschen vor einer psychischen Diagnose lange zurückschrecken. Das Ausweichen auf den Pfarrer, der Hortense beerdigte ist eine Flucht, da dieser zu Hortense einen Bezug hatte. Dass er nicht religiös war, bedeutet nicht, dass er kein Katholik gewesen sein könnte, aber nicht praktizierend. Sein Mangel an Religiosität ist hier aber insofern wichtig. Die Geistlichen konnten nicht einfach mit dem Glauben operieren, sondern mussten ihn auf praktische Weise zu Lösungen führen.

Mal abgesehen von einer eher umständlichen Wortwahl ("imaginative", "katathymen", das klingt alles so wissenschaftlich) bleibt völlig unklar, worin die Übrung besteht. Auf einmal beschreibst du Hortenses Tod aus der Sicht des Prot. Da fehlt was.

Imagination ist kein spezifisch wissenschaftlicher Begriff und bedeutet einfach Vorstellungskraft. Katathym, das sich daran anlehnt, ist eine Technik, die sich eben dieser Möglichkeit bedient und auch therapeutisch genutzt wird. In einer solchen „Übung“ versetzt sich der Proband in ein imaginatives Erleben. Hier ist es Mittel zum Zweck, dass der Prot. sich quasi von Hortense verabschieden und den Tod annehmen kann.
Das Gespräch mit Notker auszuführen, hätte den Rahmen bei Weitem gesprengt. Es war mir klar, dass es nicht uninteressant gewesen wäre, aber zur Handlungsfolge hätte es wenig beigetragen.

Er rät ihm, zum Psychiater zu gehen. Wo ist die Moral?

Dass es eine moralische Hintertür war, ist die Sicht des Prot. Er verdächtigt Notker, dass er ihn eigentlich als krank klassierte und selbst nicht an seine Methodik glaubte.
Aber: Notker hatte als letzte Möglichkeit dann ja wirklich den Psychiater vorgesehen. Dies dahin gehend, dass die von ihm verwandte Methode nicht greifen würde, es sich um ein so nicht behebbares Belastungssyndrom handelte. Notker handelte moralisch (sittlich) also einwandfrei.

Noch ein Wort zum Stil: Ich finde es OK so, wenngleich mir hier ein modernerer Stil besser gefallen würde, weil die Geschichte neunmal in der Gegenwart spielt (Strassenbahn usw.). Vielleicht würde sie in der Vergangenheit besser funktionieren.

Ich weiss, ein moderner Stil fände stärkeren Anklang, doch ist er mir nicht eigen (siehe mein Profil). Die Geschichte in frühere Jahrhunderte versetzt bedingte, wirklich alles auf diese Zeitebene zu schieben, was mir nicht glücklich schien. Doch vielleicht versuche ich es mal bei einer anderen Geschichte. Momentan schreibe ich an einem Stück (Das Grab der Mona Lisa), das wahrscheinlich nie erscheinen wird, da es in der Gegenwart spielt aber nicht funktionieren will. Gegenwärtig wird im Kloster Sant‘ Orsola in Florenz von Wissenschaftlern wirklich nach dem Grab jener Frau gesucht, die Leonardo da Vinci Modell gestanden haben soll. – Aber es wird wohl nicht meine Geschichte sein.

Deine Korrekturvorschläge, die du mit gutem Feingefühl wahrgenommen hast, werde ich bei Tageslicht baldmöglichst umsetzen, inzwischen ist die dritte Morgenstunde überschritten.
Noch rasch, das Fühlen der Ausbuchtung im Kissen, nimmt er deshalb nicht von Auge wahr, da dort der Bezug spannt, die Federn aber – es mag ja von früher her sein – stärker durchgelegen sind.

Zum zweimaligen Klosterbesuch, an dem du dich störst, werde ich mir noch Gedanken machen. Ich hatte es so aufgesetzt, da mir eine sofortige katathym-therapeutische Massnahme nicht angezeigt schien und es eben mit sanfterem Vorgehen erst ausprobiert wurde.

Ich danke dir für deine Korrekturvorschläge und die ausführliche und kritische Kommentierung, die ich mit sehr grossem Interesse las. Ich fand es insbesondere interessant, da du es mit anderen auf einer andern Ebene wahrnahmst, als ich es mir selbst erdachte, wenngleich auch beabsichtigte, dass es unterschiedlich aufgenommen werden kann. Letztendlich will es ja einzig unterhalten, nicht mehr und nicht weniger.

Also alles in allem hab ichs gern gelesen und würde mir mehr Schauergeschichten wünschen.

Das freut mich sehr und ich hoffe meine Inspiration, die bei Mona Lisa etwas arg ins Wanken kam, stellt sich wieder ein.

