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Die Tochter der Schlange

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11.05.2014
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Die Tochter der Schlange

Er mochte Wälder nicht besonders. Von dem modrigen Geruch der Erde bekam er Kopfschmerzen und er war sich nie sicher, was für Viecher hinter dem nächsten Baumstamm lauerten. Der Herbstwind wirbelte Laub auf und die Bäume knarzten leise. Die goldgelben Farben konnten seine Stimmung nicht heben.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, dachte er, während er sich gegen den Kofferraum seines 68er Ford Mustangs lehnte.
Er zündete sich eine Zigarette an und lauschte den Geräuschen in der Umgebung. Vögel flatterten durch Baumkronen, ein Ast knackte und dann war da noch das Scharren von Metall auf kalter Erde.

„Wie lange wird's noch dauern?“, fragte er.
„Halt die Klappe, Dave. Könntest mir ja helfen“, tönte es aus der Grube.
„Könnte ich.“
„Und warum tust du's nich'?“
„Du bist doch für den Schlamassel verantwortlich, Henry.“
Ein verdrecktes Gesicht lugte über den Rand.
„Willst du mich verarschen? Mach hier keinen auf Heiligen.“
„Hab' nie gesagt ich wär' einer, aber im Gegensatz zu dir, konnte ich mich ein bisschen zusammenreißen. Sei froh, dass ich gefahren bin. Das war schon Risiko genug.“
Ein missmutiger Blick, dann war der Kopf wieder verschwunden und das Scharren begann erneut. Dave blies weiter Rauch in den hellgrauen Himmel und beobachtete, wie der Wind die freigeschaufelte Erde verwehte. Wenige Augenblicke später stieg Henry aus der Versenkung und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn.
„Überall hab ich diese scheiß Erde. Hätte ich doch 'ne andere Jacke angezogen …“, sagte er.
„Reg dich nicht auf, hilf mir lieber.“
„Mach ich denn je was anderes?“
Dave ließ seine halb aufgerauchte Zigarette fallen, kickte sie in das Loch und wandte sich seinem Wagen zu.
Mit einem kräftigen Ruck öffnete er den Kofferraum. Henry blickte bewundernd auf den Inhalt.
„Ich frage mich immer wieder, wie die in deinen mickrigen Kofferraum passen“, sagte er.
„Mexikaner eben, die sind ja nich' besonders groß. Du die Füße, ich den Kopf?“
„Von mir aus.“

Gemeinsam hievten sie die in einen Müllsack eingewickelte Leiche aus dem Kofferraum. In gebückter Haltung und mit kleinen Schritten transportierten sie ihn zu seiner letzten Ruhestätte.
„Adiós, Arschloch“, sagte Henry, als die Leiche mit einem dumpfen Geräusch auf die Erde prallte.
Die Arme verschränkt, blickten sie auf die Überreste des Mexikaners hinab.
Eine Trauergemeinde bei einem letzten Lebewohl. Fehlen nur der Priester und die Emotionen.

„Hast du mal 'ne Kippe?“, fragte Henry.
„Bedien' dich.“
Dave streckte ihm die Zigarettenschachtel entgegen.
Ein Feuerzeug klickte, Inhalation, langes Ausatmen.
„Scheiß Cholos, keine Ahnung, was in deren Köpfen vorgeht. Versuchen, unseren Boss aus dem Geschäft zu drängen, mit ihren billigen Nutten und ihrem Glücksspiel. Und dann spazieren die auch noch am helllichten Tag durch sein Territorium. Der Typ hätte sich doch denken können, dass wir ihn erwischen“, sagte Henry.
„Wir hätten ja rausfinden können, was er da zu suchen hatte, aber du musstest ja wieder zuschlagen wie ein Wahnsinniger. Ein schönes Verhör war das.“
„Die halten nix aus! Und was beschwerst du dich überhaupt? Wir hätten ihn doch so oder so getötet, also was soll's. Der nächste Eseltreiber kommt bestimmt, den kannst du ja allein befragen.“
Dave fragte sich, ob Henry tatsächlich wütend wurde, oder ob er nur so tat.
Stress mit dem Kollegen, das fehlte mir diese Woche noch.
„Jetzt ist's nicht mehr zu ändern, lass ihn uns begraben“, sagte Dave schließlich.
„Du meinst wohl, ich soll ihn begraben.“
„Ne, ich mach das schon. Brauch' jetzt ein bisschen Ablenkung.“
„Stimmt was nich'?“
Dave gab keine Antwort. Er griff sich die Schaufel und machte sich ans Werk. Schippe um Schippe landete die Erde wieder dort, wo sie hergekommen war und jedes Mal, wenn die Erde auf den Müllsack traf, erinnerte ihn das Geräusch an das Prasseln von Regen.
Es erinnerte ihn an die erste Begegnung mit ihr.

Es war März gewesen und er hatte sich einen Film im Kino angesehen. Danach war er in seinen Lieblingsimbiss gegangen, ein billiger Laden nahe des Kinos, aber die Burger schmeckten überraschend gut. Er hatte gerade bestellt - vor den beschlagenen Fensterscheiben hatte es angefangen, wie aus Kübeln zu gießen - als sie den Laden betrat. Ihre Haare waren rabenschwarz und die Augen bernsteinfarben. Sie war wunderschön. Er war nicht gerade zurückhaltend, was Frauen anging, doch sie hatte etwas an sich, das ihn zunächst abgeschreckt hatte, etwas Erhabenes. Es war wie eine Aura der Weisheit. Uralt, unantastbar und mystisch. Er hatte sie bloß in Ehrfurcht ansehen wollen, wie ein antikes Gemälde in einem Museum. Er war ein Krimineller, welches Recht hatte er, diese Frau anzusprechen? Doch er musste es tun. Er glaubte zwar nicht an Schicksal und Vorhersehung oder derlei Quatsch, doch er hatte das unerklärliche Gefühl, dass sich sein Leben verändern würde, wenn er sie anspräche.

„Echt beschissenes Wetter, oder?“, hatte er das Gespräch eröffnet.
Ein Jugendlicher, der Michelangelos David mit Graffiti besprüht, so komme ich mir vor.
Als er nähergetreten war, hatte er erkannt, dass das, was er für Solariumbräune gehalten hatte - immerhin war der Winter gerade vorbei gewesen - ihre natürliche Hautfarbe war.
Sie sieht aus wie eine zweite Salma Hayek, nur jünger.
Sie hatte ihm kurz in die Augen geblickt und genickt.
„Ich bin Dave.“
Er hatte ihr die Hand entgegengestreckt, doch sie hatte sie nicht genommen.
„Nintinu.“
„Was bitte?“
„Das ist mein Name.“
Ihre Stimme war tiefer und kräftiger, als er es ihrem zierlichen Körper zugetraut hätte.
„Cooler Name, den habe ich ja noch nie gehört. Wo kommst Du her?“
Einfühlsam wie ein Vorschlaghammer.
Doch es schien sie nicht zu stören.
„Meine Vorfahren kommen aus einer Stadt am Persischen Golf.“
Keine Mexikanerin, vielleicht besser so.

Es war nur eine kurze Unterhaltung gewesen. Sie hatte gesagt, dass sie zusammen mit ihrer Mutter in einem Vorort wohne und nur selten in die Chicagoer Innenstadt käme. Sie war in der Bibliothek gewesen und habe sich ein Buch ausleihen wollen, welches hatte Dave nicht gefragt. Dann habe es angefangen zu regnen und sie wolle nur kurz Unterschlupf suchen. Obwohl sie nur wenig gesprochen hatten, fragte Dave sie, ob er sie bei diesem Mistwetter nach Hause fahren könnte. Er wollte sie nicht einfach gehen lassen. Sie hatte ihm tief in die Augen geblickt, als ob sie seine Absichten hätte lesen wollen. Bis heute konnte Dave nicht sagen, was sie in ihm gesehen hatte, oder ob sie überhaupt etwas in ihm gesehen hatte. Sie war ohne Zweifel von einem höheren Niveau, ganz anders als die Frauen, mit denen Dave üblicherweise zu tun hatte. Ihre Kleidung, ihr Gesicht, ihre Ausstrahlung, eine ganz andere Liga. Weiser, gebildeter, reifer. Glichen frühere Frauenbekanntschaften einer Paris Hilton, dann war sie Kleopatra.
Und ich will Mark Anton sein.
Er fühlte sich wie ein Schuljunge unter ihrem Blick, der so viel Ruhe und Lebenserfahrung ausstrahlte, obgleich sie nicht älter als 30 hätte sein können.
Aber schließlich hatte sie ja gesagt. Nur das zählte.

In den folgenden Wochen waren sie sich nähergekommen. Er hatte ihr Chicago gezeigt, den Willis Tower, Lake Michigan, das Nachtleben. Als sie gefragt hatte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiene, hatte er gesagt, er arbeite von Zuhause aus, als Journalist für den Chicago Tribune. Ob sie ihm damals geglaubt hatte? Er vermochte es nicht zu sagen.
Ich konnte ihr unmöglich die Wahrheit sagen.
Sie war stets schweigsam und gab nicht viel von ihrem Leben preis. Überhaupt redete sie nur, wenn er etwas gefragt hatte. Es kam ihm so vor, als sei seine Gegenwart ungewollt und er nur ein eitler Gockel, der um ihre Gunst buhlte. Wenn er mit ihr redete, blickte sie oftmals in den Himmel, vor allem bei Nacht, und beobachte die Sterne, so dass Dave das Gefühl hatte, er redete mit einer Statue oder mit sich selbst. In solchen Momenten fragte er sich, warum sie so zurückhaltend war. Hatte sie eine Krankheit, eine üble Kindheit oder familiäre Probleme? Wenn er Infos aus ihr rauskitzeln wollte, sah sie ihn lange mit ihrem durchdringenden Blick an und lächelte bloß.
Wie kann eine Frau nur so verschlossen und anziehend zugleich sein? Wahrscheinlich ist es gerade dieses Mysteriöse, Andersartige und Exotische, das mich so verrückt macht.
Alles was er wusste war, dass sie eine Mutter hatte, die ziemlich streng sei, vor allem aber sehr religiös.
Vermutlich eine Fanatikerin, wie die durchgeknallte Mutter in Carrie.
Als er gefragt hatte, ob sie Christen, Moslems oder sonstwas seien, hatte sie wieder nur gelächelt.

