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Die verlassene Psychiatrie
Es war kurz nach ein Uhr Nachts, als der Eichenwald für einen Moment aufleuchtete. Ein abgenutzter Golf, bog in eine verlassene Waldstraße ein und hielt dann nach einigen Metern am Straßenrand an.
„Hier sollten wir anhalten“, sagte Martin, der Fahrer des Wagen.
"Na, wenn du das sagst, Chef“, erwiderte Tom aus dem hinteren Teil des Fahrzeuges.
Fast gleichzeitig stiegen Martin und Tom, die bereits seit dem Kindergarten befreundet waren, aus dem Auto und betraten die kalte Nacht.
„Hey Martin, was sind das für Personen, die dort drüben hinter dem Baum auf uns schauen?“
„was?!“, rief Martin. "wo?“
„Ha, kleiner Scherz, du Angsthase!“
„Sei einfach leise, Tom.“
Tatsächlich war Martin ein wenig angespannt, denn er wollte unter keinen Umständen hier auf fremde Personen treffen. Auch die Stille machte ihm ein wenig zu schaffen, sein Vater sagte früher immer zu ihm, dass ein Wald voller Geräusche normal sei, erst wenn der Wald still sei, bestehe Grund zur Sorge.
Noch eine dritte Person stieg aus dem Auto, es war ein Mädchen namens Anna. Sie war ein wenig jünger als die beiden Jungs und trug lange, braune Haare. Anna trug noch eine Tasche mit sich, die sie allerdings im Auto ließ.
„Zu einem unauffälligen Verhalten gehört auch, dass ihr aufhört euch zu streiten“, meinte sie.
Einmal mehr überkam Martin ein Gefühl von Schmetterlingen, die sich ihren Weg durch seinen Körper erarbeiteteten.
Eigentlich war Anna das Date von Tom, er hatte sie vor einer Woche auf der helllichten Straße angesprochen, nachdem er mit seiner Ex-Freundin Schluss gemacht hatte. Trotzdem wollte er Martin dabei haben, denn Anna wollte unbedingt zu der verlassenen Psychiatrie fahren, um die sich in ihrer Gegend viele Sagen tummelten und die mittlerweile völlig abgeschottet im tiefen Eichenwald stand. Wahrscheinlich fühlte sich Tom sicherer mit Martin, denn dieser interessierte sich genau wie Anna für solche Orte und hatte viel Erfahrung wenn es um das Erkunden dieser Orte geht, auch wenn Tom das nie zugeben würde.
Mittlerweile waren die drei Personen, ganz vorne Martin, gefolgt von Anna und Tom, schon auf ihrem Weg zu der verlassenen Psychiatrie und bogen dabei auf einen stark verwachsenen Pfad ab. Einige Äste waren bereits abgeknickt und man konnte daraus schließen, dass hier in den vergangenen Tagen bereits andere Personen entlang gegangen waren. Entweder das, oder noch am selben Tag, was Martin nicht hoffen wollte.
„Ein Freund von mir war einmal dort drinnen mit seinen Freunden. Einer von ihnen ist nicht zurückgekommen“, sagte Anna.
„Ja, ich erinnere mich an einen solchen Vorfall aus der Zeitung, was genau ist passiert?“, fragte Martin.
„Ich weiß es nicht genau, er möchte nicht gerne darüber sprechen.“
„Wieso gehen wir überhaupt dort hin, wenn es so gefährlich ist?“, fragte Tom.
„Na weil es furchtbar spannend ist und Spaß macht, oder findest du nicht?“
Tom murmelte undeutliche Worte vor sich hin und überholte nun Martin.
Martin liebte den Kick, den er in sich spürte wenn er einen solchen Ort besuchte. Die Tatsache, dass Anna nun auch noch eines der Gerüchte um diesen Ort bezeugen konnte, machte es umso spannender für ihn.
„Du bist sehr interessiert an diesem Ort, stimmts Anna?“, sagte Martin.
