Die Todespizza
Wer hätte es denn nicht selbst erlebt, wie Arbeitsüberlastung einem in die Kausalität der Freiheit fährt und man als expatriiertes Noumenon des mundi intelligibilis den Schmerz am unteren Rückenende ächzend befummelt? Rausgekickt und -gezwickt aus dem Reich der Zwecke. Wer hätte es denn nicht erfahren, wie in solchen mogigraphischen Momenten die praktische Vernunft dekrepitiert und kaum mehr Gewicht als ein kleines, leichtes Wölkchen im zebaothoten Zenith eines zyanblauen Himmels auf die Waage bringt? Denn der HUNGER, den die ignorierte Magengrube mit einem Mal doch anzumelden in der Lage ist, zerhetzt schnurstracks die ansonsten gar nicht so unpflichtmäßige Bekümmerung um das eigene faserig-gefäßhafte Phänomenon. So verschmähen wir gewöhnlich mit einigem Recht jenes Lipozyten züchtende, käseverschmierte Backwerk italienischer Provenienz, Pizza genannt, notorisch belegt mit den sterblichen Überresten cholesterinaufpeitschender Mammalia (‘Meeresfrüchten’ auch, ja: Abalonen, Ctenophoren und Polychäten ohne Gräten). Man weiß schließlich, was aus Auch-Menschen wird, die ihre tägliche Fütterung schlankweg nur mit Pizza und Hamburgern bestreiten; ein schneller Periskop-Blick über den Atlantik genügt, um einen repräsentativen bodycount jener Klopse durchzuführen, die in ihrer Fleisches-Lust seit A. Hitlers Rücktritt von einem Hamburger Hill auf den nächsten gerückt und gerollt sind. Aber in diesen machullen Momenten, die bereits Erwähnung fanden, in jener schlafsaugenden Geschlagenheit, den Blick starr auf die kataleptisch-tintenblauen Hände gerichtet... tja – und niemand da, der Ihnen ein Miso-Süppchen mit Algen und Schitake-Pilzen brauen könnte... Dann also, sage ich, nehmen Sie Ihre letzte Kraft zusammen und rufen irgendeinen Pizza-Fritz an, der Sie bereits seit Jahren mit Reklame-Flugblättern satt eindeckt. Zwar haben Sie das ungenießbare Hochglanz-Geprotze oft genug in die Tonne gebombt, aber Perfektion ist letztlich doch nur etwas Göttliches, nicht wahr? Irgendwo fleiert also noch so ein Wisch herum, kräht ‘AKTIONS-PIZZA’, dass der Käse Blasen wirft, und schon haben Sie’s gegriffen und den Hörer am Ohr.
Während ein um 20 Hertz runtergeprügelter Kammerton eine fatigierende Sinus-Welle in Ihre Ohrmuschel malt, versuchen Sie noch schnell, sich einen Überblick der kerndummen Kategorien zu verschaffen, mit denen der degoutante Gaumen-Geist des anhebenden 21. Jahrhunderts Sie locken und lecken möchte: Das bunte Blättchen bebt vor kapitalistischer Hypermotilität und schleudert Ihnen die schamotten Scheiben ’klassisch’, ’cheesy ’, geradezu panisch um die Ohren. Ihnen bleibt nichts übrig als die Telefonnummer saltato in den Apparat zu hacken.
"PizzafritzhalLO".
