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Die Verschwörung

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28.05.2014
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Die Verschwörung

Ich sitze an einem Tisch vor dem Hotel und lasse meinen Blick gedankenverloren umherschweifen. In der rechten Hand halte ich mein Bierglas, welches im Minutentakt zum Mund geführt wird. Die Abendsonne ist schon fast hinter einem der vielen stattlichen Berge verschwunden. Ihre sanften Strahlen spenden noch etwas Wärme, sodass sich der abendliche, kalte Gebirgswind hier draußen noch ertragen lässt.
Ein älterer Herr fängt meine Aufmerksamkeit, der röchelnd vor dem Hotel zum Stehen kommt und völlig erschöpft seinen Wanderrucksack ablegt. Ich wundere mich darüber, dass ein einsamer Wanderer erst zu solch später Stunde einkehrt und meine geweckte Neugier lässt es nicht zu, von ihm abzulassen. Der Mann lässt sich an einem sich mir gegenüber befindlichen Tisch nieder und starrt recht kummervoll in die Ferne zurück, aus der er soeben gekommen war. Die Wirtin kommt, um die Bestellung aufzunehmen und innerhalb kürzester Zeit bringt sie ihm ein Bier.
Von den oberflächlichen Betrachtungen gelange ich bald zu einer genaueren Analyse. Ich bemerke, dass das Gesicht des Mannes vor Schmerz ganz verzerrt ist. Seine tränendurchtränkten, roten Augen blicken unruhig umher und zeichnen den Ausdruck von Leid. Einige Sekunden verharre ich wie in Trance bei diesem trostlosen Antlitz, bevor ich die Quelle des Leids gewahre: Seine krankhaft angeschwollenen, völlig verkrampften Hände, die der arme Mann beständig in Bewegung hält. Er versucht wenige Sekunden sein Leid zu verdrängen, indem er sich unter sichtbarem Aufwand seines stärksten Willens bemüht einige Zeilen aus einem Buch zu entnehmen, welches er seinem Rucksack entnommen hat. Doch die Resignation tritt schneller ein als erwartet. Während er diese Leiden durchlebt, verfalle ich in den allermenschlichsten, grausamsten Egoismus und denke: „zum Glück geht es mir gut.“
Plötzlich, als wenn ich es laut ausgesprochen hätte, trifft mich der vorwurfsvolle, wütende Blick des Mannes über die Augen mitten ins Herz. Ich zucke schreckhaft zusammen und versuche mit aller Mühe den Anschein zu geben, dass meine Aufmerksamkeit allen anderen Objekten der Umgebung gelte. Verzweifelt schwirrt mein Blick über die Hütten und Hotels des Gebirgsdorfes, die kräftigen, gesunden Tannen eines mächtigen Berges und gerät an der Spitze des Kolosses ins Stocken. Das Kreuz Christi sitzt dort oben wie ein winziger Zwerg auf dem kolossalen Berg und demonstriert seine Macht. Es ist in der Tat mächtig und auch auf mich bleibt die Gewalt dieses heiligen Denkmals nicht ohne Wirkung. Es beruhigt mich und meine plötzliche Verlegenheit, mein Egoismus wandelt sich in wahres Mitleid. Einige rührselige Momente gedenke ich unwillkürlich des Trägers dieses Kreuzes und des Leides aller Menschen. Sekunden, womöglich Minuten verstreichen, während ich auf dieses mächtige Symbol gebannt bleibe. Langsam verstreuen sich meine Gedanken und führen meinen Blick wieder denselben Weg zurück den er gekommen war, vom Haupt des Berges, über den Rumpf mit seinen unzähligen Tannen, zu den Dächern und Häusern des Dorfes und schließlich wieder zu dem armen, leidenden Mann.
Ein grässlicher Schauer durchzuckt mich. Noch immer! Noch immer durchbohrt mich dieser verbissene alte Mann mit seinen Blicken. Wie gelähmt fühle ich mich und bin weder in der Lage von ihm abzulassen noch ihm standzuhalten. Wenige Augenblicke verfliegen, die mir wie Stunden vorkommen und als die unerträgliche Spannung mich zu zerreißen droht, platzt das schrecklich Triviale plötzlich ganz unerwartet aus mir raus: „Wie wunderbar die Berge so in ihrem abendrötlichen Gewandt anmuten, finden sie nicht?“
Das Gesicht des Mannes verzerrt sich zu einer derartigen Fratze, dass ich mir für den ersten Moment sicher bin, er würde mich für einen Geisteskranken halten. Als er mich lange genug mit seinen Gebärden gequält und gefoltert hat, knurrt er: „Was redest du denn eigentlich für ‘nen Quatsch daher? Du solltest wohl nicht zu viel Bier saufen.“
Das Unbehagen im meinem Gemüt beginnt sich schmerzhaft zu vervielfachen und schlägt in Angst um. In dieser äußerst brenzligen Situation schaltet mein Verstand ganz plötzlich aus und völlig intuitiv, um mich aus dieser schrecklichen Gefahrenlage zu befreien, frage ich: „Geht es ihnen gut?“
Seine Augen blitzen gefährlich auf und sofort bereue ich diese voreilige Frage.
„Weißt du“, faucht er mich bedrohlich an „was ich über Alles hasse?“
„W-a-s?“ stammle ich jämmerlich.
„Wenn irgendwelche mordsgesunden Menschen wie du, es nicht sein lassen können, mich mit ihrem geheuchelten Mitleid zu belästigen. Das ist Belästigung! Verstehst du? Belästigung! Könnt ihr mich nicht einfach in Frieden lassen? Nein! Mir geht’s natürlich nicht gut! Also spar dir die lästige Frage! Oder siehst du’s etwa nicht? Bist du etwa Blind!“
Plötzlich springt der fuchsteufelswilde Mann mit einem Satz an mich heran und beginnt mit seiner kranken Hand wie verrückt vor meiner Nase herum zu fuchteln: „ Bist du etwa blind! Du unverschämter Bengel! Bist du etwas bind, hä? Denkst du damit kann’s mir gut gehen?“
„Natürlich nicht. Verzeihung, bitte. Das muss schrecklich sein. Verzeihen Sie. Meine Frage war wirklich Rücksichtslos“, platzt es wieder vollkommen unwillkürlich aus mir heraus, doch diesmal scheint das Glück mir hold: Der Mann zieht langsam seine Hand zurück und beruhigt sich ein wenig.
„Merk dir das für die Zukunft! Leute wie ich wollen kein Mitleid von Arschkriechern wie dir!“ schnaubt er noch und wirft mir einen letzten hasserfüllten Blick zu, bevor er im Hotel verschwindet.
Es ist es dunkel geworden. Ich brauche einige Minuten um den Schock zu realisieren und so sitze ich zusammengekaut, frierend auf der leeren Terrasse wie ein Haufen Elend. Schweren Herzens erhebe ich mich und trotte völlig betreten in das Hotel, die Treppen hinauf, in mein Zimmer.
Meine Frau liegt schon im Bett, da sie sich bei der heutigen Wandertour etwas übernommen und ihre Muskeln überstrapaziert hat. Ich selbst habe eine viel belastbarere körperliche Konstitution, da ich mich auch im Alltag immer sportlich fit zu halten pflege. Muskuläre Beschwerden, wie die meiner Frau, sind mir daher fremd. Ich werfe ihr einen kurzen Kuss zu, betrete das Bad und putze die Zähne. Obwohl es erst kurz vor Neun ist, ist der Abend gelaufen und so lege ich mich zu meiner Frau ins Bett. In wenigen Sekunden erschnüffelt sie meine Beklommenheit wie ein Hund, spricht mich darauf an und so beginne ich ihr den schrecklichen Vorfall zu schildern…
„Was? Du hast gefragt, ob es ihm gut geht? Aber du hast doch seine Hände gesehen!“
„Ja! Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist? Ich…ich hab nicht mehr nachgedacht.“
„Also wirklich. Dann denk das nächste Mal lieber nach. Da muss man wirklich aufpassen. Er ist ja nicht dumm! Er hat doch gesehen, dass du bereits auf sein Leiden aufmerksam wurdest!“
Meine Frau legt mir mit vorwurfsvoller Miene ans Herz solche Menschen in Zukunft unbedingt in Ruhe zu lassen und gewinnt mir ein Versprechen ab, diese Mahnung fortan einzuhalten; komme was wolle.
Ich lasse mich, wie so oft, gerne von ihr belehren und schätze ihren Rat, zumal sie sich besonders in diesem Bereich sehr gut auskennt, da sie Krankenpflegerin von Beruf ist. Wir kommen über dieses Gespräch bald zu anderen, angenehmeren Themen und endlich beginne ich von diesem Vorfall abzulassen. Plötzlich, als sich mein Körper entspannt werde ich auch der starken Erschöpfung gewahr, die ich durch den mühseligen Wandertag erfahren habe. Meine Augen werden schwer und fallen langsam und sachte zu.