„Ja, unheimlich.“
„Geht mir genauso.“
Martins Wangen nahmen nun eine leicht rötliche Färbung an und er brachte ein zärtliches Lächeln zum Vorschein.
„Soso.“
Anna schien von Martins Aussage nicht sonderlich beeindruckt, erwiderte jedoch Martins Lächeln, als sie dieses bemerkte.
„Was weißt du denn alles über dieses Gebäude?“, fragte Martin.
„Naja, ich kenne hauptsächlich die geschichtlichen Aspekte. Früher war das hier eine Psychiatrie für Härtefälle. Daher auch die Lage im Wald. Man wollte die Menschen von der Zivilisation fern halten. Viele von ihnen waren geprägt von Selbstmord oder gar Mordgedanken, manche hatten bereits Menschen auf ihrem Gewissen. Andere waren einfach nur so Shizophren, dass man sie nicht gerne mit seinen Kindern alleine lassen würde.“
„Ja, das habe ich auch gelesen. Vor gut dreißig Jahren gab es dann einen Amoklauf eines ehemaligen Patienten, der Billy Schatt hieß, bei dem mehr als zwanzig Menschen um ihr Leben kamen. Daraufhin prägten den ehemaligen Inhaber der Psychiatrie, Frank Eden, Schuldgefühle und er ließ seine Psychiatrie umgehend schließen. Zwei Wochen später, während den Räumungsarbeiten, fand man ihn dann mit aufgeschlitzten Pulsadern in der Eingangshalle der Psychiatrie liegen.“
„Und nun sagt man, dass die Geister der Verstorbenden, insbesondere der immer noch Rachsüchtige Billy, dort Nachts ihr Unwesen treiben“, ergänzte Anna und zwinkerte Martin zu, der daraufhin wieder verlegen lächelte.
„Ganz genau. Glaubst du daran?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Ich auch nicht.“
„Viel mehr fürchte ich mich vor den Okkultisten und Satanisten, die bei solchen Orten ihre Rituale ausführen.“
Das Lächeln in Martins Gesicht verschwand und es kam ihm einen Moment so vor, als wenn der Boden unter ihm versinken würde. Okkultisten und Satanisten, darüber hatte er sich gar keine Gedanken gemacht. Er hatte noch nie so viel Angst einen solchen Ort zu besuchen, wie in diesem Moment.
Die Psychiatrie war nun nicht mehr weit entfernt. Sie glänzte vor ihren Augen im Mondlicht, das hier den Kampf, gegen die an dieser Stelle nicht so ausgeprägten Eichen, gewann. Es handelte sich um ein altes Fachwerkhaus, mit drei Etagen und einem Balkon auf der obersten Etage. In keinem der Fenster war noch Glas vorhanden und der Schutzaun, der höchstens mal vor dreißig Jahren wilde Tiere von der Psychiatrie fern gehalten hat, lag nun in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zu der Psychiatrie. Der Zaun eignete sich hervorragend um ihn als Rampe zu benutzen um eines der unteren Fenster zu erreichen. Davon nahmen Martin, Anna und Tom auch Gebrauch. Angekommen im inneren der Psychiatrie mussten die drei sich erst einmal zurechtfinden. Anhand des bestialischen Gestanks und der Pissoirs an den Wänden fiel Martin jedoch schnell auf, dass sie sich auf der ehemaligen Toilette befanden. Vermeintlich ehemalig, dachte sich Martin und grinste dabei ein wenig, einige scheinen diese Einrichtung ja immer noch zu benutzen. Zugleich schnürrte dieser Gedanke aber auch Martins Kehle ein, denn er musste wieder einmal daran denken, was passiert, wenn sie hier drinnen auf fremde Personen trafen. Während Anna sich die Nase zuhielt, ging sie nun an den beiden Jungs vorbei und betrat den nächsten Raum. Kurz daraufhin folgten Martin und Tom ihr.