Was ist das? Was macht dieser mehlbestäubte Telefonknecht? Wie kommt er dazu, mit solch üblem Engagement auf Ihre Basilarmembran zu posaunen?: Er röchelt Ihnen ein düsteres ‘Pizzafritz’ hin und hämmert sogleich ein abaddonisches ‘halLO’ auf den Ambos, dessen kleine Aufwärts-Terz sich völlig illegal um einen Viertelton spreitet (und rein gar nichts klingt hier wie die ’braunäugig-vegetative Melancholie eines Mohren, der seine dicken Zehen in den muddy waters des Mississippi badet’). Mit diesem aus dem bloß Dumpfen ins Rauh-Rabaukige gereckten Terzsprung springt der Mann Ihnen eigentlich ins Gesicht: Die Begrüßung pervertiert er cantabile in ihr attackierendes Gegenteil; meisterlich gelingt es ihm, Intervall und klangliche Modulation als reinen Ausdruck einer Aggressivität vorzustellen, die ihre Interpretation als souveräne und hochberechtigte Abwehr eines per se obszönen Nicht-Ichs, id est Arschlochs, aufs höchste anempfiehlt. Sie stecken’s weg. Sie sind zu müde. Verbindlich leiten Sie ein, etwas bestellen zu wollen. Aber dann passiert das, mit dem Sie in keiner Weise gerechnet haben. Es beginnt jener Kampf und jene Demütigung, die Ihren Abend abschließen sollen, und um die zu vermeiden, Sie auch gerne verhungert wären. Aber Haken hat wohl alles im Leben. Mit moralexstirpierter Erdklumpigkeit ejakuliert der sinciput kurz, trocken, böse, menschenfern:
“Telefonnummer.“
Ein paar Synapsen klappern kurz in Ihrem Hänge-Hirn und Sie müssen sich eingestehen, dass dies nicht der erste kollabierte Abend ist, der sich rötend wegschleppt von Ihrer desperaten Pizza-Order: Diese Leute haben Ihre Adress-Daten ja längst im Mikro-Rechner und brauchen eben nichts weiter als die unikale Telefonnummer, um dem Laufburschen den Weg zu weisen. Zugleich mit der unangenehmen Erinnerung nichtswürdiger Bestellungen erkennen Sie, dass der Ton jedesmal rüder und die zugehörige Telefon-Frage jedesmal lakonischer ausfiel; ja, recht eigentlich sind Sie mit einem Mal davon überzeugt, dass die Frage beim letzten fernmünd- und müdlichen Jamboree derart komprimiert gestellt wurde, dass eine weitere Verknappung nicht möglich schien; nämlich:
“Telefonnummer bitte.“
Da vermochte aber das angeschwänzelte ‘bitte’ so gerade noch die Frechheit des Tele-Sputums wegzuwischen (der Hunger half dabei ein bißchen, was?). Ja, dieses ‘bitte’ war im Grunde Ihre Salvation, dieses kleine Wörtchen, dieser labialingual hergezeigte bürgerliche Rest des Androiden am anderen Ende der Strippe rettete Sie. Denn in Ihrer Müdigkeit, Malaise, Malfunktion - oder können wir uns nicht sogar auf eine Art geistige Verzweiflung einigen?, ja? -, inmitten Ihres maroden Bücher-Mausoleums, als lauer laudator temporis aeti, sage ich also, waren Sie dem Unendlichen Gott unbewußt dankbar, einem auch nur irgendwie gearteten Aggredi im Sinne bürgerlicher Selbstbehauptung überhoben worden zu sein. Das ‘bitte’ rettete Sie, dieser Lippenfurz des lehmigen Pizza-Verpackers ermöglichte es Ihnen noch einmal, träge eine trübe Bestellung in die Muschel zu mauscheln.
Aber jetzt? Sie sind schockiert. Sie sind paralysiert. ‘Telefonnummer’. Nicht eigentlich in einem Befehlston kam es daher, nein, dieses spezifische Schallwellengeschenk entsprach eher der sogenannten Ein-Knopf-Bedienung eines Geräts. Und das Gerät waren Sie. Verstehen Sie? Sie waren kein Kunde, dem man mit bürgerlicher Courtoisie aufzuwarten hätte, Sie waren eine Kaffeemaschine. Und sie könnten sich schwarz ärgern; wenn Sie jetzt überhaupt irgend etwas könnten. ‘Telefonnummer’. Wäre es denn nicht wenigstens möglich gewesen, wenn schon der Wortvorrat sich den Luxus eines ‘bitte’ nicht leisten zu können glaubt, dem ‘fon’ eine cordiale Betonung zu verpassen und die ‘nummer’ in einen helleren Himmel zu hieven? Man wäre doch vielleicht bereit gewesen, das de facto unartikulierte ‘bitte’ als melodikalkonnotativ anwesend zu erachten.
