Was ist neu

Die Vernehmung des Johannes Ostermann

Mitglied
Beitritt
07.09.2015
Beiträge
22

Die Vernehmung des Johannes Ostermann

Ja, es stimmt meine Herren.
Heinrich Bosch und ich waren letzten Donnerstag zusammen.
Das alles begann als Zeitvertreib und für mich war es nie etwas anderes als l'art pour l'art aber Bosch entwickelte einen großen Ehrgeiz. Sie haben seine Sammlung gesehen und glauben mir vielleicht meine Sorgen. Manche der Schriften mögen, wenn auch unbestreitbar widerlich, so doch interessant sein und manche der Götzen wurden vielleicht tatsächlich bei Ritualen verwendet, doch sind diese Dinge etwas für ein Museum, nicht für einen gealterten Jeunesse dorée, der nicht weiß wohin mit seinem Geld. Erst vorigen Monat gab Heinrich für einen Kelch, aus Togo behauptete der Verkäufer, ohne zu verhandeln den Jahreslohn dreier seiner Arbeiter hin. Zum Abend platzierte er ihn dann auf der Kredenz neben den Canapé um der Ehefrau seines Gastes zu erklären, was darin angeblich gesammelt wurde.
Seit Monaten schon genügte ihm die Theorie nicht mehr und so plante er Ausflüge, die er in seinem Verve „Expeditionen“ nannte. Expeditionen! Zu Beginn hatte ich noch Hoffnung, dass er über das Planen nicht hinaus käme, doch hatte ich seinen Wahn unterschätzt und so ging ich mit, um auf ihn Acht zu geben.
Diese Ausflüge blieben fruchtlos. Ich habe im Verlauf des letzten Jahres verfluchte Mühlen, Wälder und Friedhöfe gesehen, doch fanden wir nie etwas Übernatürliches. Zum Glück, wie ich nun weiß.
Ihre Zeugin, Magda Belzer, beobachtete uns letzten Donnerstag im Tannenweg, als ich mich mit dem Kanaldeckel mühte. Bosch schwänzelte um mich herum und wedelte mit dem Papier in der Luft, das für unseren neuerlichen Ausflug verantwortlich war. Er hatte es von einem Christian Graupner erworben, einem versoffenen Clochard, der vor dreißig Jahren beim Bau der Kanalisation beschäftigt war. Bosch schwadronierte vor sich hin, was für ein Fund dies Blatt sei. Mehrfach benutzte er die Worte: „Unglaublich“ und „Glück“.

Der Kanal war eng. Das Licht der Petroleumlampen reichte uns kaum zwei Schritt voraus. Wir mussten gebückt gehen und strichen mit Beinen und Schultern an der nassen Wand entlang. Einmal blieb Bosch stehen, sah auf sein Papier und murmelte dazu: „Ostermann. Hier hat man sie hingebracht.“ Dann klopfte er die Mauer, als wenn man Schultern klopft. Nickend, mit geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen.
Wir kamen an eine Kreuzung. Links und rechts und vorne die gleichen stinkenden Tunnel. Heinrich sah auf sein Blatt, dann von einem Gang zum anderen, dann wieder zurück zum Blatt und mit jeder Unze Unsicherheit stieg meine Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser unwürdigen Unternehmung. Aber natürlich gingen wir weiter. Wir bogen nach links ab. Dann später nach rechts. Dann eine lange Zeit geradeaus. Dann einmal rechts? Nochmal vielleicht.

