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Die Verleihung

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06.10.2012
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Die Verleihung

Ich betrete die letzten sieben Stufen, die das Publikum von der Bühne trennen. Der rote Samtteppich dämpft meine schnellen und energischen Schritte ab. Eigentlich kann ich hohe Absätze nicht ausstehen, aber zu diesem Anlass blieb mir wohl nichts anderes übrig. Ich werde fast taub von meinem eigenen Herzklopfen. Der Weg bis zum Rednerpult erscheint endlos. Die gut fünftausend Augenpaare verfolgen jede meiner verkrampften Bewegungen. Die Live-Kameras sind auf mich gerichtet; bereit, jede meiner kleinsten Regungen bis in das letzte Wohnzimmer des Planeten zu übertragen. Es sieht zweifellos lächerlich aus, wie ich stocksteif über die Bühne stolziere. Endlich erreiche ich das Pult, eine rettende Insel, an der ich mich festhalten kann, kurz bevor ich ertrinke.
Dies ist er also, der Augenblick, den ich so lange herbeigesehnt habe. Wie oft habe ich mir vorgestellt, genau hier zu stehen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, umgeben von zahllosen Menschen, die mich schätzen, die meine Leistungen der vergangenen Jahre anerkennen.
Erst jetzt schaue ich ins Publikum. Eine bunte Masse von erwartungsvollen Gesichtern blickt zu mir auf. Es herrscht eine bedeutungsschwere Stille, die nur durch gelegentliches Husten und Räuspern durchdrungen wird. Mit klitschnassen Händen ertaste ich meine Dankesrede, die auf dem Pult bereit liegt. Alles wartet darauf, dass meine Stimme der Stille ein Ende setzt, schließlich hat mich der Moderator mit so vielversprechenden Worten angekündigt. Bevor ich beginne, nehme noch einen letzten, leise zischenden, tiefen Atemzug. Der markante Duft meines Maiglöckchen-Holunder-Parfums benebelt mich noch zusätzlich.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren; liebe Kollegen, es ist eine große Ehre für mich, heute gemeinsam mit Ihnen hier sein zu dürfen, um unsere Erfolge im Bereich der Quantenphysik zu feiern.“

Meine Stimme zittert nur leicht. Ich setzte meine gesamte Kraft ein, um klare, deutliche Worte hervorzubringen.

„Ich stehe hier stellvertretend für ein großartig harmonierendes Team von hochqualifizierten Wissenschaftlern.“

Das alles erscheint mir nun heuchlerisch. Ich erinnere mich genau, wie ich Tag und Nacht geschuftet habe, während die anderen sich einen gemütlichen Feierabend machten. Wie ich das Projekt am Laufen gehalten habe, als keiner mehr Motivation aufbringen konnte. Wie ich die fehlerhaften Ergebnisse meiner Kollegen korrigiert und sie erst in eine nutzbare Form gebracht habe. Aber immerhin lassen sie mich dafür nun allein den Preis entgegennehmen. „Unser Projekt braucht ein schönes Gesicht - und zwar deins.“, das hatte Dieter, mein ehemaliger Chef, zu mir gesagt.

„Ich bin stolz, glücklich und dankbar dafür, dass die Ergebnisse unserer gemeinsamen Arbeit in Zukunft die Technologien, die wissenschaftlichen Verfahren und nicht zuletzt das Leben vieler Menschen verbessern und erleichtern werden.“

