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Die Tote im Bett neben mir

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20.02.2013
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Die Tote im Bett neben mir

| Die Tote im Bett neben mir
Tote sind nicht schön anzuschauen. Vor allem, wenn man sie kennt, mit ihnen am Abend vorher noch gevögelt hat und am nächsten Morgen verkatert neben der Leiche zu sich kommt.

„Heilige Scheiße“, fluchte ich, als ich begriff, dass Bettina nie mehr aufwachen würde. Ich sprang aus dem Bett, wankte zum Kühlschrank, schnappte mir eine Dose Bier, die ich in einem Zug leerte und ging zurück ins Schlafzimmer. Dort hatte sich nichts verändert. Bettina lag blau angelaufen mit weit geöffnetem Mund auf dem Rücken und glotzte aus glasigen Augen an die Decke.
„Du dummes Miststück“, sagte ich; „weshalb musste das heute mit mir geschehen? Warum nicht gestern mit Tom oder morgen mit einem anderen?“ Bettina war unersättlich in ihrem Männerverschleiß und auch nicht sonderlich wählerisch. Hauptsache, sie kam jeden Abend zu ihrem Fick. Ich ärgerte mich, dass ich ihr gestern in ihre Wohnung gefolgt war. Eigentlich wollte ich den Abend ruhig und ungestört verbringen, als sie plötzlich bei mir Sturm klingelte und mit zwei Flaschen Wodka in der Tür stand. Eine hatten wir gemeinsam in meiner Küche getrunken. Danach musste sie mich überredet haben, sie zu begleiten, damit ihr auf dem Rückweg nichts passiert. Anders konnte ich mir meine Anwesenheit in ihrem Apartment nicht erklären. Denn ich mochte Bettina nicht sonderlich. Sie sprach zu schnell und zu laut, verstand meine Art von Humor nicht, war sofort eingeschnappt und beschwerte sich ständig über die Ungerechtigkeit der Welt. Ihr Fleisch war schon welk, die Brüste hingen und die Beine waren zu dünn. In der Jugend hatte sie gut ausgesehen. Sie zeigte uns bei jeder Gelegenheit Bikinibilder aus den 80ern, die sie in einer Plastikdose in ihrer Handtasche mit sich schleppte. Damals war ihre Figur proper gewesen, und sie hatte auch noch alle Zähne im Mund. Seitdem sie soff, ließ sie sich gehen. Bloß ihre Gier nach Sex und die Erinnerungen an bessere Zeiten waren ihr geblieben und hielten sie am Leben.

Ich schaute auf die Uhr: kurz vor zwölf mittags. Wie lange mochte Bettina schon tot sein? So starr wie ihr Körper wirkte vermutlich bereits einige Stunden. Und ich habe ahnungslos daneben gepennt, Horror! dachte ich. Den Grund für ihren Abgang entdeckte ich auf dem Nachttisch: Benzos, Clomethiazol und Tramal. Alle Packungen aufgerissen. Das Biest war zusätzlich zum Schnaps also auch tablettensüchtig, überlegte ich. Hatte sich wahrscheinlich mit der Dosierung geirrt. Sowas wie ein goldener Schuss, aber halt oral. Todesursache: elendes Ersticken. Mir schauderte kurz.

„Können Sie einen Wagen vorbeischicken? … nein, hat keine Eile. Die Frau lebt nicht mehr … Adresse? Sperberweg … Nummer? Moment, muss ich nachschauen.“

Im Flur merkte ich, dass ich nackt war.
„Kurzen Augenblick bitte. Ziehe mir noch eine Hose an.“
Draußen an der Hauswand entdeckte ich eine verwitterte Ziffer. „Acht“, sagte ich und legte auf. Das war das Krankenhaus gewesen. Wer informierte nun die Bullen, denn die würden sich natürlich ebenfalls für Bettinas Tod interessieren? Mir graute vor den vielen Fragen. Zu trinken gab’s auf dem Präsidium nichts außer Kaffee und Wasser. Und das endlose Stunden lang. War ja nicht das erste Mal, dass ich dort eine Aussage zu Protokoll geben durfte. Und was erzählte ich der Psychologin heute Nachmittag? Die würde mir aus der Geschichte sicher einen Strick drehen und ein schlechtes Gewissen einreden wollen. Unterleibssteuerung, die ich nicht in den Griff bekäme und solche Sachen. Dabei wusste ich noch nicht mal, ob ich mit Bettina Sex gehabt hatte. Konnte mich an nichts erinnern.

Ich beschloss, die Alkoholvorräte aus dem Kühlschrank komplett zu vernichten und dann entspannt auf Sanitäter und die Schmier zu warten. Die Stunde bei der Therapeutin konnte ich schwänzen und in einer Woche nachholen. Bis dahin war Gras über die Sache gewachsen. Meine Lebensgeister kehrten langsam zurück.