Nur einmal hatte er Bekanntschaft mit ihrer Mutter gemacht.
Sie waren seit zwei Monaten regelmäßig zusammen ausgegangen und er fürchtete, sie an einen anderen dahergelaufenen Typen zu verlieren. Er fürchtete, dass sie ihn lediglich als guten Freund wahrnehmen würde, wenn er nicht langsam einen ersten Vorstoß in intimeres Terrain wagen würde. Sie standen vor ihrem Haus, es war Nacht, und dann hatte er sie einfach geküsst. Kurz und schmerzlos, wenig romantisch.
„Es tut mir leid, ich wollte nicht…“, hatte Dave gesagt.
Als Reaktion hatte sie bloß ihren Arm auf seine Schulter gelegt.
War da Mitleid in ihrem Blick? Oder war es Wehmut?
Und dann kam sie. Eine ausgemergelte alte Hexe. Die Haare grau und dünn, die Augen giftgrün und verengt. Da war etwas in ihrem Blick, etwas Bedrohliches, etwas Gefährliches.
„Nintinugga, lasse ab von dem Weltlichen, der der Blasphemie und Ignoranz so zugetan. Wie oft habe ich dir das schon angetragen? Dein Mitleid für deren vergängliches Leben wird noch dein Ende sein.“
Ihre Stimme war ein Zischen, als hätte sie ihre Zähne zusammen gepresst und die Wörter ausgeatmet.
Dann hatte sie etwas in einer ihm unverständlichen Sprache gebrabbelt und ihn angestarrt.
Die Augen eines Reptils, jahrtausendealt und tödlich.
Er hatte sich unwohl und nackt gefühlt. Es war, als würde sie mit ihren stechenden Augen in seine Seele blicken.
„Aus den Eingeweiden der Unterwelt entstiegene Sterbliche stehen vor mir und entweihen meine Tochter mit ihren Lippen. Ja, ich sehe dich. Ich sehe, was du bist. Die Sieben der Anunna werden schon bald über dich richten. Der heilige Blutmond wird dein Dahinscheiden bezeugen.“
Dann hatte sie ihre Tochter gepackt und fremdartige Worte in die Nacht geschrien.
Entweder die nimmt Drogen, oder sie ist total verrückt!
Er hatte Nintinu lange Zeit nicht mehr gesehen, bis sie vorgestern vor seiner Wohnungstür gestanden hatte.
Warum musste es so weit kommen?

Das Grab war gefüllt. Dave klopfte mit der Schaufel die Erde fest, Henry beobachtete ihn dabei.
„Das war's, wir sind fertig“, flüsterte Dave.
„Haste was gesagt?“
Dave ging in Richtung Wagen und feuerte die Schaufel in den Kofferraum. Dann schloss er ihn, lehnte sich dagegen und zündete sich erneut eine Zigarette an.
Ich rauche schon wieder zu viel. Tu ich immer, wenn es mir schlecht geht.
Henry, der sich ebenfalls gegen den Kofferraum lehnte, runzelte die Stirn.
„Was stimmt nich' mit dir?“
Wozu schweigen? Ich muss mit jemandem darüber reden, eine Lösung finden.
„Erinnerst du dich an Nintinu?“
„Die Kleine, mit der du was hattest? Die, die dich nicht rangelassen hat?“
Henry grinste höhnisch.
„Sie weiß es. Sie weiß, was ich beruflich mache.“
Henrys Grinsen verwandelte sich in Schock.
„Wie zum Henker konnte das passieren?“, fragte er ungläubig.
„Ich weiß es nicht.“
Es war ihre Mutter. Sie hat es gesehen. Sie hat mich kurz angesehen und es gewusst. Gibt es Menschen, die Gedanken lesen können? Oder steckt etwas Abscheulicheres dahinter?
Diese Augen … so unmenschlich.

„Du willst mir also sagen, dass sie alles weiß?“
„Sie weiß, dass ich ein Auftragskiller bin und für wen ich arbeite. Das reicht ja wohl. Sie hat gesagt, sie gibt mir eine Woche, um mich zu stellen. Ansonsten geht sie zur Polizei.“
Schweigen. Dave rauchte und Henry starrte auf seine Füße. Im Gebüsch raschelte etwas, vermutlich ein Fuchs.
„Was nun?“, fragte Henry.
„Du weißt, ich kann nicht in den Knast. Die Bullen werden mich befragen und Deals vorschlagen. Ich geh nicht drauf ein, aber du weißt genauso gut wie ich, dass der Boss keine losen Enden duldet. Es heißt entweder sie oder ich. Einer von uns muss …“
Er wagte es nicht, den Satz zu vollenden. Er wollte nicht wahrhaben, dass er sich an diesem Scheideweg befand.
Sie oder ich. Und ich will nicht sterben.
„Sie muss sterben.“
Dave sprach es aus, die brutale Schlussfolgerung. Er hatte in einem Traum gelebt, die Beziehung hätte nie funktioniert. War es überhaupt eine Beziehung? Wollte er wirklich sein Leben für eine Frau geben, die allem Anschein nach nichts von ihm wollte?
Sie muss sterben. Ein so einzigartiges menschliches Wesen muss meinetwegen sterben. Hätte ich sie doch nie getroffen, hätte ich mich doch nicht verliebt …
Aber er hatte keine Wahl.
Sie oder ich …
„Ich kann sie nicht umbringen. Ich … ich kann einfach nicht.“
„Ich kann das erledigen“, sagte Henry sofort. „Noch heute Nacht. Ich fahr mit Brian zu ihrer Wohnung, schlepp sie hier in den Wald und das war’s dann. Problem gelöst.“
Dave dachte darüber nach, oder vielmehr tat so, als würde er darüber nachdenken. Er hatte seine Entscheidung schon längst gefällt.
Ich bin ein erbärmlicher Egoist, aber ich habe Angst … Angst vor dem Knast und vor dem Tod.
„Versprich mir, dass du es kurz und schmerzlos machst.“
„Aber sicher doch. Adresse?“
„1078 Willowdrive in Hartington. Wo wirst du es tun?“
Henry deutete auf einen großen Baum nahe der Ruhestätte des Mexikaners.
Wortlos schnippte Dave seine Zigarette weg und stieg in den Wagen.

23:48
Die grüne Digitalanzeige seines Weckers war die einzige Lichtquelle in seinem Schlafzimmer. Dave wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er konnte kein Auge zu tun. Er musste an Nintinu denken und daran, was in diesem Augenblick, in einem Wald außerhalb des Stadtgebiets, mit ihr geschehen würde.
Lebte sie noch? Hatte Henry sein Versprechen gehalten? Habe ich das Richtige getan?
Natürlich wusste er, dass er falsch gehandelt hatte. Er wollte es lediglich nicht wahrhaben.
Ich bin ein Mörder, ich fliehe vor meiner gerechten Strafe und lasse eine Frau hinrichten, die mir sogar die Chance gelassen hat, mich zu stellen.
Er stand auf, schlenderte in das Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Die blonden Haare, die blauen Augen, die blasse Haut. Das genaue Gegenteil von ihr.
Sieht so ein herzloses Monster aus?
Er dachte an ihr geheimnisvolles Lächeln und ihre Augen, die sie so häufig über den Nachthimmel schweifen ließ. Der Blick, tief und unergründlich wie das Weltall.
Wie aus einem anderen Zeitalter.
Und stand sie nicht für all das, was ihm fehlte? Frieden, Liebe und Weisheit. Dinge, die es in seinem Geschäft nicht gab. Leute verprügeln, töten und begraben. War das sein Lebensinhalt? Zum zweiten Mal an diesem Tag musste er eine Entscheidung treffen. Er betete, dass es die richtige war.
Er rannte in das Wohnzimmer und griff nach seinem Handy.
Hoffentlich hat Henry es noch nicht getan.
Es läutete. Sekunden verstrichen.
„Geh ran, geh ran, geh ran.“
Ein Piepen. Dann noch eines.
Eine Stimme meldete sich.
Gerade noch rechtzeitig?
Dave atmete auf.
Der gewünschte Teilnehmer kann zurzeit nicht erreicht werden.
„Scheiße!“
Er nahm seinen Revolver aus einer Schublade und verließ hastig die Wohnung.

Henry öffnete den Kofferraum von Brians Golf. Da lag sie, Arme und Beine gefesselt, Panzerband vor dem Mund. Das Band schimmerte im hellen Mondlicht. Dunkle Augen funkelten ihn zornig an, sie schwitzte. Ihr Haare und ihr weißer Pyjama klebten auf ihrer Haut.
Er griff ein Büschel ihres Haars und zerrte sie unsanft aus dem Kofferraum. Als sie auf den Waldboden knallte, entfuhr ihr ein gedämpftes Fluchen.
Es war überraschend einfach gewesen. Brian hatte die Tür ihrer Wohnung mit einem einfachen Handgriff aufgebrochen. Henry hatte das Haus durchsucht, während Brian Wache schob. Die alte Hexe, von der Dave gesprochen hatte, schien nicht anwesend zu sein. Wenige Minuten später hatte er die Kleine in einem der Schlafzimmer vorgefunden. Selig schlummernd, nichts ahnend, wunderschön.
Eigentlich eine Schande.
Sie hatte nicht einmal geschrien, als er sie geweckt hatte. Nicht dass sie das gekonnt hätte - er hatte ihren Mund sofort zugeklebt - aber sie versuchte es nicht einmal. Sie hatte ihn verärgert angeblickt, als hätte er lediglich ihren Lieblingskaffeebecher zerbrochen und wäre nicht gerade drauf und dran, sie zu entführen.
Nun war er zum zweiten Mal an diesem Tag in dem Wald.
Unsere Mülldeponie.

Sie lag vor ihm, den Mond im Rücken. Die Bäume waren Silhouetten, Zuschauer bei einem morbiden Spektakel. Stille. Nur das Tröpfeln von Flüssigkeit auf Laub war zu hören. Brian erleichterte sich im Unterholz.
„Wirst du schreien?“, fragte Henry.
Sie zeigte keine Reaktion und starrte ihn weiterhin unbeeindruckt an.
Sie wird nicht schreien.
Er riss ihr das Panzerband vom Gesicht, sie keuchte.
„Weißt du, warum wir hier sind?“
Er sprach laut und deutlich, damit sie verstand, dennoch reagierte sie nicht.
Vielleicht ist sie ja geistig zurückgeblieben oder versteht meine Sprache einfach nicht.
Er rieb sich die Nase, eine Angewohnheit kurz vor einer Hinrichtung.

Brian trat näher.
„Wie spät isses?“, fragte er.
„Was weiß ich, mein Handy is' leer“, antwortete Henry.
„Machen wir's?“
„Hol' endlich deine Schaufel.“
„Is' ja gut“, sagte Brian und ging zum Wagen.
Als er zurückkam, deutet Henry mit dem Kopf zu einem Baum inmitten einer Lichtung.
„Wie wäre es unter dieser Eiche dort? Magst du Eichen, Kleine?“
Sie saß auf dem Boden wie ein trotziges Kind, die Lippen zusammengepresst, die Nasenflügel bebten.
„Scheiß drauf. Wir verscharren sie da einfach.“
„Da is‘ aber 'ne Birke“, sagte Brian.
„Bist du ein scheiß Botaniker, oder was? Eiche, Birke oder verschissener Weihnachtsbaum, fang' an zu graben!“
Brian warf ihm einen verächtlichen Blick zu und trottete davon.

