Mitglied
- Beitritt
- 21.02.2006
- Beiträge
- 47
- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 3
Die Uhr (Variante 3)
Eine innere Stimme zwingt mich wieder und immer wieder die Schritte zu dem Juwelierladen zu lenken. Beim Anblick der Uhr wird das Herz mir schwer, denn sie ist schuld daran, dass nichts mehr ist wie es einmal wahr.
Aus einer kleinen Flamme wird leicht eine Feuersbrunst, aus einer anfänglich oberflächlichen Affäre wird gelegentlich die große, alles hinwegschwemmende Liebe. Was hat unser Glück zerstört? Im Kino kuschelten wir uns aneinander, litten mit dem Liebenden bis zum Happy End. Draußen schlug uns ernüchternd ein eiskalter Wind ins Gesicht. Nahmen wir deshalb die Abkürzung? Warum blieb ich vor dem Schaufenster stehen, warum schlug mich das glitzernde Juwel in seinen Bann? Bis zu meinem Ableben werde ich mich fragen, warum ich Hans-Peter unmissverständlich zu verstehen gab, dass mir das edle Stück ausgesprochen gut gefällt.
Bis zu dem Tag interessierte ich mich, im Gegensatz zu meinem Herzallerliebsten, nicht für schmückendes Beiwerk jeglicher Art, im Gegenteil.
„Ach Barbara“, pflegte Hans-Peter manchmal zu seufzen, ,,deine Vorliebe für Aktien und Bilanzen wundert mich bisweilen sehr.“
„Das sagte mein Vater auch öfters zu meiner Mutter, ihren konträren Charakteren zum Trotz liebten sie sich an ihrer Silberhochzeit noch wie am ersten Tag“, antwortete ich stets mit einem Lächeln und hoffnungsvollem Schmelz in der Stimme.
Um mir zu beweisen, dass seine Versicherung, mich bis zur Raserei zu lieben, der Wahrheit entspricht, betrat er am nächsten Tag mit einem Revolver in der Hand den Juwelierladen. Hans-Peter war ein grundgütiger Mensch, ohne jegliche Aggression. Der Inhaber dachte beim Anblick der Waffe wohl an einen Scherz, reagierte nicht. Mein Geliebter wurde nervös, war nicht mehr Herr der Lage, schoss wild um sich. Da Hans-Peter nicht wusste, dass zur Durchführung einer derartig aberwitzigen Tat eine Unkenntlichmachung des Gesichtes vonnöten ist, wurde er unmittelbar am Tatort von der Polizei verhaftet.
Hans-Peter ertrug die Schmach nicht, nachdem er letzte Liebesbeteuerungen an die Wand gekritzelt hatte, erhängte er sich in der Zelle. Ausgerechnet mit der Hose, die ich ihm zum Geburtstag mit einem rotem Herzen bestickt hatte. Warum hat er das getan? Konnte er damit nicht noch drei Tage warten? Dann wäre nämlich die Selbstmordklausel seiner Lebensversicherung außer Kraft getreten und ich hätte keinen Ärger mit meinem Vermieter.
Moral: Nicht nur Freundschaft, sondern auch die Liebe endet bei Liquiditätsengpässen.