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Die unerträgliche Zweidimensionalität des Seins

Seniors
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24.04.2003
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Die unerträgliche Zweidimensionalität des Seins

Wutentbrannt schleuderte Robert den Controller seiner Playstation gegen den Hamsterkäfig, woraufhin das darin befindliche, kleine Fellknäuel panisch zu fiepsen begann.
"Diese verfickte Drecksmission. Wie soll ich die Nutte aus der Stadt schaffen, wenn die mich immer gleich aus dem Auto ballern?"
Sarah strich sich eine Strähne ihres engelblonden Haares aus der Stirn, und umarmte Robert zaghaft. Insgeheim hatte sie Angst vor seinen cholerischen Anfällen, die immer dann auftraten, wenn er mit einem dieser Spiele beschäftigt war.
"Aber Schatz, das ist doch alles nur Fiktion. Niemand erschießt dich."
Es dauerte einige Minuten, bis Robert sich beruhigt hatte. Schließlich schob er seine Freundin nicht mehr von sich weg, sondern ließ ihre Berührung geschehen.
"Hast wohl recht. Fahren wir zu Ronny und den anderen? Ich hab heute Bock, mir die Kante zu geben."
Erleichtert lächelte sie.
"Gerne. Nimmst du mich auf deinem Roller mit?"
"Klar, Baby."

Im Erdgeschoss der Villa bereitete Roberts Mutter Claudia gerade das Abendessen zu. Obwohl die Familie sehr reich war, bemühte sich Claudia - auch ihrer eigenen Herkunft wegen - stets darum, zumindest beim kochen nicht allzuviel Dekadenz zur Schau zu stellen. Es gab einfaches Brathähnchen mit Rotkohl und getrüffelten Fritten.
"Robert, Sarah ... bleibt ihr denn nicht zum Abendbrot? Ich hab extra für euch mit eingekauft."
Ihr Sohn wehrte ab. - "Kann man morgen doch auch noch fressen, oder etwa nicht?"
"Guten Abend Robert", kam es hinter einer ausgebreiteten Frankfurter Allgemeinen hervor. - "Na, Sportsfreund, geht ihr zwei Hübschen auf Tour?"
"Guten Abend, Herr Merents", flüsterte Sarah schüchtern, bevor Robert ebenfalls antwortete: "Hi Dad. Ja, wollten was saufen gehen. Haste mal leihweise hundert Euro? Kriegste nächste Woche wieder."
"Mein Portemonnaie liegt auf dem Salontisch. Schenk ich euch beiden. Macht euch einen schönen Abend." - Eine Seite der Zeitung wurde zusammen mit dem Gesprächsthema umgeblättert.
"Übrigens, dein Lehrer hat heute angerufen. Hast du bei Mathe geschummelt?"
Robert lachte.
"War ja klar, dass der Spacken sich hier meldet. Hat echt nichts besseres zu tun, der schwule Arschficker."
Für einen Augenblick schien es, als würden die journalistisch einwandfreien Schlagzeilen der Allgemeinen über die Artikel kichern, die sie betitelten. Dann war es wieder nur das wahnsinnige Geräusch, das von Herrn Merents immer dann ausging, wenn er es für angebracht hielt, eine weitere Seite umzublättern.
"Bis morgen, Sohn, und viel Spaß!"
"Bye Dad, bye Mum."
"Tschüss Herr Merents, tschüss Frau Merents. Beim nächsten mal ess ich wieder mit, versprochen." - Aber da hatte Robert sie schon in den Flur gezerrt, um sie hemmungslos zu küssen.

"Was geht, Alda. Hi Sarah."
Robert klatschte mit diversen Kumpels, Bekanntschaften, Kollegen und Fremden ab.
"Na, alles klar ihr Ficker? Habt ihr was zu saufen?"
Ein Unbekannter, mit langen blonden Haaren, die wirr über einem Mülleimer ausgebreitet lagen, ergriff das Wort: "Der Malle is zur Tanke unterwegs. Bringt auch Gras mit."
"Cool!"

Peter Merents legte die Zeitung beiseite, und stürzte über das Hähnchen her, wie er es einige Stunden zuvor mit dem Stadtrat getan hatte, der nun nicht länger Parteimitglied war.
"Ging es Robert nicht gut, Schatz? Er hat doch so eine nette Freundin."
Claudia winkte mit ihrem zerritzten Arm ab. - "Ach, du weißt doch, wie Kinder sind. Immer nur rumvögeln. Soll ich dir noch ein wenig Kaviar aufs Huhn abschmieren?"

