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Die unerwartet harte Antwort

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22.06.2003
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Die unerwartet harte Antwort

Hallo Mira!

Nachdem ich deinen Brief aufmerksam gelesen habe, glaube ich deine zentrale Frage beantworten zu können. Ich zitiere: Was ist der Tod?
Wohl gibt es an die hundert Antworten, die allesamt von gleich falschen Zungen stammen, welche die Welt zu verherrlichen gedenken oder das Gegenteil anstellen wollen. Letzteres ist bei weitem schwieriger. Wie ist er, der Tod? Ich sage dir: Wie du und ich! Mit Betonung auf ich. Aber darauf komme ich später zurück. Auch hast du mich gefragt, was dich denn nach dem Tod erwartet. Eine gute Frage, die durchaus philosophisch interessant wäre. Aber: Wer hat denn die Philosophie erfunden? Menschen wie du und ich! Betonung auf du. Ich kann mir vorstellen, dass du sehr gespannt auf meine Antwort bist. Du scheinst regelrechte Angst vor dem Tod zu haben und das schon mit fünfzehn Jahren. Ich weiss, du schätzt dein Leben und würdest sehr gerne in irgendeiner Form weiterleben. Auch wäre es dir Recht, andere, noch schönere Welten mit deiner Präsenz zu beglücken. Daher tut es mir sehr Leid dir mitzuteilen, dass...

Ich der Tod bin. Du hast deinen Brief an die falsche Adresse geschickt. Nun weiss ich über dich Bescheid und ich werde deine Ängste ausnützen. Spürst du schon den Sturm, der deine Seele mitreissen wird? Spürst du die Zunge, die nach deinem Herzen lechzt?
Ein schwarzer Wind weht. Riechst du den fauligen Geruch in der Luft? Es sind schon viele vor dir gekommen. Es sind schon viele vor dir gegangen. Klammere dich nicht fest. Es hat keinen Sinn. Hast du dein Leben nicht ohnehin schon verloren?
Während die Leichen unter der Erde von Würmern gefressen werden, wird deine erbärmliche Seele durch das Universum gejagt, von düsteren Gestalten, gestaltlos jedoch gierig nach Überresten menschlicher Existenz. Für sie leuchtest du wie flackernde Kerzen in dunklen Räumen, die darauf warten, ausgelöscht zu werden. Du bist ein einfacher Fund und ein noch schnellerer Happen. Du glaubst zu entkommen? Du bist wie ein Bauer auf einem dreidimensionalen Schachfeld. Wenn es dir jedoch gelingt, die nicht vorhandene letzte Linie zu erreichen wirst du Asyl im Ofen der Vergessenen erhalten.

