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Die tanzenden Lichter
Elana stapfte durch den Sumpf, das Pferd hinter sich am Zügel führend. Ihre Füße verursachten jedes Mal ein saugendes Geräusch, wenn sie sich aus dem Schlick lösten. Hinter ihr trottete das Pferd, das sie hin und wieder mit der Nase anstubste, wie, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war.
Die Frau wusste, das Sümpfe trügerisch sind. Sie wusste auch um die Gefahren dieses ganz bestimmten Sumpfes. Trotzdem zitterte sie vor Angst.
Sie konnte die Seelenlichter bereits sehen. Sie kamen immer näher, je tiefer die Sonne sank. Und es war noch so weit bis zum Dorf!
Warum, warum bei allen Göttern, mussten diese verfluchten Magi ausgerechnet hier leben? Und warum war sie der irrwitzigen Idee verfallen, gegen Mittag eine ausgedehnte Rast einzulegen?
Es war nicht ihre Schuld gewesen, beschloss sie. Das Pferd war Schuld. Wäre es nicht so müde gewesen, hätte sie nicht gerastet, und dann wäre sie schon längst im kleinen Dorf am Fuß der hohen Klippen.
Die Dunkelheit kroch langsam heran. Obwohl die Sonne schon lange hinter den riesigen, durchlöcherten Bergen versunken war, war es bis eben noch hell gewesen. Jetzt spendeten nur noch die Seelenlichter ein wenig schwachen Schein.
Sie glühten in verschiedenen Farben, je nachdem, wie ihre Seele gewesen war, als sie noch gelebt hatten. Eines war ganz schwarz, durchzogen von roten Blitzen. Elana wusste, dieses Licht war gefährlich.
Ein anderes war weiß, mit silbrigen Funken, die nach allen Seiten sprühten. Es strahlte helle Fröhlichkeit aus. War es ein Kind gewesen, im Leben? Wenn es nur näher kommen würde, dann könnte sie die Konturen des Gesichtes sehen!
Aber es umkreiste sie in einiger Entfernung, geisterhaft still. Das einzige Licht, das sich ihr näherte, war das schwarz-rote. Ein Kopf wurde sichtbar, der eines Mannes, mit langem schwarzen Haar und einem kurz gestutzten Bart. Er schenkte ihr ein sardonisches Lächeln, als er enge Kreise um ihren Kopf schwebte.
Sie fragte sich bereits, welche Farbe ihr Licht haben würde. Außer dem Erzmagier der Magierkliffs hatte noch niemand eine Nacht in den Sümpfen überlebt, war ihr gesagt worden. Sie war gewarnt worden, die Sümpfe zu durchqueren, bevor die Sonne sank, bevor sie von den Lichtern um den Verstand gebracht würde!
Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie war doch noch jung! War es gerecht, dass sie hier sterben würde, so allein, und dass sie noch ihr Pferd mit sich in die Tiefe reißen würde?
Wie vom Gedanken angestiftet, zerrte das Pferd an seinem Zügel. Sie entglitten ihren Fingern. Sie hatte nicht bemerkt, dass ihre Hände schweißnass waren. Jetzt, wo sie die Zügel nicht mehr umklammerten, fuhr ein eisiger Wind durch die schmalen Finger.
Elana sah auf ihre leeren Hände hinunter, lauschte den hämmernd-schmatzenden Geräuschen der Pferdehufe auf dem festen Boden, dann im Sumpf, ein schrilles Wiehern, dann nichts mehr, nur noch Stille.
Das rot-schwarze Licht umkreiste sie weiter, und sie setzte grimmig einen Fuß vor den anderen, entschlossen, ihren Weg, wenn nötig, durch pure Willenskraft zu erzwingen.
Ein neues Licht gesellte sich nun in den tanzenden Kreis. Noch war er dünn besetzt, aber Elana hatte aus den Erzählungen der Menschen, die sie gefragt hatte, erfahren, dass sich die Reihen während der Nacht noch füllen würden.
Das Licht hüpfte in großen Sprüngen auf Elana zu. Sie kreischte erschrocken auf, als sie die Konturen eines Pferdekopfes darin erkannte. Das Licht schimmerte wie ein Regenbogen, war offenbar noch nicht entschieden, welche Farbe es annehmen sollte.
Die Frau war vor Schreck beinahe erstarrt. Das Licht jedoch hüpfte um sie herum, fröhlich und beinahe glücklich wirkte es, und sein Licht beleuchtete den Weg in der Finsternis.
Elana kniff die Augen zu. Folge den Lichtern nicht, hatte sie mehr als einmal gehört. Aber dieses Licht war doch ihr Pferd gewesen?
Sie setzte zögernd den Fuß auf den schmalen Pfad. Dann den anderen. Bald hatte sie sich von der definitiven Sicherheit ihres letzten Standpunktes entfernt, und ihr Leben ganz dem Geist eines toten Pferdes anvertraut. Elana lachte zynisch. Die anderen Lichter umtanzten sie, geräuschlos und funkelnd. Sie hatte ihre Augen auf das Pferdelicht geheftet und ignorierte die anderen bunten Leuchtkörper. Mehr als einmal gingen ihre Schritte fehl. Adrenalin und die Kraft ihres Willens gaben ihr die Kraft, weiterzutaumeln. Nur ihr Zorn auf die ungerechte Welt hielt sie davon ab, sich auf das nächste trockene Fleckchen Erde zu kauern, die Arme um die Knie zu schlingen - und sich von den flackernden Lichtern in den Wahnsinn treiben zu lassen.
Dann, wenig später, tauchten goldene Lichter am Horizont auf. Das Dorf! Das Dorf!
Elanas Knie gaben nach. Sie sackte in sich zusammen und fiel auf den Boden. Ihre Kleidung war ganz mit Schmutz verschmiert, und ihr Haar verklebt. Elana kümmerte sich nicht darum. Sie weinte vor Erleichterung.
Eine schlammverschmierte Gestalt kam kurz nach der Morgendämmerung in das verschlafene Dorf getaumelt. Ihre linke Hand hielt sie an den Körper gepresst. Andryf, der Dorfälteste, beschwor später, sie hätte einen kleinen Lederbeutel umklammert. Sie taumelte den ausgetretenen Hauptweg entlang, auf die Magierklippen zu. Der Torposten sah sie kommen, sah den frischen Schlamm an ihren Kleidern und hetzte die Treppen empor.
Elana würde wenig später im warmen Zimmer des Erzmagus sitzen und mit ihm heißen Tee trinken. Aber davon wusste sie jetzt noch nichts. Sie war nur unglaublich erleichtert, den gefährlichen Weg heil überstanden zu haben. Sogar die kleine Phiole mit dem grünen Blut, das sie anvertraut bekommen hatte, war unversehrt geblieben. Die Magi würden sich freuen.