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Die Telephonzelle

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01.04.2002
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Die Telephonzelle

Ich stehe in einer Telephonzelle fern ab von meiner Heimat. So weit wie mein Auge reicht nur Leere und ein paar zerstörte Überreste meines Lebens. Dieser Blechkasten, in dem ich nun schon seit Jahren sitze, ist gar nicht so übel. Er bewart mich vor gefährlichen Angriffen und vor der Erkenntnis, was hinter der Leere existiert.
Ich muss einen lächerlichen Anblick abgeben, wie ich da stehe. Ein schäbiger Kasten, der nur noch von drei verrosteten Scharnieren zusammengehalten wird und ich in ihm, bekleidet mit meinem neuen Ballkleid und einem Handtäschchen. Stets bereit abgeholt zu werden, von jemanden, der mir eine schöne Zeit bietet. Doch wie sollte dieser Jemand an diesen Ort gelangen? Es gibt hier nicht einmal einen befahrbaren Weg, nur eine Anreihung von Schlaglöchern, die mit der Zeit entstanden sind. Es ist hoffnungslos. Wer sollte mich finden? Und wenn mich jemand aus der Ferne erspähen sollte, wäre ihm sein Gefährt viel zu schade, um durch die Löcher zu schaukeln.
Doch ich habe noch einen Joker im Ärmel. Besser gesagt, noch ein paar Geldstücke in meiner Tasche, um das Telephon zu bedienen. Natürlich habe ich das schon öfters getan, habe eine Nummer nach der anderen gewählt und gespannt das Stück Plastik gegen mein errötetes Ohr gepresst. Doch die Ergebnisse dieser Versuche waren deprimierend. Entwerder ein Besetztzeichen, ein Falschverbunden oder ein Freizeichen, bei dem niemand abhob. Verzweiflung rückt immer näher, denn das Geld geht zur Neige. Was soll es, ich kann noch ein paar lächerliche Versuche riskieren, jemanden zu erreichen der meine Gefühle erwidert.

