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Die ver-rückte Frederike
alte Verion, zur überarbeiteten geht es hier
Minka bellte laut, sprang kreuz und quer durchs Zimmer und wedelte so wild mit ihrem Schwanz, dass Frederikes Buntstifte vom Schreibtisch fielen. Denn Minka war Frederikes Katze und die Katzenmusik, die aus dem CD-Player plärrte, machte sie ganz verrückt. Außerdem flogen die Fische durch den Hamsterkäfig, während der Hamster Pitschi im Aquarium ein Bad nahm. So wurde er wenigstens richtig sauber. Frederike saß auf ihrem Bett und biss in einen Apfel, der ganz wunderbar nach Erdbeeren mit Schlagsahne schmeckte. Sie fand es gar nicht schlimm, dass ihrem Vater die Erdbeeren im Winter zu teuer waren, sie konnte den Erdbeergeschmack in jedes Obst zaubern. Das machte Spaß!
"Was ist denn hier schon wieder los?"
Vor Schreck hätte Frederike sich fast an dem letzten Bissen ihres Erdbeer-Sahne-Apfels verschluckt. Ihr Vater stand in der Tür, die Arme in die Hüften gestemmt und sein rotes Gesicht machte deutlich, dass die höchste Alarmstufe drohte.
"Stell sofort diese Katzenmusik ab und lass die armen Tiere in Frieden!", rief er. "Warum kannst du nicht etwas vernünftiges zaubern, wie alle anderen?"
Frederike senkte ihren Kopf, konzentrierte sich kurz und murmelte ihren Zauberspruch. Sie lebte in einer Welt, in der jeder zaubern konnte, aber immer nur genau eine Kleinigkeit. Frederike konnte Dinge ein bisschen ver-rücken, so dass dieses Chaos in ihrem Zimmer entstand. Ver-rückt bedeutet nämlich nicht nur "irre", sondern einfach nur "gerückt", so wie wenn man einen Stuhl ein bisschen zur Seite rückt. Jetzt rückte sie alles wieder an den richtigen Platz, der CD-Player lief wieder vorwärts, die Fische schwammen durchs Aquarium, die Katze miaute kurz und rollte sich dann auf dem Bett zusammen. Der Hamster wühlte in seinem Käfig herum, weil er noch ganz nass war, blieb das Kleintierstreu an seinem Fell hängen und er sah aus wie ein paniertes Schnitzel. Frederikes Vater war so aufgeregt, dass er das glücklicherweise nicht sah. Den Erdbeer-Sahne- Geschmack in ihrem Apfel änderte Frederike nicht, das konnte ihr Vater ja nicht merken. Er ließ seine Arme sinken und sein Gesicht bekam wieder eine fast normale Farbe.
"Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht?", fragte er, schon viel ruhiger.
"Tu ich doch gerade!", antwortete Frederike. "Wir sollen uns 'Die kleine Nachmusik' von Mozart anhören." Sie deutete auf den CD-Player.
"Das klang gerade eben aber eher wie Katzenmusik. Muss die Lehrerin dir denn ausdrücklich sagen, dass du es vorwärts abspielen sollst?", fragte ihr Vater.
'So ein Mist!', dachte Frederike. 'Warum können Eltern einen immer so schnell durchschauen?'
"In fünf Minuten gibt es Abendessen", sagte er. "Deck bitte den Tisch."
"Was gibt's denn heute?", fragte Frederike und trottete hinter ihrem Vater in die Küche.
"Spinat mit Kartoffeln und Rührei", antwortete er. "Wir brauchen also drei große Schüsseln, Teller und Gabeln."
Frederike verzog das Gesicht. Rührei mochte sie nicht besonders, sie hatte mehr Lust auf Frikadellen. Aber weil es für heute schon genug Ärger gegeben hatte, hielt sie lieber den Mund und stellte das Geschirr und Besteck auf den Tisch. Ihr Vater holte währenddessen aus seiner Einkaufstasche Kartoffeln, Eier und den gefrorenen Spinat heraus und legte alles in je eine der Schüsseln. Dann schloss er kurz die Augen, murmelte seinen Zauberspruch und schon wehte der Geruch von Rührei durch die Küche. Die eine Sache, die Frederikes Vater zaubern konnte, war nämlich aus rohen Zutaten ein fertiges Essen zu "kochen", ohne Herd und ruckzuck! Deshalb arbeitete er in der Kantine einer großen Fabrik als Koch-Zauberer. Er schaufelte Frederike ein paar dampfende Kartoffeln und Spinat auf ihren Teller. Als er ihr Rührei geben wollte, hielt sie ihre Hand darüber.
"Ach, den Geschmack von Rührei kannst du wohl nicht ver-rücken, was?", lachte ihr Vater. Frederike konnte die Dinge immer nur ein bisschen verrücken, so dass z. B. Lammfleisch nach Grillhähnen schmeckt, aber Eier und Fleisch sind etwas anderes – leider.
"Wenn du doch nur etwas Nützliches zaubern könntest, so wie deine Mutter!", klagte Frederikes Vater. "Was soll nur aus dir werden?"
Frederikes Mutter war Hausbau-Zauberin. Transport-Zauberer schafften die Ziegelsteine heran und Frederikes Mutter zauberte daraus – Simsalabim – alle Arten von Häusern: große Häuser, kleine Häuser, Schulen, Geschäfte und auch Hundehütten. Weil ihre Häuser so schön waren und sie das ganz schnell machte, wollten alle Leute ein Haus von ihr haben. Sie hatte also immer viel zu tun und kam abends oft erst sehr spät nach Hause.