Ein rauschender Applaus folgt diesen Worten. Verlegen streiche ich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meiner kunstvollen Hochsteckfrisur gelöst hat.
Aber stolz, glücklich und dankbar? Ich bin nichts von alldem. Haben sich all die Entbehrungen, all die Mühe und der Stress der letzten Jahre wirklich gelohnt?
Ich habe ein wenig Zeit, mich zu besinnen, da nun der Moment der eigentlichen Preisübergabe gekommen ist. Eine Triade von Anzugträgern schreitet mir entgegen. Der kräftigste von ihnen trägt den kostbaren Preis vor sich her wie ein heiliges Artefakt. Bis mich der Preis erreicht hat, weiß ich nicht wohin mit meinen Händen, denn ich will sie den Herren nicht allzu fordernd entgegenstrecken. Also falte ich sie ineinander, bis es soweit ist; fast so, als wolle ich beten. Die Herren schütteln mir die Hand, einer nach dem anderen. Tatsächlich bin ich nicht die einzige, deren Finger vor Aufregung im eigenen Saft schwimmen. Dann endlich geht der Preis in meinen Besitz über. Doch er fühlt sich nicht gut an in meinen Händen. Er ist kalt und schwer. Die Herren sprechen einige Worte voll des Lobes über mich und meine Leistung und treten anschließend wieder ab. Lassen mich alleine zurück mit diesem Stück Metall. Ich führe meine Dankesrede fort. Jetzt jedoch lese ich sie ab, ohne mich selbst reden zu hören. Vieles geht nun in mir vor.
Wie kann ich mir all das hier nur jemals gewünscht haben? Ich wollte die Leute immer beeindrucken, wollte, dass sie große Stücke auf mich halten. Warum das alles? Da unten sind sie nun versammelt, beeindruckt und stolz auf mich und meine Leistung. Doch es bedeutet mir nicht das Geringste. Sie sind alle so weit weg. So einsam habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt.
Heiße Tränen rinnen an meinen Wangen herunter. Die Zuschauer denken, es seien Tränen der Rührung über meinen Erfolg. Ich habe nicht einmal mehr Angst, dass meine mehrschichtige Schminke zerfließt, so sehr bin ich gefangen in meiner eigenen Leere. Während ich tapfer damit fortfahre, allen am Projekt Beteiligten meinen Dank auszusprechen, fällt mein Blick auf David. Ihn wollte ich am allermeisten beeindrucken. Zahlreiche Nachtschichten habe ich nur für ihn eingelegt, nur um ein kleines Lob von ihm zu bekommen oder einen Hauch an Wertschätzung. Da sitzt er nun und strahlt mich an, ohne die geringste Ahnung von meinem inneren Kampf zu haben. Neben ihm sitzt seine Frau in einem knappen Cocktailkleid. Er hält ihre Hand fest.
Wie konnte ich mich nur so verirren? Jahrzehntelang bin ich etwas hinterher gelaufen, das weder greifbar, noch wichtig oder real ist. Ich lebte in einer Scheinwelt, unfähig zu sehen, was ich wirklich gebraucht hätte. Eine herzliche Umarmung vielleicht oder die Gegenwart eines Menschen, der mich schätzt für das was ich bin, nicht für das was ich tue oder leiste.
Das Rauschen in meinen Ohren wird immer lauter. Das kann nicht nur der Applaus sein. Bald schon bin ich in Dunkelheit gehüllt, mir wird schwarz vor Augen.
In einem letzten bewussten Augenblick versuche ich meinen Sturz so zu gestalten, dass niemand unter meinen Rock sehen kann.

 

Hallo liebe KG-Gemeinschaft!
Dies ist die zweite Geschichte, die ich hier einstelle. Ich habe lange überlegt, in welche Kategorie sie gehört und fand 'Philosophisches' noch am passendsten.
Kommentare sind erwünscht und willkommen!

Liebe Grüße,
Lumina

 

Hallo Lumina

Ich musste breit grinsen, über diese Egomanin. :D Doch der Text hebt sich gegen die beiden Versionen deiner ersten Geschichte für meine - natürlich subjektive - Lesersicht erfrischend ab. Es sind die Inhalte, die hier Zuordnungs- und nachvollziehbar wirken. Und, obwohl es ein Monolog bildet, flüssig dahinperlt, durch den inneren Dialog durchbrochen.

