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Die Vernehmung des Johannes Ostermann
Ja, es stimmt meine Herren.
Heinrich Bosch und ich waren letzten Donnerstag zusammen.
Das alles begann als Zeitvertreib und für mich war es nie etwas anderes als l'art pour l'art aber Bosch entwickelte einen großen Ehrgeiz. Sie haben seine Sammlung gesehen und glauben mir vielleicht meine Sorgen. Manche der Schriften mögen, wenn auch unbestreitbar widerlich, so doch interessant sein und manche der Götzen wurden vielleicht tatsächlich bei Ritualen verwendet, doch sind diese Dinge etwas für ein Museum, nicht für einen gealterten Jeunesse dorée, der nicht weiß wohin mit seinem Geld. Erst vorigen Monat gab Heinrich für einen Kelch, aus Togo behauptete der Verkäufer, ohne zu verhandeln den Jahreslohn dreier seiner Arbeiter hin. Zum Abend platzierte er ihn dann auf der Kredenz neben den Canapé um der Ehefrau seines Gastes zu erklären, was darin angeblich gesammelt wurde.
Seit Monaten schon genügte ihm die Theorie nicht mehr und so plante er Ausflüge, die er in seinem Verve „Expeditionen“ nannte. Expeditionen! Zu Beginn hatte ich noch Hoffnung, dass er über das Planen nicht hinaus käme, doch hatte ich seinen Wahn unterschätzt und so ging ich mit, um auf ihn Acht zu geben.
Diese Ausflüge blieben fruchtlos. Ich habe im Verlauf des letzten Jahres verfluchte Mühlen, Wälder und Friedhöfe gesehen, doch fanden wir nie etwas Übernatürliches. Zum Glück, wie ich nun weiß.
Ihre Zeugin, Magda Belzer, beobachtete uns letzten Donnerstag im Tannenweg, als ich mich mit dem Kanaldeckel mühte. Bosch schwänzelte um mich herum und wedelte mit dem Papier in der Luft, das für unseren neuerlichen Ausflug verantwortlich war. Er hatte es von einem Christian Graupner erworben, einem versoffenen Clochard, der vor dreißig Jahren beim Bau der Kanalisation beschäftigt war. Bosch schwadronierte vor sich hin, was für ein Fund dies Blatt sei. Mehrfach benutzte er die Worte: „Unglaublich“ und „Glück“.
Der Kanal war eng. Das Licht der Petroleumlampen reichte uns kaum zwei Schritt voraus. Wir mussten gebückt gehen und strichen mit Beinen und Schultern an der nassen Wand entlang. Einmal blieb Bosch stehen, sah auf sein Papier und murmelte dazu: „Ostermann. Hier hat man sie hingebracht.“ Dann klopfte er die Mauer, als wenn man Schultern klopft. Nickend, mit geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen.
Wir kamen an eine Kreuzung. Links und rechts und vorne die gleichen stinkenden Tunnel. Heinrich sah auf sein Blatt, dann von einem Gang zum anderen, dann wieder zurück zum Blatt und mit jeder Unze Unsicherheit stieg meine Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser unwürdigen Unternehmung. Aber natürlich gingen wir weiter. Wir bogen nach links ab. Dann später nach rechts. Dann eine lange Zeit geradeaus. Dann einmal rechts? Nochmal vielleicht.
Er hielt schließlich vor einem Gang der nach unten führte, in einem Winkel von etwa 30 Grad. Der Boden war schmierig und erst nach einigen hitzigen Worten konnte ich Bosch überzeugen, sich am Seil hinab zu lassen. Er setzte sich auf den Boden, rutschte hinunter, doch dabei verlor er seine Lampe. Sie rutschte zu Boden und erlosch dort im Schlamm. Ich reichte ihm die meine, blieb zurück und hielt das Seil. Denkbar, dass es eine Möglichkeit zur Befestigung gegeben hätte, aber ich suchte nicht. Er entfernte sich, das Licht wurde kleiner und ich hörte seine schmatzenden Schritte im Schlamm. Er mochte zwanzig Schritte gegangen sein, dreißig womöglich, dann war das Licht verschwunden. Plötzlich, als hätte er es gelöscht und ich blieb allein im Dunkel. Ich rief ihn an und es war mir dabei merkwürdig zuwider, blind ins Dunkle zu rufen. Mir war, als schließe sich ein schwarzes Tuch um mich und als könne mein Echo anders klingen, wenn es von hinter diesem Tuch zu mir zurück kam. Das Licht tauchte wieder auf.
„Johannes!“ rief er.
Ich brauchte ein paar Sekunden um Speichel zu sammeln, bevor ich antwortete.
Er sprach von einer Mauer aus Stein und einem Durchgang. Und in seiner Stimme brach die Euphorie eines Manischen einzelne Worte wie Wellen: „Mauer, Pforte, gehe.“
Er ging. Es war wieder dunkel. Ich atmete flach. Auch das Atmen kam mir wie ein Eindringen nach dort vor und war mir merkwürdig intim. Ich hielt das Seil. Ich dachte ans Fischen. Aber was immer es dort zu fangen gab - dann schrie Bosch und schon war im Schlamm schmatzen, schnell und hastig und es hörte sich an, als ob er stürzte und sich aber gleich wieder aufmachte und gleich darauf wurde mir das Seil aus den Händen gerissen, mit solcher Wucht, dass es mir heiß durch die Finger fuhr und ich warf mich auf den Boden und hielt meine Hand hinunter und es war die reine Angst die ich hielt. Ich konnte die Hand nicht halten, griff noch einmal zu, nahm die zweite Hand zu Hilfe und ich zerrte und ich rief:
„Bei Gott Bosch!“
Und er rief: „Ostermann!“, und es durchfuhr mich.
Denn er rief von da. Von da, wo seine Lampe verschwunden war. Von da hinten. Und die Hand zog an meiner, drückte nur so stark wie bei einem Händedruck und ich schrie nicht auf, denn mir war so grau.
Und es dauerte.
Dann wurde meine Hand losgelassen. Sanft wie beim Fingerspiel Liebender, gleiten, streicheln und zum Ende hin auch spielen. Ich ging einen Schritt zurück, stolperte und fiel. Weil ich meine Hand nicht mehr mochte, schlug ich gegen den Boden. Ich hörte auf, als die Faust nichts mehr taugte und die Finger baumelten.
Ich ging.
Wenn ich gegen etwas stieß, nahm ich einen anderen Weg.
In der Stadt wurde ich von Ihrer zweiten Zeugin gesehen und kurz darauf von Ihnen aufgegriffen.
Wie oft soll ich es noch sagen, ja es war die Pest.
Die Schweden waren vor den Toren und man hatte wohl Angst vor einem Feuer in der Stadt.
Man wusste wahrscheinlich einfach nicht wohin.
Damit.
Mehr weiß ich nicht.
Das wär ja noch die Hauptsache, dass Sie mir hier - ja beim Bau der Kanalisation sind sie drauf gestoßen.
Aber auch das habe ich Ihnen bereits erklärt.
Mehrfach.