Nein. Machen Sie sich nichts vor. Nichts war möglich. ‘Telefonnummer’: war Delusion, Degradation und Desavouierung; war Ihre Profanation, Exsekration und Devestitur. ‘Telefonnummer’: respondierte fatumdumm Ihrer Asthenie und Kachexie und Atrophie. ‘Telefonnummer’: accompagnierte umbrasecco Ihre Denuda-, Desquama-, Devasta. (‘tion‘. Natürlich). ‘Telefonnummer’: war rüde Moi-Mutilation und rabiate Ego-Resektion. ‘Telefonnummer’: brannte Ihnen ein Deleatur als hübsche Blesse.
Es hilft nichts. Es wäre ja schön und gut, und vielleicht sogar gottgefällig, einfach in der Paralyse zu parken, im Schock zu schlafen, im Trauma zu tranen. Aber es hilft nichts. Und jetzt, mit einem Male, allen über Jahre geübten bürgerlichen Benimm zu quittieren und den schwarzhärenen Sack einfach niederzubrüllen ist Ihre Sache wohl eigentlich nicht.
“Könnte es sein, dass wir Ihre soziale Technik als verbesserungswürdig bezeichnen dürfen? Aber nur frisch zu und neu gewagt: was möchten Sie also wissen?“
Es passiert: nichts. Die Sekunden verrauschen im Telefonhörer, ein wenig rhythmisiert durch fernes Küchengeklapper. Was geschieht da in jenem fernen Halsaufsatz? Man weiß es nicht. Was auch immer nicht-geschieht, der Nicht-Prozess verrät sein Ende, indem der taff-tumbe Telefonmann, monatlich mit Gehaltsscheck versehen, Beitragszahler von Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung, im Staatsgefüge als Bürger verankert, indem er, sage ich, sich wiederholt, sich imitiert, kalt, triste, bockig, menschenfaul:
“Telefonnummer.“
Die erschütternde Einsicht überfällt Sie, dass ein freischwebender Gedanke selbst in einem Stück toten Holzes ein besseres Biotop fände als in diesem fahlen caeliferischen Pferdeschädel am letzen Ende der Leitung. Sie vermissen einen Knopf am Telefongerät, mittels dessen Betätigung Sie dem Maggi-Magog tausend mal tausend Volt in die Ohrmuschel schrauben und ihn ins Stadium carbonisationem expedieren könnten. Aber denken Sie besser nicht weiter. Doch das klappt nicht, was? Schon narrt Sie Ihr Gedankentheater Alam al-Mithal: Der kantige Primatenschädel des kruden Kretins - mit einem Male vom seit Geburt fehlenden Strom versorgt - rüttelt, röhrt und rotzt; granniges Haupthaar zerdampft zu Zinder-Parfüm, und es geht auff ein Rauch, verfinstert Sonne und Lufft, und die Erde bebt und schwankt, und überall meldet sich beißender Brand. Doch so die Flammen niederzüngeln und der Wrasen sich verwirbelt, glotzt der Kohl-Kopp untot aus der Wäsche, geschmückt mit letzten, elektroondulierten Flausen und um keines Dattelkernes Fädchen anmutiger als sein Hinterteil. Und jetzt: schüttelt der Gannef seine verbrannte Visage, wie sich ein wetterharter Hunde-Halfcast die Flöhe aus dem Fell schlattert; um dann, trockener als zuvor, die schwarzroten Craquelé-Lippen zu klaffen und ein unverwüstliches “Telefonnummer“ freizugeben, gleichzeitig eine Qualmquappe entlassend, die sich um seine Schmorgurke herum nach oben ins Amorphe flüchtet (was Sie selbst auch am liebsten tun würden, was?).