Mit spät-geisterstündlichen Grüssen

Anakreon

 

Hi Anakreon

Drei Anmerkungen noch:

Anscheinend haftet es mir wie ein Markenzeichen an, das nicht nur Gutes zu finden ist. Doch freue ich mich erst mal daran, was du Gutes aufdeckst.

Das ist kein Markenzeichen von dir, sondern gilt für alle Autoren, nicht nur auf dieser Plattform übrigens.

Da hast du mich doch wirklich irritiert: Nottke?

Klar, Notker heißt der Mann. Sorry.

Das Gemälde wurde nach dem Foto angefertigt, welches der Prot. von Hortense im Sarg machte.

OK, dann hatte ich die Stelle falsch verstanden und ziehe den Kritikpunkt zurück. Hier

Als Vorlage diente das letzte Foto, das Buntschuh von Hortense machte.

meinte ich, es handle sich um das letzte Foto, als sie noch lebte.

Viele Grüße.

 

Mit einem der Mönche, Bruder Notker …
hätte eigentlich schon der Groschen fallen müssen,

lieber Anakreon,

welch ein Schabernack aus Horror und Historie hier getrieben wird.

Wie schon erwähnt: Ein wenig von allem, beginnend bei der Magie der Skulptur über Martha, verknüpft mit dem Coaching eines Geistlichen – eine kleine Studie, so will mir als Laien scheinen, über Trauer und Melancholie, verstanden über den einfachen Unterschied, dass wir Trauer im Gegensatz zur Melancholie niemals als Krankheit bezeichnen würden.

Weniger in den genannten, als in den anderen Texten war mir gelegentlich die Gleichung aufgegangen, dass Namen bei Dir eben NICHT Schall & Rauch sind, wie gemeinhin unterstellt werden kann.

Notker steht zweimal direkt zu Beginn der eigenen Entwicklung einer deutschen Sprache, die sich aus dem Gemenge westgermanischer Dialekte herauslöst: der Benediktiner, der 912 im Kloster St. Gallen verstorbene Chronist des großen Karl (Gesta Caroli Magni) und die Musik (beim überwiegend elektronischen modernen Gerquäke routiert er wohl im Grabe) vorwärtsbrachte, der aber , selbst wenn er einen germanischen Dialekt (fränkisch und / oder alemannisch) sprach, lateinisch schrieb, und der satte einhundert Jahre jüngere N., der 1022 am gleichen Ort an der Pest verreckte, aber für seine Übersetzung des Aristoteles erstmals seine Volkssprache statt mit dem bis dahin verwendeten lateinischen Begriff theodisce die Aussprache des Volkes wählte: diutisc, in dem deutlich das deutsch (diu / deu + tisc /t(i)sch), wobei ihm gleich die Ablösung des lästigen th (tie-äitsch) durchs d gelingt, wiewohl die Deutschen sehr anhänglich bleiben und die Schreibweise th erst zu Dudens Zeiten abgeschafft wird – der Thron bis heute unbeschädigt in alter Weise - und der Reibe- und Zischlaute keines eigenen Buchstabens bedürfen, sondern durch Kombination und Zusammenführung entstehen: ch + s = sc(h).

Aber entscheidender, weil den Bezug zum Horror herstellend, dämmerte es spät - seltsamerweise erst im Sauerländle: Beauharnais. Bekannt kam er mir vor, der Name der Beauharnais, der großen Liebe Bonapartes, aber es ging mir durch...

Hortense Beauharnais, * 10. 4. 1783 Paris, † 5. 10. 1837 Arenenberg, Schweiz, Tochter von Alexandre Vicomte de B. († 1794, hingerichtet) und Josephine B. aus ihrer unglücklichen Ehe (1802-1810) mit Louis Bonaparte, dem König von Holland, entstammte Napoleon III., für sich genommen ein Treppenwitz der Geschichte auf zwo Beinen.

Wie les ich nun die Geschichte?

Was Notker begann, wird mit der (globalisierten) bürgerlichen (Code civil, Bürgerliches Gesetzbuch bis hin zum Duden) durchs Pidgin / Denglish aufgeweicht, dass Notker sich die Mühe hätte sparen können. Statt der Hexen werden Bücher verb(r)annt.

Aber vielleicht ist auch alles ganz anders ...

