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Die vergessene Leiche

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03.11.2003
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Die vergessene Leiche

Die Nacht trat langsam zur Wachablöse an, und entließ somit den Tag, der sofort weiter gegen Westen zog, um dort wiederum die Nacht abzulösen. Die Dunkelheit verdrängte auch das Tageslicht aus der kleinen Wohnung, die Thomas alleine bewohnte; der, um dem noch einmal kurz Einhalt zu gebieten, seine Lampe einschaltete, die sogleich die Dunkelheit verdrängte.

Wieder einmal war es Samstag abend, und wieder einmal saß er, ohne Gesellschaft, einsam vor dem Fernseher, und ertrug die Gesellschaft Thomas Gottschalks und seiner Showgäste. Er konnte sich nur noch dunkel daran erinnern, wie er das letzte Mal so richtig auf den Putz gehaut hat. Dazwischen waren schon einige Monate vergangen. Das war damals, als er mit seinen Mitspielern vom Fußballverein noch einen trinken war. Zuerst hatten sie noch über das vergangene Match gesprochen, 4-1 siegten sie - Thomas war Verteidiger, und bot eine solide Leistung, er fiel zwar nicht besonders auf, aber hatte in seinem Spiel auch keine gröbere Patzer- , und mit jedem Bier wurden sie angeheiterter, und man fing an Witze zu machen. Damals haben ihm diese Sticheleien noch nichts ausgemacht, erst am nächsten Tag, als die Kopfschmerzen weniger wurden, wurde ihm bewußt, daß seine sogenannten Freunde nicht mit ihm, sondern über ihn gelacht haben. Sie sagten sein Fußballspiel sei so erfrischend wie seine Witze. Zunächst dachte er, es wäre ein Kompliment, aber dann kam es ihm, daß er im Klub nie mit seinen Kollegen sprach, und wenn, dann nur das Nötigste. Klar, er wäre mit dem klar geworden, daß ihn die anderen als langweilig empfanden, daß hatte er schon vorher tausendmal gehört, aber daß sie nun auch noch sein Spiel kritisierten, das war ihm zuviel. Sein Fußballspiel war , neben der Arbeit, sein einziges Bindungsglied mit der Außenwelt. Durch das Spielen hatte er wenigstens an zwei Abenden in der Woche was vor. Und am Wochenende fand immer das Match statt. Fußball war sein letzter Halt, um nicht in der nichtssagenden Bedeutungslosigkeit zu versinken. Und jetzt, jetzt war es soweit, man respektierte nicht einmal mehr sein Spiel. Das stimmte ihn traurig. Drei Tage später spielte er nicht mehr für den SV. Er hat niemandem von seiner Entscheidung wissen lassen, er ist einfach nicht mehr zum Training erschienen. Seine Sportkameraden haben dies anscheinend mit Leichtigkeit überwunden, und keine Trennungsschmerz empfunden, denn niemand erkundigte sich, wieso er nicht mehr kam.
Seit dem Tag verbrachte er jeden verdammten Abend alleine zu Hause, und schaute fern. An den ersten Wochenenden rief er immer die Claudia an, irgendeine billige Hure, lud sie zu sich ein, und verbrachte eine Stunde mit ihr. Doch einmal weigerte sie sich zu kommen, sie meinte nur, sie hätte schon einen anderen Geschäftstermin. Das nahm Thomas ihr persönlich, und seitdem hat es sich auch mit dem Nageln aufgehört.

Die erdrückende Julihitze quetschte seinen Schweiß aus allen Poren heraus. Es war ermattend.
Jetzt saß er in seinem Fauteille, die Füße auf dem kleinen Tisch, und neben sich Bier & fettige Chips. Und dachte sich, als er eine Mallorca Reportage auf RTL II sah, daß er im nächsten Urlaub auch auf diese Party - Insel fahren wird, um einen Mordsspaß zu erleben. Aber er wußte genau, daß er keinen Flug nach Mallorca buchen wird, sonder statt dessen seine Ferientage, so wie immer, in seiner kleinen Wohnung verbringen wird.
Er langte zu seiner Rechten und löste das vorletzte Bier aus der Gerstensaftsextett-Verpackung. Das war bereits sein fünftes Bier, und die Folgeerscheinungen vom Alkohol machten sich schon bemerkbar. Seine Augenlider schmerzten bereits vor Müdigkeit, auch seine rechte Hand hatte die ersten Ermüdungserscheinungen, nachdem er sich schon zum vierten Mal an diesem Abend eine Überdosis Gefühl verabreicht hat. Das letzte Mal war, als eine Engländerin, nachdem sie von zwei Deutschen abgefüllt worden ist, sich zu einem flotten Dreier überreden ließ. RTL II war natürlich mittendrin statt nur dabei. Thomas ließ die Gelegenheit natürlich nicht entgehen, und gab es sich zum vierten Mal. Aber jetzt konnte er nicht mehr, seine Hand schmerzte bereits, und unter uns gesagt, nicht nur seine Hand.

