Die Tierschützerin
Frau Meyer, mit e- ypsilon, war eine engagierte Tierschützerin. Sie schützte rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, zwölf Monate im Jahr.
Sie sah auch rein äußerlich betrachtet schon sehr nach einen engagierten Tierschützerin aus.
Strähnige Haare, hoch oben auf dem Kopf zu einem Dutt zusammengerollt, der sich stets kurz vor seiner Auflösung befand, kein Make – up. Aus Tierschutzgründen, wegen der Tierversuche, wissen Sie. Auch keine Seife, kein Duschgel – sind ja überall Tierseelen dran kaputt gegangen. Daher roch Frau Meyer immer etwas streng, aber ihre Tiere mochten das, und mit Menschen hatte sie es nicht so.
Sie trug immer einen alten, ausgebeulten Jogginganzug und Gummistiefel, das war praktisch und zweckmäßig.
Fand jedenfalls Frau Meyer, und sie musste es ja wissen.
Frau Meyer ernährte sich selbstverständlich rein vegan, für sie sollte kein Tier auf der Welt leiden müssen. Und erst recht nicht sterben!
Sie verzichtete morgens beim Frühstück auf Hennen - Menstruationsprodukte, auf ihr Vollkornbrötchen kam nicht ein Tröpfchen Bienenerbrochenes.
Sie war da äußerst konsequent und genau.
So saß also Frau Meyer in ihrem zerbeulten Jogginganzug am Frühstückstisch, knabberte an einem Vollkornbrötchen mit Sojacreme und blickte gedankenverloren aus ihrem Küchenfenster. Da bemerkte sie, wie eine dicke Schmeißfliege immer wieder gegen ihre Fensterscheibe flog und sich dabei furchtbar das Fliegenköpfchen anstieß! Behände sprang Frau Meyer von ihrem Stuhl auf und eilte zum Unfallort. Die dicke Schmeißfliege war inzwischen durch die dauernden Erschütterungen des kleinen Fliegengehirns ermattet und lag schwer atmend auf der Fensterbank. Frau Meyer beugte sich besorgt über die Patientin und begann, mit einer ganz leichten Mund – zu - Rüssel – Beatmung. Das bewerkstelligte sie mit Hilfe eines rosaroten Plastiktrinkhalmes, den sie in weiser Voraussicht immer bei sich trug.
Dieser Trinkhalm hatte ihr auch schon bei zwei Mücken und einer Küchenschabe wertvolle Dienste erwiesen.
Kaum war der Zustand der Fliege wieder stabil, erhob sich diese und flog durch das inzwischen von Frau Meyer geöffnete Fenster hinaus in den Garten.
In dem guten Gefühl, etwas Produktives in Sachen Tierschutz geleistet zu haben, setzte sich Frau Meyer wieder an ihren Küchentisch und das unterbrochene Frühstück fort.
Während sie sich an dem Brötchen beinahe die letzten noch in ihrem Mund befindlichen Zähne ausbiss, überlegte Frau Meyer, was sie noch alles auf ihrer Tagesliste hatte.
Zuerst wollten sie zum Gemüsemann und die Nacktschnecken aus den Salatköpfen heraussuchen, um ihnen die Freiheit zu schenken.
Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass auch nur eine einzige der Schnecken in einer Salatschüssel landen und aus Versehen von unwissenden Menschen mit aufgegessen würde.
Danach wollte sie zum Fischhändler und die lebenden Karpfen frei kaufen, die in dem viel zu kleinen Wasserbehälter im Schaufenster qualvoll im Wasser standen. Zum Schwimmen war da kein Platz. Diesen Karpfen wollte sie dann vorübergehend Asyl in ihrer Badewanne gewähren, bis sie einen festen Pflegeplatz für sie gefunden hätte.
Sie rief ihre sieben Hunde zusammen, die sich noch wohlig in ihrem Bett geräkelt hatten, und machte sich mit ihnen auf den Weg ins Dorf.
Unterwegs achtete sie penibel darauf, kein Lebewesen zu zertreten, das ihren Weg kreuzte, und wies ihre Hunde an, ein gleiches zu tun.
Der Weg führte an einem Bauernhof vorbei, den sie argwöhnisch eine ganze Zeit beobachtete, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Mit dem Bauern verband sie eine langjährige Lieblingsfeindschaft. Wie oft hatte sie ihn schon daran gehindert, ein Tier zu töten, indem sie es kurzerhand bei Nacht und Nebel entführt hatte.
Neulich erst den Eber, der geschlachtet werden sollte. Das war ein sehr schwieriges Unternehmen gewesen, denn der Eber hatte so gar kein Verständnis für seine Errettung und hätte Frau Meyer beinahe umgebracht. Tja, beinahe, denn durch den Lärm wach geworden kam der Bauer dazu und rettete nun seinerseits Frau Meyer, die sich aber partout so überhaupt nicht retten lassen wollte und ein großes Geschrei anstimmte. So schrie sie dann mit dem Eber zwei Stunden im Duett, bis sie völlig heiser war und nur noch ein zaghaftes Krächzen aus ihrer Kehle drang.
Durch das Geschrei wurden die anderen Tiere auf dem Hof aus ihrer Nachtruhe gerissen und fielen in den Chor mit ein. Der Hahn rieb sich schlaftrunken die Augen, meinte dann aber, es müsse ja wohl schon der nächste Morgen sein und begleitete das nächtliche Konzert mit mehreren herzhaften „Kikerikiiiiis“
Der Bauer war so wütend, das sein Gesicht bereits ins bläuliche verfärbt war, seine Augen waren blutunterlaufen und er hatte Schaum vor dem Mund. Frau Meyer fühlte sich doch etwas unbehaglich, als sie sah, wie wütend der Bauer war. Sie versuchte einzulenken, indem sie ihm erklärte, sie sei eine passionierte Schlafwandlerin und habe eigentlich die Toilette gesucht. Und sich dann zu ihrem eigenen Schrecken hier im Schweinestall wieder gefunden.
Und bevor der Bauer etwas dazu sagen konnte, lief sie schnell nach Hause.
Heute lag der Frieden über dem Bauernhof. Er war regelrecht greifbar und spielte etwas ins hellgelb. Heiter, dieses Wort formte sich in Frau Meyers Kopf. Heute herrscht hier Heiterkeit.
Sie pfiff nach ihren sieben Hunden und setzte den Weg fort.
Leider hatte Frau Meyer ihre Brille nicht aufgesetzt, daher hatte sie die Farbe nicht richtig gedeutet.
Es war nämlich nicht Heiterkeit, sondern Hass.
Und so bemerkte sie auch die Falle viel zu spät, nämlich erst, als sie schon hineinfiel.