Nach einer unruhigen Nacht erwache ich und finde mich seltsamer Weise in derselben Gemütsfassung wie am Vorabend wieder. Meine Gedanken kreisen sich immerzu um den gestrigen Vorfall und ich bin unfähig mich meines peinigenden, schlechten Gewissens zu erwehren. Ich blicke zur Seite und sehe, dass meine Frau das Bett schon verlassen hat. Als ich das Badezimmer betrete, im Glauben sie dort anzutreffen, finde ich es leer vor. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass das Frühstücksbuffet schon eröffnet ist und so eile ich nach unten. Dort finde ich sie vor, wie sie mit Kaffee, Brötchen und einem zuckersüßen Lächeln bereits auf mich wartet.
Während des Frühstücks weiß ich kaum Worte an sie zu richten, doch schäme mich auch ihr den Grund meiner Schweigsamkeit zu nennen. Zu meinem Glück spielt sie mit und lässt mich mit meinem Innenleben allein, sodass die lästigen Gedankensamen erstrecht Gelegenheit finden tiefe Wurzeln zu schlagen. Das verbitterte und leiderfüllte Gesicht des Mannes schwebt unentwegt vor meinem geistigen Augen und ich erlebe wahre Höllenqualen, wenn ich daran denke, dass ich seinen gestrigen Abend noch mehr ruiniert habe, als er ohnehin schon war. Ein unerträgliches Bedürfnis den armen Herrn noch einmal von ganzem Herzen um Verzeihung zu bitten bemächtigt sich meiner und ich beginne mit schnellen und hektischen Blicken alle Winkel und Ecken des Speisesaals nach ihm abzusuchen. Vergebens.
„Hast du heute diesen kranken Mann gesehen?“ frage ich unauffällig meine Frau.
„Nein, habe ich nicht. Ich hätte auch gar nicht auf ihn geachtet, so erübrigt sich deine Frage wohl“, versetzt sie sonderbar schnell und bedacht, als hätte sie meine Frage bereits erwartet. Ich wundere mich darüber, doch finde mich damit ab und so begeben wir uns in unser Zimmer, um die Vorkehrungen für die Wanderung zu treffen.

