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Die Taxifahrerin
Nervös fuhr sie mit ihrem Audi A4 die Strassen entlang, huschte mit ihren Blicken panisch von links nach rechts, ihre Füße bebten nahezu an den Pedalen. Darüber hinaus entfleuchte ihr fast ununterbrochen eine goldene Locke aus ihrem sorgfältig gebundenen, blonden Pferdeschwanz, was sie beinahe zum Wahnsinn trieb.
„Kann ich hier gleich rechts abbiegen oder sollte ich doch lieber diese Richtung beibehalten?“, diese verlegene Frage konnte sie gerade noch aus ihren spitzlippigen Sprechorgan herausquetschen, da sie sich ja immerhin auf den eventuell auftretenden Wildwechsel konzentrieren musste. Ihr Fahrgast stierte sie schon seit Minuten mit herausquellenden Schockaugen an, er war eben einfach nicht hartgesotten genug um eine Autofahrt zu verkraften, in der dreimal sein Leben an seinem geistigen Auge vorbei lief.
„Ich denke, ich fahr` gerade weiter. Möglicherweise gibt es ja Stau auf der Schnellstrasse, das kommt um diese Uhrzeit oft vor...“, mit diesem Satz beantwortete sie sich ihre eben gestellte Frage selbst. Ihre Angst, ein umherhüpfendes Reh mit ihrem Taxi zu erfassen, schien anscheinend mittlerweile wie weggeblasen, doch diese Tatsache allein ließ Martin noch immer nicht beruhigt in seinen Sitz zurücksinken. Zuviel hatte er schon auf diesem Höllentrip erlebt, als das er sich nun naiv entspannen könnte. Eigentlich wollte er ja lediglich von St.Pölten, seiner Heimatstadt, nach Erlach, einer nahe gelegenen Ortschaft. Im Prinzip eine simple Fahrt von 10 Minuten... Doch sie fuhr über Gehsteige auf denen gerade Passanten querten, sie kam auf Eisenbahnschienen minutenlang staubedingt zum Stehen und streifte bei voller Fahrt mehrere Male die Leitplanken. Sie schien überhaupt nicht bei der Sache zu sein und stand anscheinend unter ungeheurem Stress.
„Wissen Sie... Man hat es schwer, als Taxifahrerin, die Leute erwarten einfach zuviel!“ sprach sie, währenddessen sie sich wieder mal ihre störende goldene Locke hinter ihr Ohr zurücksteckte.
„Jeder möchte innerhalb von kürzester Zeit zu seinem Zielort kutschiert werden, dabei berücksichtigt aber niemand, dass auch wir unsere Probleme haben. Niemanden interessiert es ob wir mal einen schlechten Tag haben und versteht dann, dass wir mal etwas länger für eine Fahrt brauchen... Die Welt der Taxifahrer ist eben einfach öde und schlicht, aber das kapiert niemand.“
„Ich kann ihre Probleme wirklich nicht nachvollziehen, ich bin nur ein einfacher Maurergeselle, der zu seiner Freundin nach Erlach will.“ erwiderte er und hoffte damit, ihr endlos lähmendes Geschwafel stoppen zu können.
„Sie also auch nicht! Nicht mal sie! Und das, obwohl sie eigentlich wissen müssten, wie wenig harte Arbeit respektiert wird. Verdammt! Was soll der Scheiß? Was habe ich verbrochen? Wieso versteht mich kein Mensch? Warum ist das Leben so schrecklich unfair? Was hab ich verbrochen? Ich bin doch ein guter Mensch!“ schrie sie panisch und weinend gegen die Windschutzscheibe.
Langsam begann Martin S., Maurergeselle aus St. Pölten sich ernsthaft in diesem Wagen zu fürchten. Wollte sie Suizid begehen um so der Welt zu demonstrieren, dass sie ein für alle Mal genug von diesem Leben hat? Oder konnte sie die erbitternde Kälte unserer Gesellschaft einfach nicht mehr ertragen und wandelte deshalb nur mehr geschüttelt vom Schmerz durch ihr Leben ohne wirklich zu registrieren, was ringsum geschieht?
Er begann, das Schlimmste anzunehmen, Horrorszenarien malte er sich in seinem Kopf aus, er sah bereits ein brennendes Taxifahrzeug in der Straßenschlucht, aus dem ein hallendes Gelächter schallte, welches immer und immer wieder schrie: Jetzt habe ich es euch gezeigt! Ich hab`s euch allen gezeigt!
Plötzlich stoppte der Wagen. Wir waren in Erlach. "15 Euro und 5 Cent." brummte sie. Martin drückte ihr das Geld in die Hand und stieg so schnell wie möglich aus, er verbrachte anschließend noch einen schönen Abend mit seiner Freundin.
Am nächsten Tag hatte er allerdings einen katastrophalen Arbeitsunfall, da er durch ein verheerendes Mißgeschick seiner Kollegen, von einem herabfallenden Ziegelstein schwer getroffen wurde. Daraus resultierte ein einwöchiger Krankenhausaufenthalt, den er aufgrund seiner Minderjährigkeit in der Kinderabteilung verbringen musste, was Martin eigentlich gar nicht so unrecht war, immerhin hätte er nur ungern eine Woche mit älteren, schwerkranken Menschen seine Zeit hier verbracht.
Seinen fünften Tag absitzend schmollte er also in seinem Krankenhausbett kryptisch verdreht daliegend dahin als es plötzlich an seiner Tür klopfte. Es waren zwei Klinik Clowns. Sie machten Späße, Witze und Vorführungen und obwohl es ihm etwas seltsam erschien, konnte er sich sogar mit seinen 17 Jahren noch köstlich darüber amüsieren, nach der Vorführung ging es ihm gleich viel besser.
Als sich die beiden Clowns mit einem kräftigen „Heydidoo, bis zum nächsten Mal!“ verabschiedeten und zur Tür hinauswatschelten, drehte sich einer der beiden Clowns noch mal kurz zu ihm rüber und blickte ihn an. Eine goldene Locke flutschte diesem aus der Perücke heraus, die allerdings sofort wieder hektisch zurückgestopft wurde. Danach verließ die Person fluchtartig das Zimmer.