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Die Unterhaltung

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16.11.2003
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Die Unterhaltung

Die Unterhaltung. Für B.


In einem Lokal, unweit vom örtlichen Wald, traf ich einen Mann, der mir sagte, er habe mich schon unentwegt und viele Tage beobachtet, mich sogar verfolgt und bei Freunden nach mir gefragt, denn er sei der Überzeugung, mich von früher her zu kennen.
Ich lud ihn –mehr aus Neugier, weniger aus Höflichkeit- zu einer Tasse Tee im besagten Lokal ein. Während wir auf das Getränk warteten, erhoffte ich mir, er möge von selbst Stellung zum Thema nehmen. Dies tat er nicht. Also blickte ich kurz in die Runde des Lokals, nickte mehr aus Höflichkeit, weniger aus Notwendigkeit den Gästen und dem Personal lächelnd zu, um schließlich, denn das erwartete er wohl, zu fragen, woher er mich kenne, was ihn so sicher mache.
Er erhob seinen Atem, dabei öffneten sich einige Knöpfe seiner grauen Weste, um letztlich nicht zu antworten, denn der Tee wurde bereits serviert. Ich bedankte mich höflich bei der jungen Dame, die dann im Dickicht des Lokals verschwand. Dann nahm ich das Teegebäck zur Hand, befreite es aus dem weißen Papier, was ich zusammenfaltete und unter den Rand der weißen Tischdecke legte, während die andere Hand das Gebäck bereits unwillkürlich in den Tee tunkte, es zum Mund führte, welcher dann verlegen ein Stück abbiß. Das Schlürfen meines Gegenübers unterbrach mich in meiner wichtigen Handlung: Der Mann nahm tatsächlich sofort die Tasse in beide Hände, dabei fiel das Gebäck auf den Tisch, führte sie dann an den weit geöffneten Mund, der gelbe Zahnreihen sichtbar werden ließ, und schlang den ganzen Tee, der sehr heiß war, in seinen Schlund. Es machte ihm nichts, sich so zu benehmen. Er riß schließlich das Gebäck aus seiner Verpackung, die er auf den Boden legte. Dann verspeiste er es in einem fort. Auf der Untertasse lag noch ein Spiegel Tee, den er zum Runterspülen in den Rachen kippte. Seine Zunge glich kargem Ödland. Zum Ende hin zögerte er, scherte sich nicht um die Zehntausend Blicke, die er wohl auf sich zog, und trocknete dann Mund und Hand mit der Tischdecke ab. Kleine Krümel Gebäck, die noch zwischen den auffällig dünnen Fingern klebten, saugte er mit seinem nun rundlich geformten Schlund davon. Er hustete, worauf einige der Krümel hinausgeschleudert wurden und auf dem Tisch landeten. Dann grinste er zufrieden, lehnte sich zurück und beobachtete mich, so wie er es vielleicht schon seit Monaten tat.
Ich versuchte, nichts von dem, was er tat, auch so zu tun. Ich bemühte mich. Leider fiel die Tasse durch meine zittrigen Hände hindurch, fiel tief auf den Tisch, meine Hände griffen hastig nach ihr, sie platschte dann unzerstört, aber sich leerend auf mein Hosenbein. Schnell aß ich beschämt mein Gebäck, stellte die Tasse wieder auf ihren Platz und wollte sehen, ob mein Gegenüber reagierte: Nichts tat er. Er sah mich an und grinste.
Die junge Kellnerin kam, um mir und dem Fremden jeweils ein kleines Tuch zu reichen. Ich nahm es dankbar an, er nickte stumm. Doch während ich versuchte, den entstandenen Schaden an mir zu bereinigen, legte er sein Tuch auf den Boden und putzte sein Schuhwerk daran ab. Es war voller Schlamm und Erde. Offensichtlich war es seine Absicht, mich vor den anderen Gästen und der jungen Dame zu blamieren. Es gelang sicherlich. Zufrieden grinste er und stieß plötzlich einen glucksenden Laut aus, einem Frosch ähnlich.
Das Mädchen kam nach einigen ruhigen Augenblicken zurück und nahm die Tücher an sich. Sie fragte höflich und beinahe liebevoll, ob wir noch etwas wünschten. Ich hatte keinen Wunsch mehr. Ich hatte keine Lust auf eine weitere Peinlichkeit vor ihren lieblichen Augen. So sah ich bittend den Mann an, doch er hatte noch Wünsche, obschon ich das Gegenteil erhofft hatte: Er bestellte schließlich ein ganzes Mahl. Das schöne Mädchen schrieb es auf einen Zettel und ging damit schnell und direkt zur Küche, wie ich befürchtete. Wenigstens war nun Zeit, zu reden.
