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Die Topflappen des Teufels - Eine neue Generation
„Heute bekommt mein Pupsi-Bärchen das beste Essen im gesamten Universum!“, versprach sie mit freudestrahlender Miene ihrem Mann. Jim lehnte sich stolz auf dem Sofa zurück. Endlich konnte er mal ein Lob an sein Durchhaltevermögen aussprechen. Er hatte heute nicht nur die lang ersehnte Beförderung zum Filialleiter bekommen, von der er schon so lange träumte, sondern auch noch die Gewissheit, dass er doch zu mehr fähig war, als ihm immer von klein auf von seinen Eltern eingebläut wurde. Sein Selbstwertgefühl als Mann hatte sehr darunter gelitten. Jim war aber ein harter Hund, der diese Tatsache sehr gut verstecken konnte. Nur in den seltensten Momenten schien Sarah ein leichtes Funkeln an Selbstzweifel bei ihm zu entdecken. Doch die Unvorhersehbarkeit der Dinge machte vor nichts und niemandem Halt, nicht einmal an einem solch schier perfekt anmutenden Tag. „Kannst du schon einmal den Tisch decken, Pupsi-Bärchen?“
Das waren die letzte Worte, die Jim aus dem Mund seiner Frau hörte, ehe er ihren leblosen Körper am Fuße des Ofens erblickte. Um ihre Kehle war ein Topflappen gewickelt, der ihr offensichtlich die Luftzufuhr abgeschnürt hatte. Ungläubig verharrten seine Augen auf das Unfassbare, das seine perfekte Welt voller Glück von eben ausmerzte. „Baby? Was ist mit dir …?“, stotterte er, bis es sein Verstand vollständig verarbeitete. Seine Frau war nicht mehr am Leben, um mit ihm gemeinsam all die glückseligen Stationen durchzugehen, die er sich schon in seinem Kopf ausgemalt hatte. Ab diesem Moment ging es mit ungeheuerlicher Geschwindigkeit bergab mit ihm. Diese Richtung kannte er zwar, aber nicht in diesem erbarmungslosem Ausmaß.
Nachdem etwas Zeit verstrichen war, konnte er wieder einen klaren Gedanken fassen und Theorien über die genaue Todesursache von Sarah aufstellen. Jim kam zum Ergebnis, dass er nicht nach einem menschlichen Mörder suchen musste. Je öfter er diesen schrecklichen Tag Revue passieren ließ, verhärtete sich der Verdacht und damit auch sein Hass. Sein Hass auf diese Dinger, die mit perfekter Unschuldsmiene in der Küche immer noch ihr Dasein fristeten und hier und dort hingen oder lagen, als ob nichts gewesen wäre. Um seine Schlussfolgerungen zu teilen, statt sie stetig in sich hineinzufressen, bat er seinen besten Freund vorbeizukommen. Dieser Schritt hatte ihn viel Überwindung gekostet.
„Was? Du weißt, wer sie umgebracht hat?“, stotterte Eddy ungläubig. „Ist das dein Ernst?“
„Ja ...“, entgegnete Jim mit selbstbewusster Stimme. „Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass es die Topflappen waren ...“
„Würdest du das bitte noch einmal wiederholen …?“
„Du hast mich schon verstanden …“, meinte Jim unbeeindruckt von der Reaktion seines Freundes. „Sarah hatte schon immer eigenartige Dinge in der Küche bemerkt, die einfach nicht normal waren. Es hört sich verrückt an, aber es besteht kein Zweifel daran, dass ...“
„Jim … ich kann mir nicht ausmalen, was du die letzten Monate durchgemacht hast … aber die Topflappen für den Tod deiner Frau verantwortlich zu machen ...“
„Willst du gar nicht wissen, wie ich darauf komme?“
„Weißt du eigentlich, was du da behauptest?“
„Das weiß ich! Und ich weiß auch, dass hier in diesem Haus etwas nicht stimmt! Hab ich dir schon erzählt, was mir meine Frau ein paar Wochen kurz vor ihrem Tod erzählt hat?“
„Nein, hast du nicht ...“
„Fast jede Nacht ist sie schweißgebadet aufgewacht ... Sie träumte immer von brutal verstümmelten Leichen, die mit Topflappen bedeckt waren! … Überall sah sie diese blutverschmierte Dinger herumliegen, die ihr dann die Eingeweide herausgerissen haben … Diese Träume müssen doch etwas bedeuten, oder nicht?“
„Richtig! Sie bedeuten, dass deine Alte völlig untervögelt war, weil du keinen mehr hochbekommen hast!“, kicherte eine Stimme. „Ohne uns hättest du ihre heiße Muschi doch gar nicht mehr anpacken können, du Versager!“
Jim und Eddy schreckten auf. Geschockt blickten sie in die Richtung der Stimme.
