Die Vernehmung des Johannes Ostermann
Ja, es stimmt meine Herren.
Heinrich Bosch und ich waren letzten Donnerstag zusammen.
Das alles begann als Zeitvertreib und für mich war es nie etwas anderes, aber Bosch entwickelte eine große Leidenschaft. Sie haben seine Sammlung gesehen und glauben mir vielleicht meine Sorgen, manche der Schriften mögen, wenn auch unbestreitbar widerlich, so doch interessant sein und manche der Gefäße wurden vielleicht tatsächlich bei Ritualen verwendet, doch sind diese Dinge etwas für ein Museum nicht für einen Privatmann.
Es gibt nur wenige Sammler, die sich hässliche Fratzen ins Speisezimmer stellen oder einen Kelch auf der Anrichte trapieren, um der Ehefrau des Gastes zu erklären was darin gesammelt wurde. Erst vorigen Monat gab Heinrich für eine Götzenstatue, aus Afrika behauptete der Verkäufer, ohne zu verhandeln, den Jahreslohn dreier seiner Arbeiter hin. Als ich ihn darauf ansprach sagte er nur: „Du weißt nicht, wovon du sprichst.“
Bald genügte ihm die bloße Theorie nicht mehr, er plante Ausflüge die er „Expeditionen“ nannte und zu Beginn hatte ich noch die Hoffnung, dass er über das Planen nicht hinaus käme ,doch hatte ich seinen Wahn unterschätzt und so ging ich mit, um auf ihn Acht zu geben. Natürlich blieben diese Ausflüge fruchtlos. Ich habe im Lauf der letzten Jahre viele angeblich verfluchte Mühlen, Wälder und Friedhöfe gesehen, doch fanden wir dort nie etwas übernatürliches. Zum Glück, wie ich nun weiß.
Ihre Zeugin, Christina Belzer, beobachtete uns letzten Donnerstag im Tannenweg, als ich mich gerade mit dem Kanaldeckel mühte. Bosch schwänzelte um mich herum und wedelte mit dem Papier in der Luft, das für unsern neuerlichen Ausflug verantwortlich war. Er redete vor sich hin, was für ein außerordentlicher Fund dies Blatt sei, mehrfach benutzte er die Worte: „Unglaublich“ und „Glück“.
Der Kanal war eng und das Licht der Öllampen reichte kaum zwei Schritte voraus. Wir konnten uns nicht aufrichten und strichen mit Beinen und Schultern an den nassen Wänden entlang. Ich atmete Luft, die so feucht war, dass man ans Trinken dachte.
Manchmal eilte Bosch einige Schritte voraus, blieb dann stehen und sah auf das Papier und wirkte wie ein Kind, das beim Sonntagsspaziergang ungeduldig auf die Eltern warten muss.
Mindestens fünf mal rief er gegen die Wand hin: „Ostermann. Hier hat man sie hingebracht.“ Dann klopfte er die Mauer, wie man freundschaftlich auf Schultern klopft. Kamen wir an eine Kreuzung, sah Heinrich auf das Blatt und manchmal murmelte er dazu aber ich verstand ihn kein einziges mal.
Einmal erforschte ich einen Tunnel, der schräg nach oben führte zwei Schritt weit und als ich umdrehte, sah ich Bosch schon kaum noch. Er war allein unterwegs.
Er hielt vor einem Gang der steil abfiel, in einem Winkel von vielleicht 30 Grad. Der Boden war aus Schlamm und erst nach einigen hitzigen Worten konnte ich Bosch überzeugen, sich am Seil hinab zu lassen. Er legte sich auf den Schlamm und rutschte hinunter. Dabei fiel ihm vor Ungeduld seine Lampe aus den Händen und erlosch. Ich legte mich flach auf den Boden und reichte meine Lampe so weit hinunter wie möglich und mit einiger Anstrengung erreichte er sie. Es gab keine Möglichkeit, das Seil zu befestigen und so blieb ich zurück, er entfernte sich, das Licht wurde kleiner und ich hörte ihn schwer gehen im Schlamm, es schmatzte tief. Er mochte vielleicht zwanzig Schritte gegangen sein, vielleicht dreißig, es war schwer zu erkennen, dann war das Licht verschwunden. Plötzlich, als hätte er es gelöscht und ich blieb allein im Dunkel. Ich rief ihn an und es war mir dabei merkwürdig zuwider, blind ins Dunkle zu rufen, mir war, als schließe mich eine Wand ein und als könne das Echo anders klingen, wenn es von hinter dieser Wand zu mir zurück kam.
Das Licht tauchte wieder auf.
„Johannes!“ rief er.
Ich brauchte ein paar Sekunden um Speichel zu sammeln, bevor ich antwortete.
Er sprach von einer Mauer aus Stein und einem Durchgang. Und in seiner Stimme brach die Euphorie eines manischen einzelne Worte wie Wellen: „Mauer, Tor, gehe“
Er ging und es war wieder dunkel. Ich hielt mein Seil mit beiden Händen. Ich atmete flach. Auch das kam mir wie ein Schritt nach dort vor und war mir merkwürdig intim. Ich zog am Seil und dachte dabei an jemand der fischt, aber was immer es dort zu fangen gab - dann schrie er und schon war im Schlamm schmatzen, schnell und hastig und es hörte sich an als ob er stürzte und sich aber gleich wieder aufmachte und gleich darauf wurde mir das Seil aus den Händen gerissen mit solcher Wucht das es mir heiß durch die Finger fuhr und ich warf mich auf den Boden und hielt meine Hand hinunter und es war die reine Angst die ich hielt. Ich konnte die Hand nicht halten, griff noch einmal zu, nahm die zweite Hand zu Hilfe und ich zerrte und ich rief:
„Bei Gott Bosch!“
Und er rief: „Ostermann!“
Und seine Stimme fing mich wie ein grauer Fischer, er rief meinen Namen und das klang wie einer der Irren, wenn sie Kuchen sehen und sich in ihrer Unschuld darüber freuen wie die Kinder, ganz bar von Grimm und Bösem, nur die reine, unschuldige, ehrliche Freude im wahrsten Sinne des Wortes! Und er rief von da wo seine Lampe verschwunden war. Und die Hand zog, drückte nur so stark wie bei einem Händedruck und ich schrie nicht auf, denn mir war so grau und es dauerte.
Dann wurde meine Hand losgelassen, sanft wie beim Fingerspiel liebender, gleiten, streicheln und zum Ende hin auch spielen. Ich ging einen Schritt zurück, stolperte und fiel. Weil ich meine Hand nicht mehr mochte, schlug ich gegen den Boden. Es klang wie beim Händeklatschen nach einem guten Stück und mir fuhr es jedesmal kalt über den Rücken. Ich hörte auf, als die Faust nichts mehr taugte und die Finger baumelten.
Ich ging. Wenn ich gegen etwas stieß, nahm ich einen anderen Weg.
In der Stadt wurde ich von ihrer zweiten Zeugin gesehen und kurz darauf von Ihnen aufgegriffen.
Wie oft soll ich es denn noch sagen, ja es war wegen der Pest.
Die Schweden waren vor den Toren und man hatte damals keinen Platz und kein Holz mehr.
Man wusste wahrscheinlich einfach nicht, wohin.
Damit.
Vielleicht schrieb man es auf um sie später zu begraben, ich weiß es nicht.
Aber auch das habe ich Ihnen bereits erklärt.
Mehrfach.