Die vier Jahreszeiten - Frühling
An was für einem Tag sie geboren worden war wusste niemand und hätte auch niemand sagen können. Ihr Gemüt ließ auf einen warmen, ihre Ungeduld auf einen stürmischen Tag schließen, ein regnerischer Tag musste es gewesen sein, betrachtete man ihre Wehmut. Wenige Menschen vermochte sie einzuschätzen und noch weniger verstanden wie sie war. Nichtsdestotrotz; Sie war es.
Wie sie war? Wer sie war? Vermutlich wusste sie es nicht einmal selbst, wollte es nicht und musste es auch nicht wissen. Sie war frei, kam und ging, lief, schlief.
Versuch nicht sie festzuhalten, du würdest daran vergehen.
Manchmal tat sie tagelang nichts, schwelgte in innerlicher Wärme. Heiter, mit einem spielerischen Lächeln um ihre Lippen, spazierte sie dann am Fluss entlang. Lauschte dem knirschenden Schotter unter ihre Füßen und dem gurgelnde Wasser des Flusses. Genüsslich sog sie die frische Luft ein. Innerliche Luftsprünge ließen ihren Verstand hüpfen, schwitzen, jauchzen. Sie war kein Mensch der sich zurückhielt, was sie fühlte zeigte sie. Was sie meinte sagte sie. Jedem der es hören wollte oder auch nicht.
War sie launisch? Manche fanden sie sei nicht zu ertragen, mal sei sie so, mal so. Und doch konnten die Menschen nicht ohne sie, ihre Wärme, ihre Wut, aber auch ihre Kälte verzauberten, faszinierten. Manche schimpften, viele genossen.
Auf Kälte folgt Wärme, auf Heiterkeit Wut und am Ende verweilt die Wärme.
War sie glücklich?
Was ihre Freunde dazu sagen würden, war so verschieden, so vielfältig wie die Sommersprossen in ihrem Gesicht. Sie tummelten sich lustig um ihre Nasenspitze, hüpften keck auf und ab wenn sie lachte. Vielleicht war es an ihnen, dass man ihr auch den heftigsten Wutausbruch nicht übel nehmen konnte. Sie erinnerten an die Sonne in ihrem Herzen, an die Wärme in ihrem Blut.
Versuch nicht sie zu verstehen, du würdest daran vergehen.
Sie konnte fauchen wie eine Katze, fluchen, dass es dem gefährlichsten Seeräuber die Röte ins Gesicht getrieben hätte. Wenn sie brüllte bebte ihr gesamter Körper vor Erregung. In ihren Augen blitze der Zorn. Es kam vor, dass sie einfach in ihrer Wohnung saß, alleine. Sie spürte die Wut in sich aufziehen, verstand sie nicht, aber lebte sie. Menschen die sie dabei beobachteten, sahen darüber hinweg, andere die sie mit einbezog reagierten mit Unverständnis. Sie weinten weil sie es nicht verstanden, brüllten zurück, wanden sich, schlugen auf den Tisch, trampelten. Es änderte nichts. Wenn sie wollte war sie wütend, doch es ging vorüber.
Wer es überstand und das waren bisher alle, vermochte erst wirklich ihr warmes Herz richtig zu sehen. Zu erkennen welche Glut in ihr schwelte, welche Güte sie zeigen wollte, aber nicht immer konnte.
Mancher glaubte dann auch zu verstehen warum sie manchmal weinte. Einfach so, ohne Grund. Sie weinte in den Tag hinein und durch ihn hindurch. Und doch wünschte sie sich dann ihren Mitmenschen zeigen zu können, was sie bewegte. Sie begreifen zu lassen, was sie selbst nicht verstand. In diesen Momenten lachte sie, für einen kurzen Moment trockneten die glitzernden Tränen auf ihren Wangen und sie hatte das Bedürfnis etwas zu schenken. Ein Lächeln, ein Lachen. Ein bisschen Wärme und Geborgenheit um ihnen zu zeigen, dass nicht sie der Grund dafür waren, dass sie weinte.
Versuch nicht sie zu ändern, du würdest daran vergehen.
Und wenn die Stürme in ihrer Brust sich legten, sobald sie wieder etwas Ruhe in ihrem Herzen verspürte, wenn ihr Zorn und ihre Traurigkeit nicht mehr an den zart grünen Knospen von Sträuchern, Büschen und Bäumen zehrten und zerrten. Erst dann glaubte sie den Grund ihres Lebens zu verstehen.
Sie stand gerne auf der alten Brücke, genau in ihrer Mitte. Dort fühlte sie sich sicher, denn sie spürte die Stärke und Kraft mit der das steinerne Gebilde sich über den Fluss spannte. Wie sie den Fluss mit eine Ruhe und Gelassenheit unter sich weg- und durchziehen ließ. Hier fühlte sie sich zu Hause.
Die erhabene Gleichmäßigkeit seiner Bewegung ließ sie erschaudern, mit jedem Mal das sie den Fluss unter sich erblickte.
Hierher wo Zeit keine Bedeutung hatte, wo Jahrhunderte wie Sekunden dahin flossen, wollte sie immer wieder zurückkehren. Sie wusste dass sie es würde. Das gab ihr Stärke in jedem neuen Jahr die Kälte zu vertreiben, in ihr und um sie herum. Es gab ihr Sicherheit darüber, dass immer die Wärme siegen würde.
Sie wusste, dass auch sie immer wieder vergehen würde, doch auch, dass sie immer wiederkehren würde.