Als wir endlich den heilsamen Tannenhain am Fuße des Berges betreten, schlüpft ein schwerer Seufzer kummervoll aus meinem Innern und ich fahr zusammen, als ich ihn selbst vernehme, so wenig passt er zu der farbenfrohen Musik des Waldes. Einen kurzen Moment glaube ich zu bemerken, dass meine Frau – die übrigens ein bemerkenswertes musikalisches Feingefühl hat – sich wegen der allzu kontrastierenden Unstimmigkeiten der Töne die Ohren zuhält; doch schnell lasse ich von dieser unsinnigen Verdächtigung ab.
Sie lächelt mich an und öffnet sie den Mund zum Reden, so klingen ihre Töne so verzaubernd, so singend, dass ich glaube, sie wolle mir zeigen, wie die rechte Begleitung zu diesem wundervollen Spiel der Natur umzusetzen sei. Ich komme nicht umhin zu lächeln und langsam stimmt auch die leise, düstere Musik in meinem Inneren in das bunte, anmutige Orchester der Natur mit ein. Nach einer kleinen Weile munteren bergauf Wanderns sind die grauen, dunklen Töne des gestrigen Debakels kaum noch zu vernehmen.
Ach! was spielen sie für liebliche Stücke, die prächtigen Tannen, die emsigen Insekten, die kecken Vögel, die Kühe, die frechen Böcke und Schafe, der lustige Bach, ja! Selbst die Menschen lassen hier von ihrem schrägen Brummen ab und singen ganz artig in all ihren munteren Stimmlagen mit. Hier hat das Prosaische keinen Platz, die Probleme des Alltags kein Aufenthaltsrecht. Selbst die geringste Betrübtheit gilt hier draußen schon als Sünde und es scheint so, als sorge der unschuldige Geist der Natur selbst dafür, dass seine Unschuld unangetastet bleibt. Alle starren und beengenden Gedanken, die mich nicht loslassen wollten, verbleichen und lassen endlich Raum zur unbeschwerten Freude.
Die Grazie der Natur treibt uns energisch an, unser Schritt wird zügiger, euphorischer und je wilder und üppiger die Gebirgslandschaft wird, desto deutlicher spüre ich wie der lustige, lebensleichte Poet in mir – ein seltener Gast – den ernsten, grüblerischen und viel beharrlicheren Prosaisten vertreibt und dessen Platz streitig macht. Es frohlocken die Sinne und jauchzen vor Glück und schließlich muss der griesgrämige Prosaist den Heimvorteil des Poeten anerkennen und sich geschlagen geben.
Im Siegeseifer und völligen Übermut befangen, beginnt mein innerer Poet lauthals die Natur, seine Retterin, zu besingen:

Kühne Bäche, kräft’ge Tannen,
Kecke Vögel hört nur her!
Danke! dass ihr, liebe Freunde,
Euch für mich setzt so zur Wehr!

Wunderbar! In eurer Gegend,
Fühl ich sachte mich beschützt.
Gegen eurer Berge Festung
Gar kein Widerstande nützt.

Weg mit euch! Hinfort ihr Diebe!
Lasst den Frieden in mir ruh’n!
Stielt mir nicht den Schutz der Freiheit,
lasst mein geist’ges Eigentum!

Hinab mit euch! ins Tal der Toten,
Fiese, lästige Gedanken,
Die wie wahre Teufelsboten,
Krank in meinem Herzen wanken.

Kühne Bäche, kräft’ge Tannen,
Kecke Vögel hört nur her!
Danke! Dass ihr den Tyrannen,
In mir schlägt mit eurem Heer!