„Endlich allein, was?“, sagte Henry.
Er ging in die Hocke, ihre Gesichter waren auf Augenhöhe.
„Weißt du, was normale Menschen sagen würden, wenn sie sehen könnten, was ich tue? Seht! Ein eiskalter Killer, ein Monster, eine Abscheulichkeit. Und es ist wahr. Ich bin ein kaltblütiges Arschloch. Es ist alles, was ich kenne. Ich hab nie was anderes gelernt. Ich war zwar in der Schule und alles, aber ich war nie gut in etwas. Ich hatte das Gefühl, nutzlos zu sein. Dann habe ich zum ersten Mal getötet. Irgendein schwarzer Drogendealer. Hat meine Kumpels abgezockt. Persönlich hatte ich kein Problem mit ihm, aber dadurch, dass ich ihn erledigt hatte, löste ich die Probleme vieler Menschen. Das fühlte sich gut an. Ich weiß, was du denkst.“
Er hob den Zeigefinger und wackelte damit.
Die Ich-alter-Opa,-du-ungezogenes-Gör-Geste.
„Billige Ausrede, schwache Rechtfertigung. Aber es ist die Wahrheit. Doch dann denke ich: Was wäre, wenn es tatsächlich so etwas wie Karma oder die Hölle gäbe? Ich hab so viele Leben genommen, allein in diesem Wald liegen mehr Leichen begraben, als auf dem Friedhof einer Kleinstadt. Meine Seele ist verkümmert, ich bin ein sicherer Anwärter auf ewiges Fegefeuer.“
Er stand wieder auf und blickte mitleidig auf die Entführte. Die Knarre drückte in seinem Hosenbund und fühlte sich kalt an.
„Wie war noch gleich dein Name?“
Sie starrte auf den silbernen Lauf der Waffe, die im Mondlicht funkelte.
„Komm schon, mach's Maul auf!“
Sie schluckte hörbar und sagte: „Nintinugga.“
„Hat das 'ne Bedeutung?“
„In der Sprache meiner Vorfahren bedeutet das: Herrin, die die Toten belebt.“
„Also für so einen Namen hätt' ich meine Mutter verklagt.“
Er lachte schäbig, sie starrte wieder vor sich hin.
Keinen Humor die Gute.
„Also, Ninitwasauchimmer. Du fragst dich sicher, warum ich dir das erzähle. Ich mache diesen Job seit 20 Jahren, mein Karma ist im Arsch. Ich will versuchen, das wenigstens etwas auszugleichen, bevor es zu spät ist.“
Sie hob erwartungsvoll den Kopf.
„Mach dir keine falschen Hoffnungen, Kleine. Du wirst sterben, aber du wirst mein letztes Opfer sein.“
Er sah sich um. Brian war außer Hörweite.
Gut, denn das sollte er besser nicht mitkriegen.
„Ich habe einen Deal mit den Mexikanern gemacht. Ich verraten ihnen alles über meinen Boss und seine Organisation. Namen, Gesichter, Vorgehensweisen, Strukturen. Kurz: Alles, was ich weiß. Im Gegenzug platzieren sie eine Leiche in meiner Wohnung und fackeln alles ab. Keiner wird eindeutig sagen können, dass ich die Leiche wäre, aber ich werde verschwinden und jeder wird annehmen, dass ich Geschichte sei. Die Cholos schmuggeln mich über die Grenze und ich bin raus aus dem Geschäft. Cocktails und Meer in Acapulco. Nur noch ein Gefallen für einen guten Freund, dann heißt es: Hola Ruhestand. Ich hab genug von Mord und Totschlag für ein Menschenleben.“
Er richtete die Pistole auf ihre Stirn. Sie begann zu zittern.
Endlich eine Reaktion, das war ja schon fast unheimlich.
„Willst du knien, oder lieber stehen?“
Sie kniete sich hin.
„In den Hinterkopf, oder willst du es kommen sehen?“
„Ich will es sehen.“
Mutiges Biest, das muss ich ihr lassen.
„Bringen wir es hinter uns.“
Sein Finger wickelte sich um den Abzug. Das Metall war eiskalt. Er sah ihr in die Augen.
Fenster in uralte Gefilde.
Was habe ich da gerade gedacht?
Drück ab.
Tu es endlich.
Diese Frau … ist so anders, wie aus einem anderen Zeitalter.
Die Antike.
Sumer.
… Was?
Hab ich ihr Leben in der Hand, oder sie meines?
Es ist nicht das erste Mal, dass du eine Frau erschießt, sentimentaler Idiot!

Doch die Pistole in seiner Hand wurde immer schwerer, jetzt begann er zu zittern. Ein bisher unbekanntes Gefühl durchströmte ihn. Angst. Ihm brach der Schweiß aus, seine Kehle wurde trocken, die Gerüche des Waldes wurden intensiver. Erde, Tau, Schweiß, Staub. Er senkte die Pistole.
„Gib mir noch fünf Minuten“, sagte er matt.

Dave raste über den Highway, im Rückspiegel die Lichter Chicagos. Es war mitten in der Woche und um diese Uhrzeit war die Straße frei. Er trat das Gaspedal bis auf den Boden.
Keine Bullen, bloß keine Bullen.
Der Tank war fast leer, die Anzeige kam dem roten E bedrohlich nahe. Er verfluchte seinen Wagen.
Verdammter Spritschlucker.
Um das Tanken würde er sich später Gedanken machen müssen. Zunächst galt es, den Wald zu erreichen, Nintinu zu finden und eine Katastrophe zu verhindern.
Warum habe ich das getan? Warum habe ich Henry darum gebeten?
Für Reue war keine Zeit.
Das ist die Abfahrt, nicht mehr weit.
Der holprige Weg kündigte das baldige Erreichen seines Zieles an.
Er erreichte den Wald eine halbe Stunde nachdem er seine Wohnung verlassen hatte. Im Handschuhfach befand sich sein Revolver.
Nur zur Sicherheit, ich will niemanden verletzen.
Jetzt nur noch die Lichtung finden.

Er war so mit seinen Gedanken und der Suche nach der Lichtung beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie der Mond eine rote Färbung annahm.

„Du kannst mich nicht töten.“
Henry erschrak, als er ihre Stimme vernahm. Tief und unnatürlich.
Hatten sich ihre Augen verändert?
Waren sie vorher noch bernsteinfarben, schienen sie jetzt giftgrün. Sie stand auf.
„Knie dich wieder hin!“
Sie ging auf ihn zu.
„Schlampe! Hinknien!“
Brian hörte sein Brüllen und kam angerannt.
„Gibt's ein Problem, Henry?“
Aber er hörte ihn nicht. Es gab nur noch sie und ihn. Die Welt war ein Tunnel, der ihn zu ersticken drohte. Um heraus zu gelangen, musste er an ihr vorbei.
Jetzt oder nie, tu es!
Er schaffte es, erneut auf sie zu zielen. Den Finger zu krümmen, war anstrengender als Gewichte heben.
Das Metall gab nach, der Hahn schlug nieder und entlud seine tödliche Ladung im Gesicht der Frau. Blut und Hirnmasse schossen durch die Luft, ein Auge flog aus ihrem Schädel und landete im Dreck. Sie ging auf die Knie und verharre in dieser Position, wie ein Sünder bei der Beichte. Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, brachte aber nur ein Gurgeln hervor. Dann fiel sie endlich, mit dem Gesicht voran, zu Boden.
„Das war unheimlich“, sagte Brian und ging zu der Leiche.
Frag mich mal.
„Hilfst du mir tragen? Henry?“
Er fühlt sich nicht besser. Seine Glieder schienen noch immer träge zu sein, seine Gedanken vernebelt. Er sah das Auge auf dem Boden liegen, es starrte ihn an. Dann war er woanders.

Ein Stufentempel.
Zikkurat.
Eine Menschenmenge hatte sich versammelt. Die Sonne brannte vom Himmel. Männer wie Frauen trugen seltsame Gewänder in der Farbe des Wüstensandes. Ihre Haare schwarz, ihre Haut braun, ihre Blicke leer auf die Spitze der Zikkurat gerichtet. Ein Mann stand dort. Nackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Er hatte ein Dutzend Schlangen um den Hals gewickelt. Er sprach zu der Menge, die Sprache kehlig und fremdartig. Henry verstand sie dennoch.
„Brüder und Schwestern, wir haben uns versammelt, um Ereschkigal ein Opfer zu bringen. Die Gutäer wollen uns ausrotten, unsere Tempel schänden und unsere Götter verbannen. Das werden wir heute verhindern. Wir schenken der Herrin eine unsterbliche Tochter.“
Zustimmendes Gebrüll. Die Menge johlte, als eine junge Frau aus der Menge trat und die Stufen hinaufstieg.
Nintinugga.
„Bist du bereit, dein körperliches Gefäß zu geben, um der Schlangenherrin zu dienen?“, fragte der Hohepriester.
„Ich bin.“
Der Priester sprach wirre Worte und schnitt der Frau die Augen aus. Die Menge fiel auf die Knie. Ihr schreiender Körper wurde die Stufen hinuntergeworfen. Ihre Knochen brachen, mit jeder Stufe ein erneutes Knacken. Ihr Leichnam wurde durch die Menge gereicht, ihre Gliedmaßen zu grotesken Formen verdreht.
Der Priester hielt die bernsteinfarbenen Augen in die Luft und schluckte sie anschließend hinunter.
„Nun das Blutopfer. Möge Erschkigal, Herrin der Unterwelt und Mutter der Schlangen, es als würdig erachten.“
Mit diesen Worten rammte sich der Priester das Messer in die Brust. Die Menschen schrien auf und hoben ihre Arme gen Himmel. Gedämpfte Rufe ertönten.
"Für Ereschkigal!"
"Möge sie alle Zeitalter überdauern!"
"Bringen wir unser Opfer, geben wir unser Blut!"
Dann brach die Hölle los.
Kinder wurden in ihren Betten erdrosselt, Menschen ertränkten sich im Persischen Golf, schnitten sich die Kehlen durch oder stachen sich die Augen aus. Bis in die Nacht hinein, war die Luft von Schreien erfüllt. Der Mond leuchtete blutrot und eine gigantische Schlange stieg vom Himmel herab.

Als Henry aus diesem Albtraum erwachte, sah er Brian vor sich liegen. Die Frau war nicht zu sehen.
Das Auge ist auch weg.
Als er den Blick gen Himmel hob, sah er die Silhouette einer Schlange vor dem Mond.
Er leuchtet blutrot.
Ihr schwarzer Körper schlängelte sich durch die Luft. Geräuschlos, majestätisch, auf der Jagd.
Henrys Augen brannten, Tränen liefen seine Wangen hinab.
"Bitte ..."
Er schrie, die Welt wurde dunkel.

Dave erreichte die Lichtung und fand die Leichen von Brian und Henry vor. Beiden fehlten die Augen.
Was ist denn hier passiert? Was für ein Albtraum ist das?
Nintinugga stand neben einer Birke. Sie war unverletzt. Eine Schlange hatte sich um sie gewickelt. Sie hatte dieselben Augen wie Nintinuggas Mutter.
Eine Mutter beschützt ihr Kind.
„Du bist unwürdig!“, zischte Ereschkigal.
„Warum hast du das getan?“, fragte Nintinugga.
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Sprachlos starrte er mit offenem Mund in das Antlitz der Schlange. Ihre Schuppen glitzerten.
„Keine Angst, Sterblicher. Wir werden nicht über dich richten, sie werden.“
Nintinugga deutete auf Henry und Brian. Mit unnatürlichen Zuckbewegungen erhoben sich ihre Leichen. Aus den Augenhöhlen sickerte Blut.
„Der, der du unfähig warst, selbstlos zu handeln und deine Sünden einzugestehen, mögest du dein Ende finden“, zischelte das Ungetüm.
Die Schlange stieg in die Luft, ihre Tochter auf dem Rückgrat. Sie entschwanden in den Nachthimmel, während die Leichen immer näher kamen.
Dave zückte den Revolver und schoss Henry den Unterkiefer weg. Unbeeindruckt marschierte dieser weiter. Blut rann zähflüssig zu Boden, wie Geifer aus dem Maul eines Kampfhundes. Er schoss wieder und wieder, er wusste nicht wie oft, doch sie waren nicht zu stoppen. Er rannte zum Wagen zurück, wollte fliehen. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Keine Reaktion.
Komm schon, Scheißteil!
Der Motor jaulte auf, ein Freudenschrei entfuhr Dave. Doch kaum hatte er fünf Meter zurückgelegt, erstarb der Motor wieder. Der Tank war leer.
„Fuck!“
Dann eben zu Fuß.