Sie standen jetzt in einer großen Halle, die offenbar den Flur der Anstalt darstellte. Alle drei sorgten nun mit ihrem Smartphone für Licht, während die beiden Jungs dabei waren die große Halle zu betreten. Das Licht der Smartphones bevorzugten sie gegenüber dem einer Taschenlampe, da diese ihrer Meinung nach, bedingt durch das deutlich stärkere Licht, für zu viel Auffälligkeit gesorgt hätte. Zu ihrer linken Seite konnte man am Ende des Flures eine große Holztür sehen, die wohl den eigentlichen Haupteingang des Gebäudes darstellte, während das von ihrer rechten Seite ausgehende Ende in einer Wendeltreppe endete. Sämtliche Wände waren mit Graffiti beschmiert, teilweise durch Herzchen mit Aufschriften wie J+M, teilweise mit bedrohlichen Aufschriften wie „Ihr kommt hier nicht mehr lebend raus“ oder „er sieht euch“. Vor allem das riesige aufgemalte Gesicht, das sich nun unmittelbar vor Martin befand, der mittlerweile dabei war die Wände zu seiner rechten Seite abzusuchen, machte ihm zu schaffen. Es war unglaublich real gemalt, es war das Gesicht einer blassen Gestalt, wahrscheinlich in Silber gemalt, mit blutroten Augen und spitzen Zähnen. Es lächelte, doch auf eine schadenfrohe Art. Unter dem Bild stand in Rot der Name „Billy Schatt“.
Tom stellte sich nun neben Martin und schaute sich ebenfalls dieses gleichzeitig faszinierende, als auch schockierende Gesicht an.
„Wow, der Zeichner dieses Bildes hat Talent“, sagte Tom.
„Ich habe das Gefühl, die Augen dieses Wesens wurden mit Blut gemalt“, erwiderte Martin.
„Ach, Blödsinn, wer ist denn so krank? Was sagst du dazu, Anna?“, fragte Tom, der sich nun suchend nach Anna umschaute.
„Anna?“
Sie war nicht mehr da.
„Wo ist die denn jetzt hin?“, fragte Martin, mit einer etwas angespannten Stimme.
„Man, die hat vielleicht Nerven, ich glaube Anna hat mehr Mut als wir beide zusammen, sie ist wahrscheinlich alleine in einen der Räume gegangen“, sagte Tom.
Beide lachten nun ein wenig aufgezwungen und versuchten dadurch ihre Unsicherheit zu überstrahlen.
Doch ihre Ohren entnahmen eine kurze Zeit später ein Geräusch, ein Geräusch, das sich anhörte wie das Summen einer Biene, nur deutlich dunkler. Das Geräusch fühlte sich an wie ein Schatten, der durch Martins Ohren in seinen Körper floss und sämtliche positive Gefühle abtötete. Alle Vorhaben, die Unsicherheit zu überstrahlen, waren nun fort. Es kam offensichtlich aus der Tür neben der Wendeltreppe, diese stand offen. Martin war sich sicher, dass diese Tür vor ein paar Augenblicken noch nicht offen stand. Er begab sich zu dieser Tür und winkte Tom zu sich. Hinter dieser Tür befand sich eine Treppe aus Stein, die vermutlich in den Keller führte. Das mysteriöse Summen war nun etwas lauter zu entnehmen, es bestand kein Zweifel daran, dass es aus dem Keller kam. Irgendetwas löste dieses Summen in ihnen aus, es war als wären sie kleine Kinder, die gerade mit Süßigkeiten angelockt wurden. Sie sahen sich gezwungen, den Ursprung dieses Geräusches zu finden, auch wenn ihr gesunder Menschenverstand ausdrücklich davon abriet. Außerdem suchten sie ja noch Anna, sie fühlten sich immerhin verantwortlich für sie.
Die beiden Jungs begaben sich nach unten. Tom griff so fest um einen Stock, den er von draußen mit hinein genommen hatte, dass man seine Adern aufblitzen sah und hielt ihn mit dem etwas spitzeren Ende nach vorne gerichtet, als er tatsächlich voranging. Martin hatte keine Ahnung, warum der sonst so egoistische Tom vorging, aber es gefiel ihm, denn beide wussten, dass wenn überhaupt Tom aufgrund seines robusten Körperbaus im Falle einer physischen Bedrohung etwas entgegenzusetzen hatte. Bei ihrem Gang nach unten sorgte keiner der beiden für Licht, sie wollten unter keinen Umständen gesehen werden.