Versunken in den unendlichen Weiten der Poesie, schweifen meine Phantasien immer weiter aus.
Meine Frau scheint sich mitreißen zu lassen und plötzlich fragt sie mit einem Blick auf die Wanderkarte: „Wollen wir wirklich diesen langweiligen Wegen folgen? Lass uns doch wie zwei Abenteurer einen Weg durch die unwegsame Natur schlagen!“
„Das ist meine Frau! Jawohl! Das machen wir!“ rufe ich, vollkommen überwältigt von der glorreichen Idee, „doch für was brauchst du die Wanderkarte?“
„Also eine Absicherung brauchen wir schon für den Fall der Fälle. Nicht, dass wir von irgendeiner Schlucht überrascht werden und hinab stürzen! Gott behüte.“
„Jawohl!“
Wir verlassen die Wanderpfade des Berges. Uns stören die Hütten, die Wegweiser, die Markierungen an den Bäumen, kurz, alle Spuren der Menschen. Sie erinnern uns an den trostlosen Alltag. Die hübschen Büsche und die reizenden Tannen zwinkern und winken mir zutraulich zu und wirken so gastfreundlich, dass mir gar warm zumute wird. Immer weiter und tiefer dringen wir in das traute Grün. Die frohen Waldbewohner zeigen mir zwitschernd den Weg und mein Herz lacht wie das eines Kindes.
Ungeheuerlich ist mein Widerwillen, als meine Frau abermals ihre Wanderkarte hervorzückt und mir beteuert, dass der Weg, den mir die Vögel weisen, eine Sackgasse sei.
„Wirf dieses unnütze Instrument doch endlich weg! Das versaut die Stimmung!“
„Nein! Das brauchen wir, sonst sind wir aufgeschmissen. Mit der Natur ist nicht zu spaßen.“
Ungläubig blicke ich von den Vögeln zu meiner Frau und wieder zurück, doch willige schließlich ein.
„Nicht zu spaßen“, denke ich mürrisch, „natürlich ist mit der Natur zu spaßen.“
Für wenige Sekunden ist meine Laune dahin und ich wanke mit gesenktem Kopf hinter meiner Frau einher.
„Sieh doch!“ ruft sie freudig, „der Adler da oben! Er zeigt uns den richtigen Weg!“
Aufgeregt merke ich auf und erblicke den prächtigen Seeadler, unseren Freund, wie er seine Runden dreht. Ja, eindeutig! Sein Begrüßungskreischen ist nicht zu verkennen und ich beginne wieder freudig voraus zu springen in Richtung des Adlers.
Plötzlich türmt sich eine mächtige Felswand streng und gebieterisch vor uns auf. Ein gigantischer Felsvorsprung ragt an der Spitze des Felsens hervor und ruft ein unangenehmes Schaudern in mir hervor. Er wirkt wie der mahnende Zeigefinger eines strengen Vaters, der einem rigoros die Schranken aufzeigen will. Und wie ein spielendes Kind komme ich mir vor, das es nicht für wahr haben will, dass jeder Spaß sein Ende hat. Ich werfe schelmische, verstohlene Blicke an beide Seiten des großen Felsens, in der Hoffnung doch noch irgendwo einen weiterführenden Pfad zu erheischen. Die bittere Enttäuschung nimmt sich so schmerzhaft aus, dass ich tatsächlich kurz vor einem Heulkrampf stehe. Ich beginne über unsere Lage nachzusinnen und schlagartig fährt es mir wie ein Blitz durch den Kopf: Meine Frau ist schuld! Sie hat uns hier her geführt! Vor lauter Groll traue ich mich gar nicht ihr in die Augen zu blicken aus Angst, sie könnte vor mir erschrecken und mich für wahnsinnig halten.
„Da sieh doch!“ platzt es plötzlich übereifrig aus ihr raus, „eine Höhle. Sieh nur! Da ist doch noch eine Höhle!“
Tatsächlich! Eine Höhle.
Ein sanftes prickeln von Glücksaufwallungen schwappt langsam aus meinem Inneren nach außen. Um mich zu vergewissern, dass das ganze kein Trugbild meiner Phantasie, keine Fata Morgana ist, lasse ich meine Hand zwei Mal heftig gegen mein Gesicht klatschen. Die Schläge schmerzen ungeheuerlich und plötzlich glaube ich an Alles. Warum sollte hier in den Bergen nicht irgendwo eine abgelegene Höhle existieren, die vielleicht aus uralten Zeiten stammt und bereits zur Steinzeit eine Behausung für unsere Vorfahren geboten hat.
Gutgläubig und voller Hoffnung springe ich in großen Sätzen wie ein Steinbock auf die Höhle zu und rufe voller Freude: „Komm! worauf wartest du?“
Die Antwort meiner Frau prallt an meinen Ohren ab, da ich gänzlich von meiner Phantasie eingenommen bin, die schon längst über alles Vertretbare hinausschießt. Ich glaube ernsthaft daran, uralte, große Kunstwerke der Menschheit, Malereien von den ersten Da Vincis und Picassos zu Gesicht zu bekommen.
„Auch damals mussten sich die Menschen vom Alltag ablenken“, denke ich mir, „was hilft da mehr als die Kunst, die uns auf andere Gedanken bringt?“
Ich schwebe in der höchsten Erwartung, meine Gedanken ufern ins Unermessliche aus und plötzlich halte ich es nicht mal mehr für unmöglich, dass an diesem menschenverlassenen Ort über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg noch eine der uralten Neandertalerfamilien überlebt hat.
Alleine stehe ich vor dem Eingang der Höhle. Er nimmt sich so groß aus, dass mein ganzer Leib zu vor Ehrfurcht zu zittern beginnt. Langsam, mit einem schaurig-freudigen Gefühl, betrete ich die Höhle. Eine kühle, verheißungsvolle Brise zieht von außen herein. Es ist unheimlich dunkel und außer der Höhlenwand unmittelbar neben mir kann ich nichts erkennen. Vorsichtig trete ich voran und gerate durch die Weite der Höhle ins Staunen. Mittlerweile erhellt kein Lichtschimmer mehr den Weg und langsam macht sich ein unangenehm-flaues Gefühl im Magen breit. Es scheint mir, als tappe ich mittlerweile schon einige Minuten durch die Dunkelheit.
Endlich! Unfassbar! Ein gelbrotes flimmerndes Licht beleuchtet die Höhlenwand am Ende des Ganges. Trotz des aufkommenden Grusels zieht es mich wie magisch in Richtung dieser Wand und langsam kann ich tatsächlich eine große, noch undeutliche Höhlenmalerei erkennen. Kann denn das unmögliche wahr sein? Bin ich vielleicht doch der erste moderne Mensch, dem das Glück zuteilwird, eine Höhle noch lebendiger Neandertaler zu Gesicht zu bekommen? Ich trete vorsichtig an die Wand heran und werde eines kleinen Lagerfeuers gewahr, das aus einem kuppelartigen Raum heraus die Wand beleuchtet. Aufgeregt suche ich alles nach Spuren des Feuermachers ab, doch gelange bald zur Überzeugung, dass die Höhlenbewohner auf der Jagd sein müssen. Ich wende mich gespannt zu der Malerei und begutachte sie genauer. Ich gerate aus dem Staunen nicht mehr raus, als ich sehe, was für eine naive Perfektion sich hier vor meinen Augen auftut. Die abgebildeten Figuren scheinen eine Geschichte zu erzählen und ich glaube zu erkennen, dass sie von rechts nach links gelesen werden muss.
Auf der rechten Seite befinden sich viele Häuser, vor welchen horizontal eine Straße verläuft, die von einigen Autos befahren wird. Aus den Fenstern der Häuser und Autos blicken Gesichter, teils freudig, teils mürrisch heraus. Viele Menschen schreiten neben der Straße einher, die sich oft in Gruppen zusammengefunden haben. Die belebte Siedlung vermittelt im Allgemeinen einen recht frohen Eindruck. Weit über den Häusern im übergroßen Ausmaß, so als legte der Künstler besonders großen Wert auf dieses Bildelement, prangt eine Sonne. Sie sendet unzählige Strahlen in Richtung der Siedlung, doch andere Regionen werden von ihnen nicht ergriffen. Folgt man der Straße aus der Siedlung hinaus, so führt sie einen in die Natur und nimmt schließlich vor einem Fluss ein abruptes Ende. Ein jeder Betrachter muss sich wohl ganz unwillkürlich eine Brücke hinzudenken und sicher ins Grübeln darüber geraten, warum der Künstler sie ausgelassen hat. Hier auf dieser Seite des Flusses stehen noch wenige auffällig groß und breit gemalte Menschen und blicken auf die andere Seite des Flusses. Ich studiere diese Menschen etwas genauer und erkenne, dass sie allesamt Tränen auf den Wangen haben und teilweise auf den Knien sitzen und die Hände ringen. Plötzlich durchzuckt mich ein Schrecken. Einige von ihnen bluten! Hektisch und außer mir suche ich nach der Ursache. Mein Herz fängt ein düsteres Trommelspiel im Daktylus an! Oh Gott, Steine! Steine werden über den Fluss auf die armen Menschen geworfen. Und da! An der anderen Seite des Flusses sehe ich eine Gruppe von völlig verkrüppelten Menschen, die Teils im Rollstuhl sitzen, teils mit Krücken gehen oder andere Leiden haben. Diejenigen, die dazu noch in der Lage sind, werfen unter Aufbringung ihrer letzten Kräfte die Steine auf die Menschen am anderen Ufer. Unter ihnen befinden sich auch einige wenige gesunde Menschen, die die Rollstühle schieben oder beim Gehen helfen.