Er hielt schließlich vor einem Gang der nach unten führte, in einem Winkel von etwa 30 Grad. Der Boden war schmierig und erst nach einigen hitzigen Worten konnte ich Bosch überzeugen, sich am Seil hinab zu lassen. Er setzte sich auf den Boden, rutschte hinunter, doch dabei verlor er seine Lampe. Sie rutschte zu Boden und erlosch dort im Schlamm. Ich reichte ihm die meine, blieb zurück und hielt das Seil. Denkbar, dass es eine Möglichkeit zur Befestigung gegeben hätte, aber ich suchte nicht. Er entfernte sich, das Licht wurde kleiner und ich hörte seine schmatzenden Schritte im Schlamm. Er mochte zwanzig Schritte gegangen sein, dreißig womöglich, dann war das Licht verschwunden. Plötzlich, als hätte er es gelöscht und ich blieb allein im Dunkel. Ich rief ihn an und es war mir dabei merkwürdig zuwider, blind ins Dunkle zu rufen. Mir war, als schließe sich ein schwarzes Tuch um mich und als könne mein Echo anders klingen, wenn es von hinter diesem Tuch zu mir zurück kam. Das Licht tauchte wieder auf.
„Johannes!“ rief er.
Ich brauchte ein paar Sekunden um Speichel zu sammeln, bevor ich antwortete.
Er sprach von einer Mauer aus Stein und einem Durchgang. Und in seiner Stimme brach die Euphorie eines Manischen einzelne Worte wie Wellen: „Mauer, Pforte, gehe.“
Er ging. Es war wieder dunkel. Ich atmete flach. Auch das Atmen kam mir wie ein Eindringen nach dort vor und war mir merkwürdig intim. Ich hielt das Seil. Ich dachte ans Fischen. Aber was immer es dort zu fangen gab - dann schrie Bosch und schon war im Schlamm schmatzen, schnell und hastig und es hörte sich an, als ob er stürzte und sich aber gleich wieder aufmachte und gleich darauf wurde mir das Seil aus den Händen gerissen, mit solcher Wucht, dass es mir heiß durch die Finger fuhr und ich warf mich auf den Boden und hielt meine Hand hinunter und es war die reine Angst die ich hielt. Ich konnte die Hand nicht halten, griff noch einmal zu, nahm die zweite Hand zu Hilfe und ich zerrte und ich rief:
„Bei Gott Bosch!“
Und er rief: „Ostermann!“, und es durchfuhr mich.
Denn er rief von da. Von da, wo seine Lampe verschwunden war. Von da hinten. Und die Hand zog an meiner, drückte nur so stark wie bei einem Händedruck und ich schrie nicht auf, denn mir war so grau.
Und es dauerte.
Dann wurde meine Hand losgelassen. Sanft wie beim Fingerspiel Liebender, gleiten, streicheln und zum Ende hin auch spielen. Ich ging einen Schritt zurück, stolperte und fiel. Weil ich meine Hand nicht mehr mochte, schlug ich gegen den Boden. Ich hörte auf, als die Faust nichts mehr taugte und die Finger baumelten.
Ich ging.
Wenn ich gegen etwas stieß, nahm ich einen anderen Weg.
In der Stadt wurde ich von Ihrer zweiten Zeugin gesehen und kurz darauf von Ihnen aufgegriffen.
Wie oft soll ich es noch sagen, ja es war die Pest.
Die Schweden waren vor den Toren und man hatte wohl Angst vor einem Feuer in der Stadt.
Man wusste wahrscheinlich einfach nicht wohin.
Damit.
Mehr weiß ich nicht.
Das wär ja noch die Hauptsache, dass Sie mir hier - ja beim Bau der Kanalisation sind sie drauf gestoßen.
Aber auch das habe ich Ihnen bereits erklärt.
Mehrfach.

 

Hey @Calua ,

bislang noch nichts von dir gelesen. Schreiben kannst du, so viel kann ich sagen. Aber was den Inhalt angeht, bin ich mir nicht sicher, ob ich alles verstehe.
Ostermann wird vernommen, er hat sich mit Bosch getroffen. Bosch hat eine Art Plan, mit dem die beiden in die Katakomben gehen. Ich weiß, dass sie nach etwas Übernatürlichem suchen. Aber das Ende verwirrt mich. Wem gehört diese Hand und warum heißt es »Pest«? Eine Lesart wäre, dass dort die Pest ausgebrochen ist und die Leute sich in die Katakomben flüchten. Was zum Geier aber hätte das mit diesem Bosch zu tun? Hält er die Pest für etwas Übernatürliches [und was ist mit diesem Kelch aus Togo?] Und außerdem nochmal: Wem gehört dann die Hand und warum spielt sie an Ostermanns Hand herum? Zweite Lesart, dein Bosch ist so etwas wie ein Dr. Frankenstein und hat in den Katakomben ein Monster gezüchtet (oder eines gefunden?). Das geht aber nicht mit den Informationen am Ende zusammen, würde aber irgendwie diese monsterhafte Hand erklären. Und warum spricht Bosch aus Entfernung, warum erschrickt das Ostermann. Ich raffs nicht, klär mich bitte auf :lol:

Kelch, aus Togo behauptete der Verkäufer, ohne zu

Komma nicht vor »aus«, sondern nach »Togo«?

Kanaldeckel mühte

abmühte würde ich schreiben.

Ich rief ihn an und es war mir dabei merkwürdig zuwider, blind ins Dunkle zu rufen

Es geht um eine »Anrufung«, verstehe. Ich denke aber zuerst an das Telefon. Ist mir auch erst gegen Ende der Story völlig klar gewesen, dass das eine Historie ist und nicht eine Story aus unserer Zeit, die ihr Setting historisiert.