Stell dir die Welt vor, wie ein immenser Baum. Im Frühling entstehen die Blätter und Blüten, die bis in den Sommer von Lebenskraft strotzen. Mit der Zeit aber vergeht der Saft, der die Frische der Existenzen aufrecht erhält und faul und einsam fallen die Blätter vom Baum, bemühen sich dabei, ein gutes Bild beim Sterben abzugeben. Das ist die Krankheit des Menschen. Er will ehrenhaft sterben, doch was nützt ihm Ehre? Die Frage nach dem Sinn hat der Mensch noch nie sinnvoll beantwortet – weil er das nicht kann.
Nun, die Blätter fallen zu Boden. Damit der Baum jedoch weiter bestehen kann, müssen die Blätter am Boden zersetzt und wiederverwendet werden.
Gottes Recyclingmethode sozusagen.
Die Masse, in unserem Fall der Körper wehrt sich nicht mehr, jedoch versucht die Seele zu fliehen. Damit aber die Existenz des Weltbaumes erhalten werden kann, muss auch die Seele vergehen und neuen Lichtern Platz machen.
In jedem Gehenden brennt ein egoistisches Feuer. Deshalb hat der Gebieter den Gurt enger geschnallt und die letzte Linie auf dem Kampffeld der Flüchtlinge gibt es nicht mehr. Auch gedenkt er, den Baum zu fällen, der ihm bis in die heutige Zeit noch peinlich ist, wenn er sein Werk betrachtet und mit den blühenden Pflanzen anderer Gebieter vergleicht.
Aus diesem Grunde hat er das Paradies renoviert und er will diese Welt der Menschenträume für eine neue, andere und resistentere Rasse aufbewahren. Den Menschen aber will er sie vorenthalten. So hat er Wesen wie mich geschaffen und wir werden euch in einer glorreicheren Welt ersetzten.
Du willst entkommen? Vergiss es. Jeder Mensch ist in einem Register eingetragen, nicht einem digitalen, virtuellen.
In einem Register aus Fleisch und Blut.
In seiner Urzeit nämlich hat Gott einen Riesen nach langen Kämpfen durch verbissene Lichtjahre besiegt und erlegt. Dessen Glieder hat er in den kühlen und verborgenen Winkeln des unergründeten Alls aufbewahrt und jeder Mensch, der entsteht, jede Seele, die gejagt werden muss, wird ins harte Fleisch des toten Riesen eingeritzt, sodass Gott dessen Präsenz bis hin zu dessen Ende nie vergisst.
Du kannst dir den Tod aber auch wie einen Gärtner vorstellen, der die Früchte des Baumes pflückt, bevor sie von alleine fallen.
Du hast dich bemerkbar gemacht und ich sehe, dass du eine saftige Frucht bist, die ich bald pflücken muss, um sie im Paradies zu ersetzten.
Dein einziger Trost kann ein kurzer und allerletzter Aufenthalt im Reich der Schmerzen sein. Die Menschen, so sage ich dir, haben eine erbärmliche Vorstellung vom Fegefeuer. Nur brennen? Sogar die Hölle wäre als Beschreibung des Feuers ungenügend. Und doch freuen sich die Menschen auf diesen letzten Aufenthalt, denn nichts fürchten sie mehr als das Nichts. Und genau das ist es, was sie zu guter Letzt erwartet. Sie verschwinden.

Nun habe ich aber genug geschwafelt. Kommen wir ernsthaft zu deiner Frage. Aber diesmal im Ernst.
Ich bin nicht im Geringsten der Tod. Vergiss solche Phantasien vom endgültigen Ende, sperr sie in ein altes Konfitüreglas und grabe ein fünfzig Meter tiefes Loch, wo du den Mist hineinwirfst. Solche Phantasien gehören in den Schlund des Lächerlichen.
Du willst dich mit dem Tod befassen, so jung du noch bist? Befassen sich siebzigjährige Opas mit ihrer Jugend? Okay, sie erinnern sich vielleicht daran und genauso solltest du dich damit begnügen, an den Tod zu denken, aber nicht an die Sense, die ist lächerlich. Glaubst du ernsthaft, dass diese Welt, so vielfältig und kompliziert sie ist durch Zufall entstanden ist? Stell dir vor, du beobachtest ein riesiges Feuerwerk – und plötzlich fallen Elefanten vom Himmel? Nein, das kann es nicht sein. An den Ur-Bumm kannst du gerne glauben, aber stell dir vor, dass danach etwas die Welt in die Welt gesetzt hat.
Stell dir ein grosser Zauberer vor, der ein Kaninchen unter seinem Hut verbirgt. Dieser Zauberer hat vielleicht sein Kaninchen geschlachtet und in Einzelteile zerlegt: Das linke Bein für die Milchstrasse...
Nimm zehn Würfel in die Hand, wirf alle und wenn du zehn Sechser würfelst, von mir aus auch Einer, so glaube getrost an den Zufall.
Ich für meinen Teil rate dir ab dich zu sehr mit dem Tod – welchen Tod? – zu beschäftigen, pass eher auf, dass du in deinem Leben nicht zu oft ohne Fallschirm springst.
Achja, Rinderfleisch kannst du essen, das ist ja wieder die Sache mit den zehn Würfeln.

Soweit von mir und lass dich nun noch von einem Propheten beraten, vielleicht erfährst du dann das genaue Datum deines letzten Tages...

Liebe Grüsse

PS: Verzeih mir bitte die kleine Einleitung, ich hatte nichts Besseres zu tun; Der Winter als Gärtner ist langweilig.