Sie waren nun am unteren Ende der Treppe angekommen und folgten einem kleinen Gang, bis sie kurz vor sich sahen, wie das Licht aus einer etwa türbreiten Öffnung aus der linken Wand kam. Das Licht war vermutlich verursacht durch Feuer, aber was die beiden Jungs am meisten beunruhigte, war noch immer das Summen, das nun sehr laut war. Bloß jetzt nicht zu laut sein, dachte sich Martin und das quälende Gefühl von Nervosität staute sich nun in ihm auf und begann ihn von innen her zu zerfressen. Vorsichtig schaute Tom um die Ecke, in seiner hinteren Hand der Stock, immer noch mit der Hand umschlungen wie eine Würgeschlange, die gerade ihr Opfer erdrosselt, während Martin noch ein wenig zurückblieb. Offensichtlich sah er etwas und Martin fragte sich, was er dort sah. Tom beobachtete das, was er dort in dem neben anliegenden Raum sah noch ein paar Sekunden regungslos, ehe er seinen Kopf langsam wieder zurückzog.
“Was hast du dort gesehen?“, fragte Martin flüsternd und tippte Tom dabei zitternd auf die Schulter.
Tom drehte sich langsam zu Martin um. Er war Kreidebleich und seine Augen waren leer, so leer, dass man fast durch ihn hindurch schauen konnte. So schockiert hatte Martin Tom in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
„Was ist denn?“, fragte Martin, während sein Herzschlag immer schneller wurde „Bitte antworte mir!“
Tom antwortete nicht. Er stand dort weiterhin regungslos, als hätte er gerade in die Augen einer Medusa geguckt.
Nach einer Weile merkte Martin, dass Tom ihn nicht direkt ansah, er schaute ein wenig an ihm vorbei. War es überhaupt das, was er dort in den Raum gesehen hat, was ihn so ängstlich erschienen ließ? Langsam drehte Martin sich um... hinter ihm stand jemand. Jetzt war es so weit, er war kurz davor in Ohnmacht zu fallen. Sein Kreislauf fuhr jetzt Karussell.
Hinter ihnen stand ein großer, breit gebauter Mensch, jedenfalls vermutlich ein Mensch, umschlungen von einem so schwarzen Gewand, dass man ihn ein paar Schritte weiter oben nicht gesehen hätte. Das Gewand war noch größer als ers selbst. Von Schuhen keine Spur, das Gewand schleifte über den Boden, wie es bei einer Braut der Fall ist, die sich gerade auf den Weg zum Altar machte. Man sah sein Gesicht nicht, seine Kapuze war so groß, dass man sich fragen konnte, ob dieses etwas überhaupt einen Kopf besaß. Er hielt etwas in seinen Händen, es waren Eingeweide und sein Gewand war von seinem Bauch bis hin zu seinen Beinen blutverschmiert. Nun standen beide Jungs wie angewurzelt da und schauten nur auf dieses riesige, blutverschmierte Ding, was dort hinter ihnen stand. Die merkwürdige Person fing an sich zu bewegen.