Gruß

Friedel

 

Den Schabernack kann ich nie ganz lassen, da hast du recht,

lieber Friedel

Dass ich den Namen Notker ins Spiel brachte, war eine kleine Reverenz an den Ollen, ihn erinnernd an mein langjähriges Exil in St. Gallen. Dort kennt ihn jeder. Wenn Schwups den Namen nicht nicht in einer eigenwilligen Dialektform zitiert hätte, wäre er wohl unerkannt mit dem Text weitergegeistert. Dabei hatte ich ihn nicht mal diskret versteckt, wie Hortense. :D

Dass du die Urahnin von Hortense aufgedeckt hast, Hut ab. Ich dachte, kein Hahn (lat.: Gallus) kräht mehr nach ihr und Historikern mochte ich nicht unterstellen, dass sie in diesem von mir verwandtem Genre Forschung betreiben. Auch zu ihr war es eine kleine Reverenz. Obwohl der Name zuerst da war, auf dem ich die Geschichte aufbaute. Ich hatte ihn plötzlich im Kopf, als ich auf dem Ledersofa (nicht Weiss!) fläzte. In meinem Fundus verflossener Bekanntschaften war jedoch keine Hortense! Einzig der Bezug auf jene, in deren Park ihres kleinen „Schlösschens“ – assoziiere bitte nicht Schösschen - ich mehrfach lustwandelte. Auf dem Hügelzug über dem Untersee gelegen, einem Wurmfortsatz des Bodensees und in unmittelbarer Nachbarschaft von Anneliese Rothenberger, die vor Kurzem verstarb. Ach warum geben mir diese Damen durch ihr Dahinscheiden immer wieder solche Motive vor.

Zur Lesung der Geschichte kann ich nur sagen, lass dich durch die Namen nicht verwirren. Dass Verblichene in der Familie de Beauharnais ihren Liebsten zuweilen wieder erschienen sein sollten, war ein übler Scherz von mir. Doch kann man es auch anders interpretieren. In der Geschichtsschreibung geistert der Name auf ewig herum. Der Text soll wirklich nur zur Unterhaltung dienen, man darf ihn interpretieren, wie es gefällt. Für mich selbst bleibt es immer das Spiel mit der Wahrnehmung, die in vielen Dingen täuschen kann. Falls nötig, auch mal tiefer in die Fiktionskiste greifend, dann aber offensichtlich. Dabei erinnere ich mich auch der humorvollen Vorlesungen von Prof. Osterwalder (Klinik Wil) zur Schizophrenie, ein an sich ernstes Thema, die ich seinerzeit rein informativ besuchte.

Da die Wahrheit - nicht einfach gleichzusetzen mit Wirklichkeit - immer wieder ans Licht kommt, ist es naheliegend, dass intrigante Texte auch der Bann oder gar der Scheiterhaufen treffen kann.

Danke dir für die historische und auch linguistische Untermalung des Hortense-Textes, die das Vexierbildartige unterstreichen.

Gruss

Anakreon

 

Ein kleines hors d‘œuvre

Für [uns] selbst bleibt es immer das Spiel mit der Wahrnehmung, die in vielen Dingen täuschen kann,
gilt, wie durch Austausch des Personalpronomens ersichtlich, wohl für jeden hier vor Ort,

lieber Anakreon,

was verstärkt durch Hinweis aufs Vexierbild und Frau Rothenberger zur großen [oder doch eher kleinen] Oper [Operette] gerät, die den einen stark bewegt und schüttelt, dem andern aber eine Plage ist und quält, andere wieder verärgert, weil sie sich – vielleicht ertappt glaubend – zum Besten gehalten fühlen (so die Bedeutung des lat. vexare, ohne dass ich Lateiner wäre, ist doch die klassische betriebswirtschaftliche Literatur teutsch, die neuere dagegen englisch).
Was könnte aber denn die beste Unterhaltung anderes sein, außer sie würde als Religionsersatz angesehen und so authentisch wie die Leberwurst? Freilich sehe ich nicht so sehr Hortense, sondern eher ihre Mutter als die Urahnin UNSERER möglichen Tragikomödien, selbst Kleist mit seinen Familiengeschichten mag da hineinspielen: Joséphine B. [geb. Tascher de La Pagerie, schon die Familiennamen gehen schwanger] – 1796 Liebesheirat mit dem korsischen Giftzwerg Buonaparte, dem späteren ersten Napoleon und somit einstweilen Kaiserin (und damit Mutter) der Grande Nation, bis das der Göttergatte Anerkennung im europäischen Adel suchte und „aus politischen Gründen“ J. 1809 fallen lässt, wobei ihr vordem schon klar gewesen sein sollte, dass dem Imperator eben keine ihm Angetraute den Status einer Frau „seines“ Lebens erreichte, die’s allein auf Eroberungszügen gab.

Den Schabernack kann ich nie ganz lassen, da hast du recht,
s. o.

Gruß aus dem wiedererwärmten Pott

Friedel

 

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