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Serie Die Uhr (Variante 3)

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21.02.2006
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Die Uhr (Variante 3)

Eine innere Stimme zwingt mich wieder und immer wieder die Schritte zu dem Juwelierladen zu lenken. Beim Anblick der Uhr wird das Herz mir schwer, denn sie ist schuld daran, dass nichts mehr ist wie es einmal wahr.

Aus einer kleinen Flamme wird leicht eine Feuersbrunst, aus einer anfänglich oberflächlichen Affäre wird gelegentlich die große, alles hinwegschwemmende Liebe. Was hat unser Glück zerstört? Im Kino kuschelten wir uns aneinander, litten mit dem Liebenden bis zum Happy End. Draußen schlug uns ernüchternd ein eiskalter Wind ins Gesicht. Nahmen wir deshalb die Abkürzung? Warum blieb ich vor dem Schaufenster stehen, warum schlug mich das glitzernde Juwel in seinen Bann? Bis zu meinem Ableben werde ich mich fragen, warum ich Hans-Peter unmissverständlich zu verstehen gab, dass mir das edle Stück ausgesprochen gut gefällt.
Bis zu dem Tag interessierte ich mich, im Gegensatz zu meinem Herzallerliebsten, nicht für schmückendes Beiwerk jeglicher Art, im Gegenteil.
„Ach Barbara“, pflegte Hans-Peter manchmal zu seufzen, ,,deine Vorliebe für Aktien und Bilanzen wundert mich bisweilen sehr.“
„Das sagte mein Vater auch öfters zu meiner Mutter, ihren konträren Charakteren zum Trotz liebten sie sich an ihrer Silberhochzeit noch wie am ersten Tag“, antwortete ich stets mit einem Lächeln und hoffnungsvollem Schmelz in der Stimme.

Um mir zu beweisen, dass seine Versicherung, mich bis zur Raserei zu lieben, der Wahrheit entspricht, betrat er am nächsten Tag mit einem Revolver in der Hand den Juwelierladen. Hans-Peter war ein grundgütiger Mensch, ohne jegliche Aggression. Der Inhaber dachte beim Anblick der Waffe wohl an einen Scherz, reagierte nicht. Mein Geliebter wurde nervös, war nicht mehr Herr der Lage, schoss wild um sich. Da Hans-Peter nicht wusste, dass zur Durchführung einer derartig aberwitzigen Tat eine Unkenntlichmachung des Gesichtes vonnöten ist, wurde er unmittelbar am Tatort von der Polizei verhaftet.

Hans-Peter ertrug die Schmach nicht, nachdem er letzte Liebesbeteuerungen an die Wand gekritzelt hatte, erhängte er sich in der Zelle. Ausgerechnet mit der Hose, die ich ihm zum Geburtstag mit einem rotem Herzen bestickt hatte. Warum hat er das getan? Konnte er damit nicht noch drei Tage warten? Dann wäre nämlich die Selbstmordklausel seiner Lebensversicherung außer Kraft getreten und ich hätte keinen Ärger mit meinem Vermieter.

Moral: Nicht nur Freundschaft, sondern auch die Liebe endet bei Liquiditätsengpässen.

 

Brunnengeist schrieb über seinen Text:

Variante 1 = geschraubt-gedrechselter Stil aus dem 19. Jahrhundert
Variante 2 = umgangssprachlich
Variante 3 = schmalzige Liebesgeschichte
Variante 4 = vulgärsprachlich

 

Hallo Dru,
Sie ist der rationale Typ, beschäftigt sich mit Aktien und Bilanzen. Darum fragt sie sich, warum sie eine Luxusuhr faszinierte. Er entwendet das Teil als Liebesbeweis. Warum er sich umbringt? Er ertrug die Schmach nicht! Bei dieser Version erwähne ich leider nicht, dass Menschen auf der Strecke bleiben. Ich brächte mich in dessen Situation gewiss um. Zum Schluss weise ich mit dem Moralanhang auf die Quintessenz hin.
Die Geschichte ist gewiss banal. Besonderes Vergnügen bereite es mir, sie in verschiedenen Stilen aufs Papier zu bringen, respektive in den Computer. Nebenbei bemerkt, ist dies eine gute Übung. Manche entwickeln den Ehrgeiz weiß Gott was für Botschaften zu transportieren, überwältigende, bahnbrechende Erkenntnisse unter das staunende Volk zu streuen. Kurzgeschichten? Was ist eine Kurzgeschichte? ( Schon wieder diese (schauderhafte ) Adjektivinvasion, unverzeihlich )

Der Schweizer Germanist Urs Meyer formulierte klar und verständlich:

Eine Kurzgeschichte in diesem engen Sinn eines Idealtypus ist ein erzähltechnisch konziser, sprachlich ökonomisch angelegter konzeptionell fragmentarischer, einperspektivischer ( und in seiner strengster Form auch einepisodischer), episch-fiktionaler, aber nicht durchgängig uneigentlicher ( bildlicher ) Prosatext, der eine zum Publikationszeitpunkt aktuelle Alltagssituation pars pro toto so zur Darstellung bringt, dass sie auf den verallgemeinerbaren Hintersinn einer anthropologischen „Grenzsituation“ ( im Sinne von Karl Jaspers ) verweist.


Dass man von den Altvorderen etwas lernen kann, wird von den Technikverliebten und Fortschnittsfanatikern bestritten. Trotzdem ist es manchmal hilfreich, sich mit Klassikern zu befassen. Ich merke schon, ich komme vom Hundersten in Tausende, sorry, dass du für meine geistige Entschlackung herhalten musstest.

PS: ich glaube, der Meyer meint, wir sollen, kürz und bündig, sprachlich sparsam, präzise, ein Schlaglicht auf Menschen in ungewöhnlichen Situationen werfen..

 

Bis zu meinem Ableben -- der Wahrheit entspricht-- Dann wäre nämlich die Selbstmordklausel seiner Lebensversicherung außer Kraft getreten und ich hätte keinen Ärger mit meinem Vermieter.

Moral: Nicht nur Freundschaft, sondern auch die Liebe endet bei Liquiditätsengpässen.


also wenn das eine schmalzige liebesgeschichte sein soll , dan stören mich die zitierten formulierungen.

 

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