Was ich auch gelungen fand, dass du nicht eine ausufernde Dankesrede oder ein herabgebrochenes Referat zur Quantenphysik eingebaut hast, sondern diesen Rahmen skizzenhaft setztest. Was mir nicht ganz realitätsnah erschien, war, dass sie ihre Dankesworte vor der Preisverleihung resp. der Übergabe der Trophäe einbringen musste. Aber es ist klar, der Inhalt der Handlung käme da aus dem Takt, die Ohnmacht träte zu einem unangebrachten Zeitpunkt ein. Insofern stört diese Regieänderung nicht wirklich und fällt wohl kaum jemandem auf.

Sprachlich war es ansprechend aufgesetzt, auch wenn es inhaltlich – von den Gefühlen der Prota abgesehen - nicht sehr tiefgreifend ist. Damit stehe ich vor dem Kritikpunkt, an dem ich es innerlich noch immer hin und her wende, mich frage, was daran nun philosophisch ist? Der Anlass als solcher gibt keinen Anstoss dazu, die Unsicherheit, die innere Widersprüchlichkeit der Protagonistin, sind dazu auch nicht hinführend unterlegt. Die Ohnmacht als symbolischer Ausdruck der Überforderung geht nur als Symptom durch. „Alltagsphilosophie“ vielleicht, so mancher Text in dieser Rubrik bewegte sich vorab schon in solcher Dimension, doch vermochte mich noch keiner so richtig als genrespezifisch zu überzeugen. Ich hätte ihn unter Gesellschaft gesehen, obwohl er das dortige Profil so auch nicht umsetzt. Da wäre noch Alltag, was ja nicht gleich seicht sein muss, oder Sonstige, das solches aufnimmt, welches nicht in eine strenge Klassierung gepresst werden kann. Aber dafür sind ja die Moderatoren in Amt und Würde, dass sie die "Artenreinheit" der Rubriken pflegen und hegen.

Auch wenn mich die Geschichte nicht „aus den Socken haut“, muss es ja auch nicht, hast du mich überzeugt, dass du das Zeug drauf hast reale ansprechende Geschichten zu schreiben.

Von dem her war es mir angenehm und unterhaltsam zu lesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon,

vielen Dank für dein Feedback. Meine Intention war diesmal in einem relativ kleinen Handlungsrahmen zu schreiben, aber dafür sehr detailliert alle sinnlichen Empfindungen und Gefühle der Prota in der Situation darzustellen.

Was mir nicht ganz realitätsnah erschien, war, dass sie ihre Dankesworte vor der Preisverleihung resp. der Übergabe der Trophäe einbringen musste. Aber es ist klar, der Inhalt der Handlung käme da aus dem Takt, die Ohnmacht träte zu einem unangebrachten Zeitpunkt ein. Insofern stört diese Regieänderung nicht wirklich und fällt wohl kaum jemandem auf.
Genau das war wirklich ein Kampf für mich, wo schieb ich bloß diese Übergabe ein? Aber dann dachte ich mir, dass der Ablauf bei einer Verleihung mit Fernsehübertragung ja bis auf das letzte Wort durchgeplant sein kann und es durchaus möglich ist, dass die Preisträger vor der Zeremonie ein paar Worte sagen dürfen.

Damit stehe ich vor dem Kritikpunkt, an dem ich es innerlich noch immer hin und her wende, mich frage, was daran nun philosophisch ist?
Also in der Beschreibung zu der Kategorie 'Philosophisches' in diesem Forum steht, dass eine Sache von der Unkenntnis bis zur Kenntnis abgehandelt werden soll. In diesem Fall würde ich das so sehen, dass die Protagonistin von ihren Zielen (Anerkennung, Ruhm,...), die bis dato sinngebend in ihrem Leben waren, abkommt und erkennt, dass es auf mehr auf andere Dinge (vielleicht sogar die kleinen, einfachen, alltäglichen Dinge, vor allem aber auf Zwischenmenschliches) ankommt. Die Protagonistin stelle ich mir als eine ehrgeizige Gelehrte vor, die von morgens bis abends im Labor tüftelt und wenig oder kaum Gesellschaft hat. Sie hinterfragt dann im Laufe der Zeremonie ihre Lebensweise und reflektiert über ihre zweifelhaften Motive.

