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Die unerwartet harte Antwort
Hallo Mira!
Nachdem ich deinen Brief aufmerksam gelesen habe, glaube ich deine zentrale Frage beantworten zu können. Ich zitiere: Was ist der Tod?
Wohl gibt es an die hundert Antworten, die allesamt von gleich falschen Zungen stammen, welche die Welt zu verherrlichen gedenken oder das Gegenteil anstellen wollen. Letzteres ist bei weitem schwieriger. Wie ist er, der Tod? Ich sage dir: Wie du und ich! Mit Betonung auf ich. Aber darauf komme ich später zurück. Auch hast du mich gefragt, was dich denn nach dem Tod erwartet. Eine gute Frage, die durchaus philosophisch interessant wäre. Aber: Wer hat denn die Philosophie erfunden? Menschen wie du und ich! Betonung auf du. Ich kann mir vorstellen, dass du sehr gespannt auf meine Antwort bist. Du scheinst regelrechte Angst vor dem Tod zu haben und das schon mit fünfzehn Jahren. Ich weiss, du schätzt dein Leben und würdest sehr gerne in irgendeiner Form weiterleben. Auch wäre es dir Recht, andere, noch schönere Welten mit deiner Präsenz zu beglücken. Daher tut es mir sehr Leid dir mitzuteilen, dass...
Ich der Tod bin. Du hast deinen Brief an die falsche Adresse geschickt. Nun weiss ich über dich Bescheid und ich werde deine Ängste ausnützen. Spürst du schon den Sturm, der deine Seele mitreissen wird? Spürst du die Zunge, die nach deinem Herzen lechzt?
Ein schwarzer Wind weht. Riechst du den fauligen Geruch in der Luft? Es sind schon viele vor dir gekommen. Es sind schon viele vor dir gegangen. Klammere dich nicht fest. Es hat keinen Sinn. Hast du dein Leben nicht ohnehin schon verloren?
Während die Leichen unter der Erde von Würmern gefressen werden, wird deine erbärmliche Seele durch das Universum gejagt, von düsteren Gestalten, gestaltlos jedoch gierig nach Überresten menschlicher Existenz. Für sie leuchtest du wie flackernde Kerzen in dunklen Räumen, die darauf warten, ausgelöscht zu werden. Du bist ein einfacher Fund und ein noch schnellerer Happen. Du glaubst zu entkommen? Du bist wie ein Bauer auf einem dreidimensionalen Schachfeld. Wenn es dir jedoch gelingt, die nicht vorhandene letzte Linie zu erreichen wirst du Asyl im Ofen der Vergessenen erhalten.
Stell dir die Welt vor, wie ein immenser Baum. Im Frühling entstehen die Blätter und Blüten, die bis in den Sommer von Lebenskraft strotzen. Mit der Zeit aber vergeht der Saft, der die Frische der Existenzen aufrecht erhält und faul und einsam fallen die Blätter vom Baum, bemühen sich dabei, ein gutes Bild beim Sterben abzugeben. Das ist die Krankheit des Menschen. Er will ehrenhaft sterben, doch was nützt ihm Ehre? Die Frage nach dem Sinn hat der Mensch noch nie sinnvoll beantwortet – weil er das nicht kann.
Nun, die Blätter fallen zu Boden. Damit der Baum jedoch weiter bestehen kann, müssen die Blätter am Boden zersetzt und wiederverwendet werden.
Gottes Recyclingmethode sozusagen.
Die Masse, in unserem Fall der Körper wehrt sich nicht mehr, jedoch versucht die Seele zu fliehen. Damit aber die Existenz des Weltbaumes erhalten werden kann, muss auch die Seele vergehen und neuen Lichtern Platz machen.
In jedem Gehenden brennt ein egoistisches Feuer. Deshalb hat der Gebieter den Gurt enger geschnallt und die letzte Linie auf dem Kampffeld der Flüchtlinge gibt es nicht mehr. Auch gedenkt er, den Baum zu fällen, der ihm bis in die heutige Zeit noch peinlich ist, wenn er sein Werk betrachtet und mit den blühenden Pflanzen anderer Gebieter vergleicht.