Sicher, Sie könnten sich den Chef an den Apparat holen lassen und sich beschweren; immer vorausgesetzt natürlich, der anenzephalische Bozzetto eines Humanoiden, den Sie gerade an der Strippe haben, spielte hier mit, was nun allerdings gar nicht sicher ist. Aber wie müßten Sie einen möglichen Gehorsam bezahlen? Jaaa – lassen Sie diesen Gedanken ruhig zu -, Sie wissen es. Sie haben diese TV-Sendung gesehen, in der eine sogenannte ‘Versteckte Kamera’ einen Pizza-Bäcker beim Pizza-Pissen erwischte. Und Ihr sublimer Veredeler würde sich garantiert auch noch zusätzlich einen von der palma rütteln. Pizza legata. Neinnein, so nicht.
Andererseits: Sie wollen auch schon gar nichts mehr essen. Sie wollen´s der Bestie nur noch zeigen. Und Sie wissen, dass Sie sich jetzt aus Ihrer akinetischen Aktionsferne reißen müssen. Aber wie diesen Kubus-Kopf angehen, der mit derselben animaldumpfen Nonchalance eine Kopfschmerztablette ins Wasserglas und einen Zyklon-B-Tab durchs Dächle schnippen würde? Wieso montieren diese Pizza-Fritzen eigentlich nicht gleich eine richtige Maschine ans Telefon; die einem mit rechnergenerierten Engelszungen den Gaumen pinselte und submissest um das Telefonnümmerchen einkäme? Anstatt einen Cyborg dran festzunageln, dem bereits der Zink-Kali-Saft aus den Ohren träufelt.
“Hören Sie, guter Mann. Lassen Sie uns für einen Moment so tun, als ob es keinen Ruin unserer Kultur zu bestaunen gäbe, ja? Also: Sie möchten mich etwas fragen, ja?“
“Telefonnummer.“
Schlecht zu behaupten, dass ihm gegeben ward ein Maul zu reden große Ding: das Obstinate ist Dummtrotz und Unfähigkeit der Degenführung zugleich. Wobei das Stimm-Schrapnell des unreinen Frosch-Geists kaum Zweifel daran läßt, dass diese Unfähigkeit nicht eigentlich als Manko empfunden wird. Dieser Hautsack ist schlicht so prall mit Dummtrotz gefüllt, dass es für irgendein Unfähigkeitsgefühl schon arg eng würde.
Sie müssen sich eingestehen, dass Sie im Begriff sind zu verlieren. Sie schaffen es nicht. Aller Ihnen zu Gebote stehende Intellekt nimmt sich aus wie die Kraft zweier weicher weißer Säuglingshände vor dem alles nivellierenden Determinismus einer kosmischen Stiernackigkeit. Sie spüren eine vertrottelte Niederlage. (Nebenbei bestätigt sich Ihnen immerhin der propere Gedanke, dass das Ziel des Humanismus nur via Substitution alles Menschenmaterials durch Maschinen erreicht werden kann).
Sie registrieren, dass Sie den Hörer aufgelegt haben. Sie saugen Prana in Ihre sämtlichen 72.000 Nadis, dass Sie zittern wie ein Wassertropfen auf einem Lotosblatt. Als Spezies-Associé malen Sie sich Ihr Scham-Claim auf die Wangen und äugeln taub nach den gerissenen Windseilen. Apodiktisch fühlen Sie, dass man dieser schlingenden, allesfressenden, fettschlürfenden Menschenart nur noch mit Askese entkommen kann. Also streifen Sie sich ein weißes Kleid aus Byssus-Linnen über und bedecken Ihren Sessel mit Kuscha-Gras. Kerzengerade sitzen Sie (und ein CIA-Spezialist könnte wohl ‘aham brahma asmi’ von Ihren lügenden Lippen lesen). Sie frieren sich hübsch zurecht in Ihrem reichlich antrainierten Muskelpanzer. Ihr corpus allatum reduziert die Neotenin-Produktion und Sie pushen sich sklerodermal in Ihr Puparium. Perzipierte Petrifikation, dianoetische Diapause. Könnte ewig währen, was? Doch Sie ahnen es; wie Sie bald schon wieder die Stirne stülpen und mit einer Ptinal-Schmarre auf der Glabella Ihrem Tönnchen entsteigen werden. Doch dieses Mal werden Sie vielleicht, endlich: auf jegliche Akkomodation pfeifen. Komplexaugen erfinden keine Imagines Dei