...die innere Widersprüchlichkeit der Protagonistin ist dazu auch nicht hinführend unterlegt.
Wirklich? Dazu würde ich gerne noch die Meinung von anderen hier hören. Falls das öfter angemerkt wird, werde ich das vielleicht noch etwas deutlicher herausstellen müssen.

Da wäre noch Alltag, was ja nicht gleich seicht sein muss,
Das wäre meine zweite Wahl gewesen, nur soll da nicht einmal etwas über Muttertag und Ostern stehen und so eine Preisverleihung ist ja noch weniger alltäglich als diese Feiertage, dachte ich...

Auch wenn mich die Geschichte nicht „aus den Socken haut“, muss es ja auch nicht, hast du mich überzeugt, dass du das Zeug drauf hast reale ansprechende Geschichten zu schreiben.
Von dem her war es mir angenehm und unterhaltsam zu lesen.
Bin soeben um 5 cm gewachsen. :) Du musst wissen, das ich meine Deutschlehrer früher regelmäßig aus den Socken gehauen habe, mich dann aber doch für ein naturwissenschaftliches Studium entschieden habe. Und jetzt nach 5 Jahren Mathematik, Chemie und Biologie hat sich ein Haufen Kreativitätsenergie angestaut, die dringend raus muss. Und natürlich bin ich sehr daran interessiert, mich in der Qualität meiner Ergüsse zu steigern. Du bist mir dabei auf jeden Fall eine große Hilfe.


Liebe Grüße,
Lumina

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lumina,

die Protagonistin erreicht ein Ziel und merkt in diesem Moment, dass es sie nicht ausfüllt und sie ihre Kräfte vermutlich in die falsche Richtung gelenkt hat. Dieser Frage, was im Leben wichtig ist und was nicht, in einer Geschichte auf den Grund zu gehen, das hat viel Potenzial! Allerdings wirken alle Sehnsüchte und Gedanken der Protagonistin generisch (momentan fällt mir kein besseres Wort ein ;) ). Das haben wir alles schon genau so gehört und gelesen: Dass Liebe und Anerkennung wichtiger sind als äußerlicher Erfolg. Dass die Art, wie große Leistungen in der Öffentlichkeit beschrieben werden, nicht ganz der Wahrheit entspricht.

Ich finde, du beschreibst das viel zu wenig subtil. Das klingt bei dir wie eine Predigt:

Wie konnte ich mich nur so verirren? Jahrzehntelang bin ich etwas hinterher gelaufen, das weder greifbar, noch wichtig oder real ist. Ich lebte in einer Scheinwelt, unfähig zu sehen, was ich wirklich gebraucht hätte. Eine herzliche Umarmung vielleicht oder die Gegenwart eines Menschen, der mich schätzt für das was ich bin, nicht für das was ich tue oder leiste.

Es ist sehr schwierig, bei solchen Geschichten weg vom Offensichtlichen zu gehen und genau dem nachzugehen, was wirklich in einem vorgeht. Aber genau das: das Neue, das Ungewöhnliche, das Echte - wäre interessant zu lesen.

Stilistisch ist es schon ganz gut. Zuviele Adjektive für meinen Geschmack.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Hallo Lumina,

ich habe deine Geschichte jetzt einige Male gelesen, das erste Mal ziemlich direkt nachdem du sie hier rein gestellt hattest. Ich fand sie schon interessant, aber irgendwas fehlte, irgendwas war da unausgeglichen. Musste also ein wenig überlegen, um herauszufinden, was es war.

