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Die Traumpiraten
Heute Abend hatte sich Justus vor dem Einschlafen ganz fest vorgenommen, von einem Piratenschiff zu träumen. Er fand Piraten klasse und überlegte sogar, wenn er erwachsen war, selbst eine Berufslaufbahn im Piratenwesen einzuschlagen. Doch bis dahin war noch viel Zeit!
Immer wieder dachte Justus an diesem Abend: Piratenschiff, Piratenschiff, Piratenschiff... und fiel schließlich ohne es zu merken in einen sanften Schlaf. Bevor er etwas sehen konnte, alles um ihn herum war in einen dicken Nebel gehüllt, roch er die salzige Seeluft und spürte, wie ihm ein laues Lüftchen um die Nase wehte. Justus` Herz machte einen triumphierenden Hüpfer. Es schien geklappt zu haben. Nun konzentrierte er sich ganz stark auf seine Augen und plötzlich verzogen sich Dunst- und Nebelschleier und er konnte erkennen, wo er gelandet war.
Es war herrlich! Seine Hände ruhten auf einer Reling aus dickem braunen Holz und er schaute hinaus aufs Meer. Bis zum Horizont lag nur Wasser vor ihm, welches in flachen langen Wellen gemächlich dahinwogte und das Schiff gemütlich schaukeln ließ. Das Schaukeln war so beruhigend, dass Justus einen Moment versucht war noch mal einzuschlafen, aber das ging ja schlecht.
„Ahoi, Landratte!“
Justus zuckte zusammen. Wie dumm von ihm, nur die Landschaft zu bewundern und nicht an die Piraten zu denken, die sich ja mit ihm zusammen an Bord dieses Schiffes befinden mussten. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, drehte er sich herum. Eigentlich wollte er etwas cooles erwidern, um seine zukünftige Piratenkarriere nicht zu gefährden, doch blieben ihm die Worte, beim Anblick dieses Piraten, förmlich im Hals stecken. Das einzige, was er stammeln konnte, war:
„Ein Fisch???“
„Um genau zu sein ein Kabeljau! Wenn es dir nichts ausmacht. Mit einem Namen kann ich leider nicht dienen.“
Der Fisch schien nur ein bisschen verärgert zu sein. Wahrscheinlich war es ihm schon öfter passiert, dass man ihn so überrascht anstarrte. Justus war zu verwirrt um sich selbst vorzustellen und musterte den Fisch. Dieser war ziemlich groß für einen Kabeljau und hatte sich in echter Piratenmanier ein rotes Tuch um den Kopf gebunden. Passend dazu trug er eine schwarze Augenklappe im Gesicht. Während Justus noch grübelte, wie der Fisch sich mit seinen Flossen wohl das Tuch zugeknotet hatte, hörte er seinen Mund schon neugierig weiterplappern.
„Aber sollten Fische nicht normalerweise im Wasser leben?“ Der Fisch nickte.
„Nur versuch` das mal der Tag-, Nacht- und Alptraum-Aufsichtsbehörde klar zu machen! Ordnerweise Anträge habe ich schon hingeschickt. Aber bis die Damen und Herren da oben mal einen Fehler einsehen ...“ Er schüttelte missmutig den Kopf. „Ich bin ja froh, dass ich Pirat bin und kein Fischer!“ Justus nickte verständnisvoll. Wo er recht hat, hat er recht, dachte er.
„Komm, Knirps! Ich stell` dir meine Mannschaft vor.“ In einer anderen Situation hätte Justus sich sicher fürchterlich darüber aufgeregt, als Knirps bezeichnet zu werden. In dieser Situation aber, fand er die Vorstellung, was für eine Mannschaft ein Kabeljau wohl zusammengestellt hatte, so amüsant, dass er ihm grinsend folgte und über das „Knirps“ nicht weiter nachdachte. Die Holzbohlen des Segelschiffes knarzten unter ihren Flossen und Füssen, als der Fisch Justus zum Steuermann führte. Dieser war, wie sich herausstellte, gar nicht da. Das riesige Steuerrad bewegte sich von ganz allein mal in die eine, mal in die andere Richtung.
„Das ist Piet.“ Sagte der Fisch mit einer Geste auf das Rad. Als er die vielen Fragezeichen auf Justus` Gesicht sah, fügte er hinzu:
„Er ist unsichtbar.“ Justus murmelte
„Da wäre ich ja nie drauf gekommen.“, was der Fisch glücklicherweise nicht hörte. Stattdessen fuhr er unbeirrt fort.
