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Die Uhr
Du sitzt in dem großen Sessel vor dem Kamin. Es ist still im Haus, denn du bist allein. Es ist Winter und schon seid Stunden ist das alte, große Haus in Dunkelheit gehüllt. Das Feuer im Kamin lässt die Schatten im Raum lang, und dunkel erscheinen, so als würden sie in die Ewigkeit reichen. Es ist still im Haus, denn du bist allein. Einzig das dumpfe Ticken und Tacken der riesigen, alten Standuhr schneidet die zehrende Stille in kleine, erträgliche Häppchen. Es war nicht immer so still in dem alten Haus. Früher, als Großmutter noch da war.
Du blätterst in einer Zeitschrift. Dir fällt ein Artikel auf, er handelt über die Wahrnehmung von Kindern, und wie sie sich von uns erwachsenen unterscheidet. Kinder sehen und glauben also Dinge die es nicht wirklich gibt? Du warst nicht so. Dir sind niemals irgendwelche unnatürlichen Sachen erschienen. Immerhin gibt es sowas ja auch nicht. Oder? War da nicht doch etwas? Du schließt die Augen…
Du bist sechs Jahre jung. Du sitzt in dem großen Sessel deiner Großmutter. Draußen ist es dunkel, und Schnee weht gegen das Fenster. TICK. Es ist absolut still. TACK. Nur das dumpfe TICK und TACK der gigantischen Standuhr teilt die gruselige Stille in erträgliche Häppchen. TICK. Lange, dunkle Schatten ziehen sich durch das Zimmer. TACK. Alles Mögliche könnte sich in der Dunkelheit dieser Schatten versteckt halten. TICK. Doch angst hast du keine. TICK. Denn wie Großmutter immer sagte, solange die große, alte Uhr Tickt und Tackt, beschützt sie uns vor allem was sich in der Dunkelheit verbergen könnte. TACK. Trotzdem bemerkst du, dass deine Füßchen vom Sessel hängen, dir fällt auf, dass alles was sich hinterhältiger weise unter dem Sessel selbst verstecken konnte, einfach so nach ihnen greifen könnte. Du ziehst deine Füßchen hoch, winkelst die Beine an, und schlingst deine Arme um die Knie. Zwar beschützt dich die Uhr, aber du willst kein Risiko eingehen.
Gleich würde die Uhr wieder Ticken, und Kreaturen der Dunkelheit in die Flucht schlagen. Es kann nicht mehr lange dauern. Jede Sekunde ein mal.
Du wartest. Stille. Die Uhr hörte auf zu schlagen.
Du bist allein. Du bist allein in der Dunkelheit. Die langen, Dunklen Schatten beginnen sich zu bewegen. Blitze dort nicht ein Auge bedrohlich aus der Ecke heraus? Sie sind hier. Alle von ihnen. Ganz deutlich spürst du die Bewegung unter dem großen Sessel. Gleich würde es darunter hervorspringen um dich zu fressen. Oder würde es gleich durch das Polster brechen? Die Uhr schweigt, nichts ist mehr übrig um dich zu schützen. Kein Geräusch. Nur noch deinen eigenen Herzschlag kannst du hören. Aber auch sie hören es. Sie hassen es. Darum kommen sie. Um es zum Schweigen zu bringen. Sie starren aus der Dunkelheit. Sie beobachten dich. Sie warten nicht lange. Sie planen und schätzen. Welches von denen wird zuerst kommen? Welches von ihnen wird zuerst aus dem Schatten springen um dein Herzchen zu brechen?
Jetzt ist es soweit. Du hörst leise, schlurfende Schritte. Von hinter dem Sessel her. Daher kommt also das Wesen welches dein Herzchen zum Schweigen bringt. Von hinten. Es kommt näher. Es ist genau hinter dir. Du presst die Augen zu. Lebt wohl, es ist aus.
Du spürst ein Gewicht auf deinem Schoß. Vorsichtig öffnest du die Augen. Du siehst ein Tablett, gefüllt mit Milch und Keksen. Du schaust auf, und das liebevolle Lächeln deiner Großmutter strahlt dir entgegen. Sie sagt dass sie gleich wieder kommt, die Uhr ist abgelaufen, und sie müsse sie schnell wieder aufziehen…
Du öffnest deine Augen. Die Zeitschrift ist dir aus der Hand gerutscht. Als Kind bildet man sich solche Dinge ein. In diesem Haus gab es keine Monster. Du bist nun erwachsen und weißt das
Großmutter zog die Uhr immer sorgfältig auf. Nicht um Monster zu vertreiben, sondern weil deine Großmutter eine ordentliche Frau war, die gerne alles in top Ordnung gehalten hat. Kurz wirst du traurig, wie schon so oft seid sie vorgestern starb. Dann hört die große Uhr auf zu ticken.
Morgen ziehst du die Uhr sicher gleich auf, aber nicht mehr heute Abend. Es gibt keinen Grund sich nun extra dafür aus dem schönen Sessel zu erheben.
Eine kalte Hand greift unter dem Sessel hervor und umklammert deinen Fuß, und dein Herz schlägt ein letztes mal schneller.