Er rannte über die Lichtung, die Leichen humpelten hinterher. Adrenalin pumpte durch seine Adern. Adrenalin, gemischt mit überwältigender Panik. Ein Blick über seine Schulter sagte ihm, dass er seine Kollegen bald abhängen würde.
Lahmarschige Zombies!
Euphorisch rannte er weiter, bis er ins Leere trat.
Er übersah das Loch, welches Brian gegraben hatte. Der Aufprall war hart und schmerzhaft. Er knallte mit dem Kopf auf einen Stein, die Welt verschwamm, er verlor das Bewusstsein. Als er kurze Zeit später erwachte, blickte er in verweste Gesichter. Mexikaner, Mafiosi, Menschen, die sich mit dem Boss angelegt hatten. Sie alle umringten die Grube und starrten auf ihn hinab.
Dies wird wohl mein Grab, meine letzte Ruhestätte.
Sein Atem war ruhig und regelmäßig, der Kampf war vorbei, das Monster in die Enge getrieben.
Das Spiel ist aus.
Er überprüfte seinen Revolver.
Nur noch eine Kugel.
Da erblickte er Henrys deformiertes Gesicht.
„Sorry, Kumpel. Schöne Scheiße habe ich uns da eingebrockt.“
Er war ein Mörder, würde es immer bleiben.
Er hob den Revolver. Heute Nacht würde er wieder morden.
Nur noch ein letztes Opfer.

 
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Boah, das hätte ich nicht vorm Zu-Bett-Gehen lesen dürfen!

Lieber gibberish,

nur kurz, weil ich schon der Kiste lieg: Das war super. Wow, wie mir auf den Leib geschneidert. Ich schrieb ja schon im Romanbereich, dass du schreiben kannst - trotz Fehlern - aber hier hast du für mich ins Schwarze getroffen. Ein wirklich wirklich deutlicher Qualitätsunterschied zum etwas handlungsarmen "Im Auge des Betrachters". Spannend, mystisch, sehr intelligent konstruiert, getrieben, lediglich am Ende etwas vorhersehbar, aber egal weil: Waaaah, Schlangenkult, Sumerer, Massenopfer, Zombies!!! Ich habe vor kurzem eine ähnliche Story geschrieben, ich sehe, wir sind da auf einer Wellenlänge.

Bisschen was hab ich noch anzumerken, nicht viel, aber heute soll es nur Lob sein. Haste dir verdient, Chapeau!

X-Franke

 

Hallo Exilfranke,

danke für das tolle und schnelle Feedback, bei einer doch längeren Geschichte nicht selbstverständlich. ;)

Ein wirklich deutlicher Qualitätsunterschied zu "Im Auge des Betrachters".

Ich habe versucht, die Kritiken, vor allem zu meinem letzten Text "Im Auge des Betrachters", möglichst gut umzusetzen. Scheint als sei mir das bei dir relativ gut gelungen. :D

Bisschen was hab ich noch anzumerken

Nur her damit! ;)

Ich gehe jetzt erstmal mit einem Lächeln ins Bett.

Vielen Dank
gibberish

 
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Hallo gibberish,

normal treibe ich mich selten in der Kategorie Horror herum, aber ich habe deine Geschichte angelesen und konnte dann bis zum Ende nicht mehr aufhören. Ich finde das echt gut geschrieben.

Kurz zu den Dingen, die mir aufgefallen sind:

Probleme hatte ich mit den Perspektivenwechsel. Zu Beginn aus Sicht von Dave, dann aus Sicht von Henry, wieder Dave usw. Da dann auch noch Brian dazukam, hatte ich bei diesem Absatz lange Schwierigkeiten, aus wessen Sicht das nun geschieht:

„Endlich allein, was?“
Er ging in die Hocke, ihre Gesichter waren auf Augenhöhe.
„Weißt du, was normale Menschen sagen würden, wenn sie sehen könnten, was ich tue? Seht! Ein eiskalter Killer, ein Monster, eine Abscheulichkeit. Und es ist wahr. Ich bin ein kaltblütiges Arschloch. Es ist alles, was ich kenne. Ich hab nie was anderes gelernt. Ich war zwar in der Schule und alles, aber ich war nie gut in etwas. Ich hatte das Gefühl, nutzlos zu sein. Dann habe ich zum ersten Mal getötet. Irgendein schwarzer Drogendealer. Hat meine Kumpels abgezockt. Persönlich hatte ich kein Problem mit ihm, aber dadurch, dass ich ihn erledigt hatte, löste ich die Probleme vieler Menschen. Das fühlte sich gut an. Ich weiß, was du denkst.“
Er hob den Zeigefinger und wackelte damit.
Die Ich-alter-Opa,-du-ungezogenes-Gör-Geste.

Vielleicht an dieser Stelle gleich zu Beginn einfügen "sagte Henry" oder die Perspektivenwechsel generell irgendwie kennzeichnen.

Die kursiven Denkeinschübe finde ich manchmal ganz unterhaltend, manchmal überflüssig.

Diese hier finde ich gut:

Einfühlsam wie ein Vorschlaghammer.

Keine Mexikanerin, vielleicht besser so.

So ein bisschen ironisch, ohne dabei aber lächerlich zu wirken.

Mit denen kann ich mich hingegen nicht ganz so anfreunden:

Sieht aus, als hätte jemand einen sprechenden Kopf auf den Waldboden gelegt.

Das klingt für mich ungewollt komisch, in Horror vielleicht nicht so passend.

Das kommt dabei raus, wenn man sich mit der falschen Organisation anlegt.

Dieser Einschub ist mir einfach zu logisch, als dass man das noch einmal extra erwähnen müsste.

Sie waren seit zwei Monaten regelmäßig zusammen ausgegangen und er fürchtete in die Friendzone abzudriften, wenn er nicht langsam einen ersten Vorstoß in intimeres Terrain wagen würde.

Das passt für mich nicht in eine Horrorgeschichte, das klingt nach einem Jugendroman. In die Friendzone abdriften ... Sagt man das heute wirklich so? Mann, ich werde wohl schön langsam echt alt. :D

Das Ende mit dem Stufentempel und so finde ich dann ein bisschen zu schnell abgehandelt. Das wird ja da alles recht fantasymäßig und da sind plötzlich so viele neue Dinge dabei (Priester, Blutopfer, Schlangen), das geht dann alles so schnell und lässt mich ein bisschen unbefriedigt zurück.

Als Henry aus diesem Albtraum erwachte, sah er Brian vor sich liegen. Die Frau war nicht zu sehen.
Das Auge ist auch weg.
Als er den Blick gen Himmel hob, sah er die Silhouette einer Schlange vor dem Mond.
Er leuchtet blutrot.

Kurz darauf findet Dave Henrys und Brians Leichen vor. Das kann ich aber aus diesem Absatz davor noch nicht entnehmen, dass Brian auch schon tot ist, der sieht ja noch den Mond und so. Ist etwas verwirrend. Eventuell könntest du da noch hinzufügen, dass es das letzte ist, was er sieht oder so.

Der Tag Krimi passt nicht so ganz, finde ich. Krimi ist für mich, wenn es da auch immer einen Ermittler gibt, der versucht, einen Mord aufzuklären und wenn auch die Hintergründe für die Morde beleuchtet werden. Du schneidest das mit den ermordeten Mexikanern ja nur an, man erfährt nicht, was genau die Beweggründe von Dave und seiner Gang sind. Das hab ich zwar eingangs etwas vermisst, aber da deine Geschichte dann eine ganz andere Richtung eingeschlagen hat, Richtung Horror, ist es nicht notwendig. Aber Krimi passt eben nicht.

Puh, geschafft. Ich glaube, das war meine erste Kritik in der Horrorrubrik. Ich weiß nicht, ob ich dir, quasi als Horror-Laie, da jetzt mit meinem Kommentar viel weiterhelfen konnte, das können sicher andere besser. Aber wie schon eingangs erwähnt: Mir gefällt, wie du schreibst, das liest sich ganz flüssig runter, gute Dialoge, gute Idee. Es ist auf jeden Fall mal was anderes als diese gängigen Horrorgeschichten. Zum Schluss zwar auch mit Zombies und so, aber das mit der Schlangentochter, dieses Indianische, das ist doch mal etwas Neues. Für mich zumindest. Und ich weiß nicht, ob das in der Rubrik Horror ansonsten schon vorkommen sollte: So richtig gegruselt hat's mich nicht. Vielleicht sollte ich sowas aber auch nicht lesen, wenn am Vormittag die Sonne beim Fenster reinscheint. Oder ich hab einfach unglaublich starke Nerven, von denen ich bisher noch nichts wusste. ;)

Hat mir gefallen, vielleicht schau ich da jetzt doch öfter vorbei.

Gruß,
rehla

 

Hallo rehla,

Habe wenig Zeit, daher nur eine kurze Rückmeldung.

Danke für Deine hilfreiche Kritik.

Vielleicht an dieser Stelle gleich zu Beginn einfügen "sagte Henry"

Gesagt, getan.

Kurz darauf findet Dave Henrys und Brians Leichen vor. Das kann ich aber aus diesem Absatz davor noch nicht entnehmen, dass Brian auch schon tot ist, der sieht ja noch den Mond und so.

Die Stelle habe ich ergänzt, danke für den Hinweis. ;)

Die genannten Einschübe habe ich erstmal entfernt. Du hast recht, der mit der Organisation ist überflüssig.

Vielleicht kann ich den Rückblick in die Antike etwas ausbauen, mal sehen, ob mir bis heut Abend noch etwas einfällt.

Hat mir gefallen, vielleicht schau ich da jetzt doch öfter vorbei.

Das ist doch die Hauptsache. Freut mich wirklich, das zu hören. :D

Vielen Dank
gibberish

 

Guten Morgen alter Freund und Kupferstecher,

wie gestern ja schon angekündigt, fand ich deine Geschichte toll und gut geschrieben. Wenn sie wirklich unter dem Eindruck der im Romanbereich geäußerten Kritik entstand, dann hast du in meinen Augen eine Art Quantensprung hingelegt. Deine Einflüsse sind offenkundig, zumindest, was den Ton und die Idee anbelangt, das gibst du ja nun auch schon ein wenig preis, wenn du als aktuelles Buch auf H. P. Baxters ... äh ... Lovecrafts Gesamtwerk verweist.

Was gibt es sonst noch zu sagen? Just nitpicking:

Henry, Brian, Dave ... hmmm. Ein Vorredner hat angemerkt, dass die Struktur und wer wo gerade handelt, nicht immer deutlich, bzw. schwer mitzuverfolgen ist. Das liegt meines Erachtens auch daran, dass deine handelnden Personen alle so stereotype Namen haben. Henry, Brian, Dave, gewöhnlicher geht es nicht. Ich hatte da auch so meine Probleme, mitzukommen, weil die Namen so austauschbar sind. "Ähm, wer war jetzt Dave nochmal? Oder war das Brian, der die Frau kennengelernt hat?"
Die USA sind ein multikulturelles Land, es fiele nicht schwer, etwas Struktur zu schaffen, in dem du deinem Killer-Trio eingängige Namen gibst: So wäre schon vieles einfacher, wenn sie bpsw. Vasilie, Graham und Miguel hießen. Irgendwas, um den sonst etwas blassen Charakteren mehr Eigenleben einzuhauchen.