Während ich dieses Bild so betrachte, überfällt mich so eine tiefreichende Traurigkeit, dass ich leise doch heftig zu Weinen beginne. Ich ziehe die Nase hoch und schluchze: „Ach ja. Was habe ich erwartet. Die Höhlenmenschen waren ja schon immer Realisten. Sie hielten damals die Realität fest und warum sollte es heute anders sein. Doch was bringt es schon ständig die Realität zu bedauern? Hier fehlt die Poesie. Die Hoffnung!“
„Die Poesie!? Die Hoffnung!?“ hallt es plötzlich wie ein abgrundtief erzürntes Echo in der Höhle auf. Vor Schock springe ich in die Luft und werfe wilde Blicke wie ein Wahnsinniger kreuz und quer durch die Höhle.
„Denkst du Arschkriecher etwa, dass man damit noch Poesie betreiben kann? Hoffnung haben?“
Eine leichenhafte, aufgedunsene Hand flattert vor meiner Nase herum. Vor Schreck beginne ich zu schreien und führe meinen Blick langsam von der Hand, über die Arme und Schultern, zum Gesicht und mein Schreien schlägt in ein hysterisches Kreischen um: Der Höhlenkünstler ist der leidende, kranke Mann vom Hotel.
„Jetzt erweist du dir sogar noch die Frechheit mich hier zu verfolgen und meine Kunst zu kritisieren! Hau endlich ab, du Scheißkerl!“
Voller Verzweiflung falle ich vor ihm auf die Knie und ringe mit den Händen um Gnade, während ich mich krankhaft auf und nieder beuge und ihm fast schon die Füße küsse.
„Verzeihung! Bitte! Verzeihen Sie…ich….wusste nicht, dass…“
„Du wusstest nicht? Du dummer Arschkriecher! Schau, dass du hier rauskommst! Das ist meine Höhle! Meine Zuflucht! Du Arschloch spielst dich auch noch als großer Kunstkritiker auf, doch bist dümmer als ein Esel! Realismus soll das sein? Wenn du annähernd so viel Grips wie Mundwerk besitzen würdest, hättest du erkannt, dass das Bild surrealistisch ist.“
„Surreal? Gewiss! Natürlich! Ein großes surrealistisches Meisterwerk ist dieses Bild! Aber natürlich! Was rede ich da! Verzeihen sie bitte.“
„Ach das findest du wirklich? Ein großes Meisterwerk?“ fragt der kranke Herr, während ein leises Anzeichen von Stolz über seine wutverzerrten Züge huscht. Langsam scheint er sich zu beruhigen und ich atme auf. In meiner freudigen Unüberlegtheit, in meiner hoffnungsvollen Erleichterung schaltet mein Verstand wieder ganz unwillkürlich aus und völlig intuitiv entschlüpft mir die Frage: „Geht es ihren Händen schon etwas besser?“
Unendlicher Selbsthass überkommt mich unmittelbar nach dem Ausspruch und sofort erkenne ich meinen unverzeihlichen Fehler. Doch zu spät.
„Ich habe dich doch gewarnt! Doch wer nicht hören will muss fühlen!“
Ich kann meinen Augen kaum trauen: Der kranke Mann beugt sich zum Boden, ergreift allen Ernstes einen keineswegs kleinen Stein mit seiner rechten, kranken Hand, erhebt sich und holt zum Wurf aus.
„Ich zähle bis drei, du selbstverliebter, dummer Egoist und das Ding trifft dich mitten am Kopf!“
„Am Kopf? Am Kopf? Nicht doch, bitte nicht!“ winsele ich jämmerlich, springe auf und beginne blind wie ein Maulwurf, nur um vieles rasanter, durch die stockfinstere Höhle zu laufen und –
„Aua!“
pralle mit voller Wucht mit meinem Gesicht gegen die Höhlenwand.
„Eins!“
„Nein! Bitte nicht! Habt doch Mitleid, habt doch Mitleid!“ jammere ich wie ein Verurteilter vor der Hinrichtung und laufe ziellos in die entgegengesetzte Richtung –
„Autsch!“
Schon wieder knallt mein Gesicht gegen die steinerne Höhlenwand und ich höre meinen Nasenknochen brechen.
„Zwei!“
„Nein! Habt Gnade! Verschont mich!“ kreische ich schmerzerfüllt durch die Dunkelheit und starte einen letzten kläglichen Fluchtversucht in die einzige Richtung, die übrig bleibt. Ich mache meinen ersten großen Schritt in Richtung Freiheit, den zweiten und –
„Ah!“
Der Stein trifft mich mitten an der rechten Schulter und ein unerträglicher Schmerz zwingt mich in die Knie. Mit letzter Kraft und dem unbeugsamen Willen zum Leben schleppe ich mich durch die Dunkelheit ans Licht. Auf Vieren kriechend, erreiche ich endlich die Außenwelt. Hoffnungsvolle Erwartungen steigen wie Seifenblassen in meiner Vorstellung auf. Ich krabbele freudig und äußerst zügig voran, wage es aber noch nicht mich umzublicken, da ich befürchte, der verrückte Mann könnte mich jeden Moment einholen und zur Strecke bringen. So tappe ich, ein Kontrastspiel von Freude und Angst in meinem Inneren, nach vorne und – „Auuuuuutsch!“ –stoße mit meiner gebrochenen Nase heftig gegen das rechte Knie meiner Frau. Trotz der unzumutbaren Schmerzen springt mein Herz freudvoll in die Höhe, doch nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich ihr völlig erbostes Gesicht erblicke.
„Was hast du gemacht?“ fragt sie mit bebender Stimme.
„Ich…ich…ich!“ stammele ich vor mich hin, „der Höhlenmensch…er –“
„Der Höhlenmensch!?“ schreit meine Frau in völliger Entrüstung.
„Äh, nein! Der Mann! Der kranke Mann aus dem Hotel –“
„Ich weiß! Ich hab doch alles mitbekommen, das Echo aus der Höhle war nicht zu überhören! Das hätte ich wirklich nicht erwartet! So eine Unverschämtheit!“
Ein weiteres Mal macht sich mein Herzchen bereit in die Lüfte zu springen, da ich für einen Moment glaube, der Groll meiner Frau müsse dem Höhlenmenschen gelten! Sie wird mich rächen! Anders kann es doch nicht sein.
„Du bist unmöglich!“ brüllt sie dann ihr vernichtendes Urteil aus der Tiefe ihrer erzürnten, bebenden Brust.
„Nein, bitte nicht“, entschlüpft mir ein flehendes, leises Wimmern. Doch vergeblich: Sie lässt keine Gnade walten und durchlöchert mich unerbittlich mit ihren verächtlichen Blicken, die noch schmerzvoller sind als alles Leid, das ich jemals erfahren musste.
Völlig allein gelassen und zerstört wende ich mich von ihr ab und erinnere mich plötzlich meiner treuen Freunde der Natur. Hilfesuchend blicke ich die mächtigen Tannen an, doch ihr merkwürdiges Verhalten lässt keinen Platz für Hoffnung. Sie bäumen sich herablassend vor mir auf und ihre verräterischen Gebärden lassen eine dunkle, schreckliche Vorahnung in mir laut werden. Einige Vögel sitzen wie feindliche Späher auf den Zweigen der Tannen. Ihr sonst so lieblich anmutendes Gezwitscher klingt in meinen Ohren plötzlich vielmehr wie ein barbarisches Siegesgekreische. Unwillkürlich halte ich mir die Ohren zu, da mich die Vögel, wie es scheint, mit ihren stechend gellen Tönen zu Tode quälen wollen. Verzweifelt blicke ich noch einmal in die Augen meiner Frau, doch die Klarheit ihres Ausdrucks lässt keinen Zweifel mehr zu: Verrat! Ich wurde in einen Hinterhalt geführt! Ich bin Opfer einer gemeinen und niederträchtigen Verschwörung geworden!
Zerschlagen und vernichtet breche ich zusammen und verliere das Bewusstsein.