Ich holte kurz Luft und wiederholte meine Fragen. Der Mann grinste immer noch merkwürdig und griff in sein Jacket, um wohl einen Beweis für unsere Bekanntschaft vorzulegen. Natürlich kam es zu Schwierigkeiten: Als er seine Hand herausziehen wollte, da blieb er wohl mit dem Daumennagel an einem kleinen Faden hängen, der sich wahrscheinlich mehrfach um den Daumen selbst drehte, so dass der Mann seine Hand nicht leicht befreien konnte. Er hob seinen Arm schnell und ziellos über den Tisch aus dem Jacket hinaus und stieß eine kleine Vase um. Es bestand die Möglichkeit, dass die Vase mit Trockenblumen oder künstlichen Pflanzen gefüllt war, was ein Irrtum war: Die Möglichkeit, dass es so hätte sein können, wurde von einer Sturmflut aus Blumenwasser mitgerissen. Das Wasser rannte über die Tischdecke auf meine Hosen zu. Ich schien gelähmt und ließ es geschehen. Der Mann grinste, sagte kein Wort, nahm die Blumen auf und rief damit nach dem Mädchen. Sie kam sofort und nahm Blumen und Vase mit. Wiederum wurde ein neuer Ansatz des Fragens unterbrochen, denn sie kehrte schnell zurück, gemeinsam mit einer neuen Tischdecke. Nach diesem Wirbel an Änderung, Reinigung und Aufräumarbeiten wiederholte ich meine wichtigen Fragen, fügte hinzu, wer er denn wohl sein möge. Als er sprechen wollte, da kam sie wieder. Zu meinem Entsetzen servierte sie eine Vorsuppe. Sie legte ihm mehrere Tücher neben den Suppenteller, denn offenbar ahnte sie das gleiche Inferno wie ich es tat. Sie war meine einzige Verbündete, obschon sie nicht wissen konnte, was auf dem Spiel stand.
Brav und überraschend ordentlich löffelte er schweigend sein Süppchen aus. Kurz vor dem letzten Löffel aber, ich stellte meine erste Frage erneut, holte er Luft, während sich Suppe im Mund befand. Den üblichen Naturgesetzen folgend, welche wohl seine Verbündeten waren, spuckte er die Suppe aus. In Panik wegen des einsetzenden Hustenanfalls stieß er mit den Beinen an den Tisch und wirbelte mit den Armen. Der Löffel flog durch das Lokal, die Suppe verteilte sich auf dem Tisch, denn der Inhalt schien sich wieder gemehrt zu haben. Und während ein neuer Mantel des Vergessens in Form von Tomatensuppe sich überall hin ausbreitete, flog der Löffel weiter seine lange Bahn und traf genau das Gesicht eines Kellners, der als Folge davon stolperte, quer durch den Raum flog und unseren Tisch traf. Salzstreuer und Besteck stürzten mit uns um.
Evi, so war ihr Name, kam erneut und räumte ab. Weitere Kellner richteten alles wieder her, es waren keine anderen Gäste mehr im Lokal. In meinen Gedanken sah ich bereits das Hauptmahl. Es würde sich in einem gigantischen Sturzbach, einem Vulkanausbruch gleichend ausbreiten im ganzen Lokal. Also nahm ich den Augenblick, fand eine Lücke und zwang meine Fragen hindurch, die ich nun ein letztes Mal stellen wollte.
Er räusperte sich. Er spuckte. Er hustete. Er schluckte. Er übergab.
Dann rülpste er leise. Evi stellte wieder Ordnung her. Er schluchzte. Er räusperte sich wieder. Er weinte laut. Er lachte. Er grinste. Er sah mich an. Er sagte nichts.
Dann endlich sprach er: „Ich werde jetzt gehen.“
Verzweifelt und fragend sah ich ihn an: „Sie werden jetzt gehen ?“
Er kratzte sich am Kopf. Er wurde ernst. „Ich werde jetzt gehen“, wiederholte er. Dann nahm er eine Serviette und trocknete sich vornehm den Mund. „Sie werden jetzt einfach gehen ?“ fragte ich unsicher und empört zugleich. „Es ist Zeit für mich. Ich werde jetzt gehen. Ich habe alles, was ich brauche“, sagte er, während er sich erhob, seinen Mantel nahm und ging. Zu meiner eigenen Überraschung zögerte ich, lehnte mich zurück und betrachtete sein Verlassen des Lokals.
Evi kam an meinen Tisch. „Ich habe gleich meine Pause“, sagte sie. Ich nickte leer. „Hören Sie ? Ich habe gleich meine Pause“, wiederholte sie. Ich sah sie an. Sie lächelte. „Wollen wir ein wenig reden ?“ fragte sie. Ich nickte, war sie doch meine Verbündete in diesem Kampf gewesen, der plötzlich an Wichtigkeit verlor.
„Ich würde gern mit Ihnen reden“, sagte ich endlich. „Gern“, wiederholte sie, um mir mehr Sicherheit zu schenken. „Darum bin ich hier“, sagte ich.
Wir gingen hinaus. Im örtlichen Wald gab es eine Bank, gelegen an einem See. Dort wollten wir uns unterhalten. Nur eine kleine Unterhaltung.
Und würde es mehr werden, würden wir beide zufrieden sein.