»Denn er rief von da. Von da, wo seine Lampe verschwunden war. Von da hinten. Und die Hand zog an meiner, drückte nur so stark wie bei einem Händedruck und ich schrie nicht auf, denn mir war so grau.
Und es dauerte.
Dann wurde meine Hand losgelassen. Sanft wie beim Fingerspiel Liebender, gleiten, streicheln und zum Ende hin auch spielen. Ich ging einen Schritt zurück, stolperte und fiel. Weil ich meine Hand nicht mehr mochte, schlug ich gegen den Boden. Ich hörte auf, als die Faust nichts mehr taugte und die Finger baumelten.
Ich ging.
Wenn ich gegen etwas stieß, nahm ich einen anderen Weg.
In der Stadt wurde ich von Ihrer zweiten Zeugin gesehen und kurz darauf von Ihnen aufgegriffen.
Wie oft soll ich es noch sagen, ja es war die Pest.
Die Schweden waren vor den Toren und man hatte wohl Angst vor einem Feuer in der Stadt.
Man wusste wahrscheinlich einfach nicht wohin.
Damit.
Mehr weiß ich nicht.
Das wär ja noch die Hauptsache, dass Sie mir hier - ja beim Bau der Kanalisation sind sie drauf gestoßen.
Aber auch das habe ich Ihnen bereits erklärt.
Mehrfach.«

Das war der Part, in dem ich den Überblick verloren habe.

Liebe Grüße
Carlo:gelb:

 

Hallo Carlo,

vielen Dank für Deine Kritik. :-)
Die Geschichte hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel.
Ich wollte sie trotzdem als Einstieg hier nutzen aber ich fürchte, ich hab sie vielleicht irgendwann zu Tode korrigiert. Bzw. bis zur Unverständlichkeit hin gekürzt.
Das merkt man immer erst, wenn mal jemand gegen liest.

Ursprüngliche Inspiration war eine Szene aus dem Film "Bis das Blut gefriert" aus den 60ern. Zwei Figuren liegen in einem Bett. Es ist dunkel. Auf einmal kommen Geräusche, man hört die Gedanken der einen Figur und sie ist froh, die Hand der anderen zu halten. Auch die muss Angst haben, so stark, wie sie zudrückt. Dann geht das Licht an und sie liegt gar nicht im Bett sondern allein auf einem Sofa neben dem Bett.

Zum Plot:
Bosch ist ein Industrieller im späten 19 Jhd. mit zu viel Geld und Zeit und sieht das Übersinnliche als interessantes Hobby. Eines Tages kauft er die Notizen eines alten Arbeiters, der beim Bau der Kanalisation beschäftigt war und damals etwas entdeckt hat.
Ein vergessenes Massengrab, in das die Bewohner der Stadt im 30-jährigen Krieg die Pesttoten geworfen haben. Beim Bau der Kanalisation stieß man auf dieses Grab und scheinbar hat etwas darin überlebt. Ostermann glaubt, die Hand Boschs zu halten, tatsächlich ist sie es aber nicht.

Na gut, der Plot ist flach wie eine sehr zweidimensionale und unlogische Flunder. :-p

Der nächste ist besser! (Zumindest sieht er momentan [noch] danach aus.) ;-)

Viele Grüße und vielen Dank nochmal!
Calua

 

ich hab sie vielleicht irgendwann zu Tode korrigiert. Bzw. bis zur Unverständlichkeit hin gekürzt.

oh, dieses Problem kenne ich auch sehr gut. Ja, so ist das manchmal.

sie trotzdem als Einstieg hier nutzen

Ein nachträgliches Herzlich Willkommen übrigens.

Das merkt man immer erst, wenn mal jemand gegen liest.

ja, habe ich auch gerade wieder bei einer Geschichte von mir selbst erlebt. Ich war erschrocken, dass ich selbst so überzeugt davon war, wie klar diese Story ist und wie genial.

Bis das Blut gefriert

kannte ich noch nicht, aber sieht kultig aus

Ostermann glaubt, die Hand Boschs zu halten, tatsächlich ist sie es aber nicht.

Na gut, der Plot ist flach wie eine sehr zweidimensionale und unlogische Flunder. :-p


ach was. Warum soll das ein flacher Plot sein, auch nicht zweidimensional und unlogisch. Bloß hier und da um wichtige Infos verkürzt, denke ich. Das Ostermann die Hand von einem Katakombenbewohner greift und die Handlung zurück zu seinem Verhör springt wäre doch ein ganz guter Abschluss. Allerdings könntest du da mindestens ne Erzählung draus machen, denke ich. Ist doch interessant, was jetzt passiert. Das ist ja gerade erst der Startschuss. Irgendsoein verwirrter Typ, der diese groteske Story von sich gibt. Glaubt man ihm oder nicht? Gerät das Problem außer Kontrolle? Muss er selbst dagegen vorgehen (um Bosch zu retten)? Hat er Verbündete? Du merkst, die Story interessiert mich.