„Eigentlich heißt er Lord McPeterson. Ich habe ihn in Schottland getroffen. Ich suchte einen Steuermann, er war ein arbeitsloser Geist. Warum nicht einen Steuergeist aus ihm machen? Und mittlerweile ist er ziemlich gut. Schon allein die Tatsache, dass Wind und Wetter ihm nichts ausmachen, ist ein enormer Vorteil.“ Justus lächelte unsicher in die Richtung, in der er den Geist vermutete.
„Freut mich. Ich bin Justus.“ Kurze Zeit später spürte er einen eisigen Windhauch auf seiner Schulter. Er vermutete, dass Piet ihm auf den Rücken geklopft hatte und deutete das als gutes Zeichen. Neugierig schaute er den Fisch an, wem er als nächstes vorgestellt werden sollte. Der Kabeljau aber, bewegte sich nicht vom Fleck. Justus räusperte sich laut und als der Fisch immer noch nicht reagierte, fragte er: „Wollen wir weiter?“
„Weiter?“
„Wolltest du mir nicht die Mannschaft vorstellen?“ Der Fisch nickte freundlich.
„Und?“
„Und was?“
„Gehen wir dann weiter?“
„Ach so. Nein.“
„Nein?“ Justus fühlte sich langsam auf den Arm genommen. War das hier ein Ratespiel oder was? Kurz bevor er sich weiter beschweren wollte, sprach der Fisch wieder.
„Das war die ganze Mannschaft. Piet und meine Schuppigkeit.“ Er verbeugte sich in Justus` Richtung. Der jedoch hatte alle Mühe seine Enttäuschung zu verbergen. Das war ja vielleicht ein blöder Traum! Der Fisch schien seine Gedanken zu erraten.
„Du musst dich gar nicht beschweren! Hättest du mehr Phantasie, wäre hier viel mehr los.“
„Was soll denn das heißen?“ Langsam hatte Justus wirklich genug.
Doch er hatte kaum Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn plötzlich kamen, wie aus dem nichts ungefähr achtunddreißig Erdbeertörtchen angeflogen und landeten auf Justus, dem Fisch und Piet. Das Positive an dieser Tatsache war, dass die Erdbeertörtchen wirklich vortrefflich schmeckten und Justus endlich Piet zu Gesicht bekam. Naja, zumindest seine Umrisse, die sich jetzt in ihrer ganzen langen, schlaksigen Form deutlich vom Hintergrund abhoben. Das Negative aber war, dass es sich, wie Justus schon vermutet hatte, um den Angriff eines anderen Schiffes handelte, das hinter ihnen Stellung bezogen hatte (und natürlich, dass man Essen nur zum essen verwenden sollte und für nichts anderes!).
Justus fand das Schiff ziemlich seltsam. Es hatte quietschbunte Segel und dort, wo das Piratenschiff seine Piratenflagge gehisst hatte, wehte an diesem Schiff eine Flagge in Form und Aussehen eines Zirkuspferdes.
„Das ist der dicke Baron“, erläuterte der Fisch.
„Aber warum greift der uns einfach an?“ Justus fand das doch etwas seltsam, auch wenn er sich mit den Piratengepflogenheiten nicht wirklich auskannte.
„Ach der greift jeden an. Früher einmal wollte der dicke Baron zum Zirkus. Seiltänzer wollte er werden. Doch stellte ihn niemand ein, weil er sich wegen seiner Höhenangst weigerte, tatsächlich auf dem Seil zu tanzen.“ Der Fisch zuckte ratlos mit den Flossen. „Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte. Auf jeden Fall ist er seitdem fürchterlich verbittert und beschießt, ohne Vorwarnung jeden, der ihm in die Quere kommt.“ Justus versuchte den dicken Baron auf dem anderen Schiff zu erkennen und sah tatsächlich einen kleinen, sehr kugelig aussehenden Mann, der wie wild mit seinen Armen fuchtelte, wütend auf- und absprang und irgendwelche Beleidigungen herüber rief.
„Solange er diese leckeren Törtchen wirft, soll`s mir recht sein.“ Justus wischte sich mit seiner Hand noch etwas Sahne aus dem Gesicht, um sie anschließend von den Fingern abzulutschen.
„Schön wär`s“, sagte der Fisch. „Leider wechselt er ständig seine Munition und wenn wir nicht mit Limburger Käse oder Stinksocken beworfen werden wollen, sollten wir jetzt schnellstens das Weite suchen.“ Und zum mittlerweile wieder unsichtbaren Piet gewandt fuhr er fort: „Schnelle Wende und dann nichts wie weg, Piet!“
„Ay Ay Captain“, ertönte es aus dem Nichts.
Das Schiff wendete so schnell, dass Justus sich festhalten musste, um nicht über die Reling zu kippen. Leider hatte der Wind immer noch nicht aufgefrischt und die Drei dümpelten, nun zwar in einer anderen Richtung, aber immer noch in Wurfweite des dicken Barons, dahin.