 

Hallo Danny Freesen

Da Deine erste hier eingestellte Geschichte noch kein Echo in einem Kommentar fand, habe ich sie mir vorgenommen. Sie hat mich mehr angesprochen, als Deine Andere es vermochte. Resümierend ist mir aufgefallen, dass Du Dich einer weitschweifigen Erzählsprache und eines eigenen Sprachduktus bedienst. Da du momentan Schnitzler liest, könnte es sein, dass er Dich beeinflusst hat? Auch von der Figurenzeichnung her, Schnitzler schrieb bekanntlich gerne über das Innenleben einfacher Menschen, erscheint mir dieser Gedanke nicht abwegig.

Die Geschichte selbst gab mir in ihrer Einfachheit wenig nachhaltige Befriedigung, doch schätzte ich es, dass die Handlung sich in einer grösseren Bandbreite bewegte. Für eine Kurzgeschichte weicht sie in der ausschweifenden Art von der Norm ab, doch muss dies nicht falsch sein, sofern es dem Sinn der Geschichte dient. Im vorliegenden Text könnte ich mir eine Raffung so mancher Umschreibungen vorstellen, ein Autor sollte sich stets Fragen ob es dessen Bedarf, es kurz und prägnant nicht Aussagekräftiger und Spannender wäre.

Beim Lesen sind mir einige Dinge speziell aufgefallen, die ich Dir nachfolgend anführe. Ich habe dabei nicht alles das ich selbst anders dargelegt hätte, festgehalten, da ich ungern an der Intention eines Autors rüttle. Bei den aufgezeigten Passagen solltest du Dir aber Gedanken machen, ob Du es wirklich so formulieren wolltest.

