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Die Ungewissheit
Er rannte, stolperte über Wurzeln, Schlingen und Dornen, rappelte sich wieder auf und hastete weiter. Die Dornen schnitten ihm tief in die Haut, doch er spürte sie nicht. Der Schweiß rann an ihm herunter und klebte an seiner Kleidung, die nur noch in Fetzen an ihm hing. Seine Schuhe …? Hatte er wohl irgendwo verloren. Seine Füße waren aufgerissen und bluteten. Doch er spürte nichts. Sein einziger Gedanke war: weg, einfach nur weg.
Weiter vorne sah er eine Höhle. Keuchend und mit letzter Kraft lief er hin, sank zusammen und wurde ohnmächtig.
Zwischendurch kam er kurz zu sich. Wollte sich etwas aufrichten, doch die Schmerzen waren unerträglich. Er schrie auf. Sofort fiel er in eine Art Dämmerzustand.
Wie viel Zeit vergangen war, wusste er nicht. Als er wiederum kurz zu sich kam, sah er zwischen seinen geschwollenen Augen eine Gestalt, die ihn gewaschen hatte und ihm versuchte Trinken einzuflößen. Er wollte weg. Doch beim Versuch sich zu erheben, kippte er gleich wieder um.
Erst sehr viel später, nach vielen Schlaf- und Wachphasen, nahm er seine Umgebung langsam, aber immer noch schemenhaft wahr. Er lag auf weichem Fell, ein Feuer brannte und er sah, dass es dunkel war. Langsam, bruchstückweise kamen Erinnerungsfetzen in ihm hoch.
Wollte er nicht im Wald Beeren holen? Als er aus dem Nichts von einem Bären ...? Irgendwie konnte er sich befreien und rannte wie besessen vor Angst davon. Nicht ein einziges Mal schaute er zurück. Er rannte um sein Leben. Und jetzt war er hier. Keine Ahnung wo, aber er lebte.
Er richtete sich ganz langsam auf. Es wurde ihm schlecht. Alles drehte sich. Bevor er auf sein Lager zurückfiel, sah er noch, dass ein grosser Verband mit Blättern um seinen Bauch gebunden war. Von wem wohl? Er versuchte, seine aufgedunsenen Augen wieder etwas zu öffnen, doch wurde er gleich wieder bewusstlos.
Zum wiederholten Male erwachte er. Die Gestalt, die er schon einmal gesehen hatte war dabei ihm einen neuen Verband um den Bauch zu legen. Er fror. Wieder fielen ihm die Augen zu, doch er wollte unbedingt wissen wer bei ihm war. Deshalb drehte er mit ganzer Anstrengung seinen Kopf ganz leicht zur Seite hin. Doch was war das; eine Gestalt wie eine Art Wolke, die ihm mit ihren durchsichtigen Armen einen Verband anlegte. Jetzt bekam er erst richtig Panik. Bin ich im Himmel? Er stöhnte auf, wollte fliehen und versuchte aufzustehen, doch die Schmerzen waren zu stark.
Erneut erwacht, flößte ihm die Gestalt einen scheußlich schmeckenden Tee ein und tupfte ihm den Schweiß mit einem kalten feuchten Lappen von der Stirn. Er hustete. Das schmerzte. Dann wollte er etwas sagen, doch es kam kein Laut heraus. Er sah diese Gestalt an und erschrak; ihre Bewegungen waren fließend, gingen auseinander und stellten sich wieder zusammen. Die Haare waren lange und weiss. Er wollte danach greifen, doch griff ins Leere. Sie sah ihn an und ihr Gesicht war wie Glas. Man sah hindurch. Von weitem hörte er eine Stimme, doch verstand nichts. Er bekam erneut Panik. Er wollte weg. Aber er war zu kraftlos und fiel erneut in unruhigen Schlaf.
Als er wiederum zu sich kam, überlegte er, wo er sein konnte? Wollte er nicht nur ein paar Tage in der Stille des Waldes etwas Ruhe vom Alltag finden? Wieder Kraft tanken und einfach relaxen? Warum dann dieser Bär? Was sollte das? Wiederum versuchte er, die Gestalt zu befragen, doch nichts kam über seine Lippen. Als diese wegschwebte, versuchte er zu rufen doch ohne Erfolg. Er wollte weg. Schreckliche Angst schnürte ihm die Kehle zu. Was war nur los? Wo war er? Wer war das? Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte nicht sprechen. Wiederum schlief er vor Erschöpfung ein.
Beim erneuten Erwachen war die Gestalt wieder bei ihm und legte nochmals einen Verband an. Er wollte etwas sagen doch kam kein Laut über seine Lippen. Sein Mund war trocken. Sein Hals schmerzte. Wiederum versuchte er sich bemerkbar zu machen. Vergebens. Die Gestalt schwebte zum Ausgang, den er nur schemenhaft wahrnehmen konnte, winkte ihm zu. Er wollte rufen; Halt nicht weggehen. Doch wieder kam nichts heraus. Ohne sich dagegen wehren zu können war er schon wieder weggetreten.
Beim Aufwachen lag er in seinem Schlafzimmer im Bett. Seine Frau Moni trat ins Zimmer. Kam an sein Bett und meinte mit Erleichterung in der Stimme: »Ach Thomas, endlich ist das hohe Fieber gesunken. Ich hatte so große Angst um dich. Da du so lange hohes Fieber und Bauchkrämpfe hattest, nicht ansprechbar warst, musste ich Doktor Heiniger rufen der dir eine Spritze gab. Du hattest eine schwere Bauchentzündung. Bei der du wohl starke Schmerzen hattest? Der Arzt meinte auch, dass Dein Immunsystem wohl alleine das hohe Fieber und die Entzündung im Bauch nicht hätte bekämpfen können und dass du deiner Gesundheit zuliebe unbedingt auf der Arbeit einen Gang runter schalten müsstest. Liebling, kannst du dich an etwas erinnern?«