Er war vollkommen erschöpft. Er war so fertig, daß er nicht einmal aufstehen konnte, um das Fenster zu schließen, durch welche die ersten Mücken, vom hellen Licht angelockt, flogen. Als sich die erste, jetzt war sie noch mickrig, sie hatte seit Tagen kein frische Blut mehr zu sich genommen, entschlossen hatte, sich auf seinen Unterarm bequem zu machen, konnte er sie nicht vertreiben, vielmehr faszinierte ihn das Schauspiel, das ihm dargeboten wurde, und beobachte teilnahmslos, aber mit einer gewissen Neugier dieses Spektakel. Das Tier begann das Menschenblut abzuzapfen. Die anderen Mücken bemerkten erstaunt, daß gegen sie keine Gegenwehr geleistet wird, so folgten sie dem Beispiel ihrer Genossin. Und langsam ließen sie sich dutzendweise auf dem Körper nieder, zuerst nur auf den unbedeckten Körperteilen wie Arme und Gesicht, aber mit der Zeit schlichen sie sich in seine Kleidung ein, und malträtierten auch die unbedeckten Stellen. Es begann fürchterlich zu jucken, seine Haut war schon ganz rot wegen den vielen Stechwunden. Doch er konnte sich noch immer nicht wehren, und der Alkohol tat das Übrigen. Er schlief nämlich ein, entweder weil er zu müde wurde, oder weil ihn bereits die Kräfte verließen. Jedenfalls schlief er ein, und merkte nicht, als er zwei Stunden später wegen Blutmangel das Bewußtsein verlor. Die Tiere hatten schon viel zu viel Blut abgezapft. Sein Körper war bereits von hunderten kleinen Mücken bedeckt, Die meisten hatten bereits wegen den zu sich genommenen Blut - Alkohol Cocktails eine für sich abnormale Körperform angenommen. Sie verfärbten sich in ein dunkles Rot und ihre zarten Körper waren zum Platzen voll, mit Blut angefüllt. Und durch den Alkohol wurden sie immer aggressiver und unersättlicher, so daß sie, obwohl sie schon genug Blut hatten, nicht von ihrer Beute losließen.
Sie verfielen geradezu in einen mörderischen Blutrausch.
Thomas wachte nie mehr wieder auf, die Mücken hatten nur noch eine blasse Körperhülle mit Millionen von winzigen Einstichwunden zurückgelassen. Er wirkte etwas ausgetrocknet und ein wenig verrunzelt, aber vor allem wirkte er ziemlich leer. Das war alles, was von ihm übrigblieb.

Einige Wochen später entdeckte man seine Leiche. Seine Mutter wollte ihn besuchen kommen, und als sie ihr der Hausmeister die Tür aufgesperrt hat, erblickte sie als erste die bereits mit einr dünnen Staubschicht bedeckte Leiche ihres Sohnes. Und der Fernseher lief noch immer, RTL II zeigte bereits wie ausgelassen die Deutschen Sylvester feierten.

 

Hallo Stille Feder - schöner name...

hmm - ich denke, die grundsätzliche aussage, die du dem leser mit deinem text mitteilen willst, ist aller eheren wert - der einsame Verlassene, am Ende.. sicher nicht die erste geschichte zu diesem thema - aber soweit, so gut.

die Umsetzung konnte mir nicht so gut gefallen...

in der einleitung versuchst du atmosphäre zu erzeugen.. hier solltest du dich stilistisch noch etwas üben..