In der rechten Hand halte ich mein Bierglas, welches im Minutentakt zum Mund geführt wird.

Das klingt beinah so, als wäre das Glas fremdbestimmt. Da ein Ich-Erzähler sein Erleben schildert, Du aber wohl ein wiederholendes „ich“ vermeiden wolltest, würde ich den zweiten Satzteil eher folgend darlegen: […], dieses im Minutentakt zum Mund führend.

Ein älterer Herr fängt meine Aufmerksamkeit, der röchelnd vor dem Hotel zum Stehen kommt und völlig erschöpft seinen Wanderrucksack ablegt.

Ich denke nicht, dass es der ältere Herr ist, der die Aufmerksamkeit des Protagonisten einfängt. Vielmehr findet der ältere Herr wohl dessen Beachtung. Mir sind die Atemgeräusche nicht unbekannt, welche gesetzte Semester bei einer Überanstrengung von sich geben. Doch röcheln ist eine sehr dramatische Formulierung, bei einer Agonie würde dies mir die Situation bildlich zeigen, in dieser Situation sehe ich den Mann eher schwer keuchend oder kurzatmig schnaufend.

Seine tränendurchtränkten, roten Augen blicken unruhig umher und zeichnen den Ausdruck von sinnlosem Leid.

Hier überrascht mich Dein Protagonist sehr. Wie erkennt er, dass das Leid, welches sich in der Mimik des ihm Fremden ausdrückt, sinnlos ist. Mir sind die Thesen der Physiognomie bekannt. Lavater ein gestandener Vertreter dieser Gilde vertrat, lange bevor die moderne Psychologie es richtigstellte, die Meinung, man könne dem Menschen anhand der Gesichtszüge in die Seele schauen. Gewisse Empfindungen drückt ein Mienenspiel durchaus aus, doch darüber hinaus ist die Wertigkeit von solchem eher der Fantasie eines Betrachters geschuldet. Ich würde das sinnlos ersatzlos streichen.

Verzweifelt schwirrt mein Blick über die Hütten und Hotels des Gebirgsdorfes, die kräftigen, gesunden Tannen eines mächtigen Berges und gerät an der Spitze des Kolosses ins Stocken.

Das gab mir Grund zu stutzten. Tannen sind in den Berggebieten eher bis weit unter zweitausend Metern vorhanden und von Gebirge spricht man frühestens ab tausendfünfhundert Metern. Ein ähnliches Nadelgehölz ist die Fichte, welche auch eigentlich die Gebirgswälder ziert. Es mag unwichtig erscheinen, könnte gebirgsvertraute Leser jedoch irritieren.

Bist du etwas bind, hä?

blind

Das Unbehagen im meinem Gemüt beginnt sich schmerzhaft zu vervielfachen und schlägt in Angst um.

in / Da es sich um ein Gefühl handelt, also etwas Kompaktes, lässt es sich weder teilen, streuen noch vervielfältigen. Treffender wäre da etwa: verstärken, intensivieren etc.

Leute wie ich wollen kein Mitleid von Arschkriechern wie dir!“[KOMMA] schnaubt er noch […]

„Ja! Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist? Ich…ich hab nicht mehr nachgedacht.“

Vor und nach Auslassungszeichen jeweils ein Leerzeichen setzen. Ausnahme ist einzig, wenn ein Wort nicht voll ausgeschrieben ist, wie Verd…! [Auch bei „Ein Werktag“, hat es diese Unterlassung an zwei Stellen drin, wenn ich mich recht erinnere.]

Sie lächelt mich an und öffnet sie den Mund zum Reden,

Das Fettmarkierte sie ist überflüssig.

Ach! was spielen sie für liebliche Stücke,

Entweder gross fortfahren oder ein Komma nach dem Ausrufezeichen.

Das machen wir!“ [KOMMA] rufe ich, vollkommen überwältigt von der glorreichen Idee,

Auch an andern Stellen im gesamten Text fehlen nach den direkten Reden die Kommas, obwohl die Sätze noch nicht beendet sind.

„Aaaaam Kooooopf? Aaaaam Koooopf?

Hm, solche Wortdehnungen sind mehr in Comics üblich, in literarischen Werken bedient man sich eher der Umschreibung.

Der Ausgang der Geschichte deutet einmal mehr auf einen Hang von Dir hin, es überzeichnend zu dramatisieren. Nun diesen Aspekt will ich hier nicht weiter kommentieren, bin jedoch neugierig, wie es andere Leser wahrnehmen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Hallo Anakreon,
ich danke dir, dass du dir Zeit genommen hast, diese durchaus langatmige Geschichte durchzulesen und sogar einer Korrektur zu unterziehen. Sie ist etwas älter und ich muss zugeben, dass auch ich bei wiederholter Rezeption einen ziemlich langweiligen Beigeschmack an so manchen Stellen vernehme. Mittlerweile habe ich auch gemerkt, dass dieser eher misslungene Versuch einer Nachahmung des klassischen Stils eine ziemlich öde Wirkung hervorruft und sogar eher eine Entfremdung des Lesers vom Protagonisten als eine Identifikation bewirkt. Also so ging es mir jedenfalls, als ich die Lektüre nach längerer Zeit gelesen habe. Was den Einfluss auf diese Geschichte angeht, so hast du nicht ganz Unrecht mit deiner Vermutung, dass wohl irgendeine parallel gelesene Lektüre den Impuls für diesen Erzählstil gegeben hat. Es war damals Heinrich Heine und ich war gerade beim Wandern in den Bergen, da hab ich mich dann wohl ein bisschen zu sehr mitreißen lassen ^^ Hab schon einige weitere Erzählungen, bei denen ich mit einer gesetzteren Sprache arbeite. Mit diesen hab ich allerdings mein Glück bei einigen Ausschreibungen versucht. Wenn es dort nicht geklappt hat, werde ich sie hier den Löwen zum Fraß vorwerfen ... kleiner Scherz.