Langsam schossen Martin wieder Gedanken durch den Kopf, denn diese Person war tatsächlich an den beiden vorbeigelaufen und hatte sie dabei völlig ignoriert, als hätte es die beiden Jungs nie gegeben. Tom fing an sich wieder zu bewegen. Er ging auf die Treppe hinzu und setzte sich hin. Es war mehr ein in sich zusammensacken, als ein hinsetzen, aber er saß jetzt da, regungslos. Martin wollte jetzt wissen, was in diesem Raum vor sich ging und schielte nun an der Stelle um die Ecke, an der eben noch Tom stand. Sein Blick sah einen großen Raum, an den Wänden hingen Fackeln und in der Mitte saßen weitere ummantelte Personen. Sie saßen dort in einem Kreis und hatten alle eine Kerze vor sich stehen. Immer noch waren sie am summen, das Gehirn von Martin hatte dies nur für eine gewisse Zeit nicht mehr wahrgenommen. Am hinteren Ende des Raumes stand ein Altar und die Person, die eben noch hinter Tom und Martin stand, bewegte sich langsam auf den Altar zu. Eigentlich wäre nun der endgültige Moment gekommen, das Gebäude zu verlassen, doch irgendetwas in Martin wollte wissen, was nun geschieht. Die Person legte die Eingeweide, die sie eben noch in der Hand hielt ab und drehte sich in Richtung des Sitzkreises. Langsam ging sie auf den Kreis zu und stellte sich in die Mitte. Jetzt war es für einen Moment still. Ein weiterer Anflug von Angst überkam Martin. Er fragte sich, warum es jetzt auf einmal so still war.
Der mysteriöse Mann in der Mitte fing an seine Arme auszubreiten, bis sie sich in einer Position befanden, als wenn sie ihm gleich zum fliegen verhelfen sollten. Jetzt fingen die restlichen Personen an wieder Geräusche zu machen, allerdings war es kein Summen mehr. Nein, es ähnelte nun viel mehr einem Lied, aber was für ein Lied war das? Martin tat sich schwer aus dem Gesang der Personen etwas zu entnehmen, dafür war es viel zu schnell, doch er vermutete, dass sie etwas auf Latein sangen. Zwar hatte Martin vor seinem Studium Latein an seiner alten Schule gehabt, doch diesem schnellen Gesang konnte er nicht folgen, keine Chance. Die merkwürdigen Personen wurden schneller und schneller als schließlich sämtliche Fackeln und Kerzen in dem Raum anfingen zu flattern. Auch Martins Herz wurde immer schneller, es pochte immer stärker und presste sich gegen seine Brust. Er hatte das Gefühl, es würde jeden Moment aus seinem Brustkorb springen. Doch dies war noch längst nicht alles, die Person in der Mitte, die bis jetzt noch keinen Ton von sich gab, begann langsam vom Boden abzuheben. Ja, sie schwebte, auch wenn Martin das nicht so wahrhaben wollte und nach Ausreden suchte. Die schwebende Person fing an zu reden und wurde dabei immer lauter, mit einer Stimme, die in Martin so gut wie alle Eigenschaften, die ein lebender Mensch vorweist, vernichtete. Er spürte seine Knochen nicht mehr.
Nach einer Weile wurden die Worte der schwebenden Person langsamer, so dass Martin sie entziffern konnte. Es war wirklich Latein.
“Sie ist hier und sie ist nicht alleine.“
Das in der Richtung waren die Worte, die er verstanden hatte. Die schwebende Person fing nun an seine Hand langsam in Martins Richtung zu bewegen und mit ihr drehten sich gleichzeitig alle Köpfe in dem Raum um und starrten zu der Öffnung, hinter der sich Martin befand. Anscheinend wussten sie, dass er da war. Daran gab es keine Zweifel mehr. Es war Zeit zu verschwinden, und das am besten ganz schnell. Für einen Moment schaffte die Angst es noch Martin zu lähmen, er konnte sich einen Moment lang nicht bewegen, doch als die Personen dann aufstanden und sich in seine Richtung bewegten, sorgte ein Impuls in ihm dafür, dass er losrennen konnte. Tatsächlich rannte er nun so schnell er konnte. Tom saß nicht mehr auf der Treppe, was besser für Martin war, er hatte keine Lust Tom nun hinter ihm her zerren zu müssen. Fast hatte Martin das obere Ende der Treppe erreicht, als er stolperte und hinfiel. Er schlürfte sich seine Knie auf und merkte, dass er blutete. Dennoch fühlte Martin kein Schmerz, die Angst in ihm überflügelte sämtliche andere Gefühle.