Ich beginne in meinem Ledertäschchen zu kramen und bekomme eine Münze zu fassen. Nachdem ich sie fest an mein Herz gepresst und ihr einen Kuss mit auf den Weg gegeben habe, stecke ich sie sanft in den vorgefertigten Schlitz. Es klappert leicht, während das Geldstück im Automaten verschwindet. Ich nehme den Hörer in die rechte Hand und presse ihn ans Ohr. Welche Nummer soll ich nun wählen? Ich schließe die Augen und tippe wahllos auf die Tasten. Mein Herz beginnt vor Erwartung schneller zu schlagen, der Apparat wählt noch. Ich halte es kaum noch aus, der Schweiß steht mir auf der Stirn. Plötzlich ertönt ein Freizeichen. Langsam entweicht der angestaute Atem aus meinem halboffenen Mund. Ein weiterer langgezogener Ton erscheint. Ich räuspere mich, um gleich mit meiner freundlichsten Stimme in Erscheinung zu treten. Das dritte Freizeichen schallt in meinem Ohr. Ich trete von einem Fuß auf den anderen. Auf einmal meldet sich eine Stimme mit einem freundlichen „Hallo“. Ich bin sprachlos. In mir dreht sich alles. Da ist jemand am anderen Ende der Leitung und schenkt mir seine Aufmerksamkeit. Endlich ist da jemand, der mein Herz höher schlagen lässt und mich gleichzeitig doch verunsichert. Ich wage einen riskanten Versuch und drücke ihm meine Gefühle auf. Ich plaudere drauf los, lasse nichts unversucht, um ihn für mich zu gewinnen. Es ist aufregend, denn er spricht mit mir, mehr noch, er berührt mein Herz. Ich zittere am ganzen Körper, währen sein Atem immer schneller wird. Nun bin ich jemandem wichtig. Doch er macht mir klar, dass er mich nicht abholen kann. Ab und zu ein Telephongespräch, das findet er angebracht. Wir verabreden uns für die nächste Woche und schon ist alles vorbei. Er hat aufgelegt, ich bin wieder allein.
Die Aufregung bleibt, so dass ich jedem vorbeikommenden Sandkorn das Erlebnis erzähle. Die Zeit vergeht wie im Flug und der Tag ist gekommen, an dem ich die Nummer ein zweites Mal wählen werde.
Ich betätige die Taste „Wahlwiederholung“ und fiebere seiner Stimme entgegen. Als nach dem dritten Freizeichen noch immer niemand abgenommen hat, beginne ich zu zweifeln. War es einmalig, eine einmalige Berührung? Plötzlich ertönt die Stimme wieder, jedoch weniger freundlich.
Er erklärt mir, dass er enttäuscht von mir sei, denn die Sandkörner mit dem Wissen über meine Gefühle wurden mit dem Wind zu ihm getragen und haben ihm zugeflüstert, was ich ihnen anvertraut habe. Er hat Angst, dass Menschen in seiner Nähe Wind bekommen und den selben Sandkörnern begegnen. Es wäre ihm peinlich, wenn es andere wüssten. Ich bin traurig so abgewertet zu werden.
Jedoch hält seine Enttäuschung nicht lange an und wir verleben zum wiederholten Male ein paar aufregende Minuten, die mich aus der Telephonzelle heben und mich auf das Land hinter die Leere und die Trümmer blicken lassen. Es ist wunderschön, fruchtbares Land, Schmetterling und fliegende Herzen. Ohne sich von mir, mit einem Versprechen auf eine Reise zum Paradies, zu verabschieden, legt er auf. Es knackt regelrecht in meinem Ohr, als er am anderen Ende der Leitung den Hörer auf die Gabel wirft. Ich sinke auf die Knie und weine vor neuem Glück und neuer Einsamkeit. Nun hat er mir für einen Moment das Land meiner Träume gezeigt und nun darf ich es nicht betreten? Ich habe Sehnsucht wie nie zuvor.
Gleich am nächsten Tag wähle ich die Nummer erneut, doch es nimmt niemand ab. Ich versuche es Tag für Tag, doch am laufenden Band ertönt dieser grauenhafte Ton.
Ich hasse ihn, er hätte mir das ferne Land nicht zeigen dürfen, denn nun ist die Gier unerträglich. Als ich nach längerer Zeit einen erneuten Versuch wage, bekomme ich nicht das zu erwartende Freizeichen zu hören, sondern ein schnelles monotones Tuten, besetzt...
Eine Welt bricht zusammen, das linke rostige Scharnier der Telephonzelle löst sich und fällt klirrend zu Boden, ich hinterher. Da liege ich nun, weggeworfen und enttäuscht.
Doch ich gebe nicht auf, wähle die Nummer, bis mir die Finger qualmen. Dann geschieht etwas unglaubliches. Obwohl das Besetztzeichen weiterhin leise ertönt, höre ich seine Stimme. Sie ist klar und deutlich und zeigt mir erneut das ferne Land. Ich schwebe weit oben über den Blechkasten, als er wieder auflegt. Ich falle krachend zu Boden und breche mir mein Herz. Den Hörer presse ich immer noch ans Ohr und vernehme das schnelle monotone Besetztzeichen.
Es wird noch eine Weile dauern, bis ich wieder zu Kräften gekommen bin, doch ich bin zuversichtlich. Obwohl meine Telephonzelle schon ganz schön wackelt, wird sie noch eine Weile stehen bleiben, bis mich endlich jemand abholt und ins Paradies bringt.
Ich habe erneut den Fehler gemacht und den vorbeikommenden Sandkörnern meine Gefühle anvertraut, Vielleicht habe ich Glück und sie erreichen dich nicht. Wenn eines dir doch etwas zuflüstert, dann weiß ich inzwischen was mich erwartet. Doch bitte verzeih mir, ich kann das nicht alles in mich hinein stopfen, sonst platzen die Nähte meines neuen Kleides.
Ich hoffe du hast dein Paradies gefunden.
Ich meinerseits werde versuchen die Telephonzelle und mein Leben wieder in Ordnung bringen, wünsch mir Glück.

 

DEINE GESCHICHTE IST WNUDERSCHÖN....wirklcih ich mag das....Bewunderung...echt die bringt mich verdammt zum Nachdenken und im Moment ist das gut so und du kannst einen mit den Gefühlen richtig ansprechn!SCHÖN!Mach weiter so!

 

Hallo Momo,
Deine Geschichte erinnert mich an zahlreiche Frauen in den Staaten. Sie leben tatsächlich in einer menschenleeren Gegend und würden mit dem erstbesten Mann flüchten.
Jedenfalls gefällt mir dein Stil und der Schluß ist klug.
Sie versucht alles selbst in Ordnung zu bringen.
:)

 

Hallo Momo,

wirklich prima geschrieben, auch die direkte Ansprache des Lesers am Schluß ist ein schöner Kunstgriff.
Etwas gestört hat mich der Ausdruck " ... bis mir die Finger qualmen ..." das war plötzlich so banal, im Vergleich zu der restlichen Ausdrucksweise.

Tschüß ... Woltochinon

 

Hallo,

Auch mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Zum einen natürlich weil sie gut geschrieben und flüssig zu lesen ist und zum anderen weil ich stetig auf die Auflösung des ganzen gespannt war. - Gott sei Dank gibt es keine, so regt die Geschichte zum Nachdenken an.

Schöne Grüße,

Gerhard

 

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