Aus diesem Grunde hat er das Paradies renoviert und er will diese Welt der Menschenträume für eine neue, andere und resistentere Rasse aufbewahren. Den Menschen aber will er sie vorenthalten. So hat er Wesen wie mich geschaffen und wir werden euch in einer glorreicheren Welt ersetzten.
Du willst entkommen? Vergiss es. Jeder Mensch ist in einem Register eingetragen, nicht einem digitalen, virtuellen.
In einem Register aus Fleisch und Blut.
In seiner Urzeit nämlich hat Gott einen Riesen nach langen Kämpfen durch verbissene Lichtjahre besiegt und erlegt. Dessen Glieder hat er in den kühlen und verborgenen Winkeln des unergründeten Alls aufbewahrt und jeder Mensch, der entsteht, jede Seele, die gejagt werden muss, wird ins harte Fleisch des toten Riesen eingeritzt, sodass Gott dessen Präsenz bis hin zu dessen Ende nie vergisst.
Du kannst dir den Tod aber auch wie einen Gärtner vorstellen, der die Früchte des Baumes pflückt, bevor sie von alleine fallen.
Du hast dich bemerkbar gemacht und ich sehe, dass du eine saftige Frucht bist, die ich bald pflücken muss, um sie im Paradies zu ersetzten.
Dein einziger Trost kann ein kurzer und allerletzter Aufenthalt im Reich der Schmerzen sein. Die Menschen, so sage ich dir, haben eine erbärmliche Vorstellung vom Fegefeuer. Nur brennen? Sogar die Hölle wäre als Beschreibung des Feuers ungenügend. Und doch freuen sich die Menschen auf diesen letzten Aufenthalt, denn nichts fürchten sie mehr als das Nichts. Und genau das ist es, was sie zu guter Letzt erwartet. Sie verschwinden.
Nun habe ich aber genug geschwafelt. Kommen wir ernsthaft zu deiner Frage. Aber diesmal im Ernst.
Ich bin nicht im Geringsten der Tod. Vergiss solche Phantasien vom endgültigen Ende, sperr sie in ein altes Konfitüreglas und grabe ein fünfzig Meter tiefes Loch, wo du den Mist hineinwirfst. Solche Phantasien gehören in den Schlund des Lächerlichen.
Du willst dich mit dem Tod befassen, so jung du noch bist? Befassen sich siebzigjährige Opas mit ihrer Jugend? Okay, sie erinnern sich vielleicht daran und genauso solltest du dich damit begnügen, an den Tod zu denken, aber nicht an die Sense, die ist lächerlich. Glaubst du ernsthaft, dass diese Welt, so vielfältig und kompliziert sie ist durch Zufall entstanden ist? Stell dir vor, du beobachtest ein riesiges Feuerwerk – und plötzlich fallen Elefanten vom Himmel? Nein, das kann es nicht sein. An den Ur-Bumm kannst du gerne glauben, aber stell dir vor, dass danach etwas die Welt in die Welt gesetzt hat.
Stell dir ein grosser Zauberer vor, der ein Kaninchen unter seinem Hut verbirgt. Dieser Zauberer hat vielleicht sein Kaninchen geschlachtet und in Einzelteile zerlegt: Das linke Bein für die Milchstrasse...
Nimm zehn Würfel in die Hand, wirf alle und wenn du zehn Sechser würfelst, von mir aus auch Einer, so glaube getrost an den Zufall.
Ich für meinen Teil rate dir ab dich zu sehr mit dem Tod – welchen Tod? – zu beschäftigen, pass eher auf, dass du in deinem Leben nicht zu oft ohne Fallschirm springst.
Achja, Rinderfleisch kannst du essen, das ist ja wieder die Sache mit den zehn Würfeln.
Soweit von mir und lass dich nun noch von einem Propheten beraten, vielleicht erfährst du dann das genaue Datum deines letzten Tages...
Liebe Grüsse
PS: Verzeih mir bitte die kleine Einleitung, ich hatte nichts Besseres zu tun; Der Winter als Gärtner ist langweilig.