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Die unerträgliche Zweidimensionalität des Seins
Wutentbrannt schleuderte Robert den Controller seiner Playstation gegen den Hamsterkäfig, woraufhin das darin befindliche, kleine Fellknäuel panisch zu fiepsen begann.
"Diese verfickte Drecksmission. Wie soll ich die Nutte aus der Stadt schaffen, wenn die mich immer gleich aus dem Auto ballern?"
Sarah strich sich eine Strähne ihres engelblonden Haares aus der Stirn, und umarmte Robert zaghaft. Insgeheim hatte sie Angst vor seinen cholerischen Anfällen, die immer dann auftraten, wenn er mit einem dieser Spiele beschäftigt war.
"Aber Schatz, das ist doch alles nur Fiktion. Niemand erschießt dich."
Es dauerte einige Minuten, bis Robert sich beruhigt hatte. Schließlich schob er seine Freundin nicht mehr von sich weg, sondern ließ ihre Berührung geschehen.
"Hast wohl recht. Fahren wir zu Ronny und den anderen? Ich hab heute Bock, mir die Kante zu geben."
Erleichtert lächelte sie.
"Gerne. Nimmst du mich auf deinem Roller mit?"
"Klar, Baby."
Im Erdgeschoss der Villa bereitete Roberts Mutter Claudia gerade das Abendessen zu. Obwohl die Familie sehr reich war, bemühte sich Claudia - auch ihrer eigenen Herkunft wegen - stets darum, zumindest beim kochen nicht allzuviel Dekadenz zur Schau zu stellen. Es gab einfaches Brathähnchen mit Rotkohl und getrüffelten Fritten.
"Robert, Sarah ... bleibt ihr denn nicht zum Abendbrot? Ich hab extra für euch mit eingekauft."
Ihr Sohn wehrte ab. - "Kann man morgen doch auch noch fressen, oder etwa nicht?"
"Guten Abend Robert", kam es hinter einer ausgebreiteten Frankfurter Allgemeinen hervor. - "Na, Sportsfreund, geht ihr zwei Hübschen auf Tour?"
"Guten Abend, Herr Merents", flüsterte Sarah schüchtern, bevor Robert ebenfalls antwortete: "Hi Dad. Ja, wollten was saufen gehen. Haste mal leihweise hundert Euro? Kriegste nächste Woche wieder."
"Mein Portemonnaie liegt auf dem Salontisch. Schenk ich euch beiden. Macht euch einen schönen Abend." - Eine Seite der Zeitung wurde zusammen mit dem Gesprächsthema umgeblättert.
"Übrigens, dein Lehrer hat heute angerufen. Hast du bei Mathe geschummelt?"
Robert lachte.
"War ja klar, dass der Spacken sich hier meldet. Hat echt nichts besseres zu tun, der schwule Arschficker."
Für einen Augenblick schien es, als würden die journalistisch einwandfreien Schlagzeilen der Allgemeinen über die Artikel kichern, die sie betitelten. Dann war es wieder nur das wahnsinnige Geräusch, das von Herrn Merents immer dann ausging, wenn er es für angebracht hielt, eine weitere Seite umzublättern.
"Bis morgen, Sohn, und viel Spaß!"
"Bye Dad, bye Mum."
"Tschüss Herr Merents, tschüss Frau Merents. Beim nächsten mal ess ich wieder mit, versprochen." - Aber da hatte Robert sie schon in den Flur gezerrt, um sie hemmungslos zu küssen.
"Was geht, Alda. Hi Sarah."
Robert klatschte mit diversen Kumpels, Bekanntschaften, Kollegen und Fremden ab.
"Na, alles klar ihr Ficker? Habt ihr was zu saufen?"
Ein Unbekannter, mit langen blonden Haaren, die wirr über einem Mülleimer ausgebreitet lagen, ergriff das Wort: "Der Malle is zur Tanke unterwegs. Bringt auch Gras mit."
"Cool!"
Peter Merents legte die Zeitung beiseite, und stürzte über das Hähnchen her, wie er es einige Stunden zuvor mit dem Stadtrat getan hatte, der nun nicht länger Parteimitglied war.
"Ging es Robert nicht gut, Schatz? Er hat doch so eine nette Freundin."
Claudia winkte mit ihrem zerritzten Arm ab. - "Ach, du weißt doch, wie Kinder sind. Immer nur rumvögeln. Soll ich dir noch ein wenig Kaviar aufs Huhn abschmieren?"
Peter Merents schüttelte den vollbackigen Schädel.
"Danke. Schmeckt auch so!"