„Du verfluchtes Drecksstück!“, schrie Jim wie am Spieß. Sein Hass erfüllte jeden Teil seines Körpers, als sein Gehirn das Bild mehrerer Topflappen erfasste, die sich in einer Reihe vor ihnen aufstellten. Es waren verschiedene Farben und Muster vertreten. Auch der von ihm völlig verhasste gelbe Topflappen, einst ein Geschenk seiner unsympathischen Schwiegermutter, war mit von der Partie.
„Jetzt zeigt ihr also euer wahres Gesicht! Ich bringe euch in die Hölle!“
„Unglücklicherweise ist in der Hölle kein Platz mehr für uns. Schade, nicht?“, begann der Gelbe. „Es ist wirklich blöd gelaufen für uns ...“, seufzte ein Anderer. „Nachdem die Dämonen bemerkt haben, dass es in der Hölle zu heiß ist, wurde über unseren Köpfen entschieden, uns als völlig überflüssig zu erklären. Verbrennen solle schließlich an der Tagesordnung stehen und deswegen hat uns der Leibhaftige höchst persönlich in diese dreckige Dimension verbannt.“
„Alter ...“, stieß es aus Eddy heraus. „Wo ist der Mund ...? Wie kann das Teil sprechen …?“
„Du hältst jetzt mal den Mund, Eddy!“, meinte Jim mit eiskalter Miene, während er die Topflappen keine Sekunde aus den Augen verlor. „Was für eine rührende Geschichte! Mir kommen gleich die Tränen! Interessiert mich nicht im Geringsten! Ich habe nur eine Frage!“
Ein anderer der zehn Topflappen trat nun aus der Reihe hervor. „Du willst wissen, warum einer von uns sie getötet hat, nicht?“ Im selben Moment herrschte Totenstille. Jim stand kurz vor der Beantwortung dieser einen Frage, die ihn kaum noch schlafen ließ. „Ja …!“, stimmte er zu. „Das ist das Einzige, was mich interessiert …!“
„Wir wollten ihr einen Dienst erweisen“, antwortete der Gelbe mit amüsierter Stimme. „Jetzt kann sie in der Hölle endlich wieder richtig durchgenommen werden! Im Fegefeuer werden heiße Muschis zumindest geschätzt!“
„Du verdammter, kleiner …!“
Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Der Punkt war erreicht, an dem er seinen Hass freien Lauf erlaubte.
„Jim! Das Biest will doch nur, dass du dich dem Hass hingibst! Lass es nicht zu! Sarah hätte das niemals gewollt!“, versuchte Eddy auf seinen Freund einzureden. Jim kam durch die eindringende Stimme wieder einigermaßen zur Besinnung. Er betrachtete die kichernden Topflappen und ihm erschienen Bilder seiner Eltern. Jene Eltern, die ihn ebenfalls nicht ernst nahmen und zu keiner Sekunde daran dachten, nur einmal warme und aufbauende Worte an ihn zu richten. Trotz allem hatte er es sich durchgeschlagen und eine wunderbare Frau kennengelernt, die ihm die Gewissheit brachte, doch einen gewissen Wert als Mensch darzustellen. „Ich hätte es mehr schätzen sollen ...“, murmelte er. „Sie hat es mir gezeigt ...“ Eddy und die Topflappen hörten ihm gebannt zu.
„Ja, es ist wirklich Scheiße passiert ...“, fuhr er fort. „Aber ich werde das Gefühl dabei akzeptieren … weil ich weiß … dass es irgendwie weitergehen wird … wenn ich es nur will …! Und ich weiß auch, dass ich weit mehr bin, als nur mein Gefühl!“
„Jim … Ich habe dich noch nie so reden hören ... Die Sache mit dem Gefühl hatte ich auch letztens mit meinem Psychologen“, gestand Eddy.
„Ich habe mich auch noch nie so reden hören, aber ich glaube, dass Sarah mir zugestimmt hätte ...“
Im selben Moment schienen die Topflappen wie zu Stein erstarrt. Einzig der Gelbe konnte sich durchringen, noch ein paar Wörter an Jim zu richten. „Das … ist … einfach … so … eklig …“, murmelte er mit kraftloser Stimme. „Wir dachten … es würde … dich endgültig … zu Fall bringen … Verdammt sollst du sein!“
Ehe Jim auf seine Äußerung reagieren konnte, gab es einen kurzen, lauten Knall. Eddy würde den Klang seinen späteren Kindern als den „Klang eines völlig missratenen Bergziegen-Furzes“ beschreiben. Aus den Topflappen war jedenfalls jegliche Kraft entwichen.
„Das Böse kann nur mit einem reinen, zu sich stehenden Herzen besiegt werden! Gut gemacht!“, lobte Eddy.
„Es sieht ganz danach aus“, stellte Jim fest. „Hast du zufällig Geschenkpapier und ein kleines Paket?“
Eddy runzelte sich die Stirn. „Wieso?“ „Naja, ich dachte mir gerade, dass ich meinen Eltern schon lange nichts mehr geschenkt habe. Und vielleicht werden die Lappen ja wieder …?“