Gut gefallen haben mir deine kursiven Einschübe, die dem Leser die inneren Gedankenwelt des handelnden Charakters offenbarten. Die Idee ist nicht neu, aber ich finde, hier hast du ein paar schriftstellerisch wirklich starke Sätze verbraten. Den hier z.B.:

Ein Jugendlicher, der Michelangelos David mit Graffiti besprüht, so komme ich mir vor.

Oder den hier:

Die Ich-alter-Opa,-du-ungezogenes-Gör-Geste.

Ich wäre übrigens dafür, wenn diese Insights nur vom Protagonisten kommen, bzw. nur in seiner Perspektive Verwendung finden. Ich weiß, das könnte schwer werden, dass noch ein- und umzuarbeiten, aber es würde dem Leser so sicher leichter fallen, den verschiedenen Szenenwechseln zu folgen und die Hauptfigur stärker herauszustellen.

Ein letztes noch: Return of the First Avenger. Ich bin ja kein Freund davon, Geschichten mit allzu deutlichen Gegenwartsbezügen auszustatten. Sowas ist immer doof. Damit datierst du die Geschichte und legst sie auf einen bestimmten Punkt fest. Nur Kino reicht doch, dann wäre es zeitlos. Es braucht keinen Gegenwartsbezug, die Geschichte könnte ebenso in den 70ern spielen wie heute. Und das ist doch gut, wenn das dem Leser nicht so mit der Brechstange ins Gesicht gerieben wird.

Aber das sind eben nur Kleinigkeiten: Alles in allem ne Top-Story von dir.

Exilfranke

 

Hallo Exilfranke,

Wenn sie wirklich unter dem Eindruck der im Romanbereich geäußerten Kritik entstand, dann hast du in meinen Augen eine Art Quantensprung hingelegt.

Das ist tatsächlich wahr. Ich nehme mir Kritik immer zu Herzen, egal in welchem Bereich. War schon immer so. Wenn ich die Mankos ausmerzen konnte, freut es mich natürlich umso mehr.
Ohne harte aber konstruktive Kritik, gibt's keinen Fortschritt. ;)

Das liegt meines Erachtens auch daran, dass deine handelnden Personen alle so stereotype Namen haben. Henry, Brian, Dave, gewöhnlicher geht es nicht. Ich hatte da auch so meine Probleme, mitzukommen, weil die Namen so austauschbar sind.

Darüber habe ich in der Form noch gar nicht nachgedacht. Ich werde mir eingängigere Namen einfallen lassen. Vielleicht liest sich das dann etwas klarer.

Freut mich, dass die kursiven Einschübe gut angekommen sind. :D

Ich wäre übrigens dafür, wenn diese Insights nur vom Protagonisten kommen, bzw. nur in seiner Perspektive Verwendung finden.

Ich werde beizeiten noch mal drübergehen und versuchen, die Gedanken Henrys zu umschreiben, wenn das der Geschichte dienlich ist. Da lässt sich bestimmt was machen. ;)

Ein letztes noch: Return of the First Avenger. [...] Damit datierst du die Geschichte und legst sie auf einen bestimmten Punkt fest.

Zu Herzen genommen und entfernt.

Freut mich wirklich riesig, dass es dir gefallen hat.

Ergänzendes zu rehlas Kritik:

Das passt für mich nicht in eine Horrorgeschichte, das klingt nach einem Jugendroman. In die Friendzone abdriften

Mir ist der Begriff jedenfalls geläufig, aber: Dave soll ja nicht rüberkommen wie ein liebestoller 20-jähriger. ;) Ist geändert.

Der Tag Krimi passt nicht so ganz, finde ich.

Fand ich auch nicht soo passend. Der Begriff ist so weitläufig. Crime, Thriller, Noir. Kann eigentlich alles sein. Aber Elemente sind definitiv enthalten, daher dachte ich, ich nutze das Tag einfach.

Und ich weiß nicht, ob das in der Rubrik Horror ansonsten schon vorkommen sollte: So richtig gegruselt hat's mich nicht.

Ganz ehrlich: Ich grusel mich auch nur selten beim Lesen. Es kommt schon vor, aber dann eher bei mysteriösen, subtileren Texten. Nichtsdestotrotz finde ich das Genre faszinierend und lese es immer wieder gerne. :)

Ich danke euch für eure tollen Anmerkungen.

Vielen Dank
gibberish

 

Hallo gibberish,

leider kann ich mich den bisherigen positiven Kritiken nicht anschließen.
Also katastrophal verreißen will ich dich jetzt auch nicht :D. Schreiben kannst du, und Horror schreiben kannst du auch - deine Weltraumhorrorgeschichte "Der fahle Götze" hat mir echt gut gefallen. Aber hier wollte sich keine Begeisterung einstellen. Ich versuche mal zu analysieren woran es lag, dass dieses Mal der Funke nicht übergesprungen ist.

Du hast einen sehr klassischen Horrorstoff gewählt. Also diese Grundidee - übernatürliches Wesen aus einer untergegangenen Kultur tritt in Gestalt einer schönen Frau auf, wird bedroht und erweist sich gegenüber den Angreifern als überlegen - die gibt es in vielen Varianten. Das macht aber nichts, ich lese Geschichten dieser Art gerne und habe nicht dagegen, eine neue Version zu erleben.

Was für mich leider nicht funktioniert hat, sind die Figuren. Nintinugga und ihre Mutter kauf ich dir noch am ehesten ab, aber die Profikiller beim besten Willen nicht. Unter anderem, weil die sich kein bisschen wie Profis verhalten, sondern wie Vollpfosten. Aber das lässt sich wahrscheinlich am besten an Textstellen festmachen. Unterwegs habe ich auch noch die eine oder andere kleine Korrektur. :)

Auf geht's:

Ziemlich windig heute, dachte er, während er sich gegen den Kofferraum seines 68er Ford Mustangs lehnte. Der Herbstwind wirbelte Laub auf und die Bäume knarzten leise. Er mochte Wälder nicht besonders.
Ist Geschmackssache, aber ich finde, man sollte nicht mit dem Wetter anfangen, wenn es sich vermeiden lässt. Das erinnert immer ein bisschen an "It was a dark and stormy night". :)
Ich würde mit dem Satz "Er mochte die Wälder nicht besonders" beginnen.

„Halt die Klappe, Dave. Könntest mir ja helfen“, tönte es aus der Grube.
„Könnte ich.“
„Und warum tust du's nich'?“
„Wir haben nur eine Schaufel.“
Siehst du, da geht es schon los: Wenn das schnell gehen muss, und die sowas bei weitem nicht zum ersten Mal tun, warum haben die nur eine Schaufel? Das lässt nicht gerade den Profi im Profikiller zur Geltung kommen, oder? Ich finde, das ist kein günstiger Weg, den Protagonisten einzuführen.

„Die halten nix aus! Und was meckerst du mich überhaupt an? Wir hätten ihn doch so oder so getötet, also was soll's.
anmeckern ist etwas, was Grundschullehrer mit ungezogenen Schülern machen. In dem Kontext würde ich ein anderes Wort suchen.

Danach war er in seinen Lieblingsimbiss gegangen, ein billiger Laden nahe des Kinos, aber die Bürger schmeckten überraschend gut.
Burger - außer du willst hier ganz nebenbei vermitteln, dass wir es mit Kannibalen zu tun haben? :)

Ein Jugendlicher, der Michelangelos David mit Graffiti besprüht, so komme ich mir vor.
Ja, das ist so was, was ich dir absolut nicht abkaufe. Bestimmt gibt es auch kunstsinnige Profikiller, die es als Sakrileg empfänden, ein Werk von Michelangelo zu beschmieren, aber der Dave ist nicht so einer, oder? Jedenfalls kommt er überhaupt nicht so rüber.

Sie sieht aus, wie eine zweite Selma Hayek, nur jünger.
Kein Komma nach aus; Salma

Glichen frühere Frauenbekanntschaften einer Paris Hilton, dann war sie Kleopatra.
Und ich will Mark Anton sein.
Ernsthaft: Woher nimmt der das ganze Wissen über die abendländische Kulturgeschichte, dass er das dauernd so ganz nebenbei in seine Gedanken einflicht? Vielleicht oute ich mich ja als Snob, oder vielleicht kann ich nicht richtig nachvollziehen, wo du mit der Charakterisierung hinwolltest, aber für mich passt das einfach nicht zusammen. Auf der einen Seite fühlt er sich Nintinu unterlegen, sie erscheint ihm gebildeter und kultivierter als er selbst. Auf der anderen Seite wirft der ständig mit Michelangelo und Mark Anton um sich.

Die Augen eines Reptils, jahrtausendealt und tödlich.
Das ist so eine Lovecraft-Stilebene, die ich deinem Protagonisten auch nicht so richtig zutraue.

Er hatte in einem Traum gelebt, die Beziehung hätte nie funktioniert. Was es überhaupt eine Beziehung?
War

Er fühlte sich, als würde er die Urfassung der Bibel verbrennen, oder in einem Akt des Ikonoklasmus ein heiliges Monument sprengen.
Das passt für mich auch nicht. Weder glaube ich dir, dass Dave "Ikonoklasmus" im aktiven Wortschatz hat, noch wirkt er sonderlich religiös.

Da lag sie, Arme und Beine verbunden, Panzerband vor dem Mund.
Nee, gefesselt. Die werden sie ja nicht bandagiert haben. :)

Trotzdem sieht sie noch bezaubernd aus. Ich kann mir denken, was Dave an der findet.
bezaubernd? Denkt der das wirklich, in diesem Wortlaut? Kommt mir unpassend vor.

Nicht dass sie das gekonnte hätte, er hatte ihren Mund sofort zugeklebt, aber sie versuchte es nicht einmal
gekonnt

Er riss ihr das Panzerband vom Gesicht, sie keuchte.
„Weißt du, warum wir hier sind?“
Keine Reaktion. Er rieb sich die Nase, eine Angewohnheit kurz vor einer Hinrichtung.
„Du weißt zu viel über Dave, das ist nicht gut. Du willst zur Polizei, wenn er sich nicht selber stellt. Doch das wäre ungesund für sein seelisches und körperliches Wohl. Unser Boss ist da nicht zimperlich. Ein Gefangener wird eines Tag zufälligerweise ein Messer dabei haben. Wo es wohl herkommen wird? Und dieses Messer wird seinen Weg zwischen Daves Rippen finden. Ich mag Dave und will nicht, dass das passiert. Er ist ein guter Typ, der beste Kollege seit Langem. Also tue ich ihm den Gefallen und löse sein Problem.“
Er sprach laut und deutlich, damit sie verstand.
Nein, nein, nein. Ich glaube dir kein Wort davon. Es spricht ja eigentlich für dich, dass du dich nicht auf Anhieb in einen eiskalten Killer hineinversetzen kannst. :)
Aber das ist doch echt eine Bondschurken-Nummer hier. Wenn ich jemanden wirklich um die Ecke bringen will, und nicht drauf warten, dass der in letzter Minute gerettet wird, weil das im Drehbuch steht, dann wird dem nicht das Klebeband abgemacht, und schon gar nicht erklärt, warum man das macht. Da wird einfach erschossen und eingebuddelt und fertig.
Wenn das so gedacht ist, dass Nintinu irgendwie in das Bewusstsein der Männer eingreift und ihre Handlungen manipuliert, dann müsste das stärker deutlich werden. Aber das wäre ja eigentlich auch unnötig aus ihrer Sicht, so etwas zu versuchen, weil sie ja ohnehin unsterblich ist.