 

Hallo Van,

du hast mich mit deiner Geschichte ganz schön geleimt. Immer wieder musste ich die Notizen, die ich gemacht hatte wieder korrigieren, vor allem, da dein Ende überraschend ist.
Trotzdem finde ich dein Ende problematisch, denn die an "Blut und Boden Philosophie" erinnernden Ausführungen deines Prot empfinde ich als unangenehm elitär, vor allem wenn sie von einem Menschen kommen.
Schwerwiegender finde ich allerdings, dass es keine Erklärung dafür gibt, warum der Gärtner dem Mädchen einen solchen Brief schreibt, zumal es sich um eine Antwort handelt. Warum hat also das Mädchen ausgerechnet ihm zuvor solche Fragen gestellt.
Der Brief, von einem Erwachsenen an ein fünfzehnjähriges Mädchen geschrieben, ist in dieser unverfrorenen Form für sich gruselig genug, eine Anmaßung sondergleichen, und als Vater einer Tochter, die einen solchen Brief von einem Erwachsenen bekommt, würde ich wahrscheinlich zumindest überprüfen, ob es dagegen keine rechtliche Handhabe gibt. Denn auch wenn er es als Spiel aus Langeweile empfindet, ist es kein Spaß, einem Mädchen als Tod mit dem solchen zu drohen, ihre Ängste auszunutzen und es auf diese Weise in Angst und Schrecken zu versetzen, selbst wenn er das zum Ende seines Briefes aufklärt. Um mich darüber nicht zu empören, bräuchte ich wohl sehr viel mehr Hintergrundinformationen über die Beziehung, die Gärtner und Mädchen zueinander haben.

In der Ausführung ist deine Geschichte gut, auch wenn ich dazu ein paar Anmerkungen habe (eben jene, die ich auf Grund der Wendungen immer wieder korrigieren musste).

Du scheinst eine regelrechte Angst vor dem Tod zu haben und das schon mit fünfzehn Jahren
eine würde ich hier weglassen.
dass...
Ich der Tod bin.
mit dieser Stelle, den Punkten und dem Zeilenumbruch bin ich irgendwie nicht glücklich. Ich glaube, hier solltest du die ganzen Sätze noch einmal umstellen und die Spannung ohne diese künstlichen Hilfsmittel aufbauen.
Vorschlag:
Daher tut es mir sehr Leid, dir mitteilen zu müssen, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird.

Du hasst Deinen Brief an die falsche Adresse geschickt. Ich muss dir ehrlicherweise die Antworten der Religionen verweigern. Dafür hast du mich af dich aufmerksam gemacht. Ich weiß über dich Bescheid und ich werde deine Ängste ausnutzen,denn ich bin der Tod.

Hast du dein Leben nicht ohnehin schon verloren?
Da diese Frage sehr floskelhaft ist, würde ich sie vielleicht durch eine noch erbärmlichere Floskel ersetzen, nämlich durch Der Tod ist dir gewiss oder eine ähnliche Formulierung. Sonst müsstest du in irgendweiner Form darauf eingehen, warum dieses Mädchen das Leben schon verloren hat, obwohl sie noch am Leben ist.
Wenn es dir jedoch gelingt, die nicht vorhandene letzte Linie zu erreichen wirst du Asyl in den Ofen der Vergessenen erhalten.
im Ofen oder in den Öfen.
der die Frische der Existenzen auferhält
aufrecht erhält oder erhält
Gottes Recyclingmethode sozusagen.
Der Satz klingt wie ein Gedanke, der es verdient hätte ausformuliert zu werden.
Auch gedenkt er den Baum zu fällen, der ihm bis in die heutige Zeit noch peinlich ist, wenn er sein Werk betrachtet und mit blühenden Pflanzen anderer Gebieter vergleicht
Auch gedenkt er, den ...
... mit den blühenden Pflanzen ...
Du kannst dir den Tod aber auch wie ein Gärtner vorstellen
... wie einen Gärtner ...
Genug geschwafelt, nun zu deiner Frage, aber im Ernst.
den sprachlichen Bruch hast du an dieser Stelle bestimmt bewusst eingesetzt. Trotzdem würde ich die Sätze ausschreiben, etwa:
Nun habe ich aber genug geschwafelt. Kommen wir ernsthaft zu deiner Frage.
Nimm zehn Würfel in die Hand, werfe alle und wenn du zehn Sechser würfelst,
wirf alle

So, das war es vorerst von mir. Du merkst, dass ich irgendwie an dich besondere Ansprüche stelle. Bei manch anderem wäre die Kritik vielleicht bedeutend kürzer und lobender ausgefallen. Insofern ist es fast ungerecht, dass du mich schon an einen gewissen Standard bei dir gewöhnt hast.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim!