Die Dunkelheit verdrängte auch das Tageslicht aus der kleinen Wohnung, die Thomas alleine bewohnte; der, um dem noch einmal kurz Einhalt zu gebieten, seine Lampe einschaltete, die sogleich die Dunkelheit verdrängte.

in diesem teil des absatzes, schickst du den leser von bezug zu bezug - wohnung - (bezug) die thomas bewohnte - (bezug) der - (bezug) um dem -(wieder zurück) lampe einschalten - (bezug) die dunkelheit verdrängt... verstehst du, was ich meine??..

hin und wieder sollte man einen gedanken zu ende führen - und wenn das bild im kopf des lesers abgeschlossen ist, den nächsten faden aufnehmen..

dann kommt dein hauptteil: fußball, hure, RTL und Urlaub - irgendwie ist mir das zu sehr aneinander gereiht..geht zu "einfach schief" - schwer zu erklären.. bei der hure habe ich beispielsweise gestutzt - willst du rüberbringen, dass sie keine lust mehr auf ihn hatte? - war mir zu einfach.. vielleicht hatte er nicht mehr genug geld.. oder etwas anderes würde mir realistischer erscheinen..auch könntest du diese themen etwas mehr verknüpfen - gerade fußball - schwups jetzt die hure..

tja - und dann wird es seltsam - der mord der mücken - geht das? kann das so passieren? - hier driftet die geschichte komplett in eine andere richtung - irgendwie finde ich das gut, weil es ein surreales ende nimmt, anstatt tabletten oder so.. auf der anderen seite, gefällt es mir weniger, weil eine realsitisch gedachte geschichte so abdriftet...

zum teil gibt es noch deutliche stilistische schwächen, die aber recht enfach auszumerzen sind:

Er konnte sich nur noch dunkel daran erinnern, wie er das letzte Mal so richtig auf den Putz gehaut hat.
grammatik

Das war damals, als er mit seinen Mitspielern vom Fußballverein noch einen trinken war.
Slang...

da gibts mehr von - ich würde die geschichte daraufhin noch einmal gründlich satz für satz durchgehen..

so, ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht völlig demoralisiert - und die anregungen bringen dir was..

viele grüße, streicher

 

Morgen Streicher,

zunächst einmal recht herzlichen Dank für Deine konstruktive Kritik. Ich kann damit was anfangen, und werde die Geschichte noch einmal überarbeiten.

Mit deiner AUssage, daß ich zusehr von Bezug zu Bezug springe kann ich ehrlich gesagt nicht viel anfangen. MIr ist klar, was du damit meinst und es ist mir jetzt auch aufgefallen, aber ich weiß nicht so recht wie ich das ändern könnte. Soll ich mich nur auf einen Bezug konzentrieren?


Geschrieben von Streicher
bei der hure habe ich beispielsweise gestutzt - willst du rüberbringen, dass sie keine lust mehr auf ihn hatte? - war mir zu einfach.. vielleicht hatte er nicht mehr genug geld.. oder etwas anderes würde mir realistischer erscheinen..

Die Episode mit der Hure wollte ich folgendes erklären:
die Hauptfigur ist, wie die meisten isolierten Individuen, ein Gewohnheitsmensch, der nur in der ihm vertrauten Umgebung agiert. Er traut sich nicht etwas in seinem Leben zu ändern und fürchtet sich davor etwas Neues auszuprobieren. Seine Einkäufe macht er stets im gleichen Geschäft, die Haare läßt er nur bei seinem Stammcoiffeur schneiden etc....und genauso verhält es sich auch mit der Hure. Sie ist ihm vertraut, mit einer Anderen könnte er es sich gar nicht vorstellen.
Und weil sie einmal nicht kommen konnte, ist für ihn zum einen sein kleines vertrautes Universum vollkommen aus den Fugen geraten und zum anderen fühlte er sich von ihr in Stich gelassen, und das nahm ihn ganz schön mit. Außerdem darfst du nicht vergessen, daß Thomas eine isolierte Person mit nur wenigen Bezugspersonen in seinem Leben, und wenn einmal eine dieser Personen enttäuscht, dann nimmt er ihr es persönlich. Und das wollte ich, damit ausdrücken.

Verstehst du, was ich damit meine?

Danke für deine ehrliche Meinung, Streicher.

mfg stille Feder

 

Hallo Stille Feder,

Dir ist eine unterhaltende Geschichte gelungen. Meine Gratulation dazu.
Auch der Plot selbst ist gut gewählt. Auch das ist lobenswert.
Leider war es das schon aus meiner Sicht.
Schon der erste Satz lies mich etwas schlucken.

Die Nacht trat langsam zur Wachablöse an, und entließ somit den Tag, der sofort weiter gegen Westen zog, um dort wiederum die Nacht abzulösen.