'Ich möchte wenigstens einmal von allen bewundert werden', dachte Frederike und seufzte. Weil sie immer Sachen ver-rückte, nannten man sie "die ver-rückte Frederike". Alle ihre Klassenkameradin konnten eine ganz tolle Sache zaubern. Celine wollte später Anstreicher-Zauberin werden, denn sie konnte eine Wand in fünf Minuten schön bunt machen, ohne dass man die Möbel rücken musste. Manuel zauberte aus Stoff schöne Kleider und wollten natürlich Kleider-Zauberer werden. Sie konnten das noch nicht so gut wie Erwachsene, sie mussten noch üben. Aber sie würden es bestimmt schaffen und alle würden stolz auf sie sein. Nur Frederike wusste noch nicht, was sie einmal werden wollte.
Am nächsten Tag hatten sie in den ersten beiden Stunden Naturkunde bei Frau Fröse. Jeder sollte der Reihe nach einen Satz aus dem Schulbuch vorlesen. Es ging darum, wie wichtig der Regen für die Pflanzen ist. Frederike guckte aus dem Fenster. Die Sonne lockte mit ihren fröhlichen Strahlen. Frederike mochte keinen Regen. Es war ihr egal, ob er für die Äpfel und Erdbeeren wichtig ist. Sie wollte jetzt viel lieber draußen in der Sonne spielen. Gleich würde sie dran kommen. Gerade las Manuel, der neben ihr saß, vor: "Der kleine Regentropfen Plitsch-Platsch fiel auf die Erde, sickerte in den trockenen Boden..."
Da fiel Frederike plötzlich ein, wie man den Unterricht lustiger machen konnte. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich, murmelte und dann las Manuel: "... wurde von der obersten Baumspitze nach unten gezogen –"
"Halt!", rief Frau Fröse. "Lies das bitte noch einmal, Manuel! Schau dabei genau ins Buch!"
Manuel fuhr mit dem Finger die Zeile entlang. "Der große Trockenbrocken Knuff-Wuff sprang in den Himmel –"
Die ganze Klasse lachte. Jemand rief: "Die ver-rückte Frederike hat die Geschichte in dem Buch ver-rückt!"
Manuel wurde rot und funkelte Frederike böse an.
"Jetzt lachen alle über mich!", zischte er. "Was hast du mir da wieder eingebrockt?"
Frau Fröse warf einen Blick in ihr Buch, schüttelte den Kopf, seufzte.
"Frederike!", sagte sie in einem Tonfall, der klang, als würde sie sich zwingen, jetzt ganz besonders freundlich sein zu müssen. "Das war sehr lustig! Dürfen wir jetzt bitte mit dem Unterricht fortfahren?"
Frederike schaute betroffen auf den Boden. Jetzt war nicht nur Frau Fröse auf sie sauer, sondern auch Manuel. Dabei war Manuel doch ihr bester Freund. Warum hatte sie sich nicht zusammenreißen können? Aber es machte einfach solchen Spaß, wenn die Kinder sich über ihre Scherze freuten. Sie seufzte, schloss die Augen und konzentrierte sich.
In der großen Pause konnten sie endlich nach draußen. Frederike wollte sich bei Manuel entschuldigen, aber er fauchte nur: "Lass mich in Ruhe!"
"Ich werde nie wieder irgendetwas ver-rücken, das verspreche ich dir!", rief Frederike und griff nach Manuels Jacke. In diesem Moment wollte er loslaufen, aber weil Frederike ihn festhielt, fiel er hin. Er schrie laut, wälzte sich am Boden und hielt die rechte Hand an seine linke Schulter. Frau Fröse kam sofort angelaufen und untersuchte ihn vorsichtig.
"Hm, wahrscheinlich hat er sich die Schulter ausgekugelt", sagte sie besorgt. "Das heißt, sie sitzt nicht mehr richtig in dem Gelenk. Du musst ins Krankenhaus und der Arzt wird deine Schulter wieder richten."
Manual schrie: "Nein, ich will nicht ins Krankenhaus! Ich will keine Spritze bekommen!"
Frau Fröse konnte ihn gar nicht mehr beruhigen.
Frederike bekam einen Riesenschreck. Sie hatte Angst, dass alle ihr die Schuld geben würden. Wieder einmal! Außerdem tat Manuel ihr Leid. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie weh es getan hatte, als sie beim Fahrrad fahren gestürzt war und der Arzt ihr rechtes Knie nähen musste. Ohne nachzudenken schloss sie die Augen, konzentrierte sich auf Manuels Schulter und versuchte sie wieder zurück zu rücken. Es machte laut "Knacks" und Manuel schrie noch einmal auf.
'Oje!', dachte Frederike. 'Jetzt habe ich ihm noch mehr weh getan.'
"Was ist das denn?", fragte Frau Fröse und tastete behutsam die Schulter ab. "Jetzt scheint wieder alles am richtigen Platz zu sein."
Manuel setzte sich vorsichtig auf und bewegte langsam seine Schulter.
"Komisch", sagte er. "Es tut fast gar nicht mehr weh! Wie ist das denn so schnell passiert?"
Er sah zu Frederike hoch. "Warst du das?"
Frederike wusste nicht, was sie sagen sollte. Hatte sie tatsächlich endlich einmal etwas Nützliches ver-rückt? Auch Frau Fröse und alle Kinder schauten sie mit großen Augen an. Sie nickte. Manuel strahlte, stand auf und umarmte sie.
"Vielen Dank, meine Retterin", flüsterte er.
Frederikes Kopf fühlte sich ganz heiß an. Wahrscheinlich wurde sie gerade knallrot im Gesicht.
"Ich weiß jetzt auch, was du mal wirst, wenn du groß bist", fuhr Manuel laut fort und es klang, als wäre er sehr stolz, ihr Freund zu sein. "Reparatur-Zauberin!"