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Die Tanne in der Höhe
Auf hohem Fels im eisigen Wind steht einsam eine Tanne. Sie schaut herab auf den Rücken des Berges, Steine und Geröll liegen verstreut auf weiter Fläche. In der Ferne unten, wo das Gebimmel von braunen Kühen sanft über grüne Hügel schallt, stehen ihre Geschwister in ungezählter Menge. Sie lachen im Wind, der über ihre Köpfe streicht und sie im Takt des Orchesters von Grillen und Gräsern, Vögeln und dem Plätschern eines klaren Baches wiegt. Auch finden sich noch kleine Gruppen in windgeschützten Nischen auf dem felsigen Wege zum Gipfel, sie tuscheln und rascheln mit ihren kargen Zweigen und verwünschen den steilen Bergwind, der ihre Samen einst soweit vom Vater trug. Doch hier oben, wo nur selten eine Wolke den Blick auf die Sonne verdeckt und der eisige Wind selbst die mutigsten Wanderer schon bald zur Rückkehr ins Tale zwingt, steht sie alleine und breitet ihre Arme zum Trocknen aus.
Wie gut, denkt sie sich, dass ich hier alleine bin. Keine Tiere stören meine schöne Ruh, nur die Sonne und der Wind und manchmal Schnee und Eis sind meine stummen Freunde. Hier schicke ich Gedanken auf die Reise, lege sie auf eine eisige Böe, die sie hinab ins Tal und geschwind wieder hinauf und über die nächste, weiße Bergkuppe trägt. Und wenn sie eine Weile geflogen sind, dann kehren sie wieder zurück zu mir und schütten aus, was sie auf ihrer Reise nur sammeln konnten an bunter Musik und warmen und süßen, salzigen und bitteren traurigen Tränen des Schmerzes und des Glückes. Was brauche ich die grüne Gesellschaft um mich herum, wenn ich doch alle Freude der Welt in eisig tiefgefrorenen Stücken von einer Wolke pflücken kann?
So denkt sie, die einsame Tanne und bemerkt nicht wie sich ein dunkle Wolke mächtig türmt, von starkem Wind getrieben sich über Berge und Täler schiebt. Mit donnernder Gewalt taucht sie den Gipfel in dunkle Nacht und schickt ein grelles Licht herab, das sich suchend einen Weg zur Erde bahnt. Als endlich wieder Sonne durch die dichte Wolkendecke bricht, steht auf der kahlen Spitze keine Tanne mehr.
P.S.: Ich meine es gibt ein Gedicht von Theodor Fontane, das so ähnlich anfängt. Ich habe aber vergessen wo und wann ich das gelesen habe. Kennt das jemand?
[Beitrag editiert von: Nikomana am 13.03.2002 um 23:47]