Danke fürs Lesen und Kommentieren. Ja, die Geschichte verändert sich halt während dem Lesen. Das einzige was bleibt ist wohl der sarkastische Ton. Und der Schluss stellt den Anfang in ein anderes Licht.
Sprichst du mit "Blut und Boden Philosophie" auf die Stelle mit dem Weltbaum an? Ich denke ein Mensch ist durchaus imstande solch elitäres Zeug zu reden, vor allem, wenn er sich vornimmt jemanden zu verarschen. Da es ein Brief ist, hat er auch genügend Zeit sich solche Sachen einfallen zu lassen.

>Warum hat also das Mädchen ausgerechnet ihm zuvor solche Fragen gestellt.<
Eine genaue Antwort kann ich diesbezüglich nicht geben, da ich nicht primär daran gedacht habe, wer die Personen sind. Vielleicht erhofft sie sich tröstende Antwort gerade von einem Gärtner, weil dieser so Naturverbunden ist? Andererseits kommt es weniger auf den Beruf, sondern mehr auf die Unverfrorenheit an, die ein paar Leute durchaus hätten, sich solche Spass zu erlauben. Beim Gärtner ging es mir auch ein bisschen um den P.S.-Gag.

Anderseits hat der Gärtner nicht nur als Ziel, sich einen Scherz zu erlauben, sondern dem Mädchen auf eine besondere, sicher harte und vielleicht sogar wirksame Art den Tod aus dem Kopf zu jagen. Natürlich kommt sich das Mädchen komisch vor, aber ein wenig wird der letzte Abschnitt schon auf sie wirken.

Es stimmt, man erfährt sehr wenig über die beiden Personen, das wieso und weshalb. Aber mir erschien noch recht schwierig, in einem Brief. Möglichkeit wäre gewesen auch den Brief des Mädchens zu schreiben, aber dann liefe die Gefahr, dass es langatmig wird. Ich muss mir nochmals Gedanken drüber machen, wie und ob ich das ändern kann, wenn nicht, tanke ich aus deinen Anmerkungen wieder mal für die nächsten Geschichten ;).

Danke für deine Anmerkungen, werde sie zum Teil gleich ändern. Dein Verbesserungsvorschlag ist wieder einmal ganz nett...

>Da diese Frage sehr floskelhaft ist, würde ich sie vielleicht durch eine noch erbärmlichere Floskel ersetzen, nämlich durch Der Tod ist dir gewiss oder eine ähnliche Formulierung. Sonst müsstest du in irgendweiner Form darauf eingehen, warum dieses Mädchen das Leben schon verloren hat, obwohl sie noch am Leben ist.<
Anderseits ist der Gärtner auch sehr darum bemüht, philosophisch zu klingen, was man ja auch an dem Vergleich mit dem Weltbaum sieht und an manch anderen Stellen (Bsp.: 'die Frage nach dem Sinn hat der Mensch noch nie sinnvoll beantworten können').

Auf Gottes Recyclingmethode werde ich wohl noch mit dem einen oder anderen Satz weiter eingehen, aber wahrscheinlich nicht heute, denn ich muss noch eine Geschichte vor/für Weihnachten schreiben...

>So, das war es vorerst von mir. Du merkst, dass ich irgendwie an dich besondere Ansprüche stelle. Bei manch anderem wäre die Kritik vielleicht bedeutend kürzer und lobender ausgefallen. Insofern ist es fast ungerecht, dass du mich schon an einen gewissen Standard bei dir gewöhnt hast.<

Nein, dass ist nicht ungerecht. Wenn sich die Kritiken nicht ein wenig meinen Fortschritten anpassen würden, könnte ich nicht mehr so viel daraus lernen, wie auch schon...
Und dass du an mich besondere Ansprüche stellst fasse ich als Lob auf.

Viele Grüsse,

Van

 

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