„Wir müssen irgendwie weiter beschleunigen“, schrie Piet, der eine heftige Allergie gegen Käse hatte und sich schrecklich vor dem Limburger fürchtete. Der Fisch nickte ernst und sprang dann, ohne eine Erklärung von sich zu geben, über die Reling ins Meer. Kurze Zeit später beschleunigte das Schiff so stark, dass Justus sich nicht mehr auf seinen Beinen halten konnte. Verblüfft saß er auf seinem Hosenboden, wunderte sich und rappelte sich schließlich wieder hoch, um nach dem Fisch Ausschau zu halten. Jetzt konnte er erkennen, warum sich das Schiff so schnell bewegte. Eine ganze Horde Wasserkühe war vor den Bug gespannt worden und zog das Schiff mit enormer Kraft vorwärts. Ihre Kuhglocken gurgelten unter Wasser in den lustigsten Tönen und auch die Muh-Geräusche hörten sich ganz anders an, als bei ihren auf dem Land lebenden Verwandten. Sobald das Schiff richtig Fahrt aufgenommen hatte, klinkte Fisch die Kühe wieder aus und bedankte sich, mit einer Flosse winkend, bei ihnen.
Puh! Sie waren dem dicken Baron gerade noch mal entkommen! Aber irgendwas war komisch...
Justus traute sich erst nicht so richtig etwas zu sagen, schließlich hatte Fisch viel mehr Ahnung von der Seefahrt und Meereskunde, doch schließlich rückte er doch mit der Sprache raus.
„Fisch?“
„Ay Kamerad?“
„Kann es sein, dass wir ständig im Kreis fahren?“ Fisch murmelte etwas in seine Kiemen, ging in die Kapitänskajüte und packte Seekarte und Sextant aus. Nachdem er eine ganze Weile, unverständliche Sachen murmelnd, über der Karte gebrütet hatte, kam er zurück.
„Jau Matrose. Wir befinden uns in einem Strudel.“ Justus fasste es nicht, dass der Fisch bei diesen Worten so ruhig bleiben konnte.
„Ein Strudel? Aber ist das nicht gefährlich?“
„Natürlich ist das gefährlich. Aber wir sind am äußersten Rand des Strudels und wir lassen uns einfach ein bisschen mitreißen und kommen so in Nullkommanix vom Fleck.“ Der Fisch strahlte. Er war ganz begeistert von seinem Plan. Justus hingegen war etwas flau im Magen, doch hielt er sich tapfer. Bald brachen riesige Wellenberge über dem Deck zusammen und Justus wurde so nass, dass er nicht sagen konnte, ob er vor Angst oder Kälte schlotterte.
Wie sich glücklicherweise bald herausstellte, hatte der Fisch aber tatsächlich Recht gehabt, denn ein paar bange Minuten später verlangsamte sich ihre Fahrt wieder und am Horizont wurde ein seltsames Gebilde immer größer und größer. Justus deutete mit dem Finger in die Richtung und fragte Fisch, wo sie denn jetzt hinsegelten. Der lächelte nur.
„Sei nicht so neugierig. Das wirst du gleich selbst sehen.“ Mehr war nicht aus ihm herauszukriegen.
Das Gebilde kam näher und näher und Justus erkannte bald, dass es sich um eine kleine Insel handelte, die einen wahnsinnig großen Wegweiser trug. Die ganze Insel schien sogar nur da zu sein, um dieses Ding zu tragen. Der Wegweiser zeigte in zwei entgegengesetzte Richtungen. Auf dem einen Arm stand „Ausgeträumt“ und auf dem anderen „Nur für Personal“. Fisch seufzte, als er mit Justus die Insel betrat.
„Ich fürchte, unsere Wege trennen sich hier. Aber wenn du uns mal wieder besuchen willst: nur zu! Du weißt ja jetzt wie es geht.“ Dann verbeugte er sich vor Justus. „Es war mir wirklich eine Ehre so einen mutigen Leichtmatrosen an Bord gehabt zu haben.“ Justus umarmte den Fisch zum Abschied und sagte ihm noch schnell wie schön es gewesen sei mit Piet und ihm über die Meere zu schippern, winkte in Richtung Steuerrad, um sich auch von Piet zu verabschieden und ging dem großen Wegweiser entgegen. Als er den ersten Schritt in Richtung „Ausgeträumt“ ging, verschwand schon der Sand unter seinen Füßen und kurze Zeit später lag er in seinem Bett und die Sonne, die zum Fenster hereinschien, kitzelte ihm die Nase.