Peter Merents schüttelte den vollbackigen Schädel.

"Danke. Schmeckt auch so!"

 

Hallo Cerberus,

so sehr ich mich freue, dass endlich mal jemand in Satire gepostet hat (und das tue ich), irgendwie sehe ich hier keine Satire in der Geschichte. Das ist irgendwie eher Gesellschaftskritik (nehm ich mal an), aber halt nicht lustig, also satirisch, rübergebracht. Fand ich jetzt. Sorry, mehr kann ich dazu nicht sagen, da ich immer noch nicht so ganz dahinter steige ;)

Eine Seite der Zeitung wurde zusammen mit dem Gesprächsthema umgeblättert.
Feiner Satz.

Bruder Tserk

 

Hi Cerberus,

würde mich mal ganz keck dem Bruder anschließen und diese deine Story in Gesellschaft besser aufgehoben sehen. Letztlich ist es ja doch Gesellschaftskritik, richtig? Der alltägliche Wahnsinn einer Familie, in der so gar nichts stimmt.

Anfangs fand ich den Jugendslang befremdlich, letztlich aber stimmig und gut, dass du ihn konsequent durchgezogen hast.

Sarahs Kommentar "Aber Schatz, das ist doch alles nur Fiktion. Niemand erschießt dich." fand ich völlig unnatürlich und fehl am Platz. Wer sagt denn sowas und meint es ernst? Und wenn sie es ernst meinen müsste, wäre sie mit dem realitätsfremden Irren zusammen? Weiß nicht. Hat mich auf jeden Fall gestört.

Aber das nur als einzige negative Anmerkung. Fand die Geschichte gut, schön lesbar, für die Kürze auch äußerst knackig und unterhaltsam.

Ciao,
.maxinho

 

Moin Cerberus

Ich finde schon, dass es eine Satire ist, eine Überspitzung ist ja eindeutig vorhanden, aber das ganze ließt sich ein wenig unfertig.
Das mit dem Kaviar auf dem Hähnchen fand ich zwar durchaus lustig (ich weiß, ich bin leicht zu erheitern:Pfeif:) und taugt damit durchaus zum Ende eines Absatzes, aber die Geschichte endet damit für mich unbefriedigend.

Dann noch dies:

"Aber Schatz, das ist doch alles nur Fiktion. Niemand erschießt dich."
So redet die Jugend nicht, jedenfalls nicht diese Jugend. Dort benutzt doch keine Sau das Wort "Fiktion".

Summa summarum: Gäb nen coolen Anfang ab, so etwas arg beliebig und halbgar.

Liebe Grüße
omno

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Cerberus,

Satire, Humor, Gesellschaft oder doch lieber Alltag? Es spricht für Deine Story, daß sie nicht so leicht einzuordnen ist...
Tja, so mag sie wohl sein, die Jugend von heute...Gott sei dank gibt es in jeder Bewegung immer die Ausnahme...
Flüssig geschrieben, und als Koch hab ich besonders über die getrüffelten pommes frites gelacht....gruß...Elric...

 

Hallo Cerb,

eindeutig Satire. So stellste dir also das Leben der Hartz IVler vor? :D
Gut überzogen dargestellt und was mir gefällt ist, dass da nirgendwo Einbrüche waren. Du ziehst diese Familie und die Begegnung der sog. Freunde auf dem gleichen dekadenten Niveau durch. Gut so.
Bei der Speisenzusammenstellung fand ich zwar Brathähnchen mit Rotkohl etwas sonderbar, aber da möchte ich dir nicht reinreden, es ist ja deutlich erkennbar, dass es dir um die Art geht, auf welchem Niveau hier gespeist wird und wie der Versuch misslingt, sog. einfaches Essen auf den Tisch zu bringen.

Hat mir also rundum gefallen die kleine Gesellschaftssatire.

Lieben Gruß
lakita

 

Ich hätte es spannend gefunden, wenn das "Ist doch alles nur Fiktion"-Thema später nochmal aufgegriffen worden wäre. Dann hätte vielleicht auch der Titel irgendwie gepasst.
So fehlt der "Geschichte" insgesamt der Bogen, was schade ist, da ein paar ausgezeichnete Formulierungen verwendet wurden.

Mit freundlichem Gruß
Edward

 

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