Als ich deinen Kommentar zu Anakreon las, da konnte ich dann den Finger darauf legen. Du schreibst darin

In diesem Fall würde ich das so sehen, dass die Protagonistin von ihren Zielen (Anerkennung, Ruhm,...), die bis dato sinngebend in ihrem Leben waren, abkommt und erkennt, dass es auf mehr auf andere Dinge (vielleicht sogar die kleinen, einfachen, alltäglichen Dinge, vor allem aber auf Zwischenmenschliches) ankommt.
... und da wusste ich, was fehlt. Der Idealismus!
Ich meine, im Grunde beschreibst du hier einen Menschen, der sein ganzes Leben auf ein hehres Ziel ausgerichtet hat. Ein Quantenphysiker. Quantenphysik.
Ich mag mich täuschen, aber es gibt doch Disziplinen und Fachgebiete, die vor allem Anderen eines erfordern: Idealismus und einen gewissen Grad an Weltfremdheit (im positiven Sinne). Das Streben nach Anerkennung und Ruhm steht dem doch eher im Wege, da es den Blick auf die großen Fragen verwehrt. Und darum geht es doch: die Antworten auf große Fragen zu finden - und das im infinitesimal Kleinen, der Quantenphysik.

Also das, was mir da aufstößt, ist, dass deine Prota von all dem nichts spüren läßt und stattdessen nur von Ruhm und Anerkennung spricht. So als wäre da keine Faszination für das, was sie da eigentlich tut.
Sie ist so oberflächlich irgenwie. Und genau deshalb kann deine Prota erst den ganzen Komplex der fantastischen Quantenphysik nehmen und auf einen Job runterkürzen.

Ich vermisse die Tiefe. Wenn sie mit der Entscheidung konfrontiert wäre: entweder schöne Zweisamkeit mit Händchenhalten und Zwiegespräch ODER EBEN all das hintenan stellen, weil das Andere, das Unbekannte, dort im Labor wartet, in all den Gleichungen und den Fragen und mit dem Gefühl einer tiefen Erfüllung lockt ... DAS wäre ein glaubhafter innerer Konflikt.

Aber Ruhm und Anerkennung?
Das sind doch nur Nebeneffekte.

Ich fand die Idee gut, es fehlt nur an Tiefe, an glaubwürdigem Konflikt, finde ich.

Lieben Gruß,
PSS

 

Hej Lumina,

ohne Deine Antwort an Anakreon hätte ich angenommen, Du willst zeigen wie es jemandem geht, der ewig unzufrieden durchs Leben geht, so dass kommen kann was mag, er findet immer etwas zu bekritteln, im Zweifelsfall sich selber.
Mit philosophischen Erkenntnissen hat das für mich wenig zu tun.
Auch nachdem ich jetzt weiß, worum es Dir geht, vermisse ich Erkenntnisse und würde die Rubrik "Alltag" auf jeden Fall passender finden.

Du hast einen Rahmen gewählt, der viel mit Schein und Äußerlichkeit zu tun hat, aber wenig Raum bietet, für die Ruhe, die Aufmerksamkeit oder den Schmerz, oder was auch immer nötig ist, um solche Erkenntnisse zu haben. Damit machst Du es Dir nicht leicht. Du willst zeitgleich ein ablenkendes, aufregendes belebtes Außen, eine Bombardement aus Ansprüchen an eine Person zeigen - und ihr kritisches, abschätzendes, reflektierendes Innen.

Ich habe Dir mal aufgeschrieben, wie ich das im Einzelnen wahrnehme:

Es sieht zweifellos lächerlich aus, wie ich stocksteif über die Bühne stolziere.
Das klingt (neben der unnötigen Selbstkritik) abgeklärt, beschreibend, mit Abstand betrachtet. Du zeigst nicht, wie sie sich tatsächlich fühlt als sie über die Bühne geht.