„Wie wäre es unter dieser Eiche dort? Magst du Eichen, Kleine?“
Sie saß auf dem Boden wie ein trotziges Kind, die Lippen zusammengepresst, die Nasenflügel bebten.
„Scheiß drauf. Wir verschachern sie da einfach.“
„Da is‘ aber ne Eibe“, sagte Brian.
verschachern = verkaufen. Ich vermute eher, dass sie sie verscharren wollen.
Und zu diesem Eiche/Eibe-Ding: Also wenn jemand Deutsch als Muttersprache und sehr beschränkte Vegetationskenntnisse hat, dann ist so eine Verwechslung vielleicht möglich wegen der Wortähnlichkeit. Aber wir befinden uns ja in den USA, und deine Protagonisten sprechen eigentlich Englisch. Und "oak" und "yew" haben überhaupt keine Ähnlichkeit miteinander, und die Bäume sehen extrem unterschiedlich aus. Ich bin auch nicht sicher, ob Eiben in den nordamerikanischen Laubwäldern verbreitet sind, das sind ja Nadelbäume.

„Ich habe einen Deal mit den Mexikanern gemacht. Ich verraten ihnen alles über meinen Boss und seine Organisation. Namen, Gesichter, Vorgehensweisen, Strukturen. Kurz: Alles, was ich weiß. Im Gegenzug platzieren sie eine Leiche in meiner Wohnung und fackeln alles ab. Keiner wird eindeutig sagen können, dass ich die Leiche wäre, aber ich werde verschwinden und jeder wird annehmen, dass ich Geschichte sei. Die Cholos schmuggeln mich über die Grenze und ich bin raus aus dem Geschäft. Cocktails und Meer in Acapulco.“
Warum um alles sollte er ihr das erzählen? Mit dem Risiko, dass der andere Gangster ihn hören kann? Das kann er ja meinetwegen denken, um sich Mut zu machen, weil er sich mit dem Erschießen von Nintinu schwertut, aber das laut zu erzählen ... das kann ich nicht für voll nehmen.

Dave raste über die Autobahn, im Rückspiegel die Lichter Chicagos.
Müsste es dann nicht ein Highway sein, über den er rast? Wenn man schon ein amerikanisches Setting wählt (was man ja nicht zwingend müsste :)), dann muss halt das Lokalkolorit auch stimmen.

Das Metall gab nach, der Hahn schlug nieder und entlud seine tödliche Ladung im Gesicht der Sumerin.
Sumererin - aber Henry weiß doch gar nicht, dass sie das ist, ich würde das rausnehmen.

Die Idee finde ich gut, und der Text ist gut aufgebaut und gut zu lesen. Aber die Charakterisierung der Figuren finde ich hinten und vorne nicht stimmig, und deswegen konnte ich mich so richtig für die Geschichte erwärmen.

Grüße von Perdita

 
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Hallo Perdita,

Vielen Dank für deine Zeit und Mühe.

Ist Geschmackssache, aber ich finde, man sollte nicht mit dem Wetter anfangen, wenn es sich vermeiden lässt.

Ich habe die Sätze am Anfang etwas umgestellt. Ich fange nun nicht mehr sofort mit dem Wetter an.

Zudem habe ich einige Sätze rausgenommen und versucht, die Verbrecher etwas weniger "stümperhaft" rüberzubringen.

Woher nimmt der das ganze Wissen über die abendländische Kulturgeschichte, dass er das dauernd so ganz nebenbei in seine Gedanken einflicht?

Ich nahm an, dass Kleopatra und Michelangelos David eher Allgemeinwissen seien. Immerhin wollte ich ihn nicht als Vollidioten darstellen. Was den Ikonoklasmus betrifft, bin ich vermutlich doch etwas über das Ziel hinausgeschossen. Ich hab das jetzt rausgenommen.

Ich bin auch nicht sicher, ob Eiben in den nordamerikanischen Laubwäldern verbreitet sind, das sind ja Nadelbäume.

Google, mein Freund und Helfer, gibt dir recht. Eiben kommen nur nahe des Pazifik vor. Ich habe es durch Birke ersetzt. In Zukunft sollte ich sowas vorher googlen. :D Zudem sind sich die Bäume zumindest etwas ähnlicher.
Es ging mir hierbei weniger um die Ähnlichkeit der Worte, sondern vielmehr darum, dass es Henry schlichtweg egal ist.

Zu Henrys 'Rede': Ich habe mir hierbei gedacht, dass er eine Art Geständnis macht, sich das Ganze von der Seele reden will, um mit diesem Kapitel seines Lebens abschließen zu können. Quasi wie im Beichtstuhl. Zudem spricht er das alles aus, um sich selbst von der Richtigkeit seiner Taten zu überzeugen. Aber wenn das so fragwürdig rüberkommt, muss ich mir da nochmal was überlegen.

Die angemerkten Fehler und unglücklichen Formulierungen sind selbstverständlich verbessert und verändert worden.

Danke, dass Du es trotz dieser Fehler gelesen und vor allem kritisiert hast.
Deine Kritik fällt nicht auf taube Ohren. ;)

Vielen Dank
gibberish

 

Sorry, von mir gibt es ja nie eine detailierte Kritik, das machen ja andere sehr gut, da reicht es meiner Meinung nach völlig aus, wenn ich einfach meiner Begeisterung Ausdruck verleihe. Spannend geschrieben, sehr fesselnd, bitte mehr davon!

 
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Hallo apollox,

Danke für die Rückmeldung.
Freut mich wirklich sehr, dass es Dir gefallen hat. ;)

Vielen Dank
gibberish

 

Hallo gibberish224

Ein seltsames Konstrukt, das Du da vorlegtest. Damit meine ich nicht nur die Vermengung von Krimi und Horror, was thematisch durchaus ineinanderfliessen kann, als vielmehr auch die Figurenzeichnung und die Sprache. Dave und Henry erwecken mir trotz ihrer asozialen Haltung nicht recht den Eindruck von kaltblütigen Auftragsmördern. Wie dargestellt, könnten sie ebenso irgendwelche Jugendliche sein, die ihre Fantasien spielerisch mit Attrappen ausleben, da sie unreif erscheinen. Das Milieu, in dem sie anscheinend aufwuchsen, müsste sie im gesamten Verhaltensausdruck viel stärker geprägt haben, ihre Sprache und Denkweise verrohter aufscheinen. Die romantisch und Intellekt gesteuerte Fantasie, welche sich bei Dave zeigt, untergräbt gänzlich seine Glaubwürdigkeit. Wäre er als solide und kultiviert sozialisiert vorgestellt, stände dem nichts entgegen, dass er desungeachtet einem erheblichen Charakterfehler unterlag und eine solche Karriere wählte. Bei Henry fällt dies weniger krass ab, da er mehr einen beschränkten Eindruck macht. Allerdings ist in der Exekutionsphase auch bei ihm eine Schwäche auszumachen, sein Zögern bei der Hinrichtung von Nintinu lässt nicht auf Professionalität schliessen, was ihn in Wirklichkeit wohl längst sein eigenes Leben gekostet hätte.

Der Horrorteil liest sich mir dann ziemlich abgelöst vom bisherigen Geschehen, Reales und Irreales feiner vermischt, würde die Geschichte besser runden. So stellt es einen Bruch her, der nicht sein müsste. Es könnte hierfür auch von Vorteil sein, wenn Dave das Übernatürliche an Nintinu früher und ausführlicher erlebte, ohne gleich das Wesentliche vorwegzunehmen.

Die Menschen begannen ebenfalls Selbstmord.

Ein unmöglicher Satz, es lässt sich besser ausformulieren. Da nachträglich von Mord an Kindern, dem Selbstmord von Erwachsenen oder deren ausstechen der Augen die Rede ist, ist diese Aussage so zudem nicht ganz stimmig.

Auch wenn mir die Umsetzung der Geschichte nicht unbedingt überzeugend wirkt, ist sie dennoch spannungsgeladen und ich habe sie mit Interesse gelesen. Allerdings bin ich der Meinung, mit mehr zeitlicher Investition und Geduld bei der Ausarbeitung, könnte Du aus Deiner Intention viel mehr herausholen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

Vielen Dank für dein hilfreiches Feedback.

Dave und Henry erwecken mir trotz ihrer asozialen Haltung nicht recht den Eindruck von kaltblütigen Auftragsmördern. Wie dargestellt, könnten sie ebenso irgendwelche Jugendliche sein, die ihre Fantasien spielerisch mit Attrappen ausleben, da sie unreif erscheinen.

Vielen Dank für den Hinweis, das muss ich wohl noch detaillierter ausarbeiten. Ich werde mich dranmachen, den Text intensiv überarbeiten und hierbei auch auf Deine Kritik eingehen. Das gilt natürlich auch für den plötzlichen Bruch zwischen der "Gangsterstory" und dem Horrorteil.

Ein unmöglicher Satz, es lässt sich besser ausformulieren. Da nachträglich von Mord an Kindern, dem Selbstmord von Erwachsenen oder deren ausstechen der Augen die Rede ist, ist diese Aussage so zudem nicht ganz stimmig.

Ich habe versucht, dies nun besser zu formulieren.

Allerdings bin ich der Meinung, mit mehr zeitlicher Investition und Geduld bei der Ausarbeitung, könnte Du aus Deiner Intention viel mehr herausholen.

Ich werde mein Bestes geben. ;)

Vielen Dank
gibberish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo gibberish224,
Ich möchte mich der hier vorherrschenden, positiven Kritik anschließen.
Zwar zählen Geschichten aus der Horror- Fantasyecke nicht zu meinen bevorzugt gelesenen, dennoch sorgte deine Art zu schreiben dafür, dass ich großen Gefallen an Deiner fand.
Für einen doch recht kurzen Text, ist es Dir gut gelungen, zumindest vor meinem inneren Auge, den Hauptprotagonisten facettenreich entstehen zu lassen.
Dass er nicht lebend aus der Nummer herauskommen wird, mag zwar vorhersehbar sein, aber die Idee, ihn in das Grab stürzen und durch Suizid sterben zu lassen überraschte mich dann doch.
Habe mich allerdings etwas schwer getan dem Zeitsprung zu der Opferszene zu folgen.
Toll fand ich den Übergang von der auf den Müllsack prasselnden Erde zur ersten Begegnung der Beiden.
Habe lediglich winzige Kritikpunkte:

Dave raste über den Highway, im Rückspiegel die Lichter Chicagos. Es war mitten in der Woche und um diese Uhrzeit war die Autobahn frei
-würde statt Autobahn hier besser "Straße" schreiben," Autobahn" ist typisch deutsch und nicht in einer in den USA spielenden Geschichte verwenden

Dave zückte den Revolver und ballerte Henry den Unterkiefer weg
- Da hier nicht Dave spricht, sondern Du aus Sicht der 3. Person schreibst, empfinde ich das Wort "ballern" als unpassend.
Der holprigere Weg kündigte das baldige Erreichen seines Zieles an.
-holprige

Das ist die Abfahrt, nicht mehr lang.
- besser: nicht mehr weit

Nur das Tröpfeln von Urin auf Laub war zu hören
-diese Formulierung impliziert, dass tröpfelnder Urin spezifisch, sprich, anders klänge als z.B. tröpfelndes Wasser
vielleicht kannst Du hier besser schreiben: Nur ein leises Tröpfeln war zu hören. Brian ...
Aber das sind ja wie gesagt nur Kleinigkeiten.
Vielen Dank für diese Geschichte
Liebe Grüße, der Gumbold

 

Hallo Gumbold,

Vielen Dank für Deinen Kommentar und danke für die Hinweise zu den Formulierungen.
Ich habe sie verbessert. ;)

Habe mich allerdings etwas schwer getan dem Zeitsprung zu der Opferszene zu folgen.