 

Hej sinuhe,

dein morgendlicher Ausschnitt ist schon eindrucksvoll geschildert, nur empfinde ich ihn eher als einen Teil einer Geschichte, nicht als eigenständig und so bleibe ich dann recht verloren nach dem Ende zurück.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Sinuhe,

ich schließe mich Kanji uneingeschränkt an. Ich nehm auch gerne die Fortsetzung.
Vielleicht den Polizisten, der Deinem Prot. anerkennend auf die Schulter klopft: "Na, da hatte sie ja einen schönen Tod..." Oder die Kommissarin, die ihm ihre Telefonnummer zuschiebt und ihm zuzwinkert.
Oder vielleicht die Psychologin, die ihm dringend zum Ablegen eines Keuschheitsgelübtes rät, weil er mit seinem Sexhunger eine Gefahr für die Allgemeinheit ist, wenn tote Frauen seine Betten pflastern...
Aber Dir fällt bestimmt noch was viel cooleres ein.

Viel Spaß

Xayide

 

Hallo Kanji und Xayide,

mit meiner Antwort hat’s ein bisschen gedauert. Sorry!
Musste ja erstmal die Klärung durch das Mod-Team abwarten.
Das hat die kleine Story nach eingehender Prüfung als – in sich abgeschlossene –
Kurzgeschichte anerkannt. Das freut mich.

Natürlich ist das Finale (sehr) offen gehalten. Trotzdem ist es ein (vorübergehender) Schlusspunkt. Erzählen wollte ich einzig die halbe Stunde zwischen Wachwerden, bemerken, dass eine Leiche im Bett liegt, die spontanen Gedanken und die Vorgehensweise des Protas in DIESER Situation.

Hätte ich nun das im Anschluss erfolgende Verhör hinzugenommen, wäre die Story zum einen (unnötig?) verlängert worden. Zum anderen stünde ich dann vor der Frage, ob ich weiterhin real bleibe oder etwas dazu erfinde. Von daher hatte ich mich dazu entschieden, den geschilderten Moment mit dem geradezu fröhlichen Warten des Protas auf Sanitäter und Polizei enden zu lassen. Denn in seiner verqueren Säuferlogik erscheint ihm ja die Stunde bei der Therapeutin als das eigentliche Problem. Was soll er ihr beichten? Da erscheint ihm die Vernehmung auf dem Präsidium als kleineres Übel. Seine Hauptsorge: dort bekommt er stundenlang keinen Alkohol angeboten. Alles andere interessiert ihn nicht. Den unschönen Tod Bettinas hat er schon abgehakt. Aus seinem Blickwinkel halt ein unglücklicher Zufall, dass sie ausgerechnet in der Nacht, in der er in ihrem Bett lag, sterben musste. Großartig berühren tut ihn der Vorfall nicht.

Danke für eure Kommentare!

VG sinuhe

 

Guten Abend Ronnie,

zuerst einmal vielen Dank für dein Kompliment. Freut mich, dass dir meine Texte gefallen. Das tun sie nämlich nicht allen. :D

Völlig d’accord: bei mir fehlt die (von dir so genannte) übergeordnete Dimension. Weil ein Trinker die in einer solchen Situation auch nicht hat. Er denkt im Hier und Jetzt; zumindest in einem Moment, in dem er sich gleich mit der Polizei konfrontiert sieht. „Philosophische“ Überlegungen stellt der Alkoholiker eher in ruhigen Stunden an, in denen er alleine auf einer Parkbank sitzt. Von daher wäre das Einziehen einer Metaebene mMn etwas Künstliches gewesen.

Ich kenne viele Stories von Bukowski (beileibe nicht alle; denn er hat wirklich viel geschrieben). In einigen Geschichten erkenne ich sofort, dass noch ein tieferer/ zweiter Gedankengang dahinter versteckt ist. Das gilt aber nicht für all seine Texte. Oft erzählt er einfach drauflos und bleibt – wie ich – eindimensional. Was ich nicht weiter tragisch finde. Die übergeordnete Dimension basiert manchmal auf der Einbildungskraft der Kommentatoren. Ähnlich wie Kunstkritiker, die in einem Bild Botschaften entdecken, von denen der Maler gar nicht weiß, dass er sie darin versteckt hat.

Bukowski und ich schildern unsere Geschichten zumeist aus der Perspektive eines Trinkers. Er natürlich sprachlich sehr viel virtuoser als ich. Der Unterschied zwischen uns besteht darin, dass ich auch den Blick auf das Innenleben zulasse; die seelischen Abgründe des Süchtigen aufzeige. Das tut Bukowski nie (zumindest ist mir keine Story bekannt, in der er sich mit der Verzweiflung, die dieses Leben mit sich bringt, auseinandersetzt). Die Droge führt – egal, ob man sie irgendwann absetzt oder sie dauerhaft nimmt – zu nihilistischer Weltsicht. „Sterben müssen wir alle … nichts ist so wichtig wie der nächste Schluck Wodka“. Vllt ist das die Metaebene, nach der du suchst.

Vielen Dank fürs Kommentieren
u herzliche Grüße, sinuhe

 

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