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Die Trägerinnen

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23.03.2002
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Die Trägerinnen

Er hatte die Wahl. Da waren eine Kulturträgerin und eine Minirockträgerin. Sie beide wollten ihn haben, einen einundzwanzigjährigen Studenten, der seinerseits ein Kulturträger war und kein Minirockträger. Nun musste er sich entscheiden, ob ihn das Ähnliche oder das Andere mehr anzieht. Dies war nicht einfach, da er unterhalb der Gürtellinie und oberhalb der Kragenlinie nicht gleich empfand. Dazwischen war auch noch ein Organ linkst in der Brust, der zwar physisch an der richtigen Stelle und auch symbolisch am rechten Fleck blieb, aber doch bald in intellektuellen Höhen zu flattern, bald in der Lendengegend zu schmelzen schien.
Wenn man die beiden nur vereinen könnte! Er würde dafür auch ein Verbrechen wagen, doch hat er Woody Allen gelesen und wusste, wozu es führen würde, wenn man die Gehirne der jungen Frauen austauscht; außerdem soll das hier ja keine Science-fiction-story werden.
Der Student versuchte mehrmals, der Minirockträgerin etwas Kultur einzuflößen, über diesen Versuchen schwebte jedoch ein Geist solch ein niederschmetternd kafkaeser Hoffnungslosigkeit, dass er es bald aufgab. Es schien auf den ersten Blick einfacher, die Kulturträgerin zu einer Minirockträgerin zu machen – dazu brauchte sie nämlich nur einen Minirock anzuziehen – dachte er- was sich zwar schlecht mit ihrer feministischen Weltanschauung vertrug, was sie aber ihrem Geliebten zuliebe zu tun sich bereiterklärte. Diese Aktion hatte aber leider keinen Erfolg- sie betrachtete ihre Beine immer noch als ein natürliches Fortbewegungsmittel, und dass sie nun zum größten Teil unbedeckt waren, hat nichts an ihrer Rolle geändert. Die echte Minirockträgerin, dagegen, akzeptierte ihre Beine als zwei ein eigenes, durchaus erfülltes Leben führende Individuen – jedes Bein ein Individuum, jedes von ihrer stolzen Besitzerin verehrt und gepflegt.
Die Lieblingswörter der Kulturträgerin waren „phänomenal“, „konzeptuell“, „kongenial“ und „Nihilismus“. Die Lieblingswörter der Minirockträgerin waren „Schatzi“, „sü-ü-ü-ß!“,
„Ja-a-ah!“ und „Ja-a-a-a-a-ah!!!“. Das Lieblingsbuch der Kulturträgerin war „Das Glasperlenspiel“, der Lieblingsrock der Minirockträgerin war mit Glasperlen bestickt.
Beide, die Kulturträgerin und die Minirockträgerin, mochten Zitroneneis, doch das ist keine wichtige Gemeinsamkeit und spielt in dieser Geschichte keine Rolle.
Die Verzweiflung sowie eine Vorliebe für Paradoxe brachten den Studenten dazu, die Beziehung mit der Minirockträgerin auf Gespräche, genauer: auf intellektuelle Monologe, von denen die Ärmste höchstens die Pronomen verstand, zu reduzieren; seine Beziehung zu der Kulturträgerin artete zu gelegentlichem Beischlaf aus, woraufhin die Letzte in einen Zustand verfallen ist, den sie selber als „Weltschmerz“ bezeichnete.
Nach 4 Monaten und 17 Tagen erhängte er sich an seinen Hosenträgern, die weder Kultur- noch Minirockträger waren, sondern eben nur Hosenträger.

 

Toll! Leise, witzig (Woody Allen? ;) ), und dabei noch poetisch.. Meine Hochachtung :)

Aber: Als zwanzigjähriger Student, der dem Protagonisten also vom Alters- und Berufskriterium doch sehr ähnelt, habe ich die perfekte Lösung gefunden.. Wenn man nämlich mal den Kopf hebt und über den Universitätstellerrand hinausschaut, kann man auch Kulturminirockträgerinnen entdecken ;)

 

Tellerränder sind was schönes - selbst in einer Uni-Mensa. Drübersehen hilft nur, wenn man mit den richtigen Menschen am Tisch sitzt. :D
So, zum Text: es ist ein bißchen bizarr, gefällt mir nicht so gut, wie der andere Text ( der Transvestit und sein Tag... ), irgendwie ist das hier zu sehr aneinandergereiht und nicht ganz so schwungvoll mitreißend.
Aber troztdem schön, doch!


L.G.,
Frauke

 

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