Ich werde versuchen, das während der Überarbeitung im Hinterkopf zu behalten und den Zeitsprung nicht so plötzlich wirken zu lassen. Vielleicht werde ich hier und da Wahrnehmungsveränderungen oder ähnliches einstreuen. Dann wäre das vielleicht nicht mehr so ein krasser Bruch.

Vielen Dank für diese Geschichte

Ich habe zu danken. :D

Vielen Dank
gibberish

 

Hallo gibberish

Ich finde das im Groß und Ganzen eine solide, ordentlich geschriebene Horrorgeschichte. Ich habe das Gefühl, du hast da einiges an Arbeit investiert, hast dir Gedanken über Details gemacht, ein paar gute Ideen hineingebracht und dir überlegt, wie du einen vernünftigen Spannungsbogen erzeugen kannst. Ich habe auch gesehen, dass du die Geschichte einige Male überarbeitet und Feedback von anderen Kritikern eingearbeitet hast. Das merkt man der Geschichte auch an, sie liest sich flüssig.

Für meinen Geschmack ist sie ein wenig zu konventionell erzählt.

„Nintinugga, lasse ab von dem Weltlichen, der der Blasphemie und Ignoranz so zugetan. Wie oft habe ich dir das schon angetragen? Dein Mitleid für deren vergängliches Leben wird noch dein Ende sein.“

Ab hier ist ziemlich klar, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Hinzu kommen stereotype Figuren - die (bösen) Auftragskiller, das (unschuldig wirkende und überaus hübsche) Mädchen, welches in deren Fokus gerät. Da legst du die Karten einfach zu früh auf den Tisch. Ich finde, das kann man höchstens dann machen, wenn man mit diesen Konventionen spielen und vielleicht auch bewusst brechen will. Aber das tust du nicht, du erzählst die Geschichte strikt nach Schema F zu Ende - das ist keinesfalls schlecht, zumal du auch ordentlich schreibst, aber es fehlt dann halt auch das gewisse Etwas. Falls du die Geschichte nochmal überarbeiten willst, würde ich überlegen, den Teil mit der Mutter zu streichen - gut, man riecht die Fährte vermutlich immer noch, aber ihr Auftritt hat mir wirklich nicht gefallen, das wirkt zu grotesk, eher wie eine Karikatur.

Dann hast du ein weiteres Problem - du musst die Geschichte dieser Kreatur erzählen, aber du hast keine Perspektive, aus der du das tun kannst. Deine Perspektivträger sind Dave und Henry. Das ist ein typisches Problem, das viele Autoren haben - du löst es mal besser, mal schlechter. Besser ist es dann, wenn du Dave oder Henry bestimmte Gedanken gibst, die wie von außen zu kommen scheinen:

Sein Finger wickelte sich um den Abzug. Das Metall war eiskalt. Er sah ihr in die Augen.
Fenster in uralte Gefilde.
Was habe ich da gerade gedacht?
Drück ab.
Tu es endlich.
Diese Frau … ist so anders, wie aus einem anderen Zeitalter.
Die Antike.
Sumer.
… Was?
Hab ich ihr Leben in der Hand, oder sie meines?

Die Idee finde ich gut, die Umsetzung - "Fenster in uralte Gefilde" - naja. Aber das ist eine Variante, um Informationen über die Frau unterzubringen.

Dann wählst du auch diesen Einschub, wo du aus den vorangegangenen Perspektiven ausbrechen musst, wo du die "Geburt" oder "Entstehung" dieses Schlangenwesens beschreibst. So etwas wirkt halt etwas fehl am Platz, weil es nicht zu den restlichen Abschnitten passt. Die Geschichte hat durchaus ihren Reiz, die Morde und Selbstmorde - aber naja, wer erzählt das denn? Wie passt das in den Kontext? Man muss das wirklich abwägen, ob man diesen Teil dann erzählen möchte oder nicht, und wenn ja, wie man das macht. Du löst es relativ simpel, aber so wirkt es dann nicht flüssig, integriert sich nicht gut in die restliche Geschichte.

Ähnlich auch, wenn du deine Figuren zum Leser sprechen lässt - Perdita hat das auch erwähnt, dieses Muster Bösewicht-erklärt-Opfer-seine-Motive. Das solltest du unbedingt streichen, so etwas kann man heute eigentlich nicht mehr bringen, das geht genausowenig wie beispielsweise eine Geschichte enden zu lassen mit "... dann stellte er fest, dass alles nur ein Traum war." Oder so.

Wie gesagt, gut finde ich den Spannungsbogen. Dass Dave plötzlich seine Meinung ändert, wirkt ein wenig konstruiert, aber ich sehe schon, du benötigst einen Grund, dass er wieder zum Friedhof fährt, und auch die Wechsel zwischen seiner und Henrys Perspektive haben mir dann gut gefallen. Das ist wirklich gut. Auch dass am Ende sämtliche Toten wieder erwachen finde ich einen schönen Abschluss für eine Horror-Geschichte.

Also wie gesagt, alles in allem muss sich die Geschichte wirklich nicht verstecken, aber es sind so ein paar grundlegende Dinge, die ich nicht optimal gelöst finde: Perspektiven; die Frage, wie Informationen zum Leser kommen. Das ist jetzt nichts, was sich schnell ändern lässt, aber das sind Fragen, vor denen man immer wieder steht, wenn man Geschichten schreibt.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups,

Herzlichen Dank für dein wirklich hilfreiches Feedback.

Da legst du die Karten einfach zu früh auf den Tisch. Ich finde, das kann man höchstens dann machen, wenn man mit diesen Konventionen spielen und vielleicht auch bewusst brechen will. Aber das tust du nicht, du erzählst die Geschichte strikt nach Schema F zu Ende - das ist keinesfalls schlecht, zumal du auch ordentlich schreibst, aber es fehlt dann halt auch das gewisse Etwas. Falls du die Geschichte nochmal überarbeiten willst, würde ich überlegen, den Teil mit der Mutter zu streichen

Das werde ich auf jeden Fall bei der Überarbeitung berücksichtigen.
Mit der Szene der Mutter war ich auch nie so wirklich zufrieden. Die hatte ich schon x-mal umgeschrieben. Sie war mal länger, mal sehr kurz, aber so richtig rausstreichen wollte ich sie auch nicht. Wenn das natürlich negativ aufgenommen wird, muss ich da was ändern. Ich werde mir da was überlegen. Das gilt natürlich auch für das Schema F. ;)

Ähnlich auch, wenn du deine Figuren zum Leser sprechen lässt - @Perdita hat das auch erwähnt, dieses Muster Bösewicht-erklärt-Opfer-seine-Motive. Das solltest du unbedingt streichen, so etwas kann man heute eigentlich nicht mehr bringen

Ich wollte Henry noch eine weiter Facette als Charakter geben. Im Nachhinein hat das natürlich nicht ganz so funktioniert, wie hier schon oft angemerkt, aber es war mir wichtig, dass er nicht "nur" der Typ mit der Knarre ist. Vielleicht hätte ich das in Gedanken oder in der Erzählperspektive schildern sollen, nicht mit Dialog.

Perspektiven; die Frage, wie Informationen zum Leser kommen. Das ist jetzt nichts, was sich schnell ändern lässt, aber das sind Fragen, vor denen man immer wieder steht, wenn man Geschichten schreibt.

Ja, das stimmt. Daran hapert es noch bei mir. Aber ich bin zuversichtlich, dass ich da beizeiten ne Lösung finden kann. :D

Freut mich wirklich, dass Dir dennoch einige Abschnitte gefallen haben und ich danke Dir für diese tolle Kritik.

Vielen Dank
gibberish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo gibberish, hier sind ein paar Gedanken zu Deiner Geschichte:

1) Thema, Plotkonstruktion

Die Geschichte ist ja thematisch ein Mix aus Horror-/ Splatter- und Gangsterelementen. Ein bisschen Ethno-Okkultismus und Romantik ist auch dabei. Ich finde, das kann gut klappen, die Wahl dieses Genremixes finde ich originell. Das gefällt mir gut. Nun ist es so, dass jedes Genre seine spezifischen Codizes aufweist. So ist offensichtlich, dass Liebe zum Genre der Romantik ebenso dazu gehört, wie Geld zum Genre des Krimis und Angst zum Genre des Kriegsdramas.

Folgt man diesem Gedanken, dann gehören in eine ordentliche Splatter-Geschichte eine Menge Blut, zerbrochene Knochen, Zombies, Vampire, abgezogene Häute. Und in eine Gangstergeschichte gehören raue Kerle, Knarren, Intrigen, schöne Frauen und Geld. Ich finde, dass Du das in den Grundansätzen schon realisiert hast, aber es fehlt noch ein bisschen was.

Was ist der Sinn einer Genreanalyse? Wenn Deine Geschichte Splatter- und Gore-Elemente enthält, sich aber sonst an Freunde des Gangsterdramas wendet hast Du zwei Probleme, die Du als Autor lösen musst. Erstens sind nicht unbedingt alle Splatter-Fans auch Freunde von Gangstergeschichten und umgekehrt. Zweitens wirft ein Mix immer die Frage des Zuviel und Zuwenig auf: Für eine reine Splatter-Geschichte kann es kaum genug Blut und zerbrochene Knochen geben. Für eine Gangstergeschichte schon. Du musst also gewichten und riskierst, dass für die Horrorfans zu wenig Horror und für die Gangsterfans zu wenig Gangsteraction dabei heraus kommt.

Und so ist es in der Tat auch bei Deiner Geschichte. Die Horrorelemente sind so knapp gesät und kommen so spät, dass ich bei dem rausgeschossenen Auge zweimal gelesen habe, ob das jetzt da wirklich steht, denn es passte nicht so ganz zum bisherigen Stil. Und auch als dann die Zombie-Szene kam, fühlte sich das merkwürdig an, so als zappe man zwischen zwei verschiedenen Filmen hin und her.

Und außerdem spielt in Deine Geschichte auch noch eine Romanze hinein. Dave verliebt sich in Nintinu. Der harte Gangster entwickelt zärtliche Gefühle für ein Mädchen und die Art, wie das geschieht (dazu noch später), passt einfach nicht zu den anderen Teilen der Geschichte. Kurz: Die Umsetzung des Mixes funktioniert nicht 100%ig für mich.