Dies ist er also, der Augenblick, den ich so lange herbeigesehnt habe. Wie oft habe ich mir vorgestellt, genau hier zu stehen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, umgeben von zahllosen Menschen, die mich schätzen, die meine Leistungen der vergangenen Jahre anerkennen.
Für mich klingt es, als würde sich hier jemand vorstellen, er wäre da, dieser Moment, der so lange herbei gesehnt wurde.
Liest sich losgelöst von allen Gefühlen, von der Umgebung.

Der markante Duft meines Maiglöckchen-Holunder-Parfums benebelt mich noch zusätzlich.
Eigentlich ist es eine schöne Idee, Geruchswahrnehmungen einzubauen, aber sie vermitteln mir eine Sinnlichkeit, die zu den klitschnassen Händen und den Scheinwerfern nicht passt, zumal sie nichts bewirken, ich erfahre nicht, warum oder wovon die Aufmerksamkeit der Frau in diesem Moment (das Parfüm trägt sie schon die ganze Zeit) dort hingelenkt wird.

Das alles erscheint mir nun heuchlerisch. Ich erinnere mich genau, wie ich Tag und Nacht geschuftet habe, während die anderen sich einen gemütlichen Feierabend machten. Wie ich das Projekt am Laufen gehalten habe, als keiner mehr Motivation aufbringen konnte. Wie ich die fehlerhaften Ergebnisse meiner Kollegen korrigiert und sie erst in eine nutzbare Form gebracht habe. Aber immerhin lassen sie mich dafür nun allein den Preis entgegennehmen.
Deutlich wird, dass niemand sie gezwungen hat, die Arbeiten zu übernehmen, zu korrigieren und dergleichen. Das ist der Punkt, an dem es für mich extrem unklar wird. Es war ihr anscheinend wichtig genug, sonst hätte sie anders gehandelt, aber diese Wichtigkeit spüre ich nirgends. Sie wäre Grundlage für alles, auch für den Zweifel, den Du eigentlich darstellen willst.
Da kommt die Frau aber nie hin, zumindest nicht nachvollziehbar.

Dann endlich geht der Preis in meinen Besitz über. Doch er fühlt sich nicht gut an in meinen Händen. Er ist kalt und schwer.
Was ist gegen kalt und schwer einzuwenden, wenn man auf einer scheinwerferbeleuchteten Bühne steht, schwitzend und mit dem Gefühl, gleich abzuheben - und "endlich" den Preis in die Hände gedrückt bekommt.
Ich meine, dieses "fühlt sich nicht gut an" reicht nicht aus. Warum fühlt es sich nicht gut an?

Wie konnte ich mich nur so verirren? Jahrzehntelang bin ich etwas hinterher gelaufen, das weder greifbar, noch wichtig oder real ist.
Ich glaube, Du meinst hier ihre Arbeit, aber mir scheint es noch besser auf David zuzutreffen.

In einem letzten bewussten Augenblick versuche ich meinen Sturz so zu gestalten, dass niemand unter meinen Rock sehen kann.
Das wäre ein großartiges Bild für einen zutiefst unglücklichen Menschen, der selbst in Momenten absoluter Körperlichkeit noch an sich herumbiegen muss, aber es ist schief: Im letzten bewussten Augenblick (Augenblick= kurz, kürzer, am kürzesten) entwickelt sie 1.Schamgefühl, 2. fällt und 3.gestaltet im Fall ihr eigenes Fallen, wodurch es kein Fallen mehr ist, eher ein Drapieren.

Du schreibst, Du willst zeigen, dass die kleinen Dinge wichtig sind, vor allem die zwischenmenschlichen. Ich glaube, das würde Dir besser gelingen, wenn Du genau die (um den Leser daran teilhaben zu lassen) zeigen würdest.
Hier zeigst Du mMn eine Frau, die komplett unfähig ist, annähernd zufrieden oder glücklich zu sein, ohne das die tatsächlichen Gründe dafür deutlich werden.

Ich hoffe, Du lässt Dich von meiner Kritik nicht entmutigen. Ich finde, ansonsten ist der Text angenehm flüssig geschrieben.

LG
Ane

 

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