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Die Uhr
Die Uhr
Es klingelt an der Tür, und Rolf geht aufmachen. Draußen steht Tommy. Eigentlich heißt er ja Thomas, aber niemand nennt ihn so. Sogar die meisten Lehrer in der Schule sagen Tommy.
„Tag,“, sagt Rolf, „komm rein!“
„Ich habe nicht viel Zeit“, antwortet Tommy, „ich habe noch Hausaufgaben. Aber am Mittwoch ist mein dreizehnter Geburtstag, und ich möchte dich zu meiner Party einladen.“
„He, das ist toll“, freut sich Rolf. „Klar werde ich kommen.“
Die zwei trinken eine Cola, und Tommy erzählt, dass seine Mutter Kuchen und eine große Torte backen will. Rolf findet auch das toll. Am Abend fragt er seinen Vater, was er Tommy schenken kann.
„Hm“, überlegt der, „hast du mir nicht mal erzählt, dass Tommy gern malt?“
„Ja, hab ich. Er malt sehr gern, und seine Bilder sind sogar richtig schön. Er ist fast schon ein echter Künstler.“
„Dann schenk ihm doch einen großen Block guten Zeichenkarton und einen Satz Farben!“
„Prima, Vati, das ist eine klasse Idee“, bedankt sich Rolf.
Am Mittwoch ist bei Tommy große Stimmung. Es gibt Tee, Kuchen und Torte, und in einer Ecke im Korridor stehen Kästen mit Limo und Cola. Tommy freut sich über den Zeichenkarton und die Farben. Dann zeigt er den Freunden seine Geschenke.
„Hier, sagt er stolz, „diese Uhr ist mein schönstes Geschenk. Ich habe sie von meinem Vater bekommen. Sie ist zwar alt, aber sehr wertvoll. Sie ist aus echtem Silber und hat schon meinem Großvater gehört.“
Seine Freunde staunen. Dann essen und trinken sie, und aus der Stereoanlage kommt tolle Musik.
Alle schreien auf, als es plötzlich dunkel wird. Aber dann richtet sich ein Lichtstrahl auf die Tür zum Nebenzimmer neben dem Tisch mit den Geschenken. Und dort steht – Merlin, der Zauberer im sternenübersäten Umhang, mit spitzem Hut und langem Bart. Langsam hebt er die Arme, und aus seinen Fingern sprühen Funken in allen Farben. Natürlich ist es nicht der echte Merlin, sondern ein Zauberkünstler. Eine Stunde lang bietet er eine fantastische Magic-Show. Alle sind begeistert. Als die Show zu Ende ist, bedanken sich alle mit stürmischem Beifall.
Nachdem der Zauberer gegangen ist, klingelt es.
„Das ist bestimmt Olaf, mein Cousin“, freut sich Tommy. „Er hat gesagt, dass er nicht kommen kann, aber vielleich ist er es doch.
Es ist wirklich Olaf. Alle begrüßen ihn, und Tommy zeigt auch ihm seine Geschenke. Aber als er nach der silbernen Uhr greifen will, liegt sie nicht an ihrem Platz. Sie ist weg. Alle sind erschrocken.
„Vielleicht ist sie heruntergefallen“, sagt jemand. Sie suchen auf dem Fußboden, in allen Ecken und sogar unter dem Schrank, aber sie können die Uhr nicht finden. Sie ist und bleibt verschwunden.
Tommy stehen Tränen in den Augen. Alles hätte er gern hergegeben. Aber gerade die kostbare Uhr, auf die er so stolz ist, ist weg. Er ruft seine Eltern und erzählt ihnen, was passiert ist.
„Bitte“, wendet sich Tommys Vater an die Gäste, „hat jemand von euch die Uhr genommen? Dann soll er sie bitte jetzt zurückgeben. Wir wollen denken, dass es nur ein Spaß war und die Sache vergessen.“
Aber jeder von Tommys Freunden beteuert, dass er die Uhr nicht genommen hat.
„Dann kann nur der Zauberkünstler der Dieb sein“, erklärt der Vater, „und wir müssen die Polizei rufen.“
Jetzt reden alle wild durcheinander. Niemand möchte die Polizei im Haus haben, denn dann wäre die ganze Party verdorben. Aber ist sie das nicht sowieso schon? Tommys Vater fragt noch einmal, ob jemand die Uhr hat, aber alle schütteln den Kopf und beteuern, dass sie sie nicht genommen haben. Es ist ihnen anzusehen, dass sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlen. Vielleicht glaubt Tommy jetzt, dass ich die Uhr habe, denkt jeder von ihnen. Ja. Die schöne Geburtstagsstimmung ist hin. Absolut hin.
„Ich habe genau gesehen, dass niemand von uns dort war, wo die Uhr lag“, sagt Tommy. „Es kann wirklich nur der Zauberer gewesen sein.“
Gerade geht Tommys Vater zum Telefon, um die Polizei anzurufen, als es wieder an der Tür klingelt. Der Vater, der schon den Telefonhörer in der Hand hält, legt ihn auf den Apparat zurück und geht öffnen. Und wer kommt herein? Der Zauberer.
„Bitte entschuldigen Sie, dass ich noch einmal störe“, sagt er, „aber ich glaube, mir ist bei Ihnen eine ganz dumme Sache passiert. Ich erinnere mich, dass ich im Dunkeln an den Tisch mit den Geschenken gestoßen bin und dass ich etwas herunterfallen hörte. Gerade dort muss meine Tasche gestanden haben, denn als ich nachhause kam, habe ich das hier in der Tasche gefunden und bin gleich hergekommen, um es zurückzubringen.“ Und er gibt Tommys Vater die silberne Uhr.
Unter den Geburtstagsgästen bricht lauter Jubel aus. Die Jungen und Mädchen umringen den Zauberer, und Tommy bedankt sich bei ihm und lädt ihn ein, noch etwas zu bleiben und mit ihnen zu feiern. Der Zauberer nimmt die Einladung lächelnd an. Nun wird es doch noch eine ganz herrliche Party. Der Magier erzählt, wie man zaubern lernen kann und zeigt noch ein paar seiner schönsten Tricks. Ein paar leichtere bringt er den Kindern sogar sogar bei. Als es Zeit wird aufzubrechen, gibt es lange Gesichter. Viel zu schnell ist die Zeit vergangen. Der Zauberer muss versprechen, im nächsten Jahr wiederzukommen. Das verspricht er auch.
Tommy freut sich heute schon auf seinen nächsten Geburtstag. Aber an diesen Geburtstag heute, an den Schreck und an das gute Ende, wird er sich bestimmt noch lange erinnern.