Ich habe noch einige Anmerkungen zu deinen Korrekturen. Also ich hab bis jetzt äußerst wenig zeitgenössische Literatur gelesen, sondern eher in den Klassikern geschmökert. Daher könnte es sein, dass ich mir bei der Interpunktion vielleicht einige anachronistische Regeln angeeignet habe. Ich führe mal ein paar Beispiele an.

Goethe schreibt in seinem Werther: "... und sie wandte sich um zu sehen, ach! nach mir?"
Solche Stellen, also an denen nach dem Ausrufezeichen klein geschrieben wird, finden sich da zuhauf und ich meine auch sie bei anderen Autoren gesehen zu haben. Ich dachte, dass dies möglich ist, wenn man nur einzelne Wort innerhalb eines Satzes betonen will.

Thomas Mann schreibt in Tonia Kröger: ""Tak! O, mange Tak!" sagte sie, und ...."

Ich bin mir da wirklich nicht sicher, ob deine Korrekturen also unter allen Umständen gelten. Lasse mich aber gerne eines Besseren belehren, wenn du dir da sicher bist, dass das heute nicht mehr so umgesetzt werden kann. Wäre also nett, wenn du mir da noch Auskunft geben könntest.

Ich finde es wirklich super, dass du dir so viel Zeit genommen hast, diese Geschichte unter die Lupe zu nehmen :) Dafür danke ich dir.

Liebe Grüße,
Daniel Friesenhan

 

Hallo Danny Freesen

Goethe schreibt in seinem Werther: "... und sie wandte sich um zu sehen, ach! nach mir?"
Solche Stellen, also an denen nach dem Ausrufezeichen klein geschrieben wird, finden sich da zuhauf und ich meine auch sie bei anderen Autoren gesehen zu haben. Ich dachte, dass dies möglich ist, wenn man nur einzelne Wort innerhalb eines Satzes betonen will.

Thomas Mann schreibt in Tonia Kröger: ""Tak! O, mange Tak!" sagte sie, und ...."

Ich bin mir da wirklich nicht sicher, ob deine Korrekturen also unter allen Umständen gelten. Lasse mich aber gerne eines Besseren belehren, wenn du dir da sicher bist, dass das heute nicht mehr so umgesetzt werden kann. Wäre also nett, wenn du mir da noch Auskunft geben könntest.


Natürlich war Übervater Goethe sich der Schreibregeln gewiss bewusst. Nicht nur in seinem Jugendwerk „Werther“, auch in den andern, etwa seinem reifen Werk „Wahlverwandtschaften“, finden sich solche, den heutigen Regeln gegenüber abweichende Stellen. So lässt er da seinen Protagonisten entgegnen: »Nun denn!« fiel Eduard ein; »bis wir alles dieses mit Augen sehen, wollen wir diese Formel als Gleichnisrede betrachten, woraus wir uns eine Lehre zum unmittelbaren Gebrauch ziehen. […]«

Und der Familie Mann gegenüber, Thomas gehört gar zur näheren Gegenwart, wäre es unerhört, sie in der literarischen Sprache belehren zu wollen.

Der springende Punkt ist jedoch, dass diese Werke vor über 100 („Tonia Kröger“) und 200 Jahren („Die Leiden des jungen Werther“) verfasst wurden. Die deutsche Sprache hatte seither verschiedene Rechtschreibereformen erfahren. Dass die Werke älterer Autoren auch heute noch unverändert mit den damaligen Schreibregeln aufgelegt werden, ist durchaus korrekt. Dennoch ist es für Autoren der Gegenwart unumgänglich, sich an den heute geltenden Rechtschreiberegeln zu orientieren. Verlage lassen sich da kaum auf Experimente ein.

Anbei ein Link auf eine Website, die die gültige Regel bei direkter Rede kurz erläutert: http://www.udoklinger.de/Deutsch/Grammatik/W.Rede.htm

Es ist durchaus denkbar, dass ein hervorragend etablierter Schriftsteller sich das Recht herausnehmen könnte, von den geltenden Regeln abzuweichen, wenn es für ihn einen tieferen Sinn machen würde. Man stösst jedoch allenfalls eher auf Abweichungen, wenn man Übersetzungen aus andern Sprachen liest, bei denen aus literarischen Überlegungen Besonderheiten übernommen wurden. Dies ist jedoch darauf zurückzuführen, dass in andern Sprachen teils gravierend andere Regeln bestehen oder bestimmte Regulierungen, die im Deutschen gegeben sind, fehlen.

Ich hoffe, diese Ausführung hilft Dir bei Deiner Entscheidungsfindung und der Orientierung beim künftigen Schaffen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

ich danke dir für deine ausführliche Belehrung :read:
Ich werde mir deine Hinweise hinter die Ohren schreiben.

Eine Anmerkung jedoch noch.

Und der Familie Mann gegenüber, Thomas gehört gar zur näheren Gegenwart, wäre es unerhört, sie in der literarischen Sprache belehren zu wollen.

Wollte an dieser Stelle nur mal den mit dieser Aussage möglicher Weise aufkommenden Verdacht beseitigen, dass ich jemals ein solches Ansinnen im Sinn hatte.
Ich weiß zwar nicht, ob du darauf hinaus wolltest, aber man muss sich ja schon fragen, warum du das sonst an dieser Stelle erwähnst, da der Bezug auf meine eigentliche Frage ja fehlt.

Das soll jetzt aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich dir sehr dankbar bin für die investierte Zeit.

Liebe Grüße,
Danny Feesen

 

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