 

Hallo kosh,

eine seltsame Geschichte, die, abgesehen vom Schluß, sehr an Loriots „Das Bild hing schief“ erinnert. Trotzdem hat der Kontrast zwischen Sprache und verärgernder Handlung einen gewissen Reiz. Das Verbündet sein der Kellnerin mit dem Berichterstatter trägt zu dem ungewohnten Blickwinkel bei, schließlich würde man eher erwarten, dass sie ihre Abneigung auf den Erzähler ausweitet.
So lernt er nicht den kennen, den er erkunden will, kommt durch indirekte Kommunikation der Person näher, die nicht in seinem Focus war. Der, der behauptet ihn zu kennen, sorgt für ein kennen lernen einer unbekannten Person.
Ohne weitere Konsequenzen wirkt der Inhalt aber doch belanglos, das Interessante ist der genannte Kontrast. Da die Sprache bewusst unüblich gewählt wurde ist es schwer, sie zu beurteilen. Einiges möchte ich trotzdem anmerken:

„Er erhob seinen Atem, dabei öffneten sich einige Knöpfe seiner grauen Weste, um letztlich nicht zu antworten“ - „erhob“ sagt man im Bezug zur Stimme. Er erhebt seinen Atem ja nicht „um“ nicht zu antworten, sondern weil er antworten will- er tut es nur nicht. (antwortete aber letztlich nicht).

„Dickicht des Lokals“ - hier sollte man vielleicht noch anmerken, durch was das Dickicht entsteht.

`Welches´ „ ich zusammenfaltete“, nicht „was“

„Dann verspeiste er es in einem fort. Auf der Untertasse lag noch ein Spiegel Tee, den er zum Runterspülen in den Rachen kippte.“ - auf einmal (er kann es nicht andauernd verspeisen). „lag“ - liegen klingt so statisch, eher schwappte oder ganz schlicht `befand´ sich eine Pfütze.

„geformten Schlund davon“ - von was? ( `auf ´ anstelle von „davon“).

Tschüß… Woltochinon

 

Hallo !

Ich finde, man sollte in dieser Geschichte nicht versuchen, mehr in ihr zu sehen als sie ist.
Tatsächlich ist sie inhaltlich belanglos, denn genau das war meine Intention. Im Prinzip passiert kaum was, aber am Ende ist dennoch alles anders. Vielleicht so eine Art "unsichtbare Fügung" oder so ?

Gruß,
Kosh

PS.: Was übrigens nicht heißen soll, dass ich die Intention habe, all meine Geschichten (egal ob veröffentlicht oder nicht) darauf reduzieren würde.
:-)

 
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Hallo kosh,

ich muß das ändern, ist zweideutig:

Ich habe manchmal als Kritiker das Problem, ob man dem Autoren nicht doch unrecht tut, wenn man seine Geschichte als belanglos einstuft. Vielleicht steckt ja etwas unerkanntes in einer Story.

Take care,

tschüß... Woltochinon

 

Hi !

Ich habe das nicht negativ aufgenommen oder so. Kein Problem. Ich selbst meine auch, dass der Inhalt nicht die Welt ist.
Meine nur, dass es vielleicht manchmal darauf ankommt, wie es endet -und für den Protagonisten endet es gut; es hat sich sicher für ihn inhaltlich mehr abgespielt als für uns.

Bye,
Kosh

 

Hallo kosh,

danke für´s Feedback.

Im Prinzip muß man sich ganz in den Prot. hinein versetzen, damit man die Sache mit ihm miterlebt.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

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