Der Titel übrigens klingt sehr nach Kirchenmalerei. Das passt schon zu der Zeit und so, falls das aber wirklich mal wachsen sollte, würde ich den Titel vielleicht etwas schnittiger auf »Die Vernehmung« verkürzen oder zumindest das Johannes Ostermann ändern.

LG

 

Hallo @Kahasimir,

Da schau an! Da schreibt man jahrelang immer wieder an ner Geschichte rum und trotzdem entgeht einem sowas wie "Liebender". Natürlich impliziert das ein Element von Gegenseitigkeit, richtig müsste es: "eines Liebenden" oder sowas in der Art heißen. Vielen Dank.

Wirklich interessant wie Du die Geschichte weiterentwickelst. Eine Korrumpierung kam mir gar nicht in den Sinn. Ich wollte einfach beschreiben wie er in eine Art betäubende Panik verfällt, verursacht durch eine Erschütterung seines Weltbildes. Deshalb auch das lapidare: "Weil ich meine Hand nicht mehr mochte". Ich stell ihn mir vor, wie er mit großen Augen durch die Kanalisation geht, mal hinfällt und wieder aufsteht, sich den Kopf an einem Rohr blutig schlägt und weiter geht, gegen eine Steinmauer läuft und in eine andere Richtung geht und denkt: "Es ist wahr. Es ist wahr. Es ist wahr"

Die Überlegung, dass Ostermann statt in eine Panik in den Wahnsinn abdriftet, ist interessant. Tatsächlich hab ich sowas in einer deutlich aktuelleren Geschichte verwendet, die ebenfalls in den Rahmen eines Verhörs eingebettet ist, allerdings mit einem anderen Setting.

Der Schachtelsatz war, wie Du schon vermutest, bewusst gewählt. Aber hier zeigt sich was passiert, wenn man einen Text zu lang im stillen Kämmerlein überarbeitet - man bemerkt schlicht nicht mehr, wenn etwas unverständlich ist. Und gewöhnt sich vielleicht auch zu sehr an den Klang einzelner Sätze, als das man noch groß in ihnen rumfuhrwerkt.

Die Schweden mussten herhalten, weil mir zum Schluss plötzlich aufgefallen ist, dass es vielleicht eines Grundes für ein Massengrab unter einer Stadt bedarf. Aber wenn Ostermann wahnsinnig wird, ergeben sich da neue Möglichkeiten. Man könnte viel erklären, ohne wirklich was erklären zu müssen - naja, vielleicht setzt ich mich ja doch noch mal dran. :-)

Vielen Dank und viele Grüße
Calua

 

Hallo @Carlo Zwei,

Ein nachträgliches Herzlich Willkommen übrigens.
Vielen Dank :-)

ja, habe ich auch gerade wieder bei einer Geschichte von mir selbst erlebt. Ich war erschrocken, dass ich selbst so überzeugt davon war, wie klar diese Story ist und wie genial.
Ich glaub, der erste Schritt um ein besserer Autor zu werden ist zu akzeptzieren, dass man ohne Leute die Gegenlesen schlicht nichts Anständiges auf die Reihe bringen kann. Bzw. nur was, dass man selber versteht.

kannte ich noch nicht, aber sieht kultig aus
Ich hab den schon sehr lange nicht mehr gesehen und als Kind gruselt man sich ja noch erheblich leichter. Trotzdem ist der empfehlenswert. Man sieht nix, keinen Geist, keinen Dämon, keine Leiche oder sonst was. Die musikalische Untermalung ist fast nicht vorhanden (nach meiner Erinnerung); wenn´s dann nachts plötzlich im ganzen Haus wummert ist der Kontrast umso größer + die Gedanken der Protagonistin dazu, die langsam in den Wahnsinn abgleitet. Außerdem ist er schwarz-weiß :-)
1999 gab es mal eine Neuverfilmung (Naja, die hatte dann Geister und all das Zeug) und Netflix hat ne Serie draus gemacht. Die kenne ich aber nicht.

(um Bosch zu retten)
Witzig wie einem irgendwann das Naheliegendste flöten geht. Dass er seinen Freund einfach so kommentarlos aufgibt ist mir, so komisch wie es klingt, irgendwie nie aufgefallen.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom