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Die thalyanische Pest
Alex Palmer stand lässig vor der Schallschutztür des Konferenzraumes und grinste dreckig. Eine geheimdienstliche Karriere im Exosolaren Dienst … faszinierend klang das vor fünfzehn Jahren für den jungen Naivling. Aufregender und spannender als der beste Roman. Und auf seine ganz eigene Art war es das auch. Nur eben nicht so, wie erwartet. Nicht wie in einem verträumten und phantasievollen Abenteuerfilm. Nein, eher verächtlich und brutal. Ministerien und Geheimdienste, sie zogen die Fäden hinter den Kulissen und schoben die Spielfiguren. Und nicht selten bewegte man sich dabei außerhalb der Legalität.
Palmer drückte einen Streifen Antigeruchspaste aus der Tube und rieb sie sich großzügig unter die Nase. Er wollte nicht mit Gegenmaßnahmen geizen. Allein die Callani stanken bis zum Brechreiz, als würde man einer gut erwärmten Leiche Thorax und Abdomen eröffnen. So gesehen hatten die vielen Arbeitsstunden in der Schlachterei seines Vater seinen beruflichen Aufstieg rasch vorangetrieben.
Er ließ die Tube in eine Tasche seines hauchfeinen Maßanzuges gleiten, richtete die dezent melierte Krawatte und wischte mit der flachen Hand über den Sensor. Die Tür glitt geräuschlos in die Wand und gab den Blick frei auf ein makabere Ansammlung von Personen. Wissenschaftliche Delegationen von fünf Heimatwelten hatten sich hier versammelt, um den Wissensaustausch über die thalyanische Pest zu erörtern. Ein Bakterium mit einem relativ langen Lebenszyklus, was die Behandlung der Patienten im menschlichen Besiedlungsraum extrem erleichterte, doch es forderte Opfer. Das Gesundheitsministerium hatte dieses Treffen initiiert, da die immer wiederkehrenden Medienberichte über Todesfälle die Bevölkerung, aufgrund der außerirdischen Herkunft der Bakterie, in einem inakzeptablem Ausmaß beunruhigte.
Palmer fuhr sich mit der Hand über das kantige Gesicht. Seine dunklen Augen wanderten von einer Delegation zur nächsten. Das tuschelnde Stimmengewirr erschien ihm wie eine schweinische Mischung aus Fiepen, Glucksen und Fauchen. Er kannte Linguistik und Syntax der Sprachen, trotzdem wirkten sie bizarr auf ihn. Gerne erheiterte er seine Kollegen mit überspitzten Nachahmungen.
Er positionierte noch einmal den Empfänger des Übersetzers in seinem Ohr und setzte sich gleichmütig auf den voluminös gepolsterten Sitz des Diskussionsleiters. Die Gespräche verebbten und fünfzehn Gesichter wandten sich ihm mit aufmerksamen Blicken zu.
Die Gavan ... hochgeschossene, dürre Gestalten, mit einer Haut, die an Quallen erinnerte.
Die Nga-Voy ... knochig, sechs Extremitäten und pechschwarze Haut. Ihr morsecodeartiges Klickern erinnerte ihn schwer an springende Nüsse in einem Küchenzerkleinerer. Sie kommunizierten ebenfalls durch rhythmisches Klopfen.
Außerdem die Thalianer, die Dorianer und eine Delegation der Menschen.
Seinen einst verträumten Wunsch, einige dieser fremdartigen Welten besuchen zu wollen, hatte er schon lange aufgegeben. Ganze Planeten voll mit diesen absonderlichen Lebewesen? Ein Kribbeln rieselte ihm vom Nacken die Wirbelsäule herab. Seine unbefangene Faszination für das Fremdartige war einem illusionslosen Realismus gewichen. Das waren keine Gleichgesinnten sondern zu beherrschende Faktoren. Er betätigte den schwach leuchtenden Sprechknopf des Universalübersetzers vor sich auf dem mit Kunstharz beschichteten Konferenztisch. Seine Farbe wechselte von rot auf grün.
„Meine Damen und Herren.“ Palmers Lächeln war echt. So echt, wie es nur sein konnte, wenn er diese Gestalten betrachtete. Die Geheimdienste wollten die politische Kontrolle über ihre Welten. Es gab bedeutende Bodenschätze in ihren Hoheitsgebieten, allem voran diverse Mineralien, die für überlichtschnellen Raumflug und innovative Waffensysteme unersetzlich waren. In den Ministerien dagegen schielte man auf die Außenhandelsbilanz und auf technologische Neuerungen.
„Ich heiße Sie herzlich willkommen auf der Erde.“ Einige der Konferenzteilnehmer nickten. Andere bewegten ihren Kopf vor und zurück oder schüttelten ihn. Die Thalyaner legten den Unterarm auf ihre Stirn.
„Diese dorianischen Warzenschweine“, hörte Palmer einen der Gavaner gluckern. Die Sprechtaste vor ihm war nicht aktiviert. Palmer jedoch bekam schon eine Übersetzung. Ein kleiner Vorteil, den der Geheimdienst ihm verschafft hatte. Sie zeichneten die Besprechung ohnehin auf, um sie auszuwerten. Beunruhigt musterte er die Dorianer auf der Gegenseite des ausladenden Tisches. Ihr diplomatisches Geschick war, gelinde gesagt, bestenfalls als rüpelhaft zu bezeichnen. Er nahm keine Reaktion bei ihnen wahr, was ihn zunächst erleichterte. Er hatte schon Gewalttätigkeiten zwischen Exos miterlebt. Den Anblick würde er als surrealistische Kunst bezeichnen.
„Die Auswirkungen der thalyanischen Pest auf unseren Planeten sind allen Teilnehmern hinreichend bekannt. Ich schlage vor, das wir uns zunächst über den Austausch von Basisforschungswissen verständigen und erteile den Vertretern von Thalya das Wort, da ihre Bevölkerung am schwerwiegendsten von den Folgen betroffen ist.“ Mit einer auffordernden Handbewegung deutete Palmer auf die Angesprochenen.
Der thalyanische Wortführer betätigte seine Sprechtaste und erhob sich. Mit geöffnetem Mund warf er den Kopf in den Nacken und streckte in einer anmutigen Bewegung die gespreizten Hände vor.
„Sehr geehrte Anwesenden.“ Er senkte den Kopf nun auf die Brust und legte seine Hände über Kreuz auf seine Schultern.
Palmer blendete desinteressiert aus. Die Konversation der Thalyaner war von soviel Gestik begleitet, das sich die Eröffnungsrede in die Länge ziehen würde. Es war auch nicht in seinem Interesse, sich eine Unmenge an Geschwafel anzuhören. Seine Anweisungen waren klar formuliert. Als erstes einen Austausch des Basiswissens zu erreichen, was auch für das Forschungsministerium und vor allem für seine militärischen Abteilungen von höchstem Interesse war. Er würde vorsichtig manipulieren, Versprechungen machen und auch ein wenig einschüchtern, wenn es sein musste. Auch unterschwellige Provokation und das gegenseitige Ausspielen der Teilnehmer gehörte zu seinem Repertoire. Der Geheimdienst benötigte neue Kontaktpersonen, um Nicht-Regierungs-Organisationen insgeheim zu unterstützen. Blökendes Vieh, das man dorthin trieb, wo man es haben wollte. Er brauchte psychologische Profile und Angriffsflächen.
Der Thalyaner hatte sich inzwischen vornübergebeugt. Palmer spitze den Mund, was sein sanftes Lächeln überdeckte. Heute Abend dinierte er mit der bombastischen Brünetten aus der Nachrichtenabteilung. Anschließend würden sie ein paar lange Bahnen ziehen, sich lüstern umschlingen und in Wollust zerschmelzen.
Er hörte das ungeduldige Klopfen von Fingern und blickte neugierig in Richtung der dumpfen Töne, als einer der Nga-Voy knallend mit seiner Hand auf den runden Konferenztisch schlug. Er sprang auf und gab ein schrilles Geknatter in Richtung der Dorianer von sich.
„Was erlauben Sie sich, Sie grunzender Erdwühler. Ihre primitive Rasse ...“, formulierte der Übersetzer. Palmer ignorierte den Rest des schnellen Textes. Er erhob sich rasch und hob beschwichtigend die Hände.
„Meine Herrschaften, bitte. Es kann sich hier nur um ein Missverständnis handeln.“
Die massigen Dorianer erhoben sich ebenfalls und nahmen eine bedrohliche, nach vorn gerichtete Haltung ein.
„Drrr tarr cha´ bagorr“, hallte es durchdringend und martialisch durch den schallgedämmten Raum.
„Was willst du von mir, Krabbe?“
Beide Kontrahenten brüllten sich nun wie besessen an. Durch das schlagbohrerhafte Rattern des Nga-Voy vernahm Palmer ein bärbeißiges „Cho ru ha vah´ sug doh.“ Die Übersetzung war überlagert und kaum verständlich.
„Bitte beruhigen Sie sich“, rief er. „Lassen Sie uns das Problem sachlich und freundlich klären.“
Die Nga-Voy erhoben sich nun alle und staksten erzürnt dem Ausgang entgegen. Mit wütenden Gesichtszügen schwang der dorianische Wortführer seinen korpulenten Körper herum und stampfte ihnen ein Stück weit hinterdrein.
„Ba kadarr pah.“
„Unverschämte Kriecher.“
Palmer blickte den Nga-Voy stirnrunzelnd nach. Mit einem leisen Seufzer musterte er die Dorianer, dann wandte er sich den verbliebenen Teilnehmern zu.
„Meine Damen und Herren, ich entschuldige mich für diesen Zwischenfall. Es kann sich hier nur um ein Missverständnis handeln, das wir schnellstmöglich klären werden. Ich bedanke mich für ihre Anwesenheit und ihre bereitwillige Kooperation. Wir werden die Verhandlungen in wenigen Tagen fortsetzen.“
Zögerlich erhoben sich die Teilnehmer und wandten sich den Ausgängen zu. Der dorianische Wortführer vollführte eine respektvolle Geste in Palmers Richtung und folgte ihnen schwerfällig mit seinen Beratern. Palmer schaute ihnen nachdenklich hinterher. Hatten die Nga-Voy das gelangweilte Klopfen der Dorianer als Botschaft interpretiert? Es war nicht anzunehmen, dass die Dorianer das vorsätzlich taten, warum auch? Man kam hier im gemeinsamen Interesse zusammen. Also ein dummer Zufall? Oder doch die ganz gezielte und persönliche Aktion einer Einzelperson? Der Geheimdienst würde das klären. Darüber musste er sich nicht den Kopf zerbrechen, er würde einen detaillierten Bericht bekommen. Es würde den üblichen Berg an Botschaftsdepeschen geben und man würde die Besprechung fortführen. Das unerwartete Ende der Verhandlungen war kein Beinbruch, ganz im Gegenteil. Hier ergaben sich sich die erhofften Möglichkeiten, um Informanten anzuwerben. Haben sie erst einmal kooperiert, würde man sie wie Marionetten tanzen lassen. Die thalyanische Pest war für ihn und die Dienste nicht von Bedeutung. Die Forschungsergebnisse für biologische Kampfmittel standen im Vordergrund des Interesses.