Was die Konstruktion des Plots betrifft, finde ich, dass das schon ziemlich gut gemacht ist. Die Einführung zeigt, wie die beiden Gangster ticken. Dann verliebt sich einer der beiden Typen in ein ungewöhnliches Mädchen. Es kommt zum Konflikt und er muss sie töten (lassen). Weil sie aber mit den dunklen Kräften in Verbindung steht, geht das gründlich schief.

Apropos Salma Hayek. Sie spielt ja auch in dem Tarantino-Film From Dusk Till Dawn mit, der einen Versuch darstellt, Gangsterstory und Splatterfilm zum mixen. Ich fand das Resultat nicht so gelungen, aber darüber kann man sicher streiten.


2) Glaubwürdigkeit

Das große Problem des Textes ist die Glaubwürdigkeit der Figuren und ihrer Handlungen. Ich möchte daran erinnern, was Perdita, Anakreon und Schwups dazu gesagt haben, und ich empfehle Dir, den Text unter diesem Aspekt noch einmal kritisch zu durchleuchten. Ich weiß, dass Du da schon nachgebessert hast, aber es sind noch ein paar Merkwürdigkeiten geblieben:

Sehr eigenartig ist, wie kultiviert und empfindsam Dave rüberkommt (Michelangelo, Kleopatra, antikes Gemälde in einem Museum, die Reflexionen über Nintinus Kindheit etc.) Natürlich muss ein Gangster nicht zwangläufig ungebildet und gefühlskalt sein. Doch wenn er gebildet, kultiviert und mitfühlend ist, so steht der Autor in der Pflicht, das irgendwie herzuleiten. Warum? Wenn ein brutaler, schäbiger, dummer Drecksack Gangster wird, stellt sich für keinen Leser die Frage, weshalb das so ist. Wenn aber ein gebildeter, kultivierter, reflektierter Mensch, mit entwickeltem Empfindungssinn seinen Lebensunterhalt mit dem Töten von Menschen verdient, wirft das die Frage auf, was da passiert ist. Dein Text beantwortet diese Frage aber nicht. Deshalb wirkt er unvollendet.

Dann fällt auf, dass die Art, wie Dave über die Notwendigkeit der Liquidierung von Nintinu redet und reflektiert, nicht authentisch wirkt:

- „Sie weiß, was ich beruflich mache.“
- „Sie weiß, dass ich ein Auftragskiller bin ... "
- Ein so einzigartiges menschliches Wesen muss meinetwegen sterben ...

Das klingt alles einerseits sehr förmlich und andererseits zu empfindsam. Erneut wirft das die Frage auf, wie ein so sentimentaler Mensch in diesem Job (Beruf kann man es ja wohl kaum nennen) gelandet ist.

Dann die Szene, in der Henry über seinen bevorstehenden Ausstieg monologisiert. Das geht so nicht. Aus welchem Grund sollte er das Nintinu erzählen? Es ist klar, dass hier der Leser informiert werden soll, aber die Umsetzung wirkt nicht sehr elegant.

Zum Schluss noch etwas Waffensachkunde. Beim Lesen fiel mir die Stelle auf, die Henry beim Hantieren mit seiner Pistole zeigt:

Die Knarre drückte in seinem Hosenbund und fühlte sich kalt an. Er zückte sie und entfernte das Magazin ... Er zählte die Kugeln im Magazin, steckte es zurück in die Pistole und entsicherte.

Was macht er da, habe ich mich gefragt. Aus der Sicht eines Waffenträgers machen diese Beschreibungen nicht viel Sinn. Offenbar will er einen Schuss abfeuern, und das macht er ja auch später. Die Patrone für diesen Schuss befindet sich aber bereits im Patronenlager (in der Kammer) des Laufes. Ob das Magazin nun herausgezogen wird oder nicht, ändert daran nichts.

Der Ablauf des Ladevorgangs bei einer Pistole ist so: Ist die Pistole komplett leer, wird ein geladenes Magazin eingeführt. Dann zieht man den Verschluss (Schlitten) nach hinten und lässt ihn wieder nach vorn schnellen. Erst jetzt ist die Pistole geladen und gespannt. Ohne diesen Pull schießt die Pistole nicht, egal wie viele Patronen im Magazin sind.

Jemand, der mit der Waffe die er trägt, im Notfall schießen will, führt diese Waffe stets fertiggeladen. Der Griff zum Holster, das Ziehen der Pistole und der treffende Schuss (Nahdistanz) sollten nicht mehr als zwei Sekunden dauern. Dabei bleibt einfach keine Zeit, den Verschluss nach hinten zu ziehen. Aus diesem Grunde wird die Waffe fertiggeladen (und meist gesichert) getragen. Außerdem führen Profis ihre Waffen stets mit dem Magazin, das die meisten Patronen enthält. Ich verstehe nicht, weshalb Henry vor dem Schießen erst mal schauen muss, wie viele Patronen im Magazin sind.

Okay, so viel erst mal von mir.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Achillus,

Vielen Dank für Deine ausführliche Kritik.

Das mit dem Genremix hatte ich wohl unterschätzt, als ich diese Geschichte geschrieben hatte. Im Nachhinein, und nach wirklich tollen Kommentaren hierzu, ist mir der Bruch in der Geschichte klar geworden. Ich hatte versucht, eine neue Version zu schreiben, auch unter Berücksichtigung der Charakterzeichnung, aber wirklich zufrieden bin ich damit nicht geworden. Ich habe es schließlich verworfen und mich auf meine nächste Geschichte konzentriert. Es war dennoch eine ungemein hilfreiche Erfahrung, das gilt auch für Deinen Kommentar.

Die Horrorelemente sind so knapp gesät und kommen so spät, dass ich bei dem rausgeschossenen Auge zweimal gelesen habe, ob das jetzt da wirklich steht, denn es passte nicht so ganz zum bisherigen Stil. Und auch als dann die Zombie-Szene kam, fühlte sich das merkwürdig an, so als zappe man zwischen zwei verschiedenen Filmen hin und her.

Ja, in meinem Kopf hat das irgendwie besser zusammen gepasst. Jetzt denke ich mir auch, dass das schon ein ziemlich krasser Unterschied ist. :D

Wenn aber ein gebildeter, kultivierter, reflektierter Mensch, mit entwickeltem Empfindungssinn seinen Lebensunterhalt mit dem Töten von Menschen verdient, wirft das die Frage auf, was da passiert ist. Dein Text beantwortet diese Frage aber nicht. Deshalb wirkt er unvollendet.

Das ist eine tolle Anregung, die ich beim Schreiben berücksichtigen werde.

Das mit der Waffe ist mir gar nicht bewusst gewesen und fällt jemanden, der sich damit besser auskennt, oder es auch nur intensiver durchdenkt, natürlich auf. Ich werde sehen, dass ich das umformuliere.

Apropos Salma Hayek. Sie spielt ja auch in dem Tarantino-Film From Dusk Till Dawn mit, der einen Versuch darstellt, Gangsterstory und Splatterfilm zum mixen. Ich fand das Resultat nicht so gelungen, aber darüber kann man sicher streiten.

Ich als bekennender Tarantino-Fan fand den Film natürlich sehr unterhaltsam. ;) Aber als ich ihn mit Freunden gesehen hatte, die die Handlung nicht kannten, kam auch dieser "Was ist da gerade passiert?!?"- Moment, verbunden mit dem Gefühl, plötzlich einen ganz anderen Film zu sehen. Vielleicht kann man ja Gangsterstory und Splatter nicht wirklich homogen verbinden und beiden Genres dabei gerecht werden. Vielleicht bleibt irgendwo immer ein krasser Bruch bestehen. Wahrscheinlich irre mich aber auch nur. :)
Jedenfalls schön, dass eine meiner Inspirationsquellen hierzu erkannt worden ist. :D

Obgleich ich innerlich - nach eher erfolglosem Versuch, sie neu zu schreiben - bereits mit dieser Geschichte abgeschlossen habe, weiß ich Deinen Kommentar dennoch wertzuschätzen und werde ihn im Hinterkopf behalten. Und wer weiß, vielleicht versuche ich mich doch noch einmal an diesem Genre-Mix. ;)

Vielen Dank für Deine Zeit und Mühe
gibberish

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo maria.meerhaba,

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, diese ältere Geschichte zu kommentieren. Verdammt, kommt mir vor, als hätte ich sie vor einer Ewigkeit geschrieben, und doch ist es erst ein halbes Jahr her. Verrückt.

Obgleich du Paris Hilton erwähnst und versuchst, den Schwarzweißfilm vor meinen Augen zu verbannen, er bleibt trotz der Details bestehen. Von zu Hause aus arbeiten tut man ja normalerweise vor dem Computer, aber auch das dringt nicht zu mir durch. Es bleibt ein Schwarzweißfilm.

Ich habe hier eher in Richtung From Dusk till Dawn gedacht und mich stark von dem Streifen inspirieren lassen. Aber 60er-Jahre Film ist auch nicht schlecht. :D Zumal ich zweifelsfrei Elemente drin habe, wie zum Beispiel den 68er-Mustang. Finde ich definitiv schön und interessant, dass der Text solche Assoziationen weckt. Obwohl man das Schwarzweiß auch auf die Charakterzeichnung beziehen könnte. ;)

Boah, ich bin beeindruckt. Es passt wundervoll in die Rubriken Horror und Spannung.

Wow, das freut mich, wirklich.

Das ist jetzt nichts Negatives, aber allein von dem Stil her schafft die Geschichte meiner Meinung nach nicht über die 60er hinaus.

Ich sehe das auch nicht negativ. Es sind halt wirklich klassische Horrorelemente drin, ich wollte auch keine innovative Horrorstory schreiben, zumal das sowieso fast unmöglich ist. Ich finde, diese klassischen Elemente machen die Geschichte sympathischer und passen einfach gut ins Gesamtbild.

Die Geschichte reist einen mit, Spannung pur.

Das ist doch die Hauptsache. Es freut mich immer unglaublich, wenn meine Storys zu unterhalten wissen.

Obwohl Nintuguoderso schon das klassische Mittelding von Gut und Böse ist. Sie war nichts Besonderes. Cool und kalt, aber nichts Besonderes, keine, die ich für meine Geschichte kopieren würde.
Nur waren halt die Prots in meinen Augen nichts Besonders.

Ja, das war wohl der Hauptkritikpunkt hier: schlechte bis unspektakuläre Charakterzeichnung. Bei der Frau habe ich versucht, sie in der einen Hinsicht mysteriös und distanziert zu schildern, auf der anderen Seite sollte sie die Sympathie der Leser wecken. Am Ende war es halt zu sehr Mittelding und es hat den Leser nicht so mitgerissen, wie ich gedacht bzw. erhofft hatte. Von den beiden Herren mal ganz zu schweigen, obwohl ich Henry immer noch mag. Der ist halt ein Arschloch und macht keinen Hehl daraus, dass er das alles tut, weil er es eben gut kann, und er ist ziemlich egozentrisch. Dass er das alles in einem Dialog erzählt, in einem Zeitpunkt, in dem alles schnell gehen sollte, ist eine andere Sache. Aber nun ja, ich habe hoffentlich daraus gelernt. ;)

Die Geschichte gefällt mir und es hat mir meinen Morgen versüßt.

Und dein Kommentar mir den meinen. Danke, dass ich nochmal Gelegenheit hatte, über diese Geschichte zu schreiben.

Dankeschön

Ich habe zu danken.

Liebe Grüße,
gibberish

 

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