Wie oft ich die Formulierung der Wachablösung des Tages schon gelesen habe kann ich gar nicht sagen. Meiner Meinung nach fehlt es da an der Originalität, die du bestimmt mit einigem Nachdenken zustande bringst.
Diese (sei mir nicht böse wenn ich das so hart sage) abgedroschenen Sätze ziehen sich durch die ganze Geschichte und rufen bei mir nur andere Geschichten ins gedächtnis, in denen auch diese Formulierungen benutzt wurden.
Zudem gefällt mir die Koketierung mit dem Leser nicht besonders. Für mich ist das nicht Förderlich für die Ernsthaftigkeit der Geschichte. Irgendwie lässt du durch diese Einwürfe an den Leser den protagonisten in einem Licht erscheinen, das ihn eindeutig als Witzfigur abstempelt.
Der Schluss ist meines Erachtens auch nicht gut gewählt. Wenn in einem Zimmer wochenlang das Fenster offensteht und darin eine Leiche liegt ist es ziemlich unwahrscheinlich, das er von der besuchenden Mutter entdeckt wird. Der Gestank hätte eigentlich die ganze nachbarschaft zum erbrechen bringen müssen.
Aber zum Schluss muss ich deine Idee mit der Todesursache hervorheben.
Sie ist zwar mehr als unrealistisch aber so originell, das dies allein schon bewirkt, das ich sagen muss:
Eine gute geschichte!

 

Hi Stille Feder,


Die Nacht trat langsam zur Wachablöse an, und entließ somit den Tag, der sofort weiter gegen Westen zog, um dort wiederum die Nacht abzulösen. Die Dunkelheit verdrängte auch das Tageslicht aus der kleinen Wohnung, die Thomas alleine bewohnte; der, um dem noch einmal kurz Einhalt zu gebieten, seine Lampe einschaltete, die sogleich die Dunkelheit verdrängte.


Der Tag floh gen Westen - die Nacht begann. Ihre Dunkelheit verdrängte das letzte Tageslicht aus der kleinen Wohnung, die Thomas allein bewohnte. Den Schalter schnell gedrückt und die Lampe brachte zumindest ein wenig künstliches Licht zurück in sein karg eingerichtetes Wohnzimmer.
Wieder einmal war...

"Brachte" - gefällt mir noch nicht - aber die Bezüge sind weitestgehend raus - ein Gedanke nach dem anderen, zumindest manchmal, das bringt Abwechslung. Ist gar nicht so schwierig. Gerade bei atmosphärischen Einleitungen ist manchmal weniger mehr (3 Euro ins Phrasenschwein).

wenn du es selbst überarbeiten willst, würde ich mir sparen, dass irgendwo noch eine Nacht abgelöst wird (da verschiebt sich etwas viel hin und her) - und würde nach bewohnte nicht mit "der" weitermachen, sondern mit "Er" oder so einen neuen Satz beginnen..

viele grüße, streicher

 

Hallo Streicher,

danke für deine Antwort.

Ich werde auf jeden Fall deinen Rat beherzigen und in der überarbeiteten Version versuchen, einen schöneren Übergang zwischen den Bezügen zu finden.

mfg stille Feder

 

Hallo Hennaboindl,

danke für dein Kommentar. Es freut mich, daß dich Geschichte zumindest ein klein wenig unterhaltet hat.

Das mit der Einleitung werde ich wohl ändern (ich habe das im Anfall eines literarischen Größenwahns geschrieben :D )

Mit deiner Anmerkung zum Schluß,
"Wenn in einem Zimmer wochenlang das Fenster offensteht und darin eine Leiche liegt ist es ziemlich unwahrscheinlich, das er von der besuchenden Mutter entdeckt wird. Der Gestank hätte eigentlich die ganze nachbarschaft zum erbrechen bringen müssen." , hast du Recht. War mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Aber zur Selbstverteidigung muß ich anführen, daß ich den Tod ziemlich überzeichnet habe, daher sollte man es nicht mit der Realität vergleichen :-)

Mit dem Schluß wollte ich nur die Lethargie des Protagonisten hervorstreichen. Ihm ist es einfach nicht möglich sich aufzuraffen um sein Leben lebenswerter zu machen, stattdessen ergibt er sich kampflos und stirbt. Mit den Mücken wollte ich nur seine lethargische Machtlosigkeit verdeutlichen.

mfg stille Feder

 

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