Die Schritte wurden lauter und schneller, er wusste, dass die schwarz gekleideten Personen hinter ihm waren, doch er konnte sie nicht sehen, es war viel zu dunkel dafür. Schnell raffte er sich wieder auf und versuchte weiter zu rennen, als ihn etwas von hinten an seiner Schulter packte. Es war eine Hand, die ihn so stark griff, wie ihn noch nie vorher etwas gegriffen hatte. Diese Schmerzen konnte er nun spüren und die Hand war eiskalt. Sie fühlte sich an, als würde sie sämtliches Leben aus ihm entziehen. Martin fing an zu schreien, er konnte sich nicht mehr beherrschen, als von vorne eine laute Stimme ertönte.
„Duck dich!“
Reflexartig und ohne zu überlegen, folgte Martin der Anweisung dieser Stimme. Ein langer Holzstock bewegte sich ruckartig von rechts nach Links über seinen Kopf und traf offenbar den Besitzer der Hand, der einen dumpfen Aufschrei von sich gab. Martin spürte, wie die Hand von ihm abließ und nutzte die Chance, um die Treppe zu verlassen und weiter Richtung Ausgang zu laufen.
Tom war nun neben ihm und ohne groß zu reden, rannten sie nebeneinander weiter. Aus einer der ganzen Türen, die dieser Flur besaß, kam nun Anna und begann zu reden.
“Hey Jungs, wo wart ihr denn? Ich habe euch schon gesucht!“.
“Keine Zeit für Erklärungen, komm mit, wir müssen hier raus“, schrie Martin mit dem letzten bisschen Power, das er noch aus seiner Stimme ziehen konnte. In seinen Augenwinkeln entnahm er noch das fiese Grinsen der Kreatur, die an die Wand gemalt wurde.
Sie waren draußen angelangt und wussten nicht, ob und wer den beiden Jungs noch folgte. Ebenfalls wussten sie nicht, wo der Pfad lag, dem sie hierhin gefolgt waren. Also rannten sie einfach durch die Bäume und Büsche, einfach weiter und weiter ohne Acht darauf zu geben, dass die peitschenartig zurückfliegenden Äste ihre Haut bearbeiteten. Endlich waren sie wieder an der Straße angelangt und Martin erkannte die dunklen Umrisse von seinem Auto. Er schloss es auf und die beiden setzten sich völlig erschöpft und nach Luft keuchend hinein. Anna war offenbar nicht mit ihnen weggerannt, doch keiner der beiden schaffte es gerade an sie zu denken, sie waren dafür zu sehr unter Druck.
"Wer zu Hölle waren diese Leute?, fragte Martin.
"Ich weiß es nicht. Sieh lieber zu, dass du den Wagen startest. Diskutieren können wir wenn wir aus diesem verdammten Wald raus sind."
"Waren das überhaupt Menschen? Der Griff von einem der Männer fühlte sich jedenfalls menschlich an." Martins Stimme klang nun als wenn er jeden Moment anfangen würde zu weinen. Mit zitternder Hand versuchte Martin nun den Autoschlüssel in das Zündschloss einzuführen.
Während Martin den Schlüssel umdrehte, fiel Tom auf, dass Annas Tasche noch hinter ihnen auf dem Sitz stand. Er warf einen Blick in die Tasche.
Martin hatte derweil den Motor gestartet und wollte losfahren, doch es ging nicht. Er lehnte sich aus dem Fenster und bemerkte, dass die Reifen völlig platt waren. Danach schaute er Tom an und zuckte bei dessen Anblick fast zusammen. Sein Mund stand offen und seine weit aufgerissenen Augen ließen ihn aussehen wie eine Eule. Auf seinem Schoß befand sich Annas Tasche, während er in der linken Hand ein eigenartiges Amulett und in der rechten Hand ein Messer hielt, das einem Skalpell sehr ähnlich sah. Plötzlich öffnete sich eine der Hintertüren und eine weibliche Person stieg in das Auto ein.
“Keine Angst Jungs, alle Personen in der Psychiatrie waren Menschen. Nur die Stimme, die ihr gehört habt und das, was ihnen zum schweben verhalf, war nicht menschlich."